Die Anträge sind eingebracht und begründet. Ich eröffne die Aussprache. — Es liegen noch keine Wortmeldungen vor.
Ich erteile das Wort Herrn Dr. Kleindinst.
Dr. Kleindinst CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe erwartet, daß zu der Begründung des Antrages seitens der Parteien in zustimmendem oder ablehnendem Sinne lebhaft Stellung genommen wird. Ich wollte mich zunächst zurückhalten, um auf die Begründungen und Einwendungen zu antworten. Aber da sich niemand gemeldet hat, sehe ich mich doch veranlaßt, Ihnen folgendes nun gleich zu sagen.
Die CDU/CSU wird Ihnen keine Möglichkeit geben, diesen Antrag mit verfassungsändernder Mehrheit anzunehmen. Sie wird den Antrag ablehnen, wie ja auch der Herr Antragsteller erwartet hat.
Als wir im Parlamentarischen Rat das Grundgesetz berieten, bestand das Bestreben, alle Fragen auszuschalten, die mit weltanschaulichen Beziehungen verknüpft waren, um die Fertigstellung des Grundgesetzes möglichst bald zu erreichen. Man hat infolgedessen lediglich den Art. 7 in das Grundgesetz aufgenommen. Ich kann Ihnen sagen, daß auch die Hereinnahme dieses Art. 7 große Schwierigkeiten bereitet hat. Sie ist während der ganzen Beratungen des Parlamentarischen Rates bis zuletzt im Fünfer-Ausschuß immer wieder erwogen worden, und erst die Anlehnung an die Weimarer Verfassung hat die Annahme dieses Artikels ermöglicht. Hinsichtlich der Rechte der Religionsgesellschaften hat man einfach die Vorschriften der Weimarer Verfassung übernommen. Wenn nun das im Parlamentarischen Rat geschehen ist, um die Verfassung möglichst bald zum Abschluß zu bringen, so kann ich nicht einsehen, daß wir diese schwierige Materie in Widerspruch zu den Absichten der Verfassung jetzt in die Gesetzgebungsbefugnis ides Bundes aufnehmen sollen.
Aber das ist nicht der einzige Grund unserer Stellungnahme. Sie werden nicht leugnen können, Herr Dr. Brühler, daß Schule und Hochschule, das ganze Bildungswesen organisch in den Ländern gewachsen sind und daß jeder Eingriff in diese Entwicklung zu den größten Schwierigkeiten führen muß, namentlich in einer Zeit, wie wir sie erleben.
Die Verfassung von 1871 hat keine Vorschriften über die Zuständigkeit des Reichs in bezug auf Schule, Bildung und Kulturpflege enthalten. Sie sagten, damals sei eine einheitliche Linie dagewesein. Diese einheitliche Linie hat lediglich auf Grund des Geisteserbes bestanden — nehmen wir das Wort, das jetzt auch in den internationalen Vereinbarungen immer wieder hervorgehoben wird —, nicht in der Organisation und nicht in den Gesetzen. Aber auch während der Geltung der Verfassung von 1871 haben sich die Bundesstaaten zu Vereinbarungen in bezug auf die Anerkennung von Zeugnissen, der Berechtigung zum Zugang zur Hochschule usw. gefunden.
Die Weimarer Verfassung hat lediglich eine Grundsatzgesetzgebung auf dem Gebiet der Schule vorgesehen. Sie hat einige positive, einige materielle Bestimmungen enthalten. Es würde zu weit führen, sie Ihnen noch einmal zusammenzufassen. Die Grundsatzgesetzgebung ist aber in zweimaligem Anlauf zwischen 1919 und 1932 an der Schwierigkeit der Materie gescheitert. Erst das Dritte Reich hat eine einheitliche Schulgesetzgebung in die Wege geleitet und das Preußische Unterrichts-und Erziehungsministerium auf das Reich übernommen. Die Versuche in der nationalsozialistischen Zeit sind ja bekannt. Sie waren unruhig, sie waren geradezu nervös, auf den äußeren Effekt abgestellt und haben zu den größten Schwierigkeiten auch bei den Eltern geführt, insbesondere hinsichtlich der Einschränkung des humanistischen Gymnasiums, haben in der Lehrerbesoldung eine Mittellinie gezogen, die die Berufsschulen gefährdet hat, namentlich dort, wo es hervorragende Berufsschulen gegeben hat.
Im Jahre 1945 ist nun das Bildungswesen nicht etwa auseinandergefallen, sondern man hat auf den Grundlagen möglichst von vor 1933 weiterzuarbeiten versucht. Es ist auch nicht so, daß in bezug auf Schulbauten nichts geschehen ist.
Es wird überall gebaut, und es wird ,auch in Landkreisen hervorragend für die Schule gebaut. Die Universitätsinstitute werden fortgesetzt erneuert.
Aber, meine Damen und Herren, auch ein Bundesminister wäre nicht in der Lage, auch nicht mit den Weisungsrechten, noch mehr zu beschleunigen; denn er muß das G e 1 d haben, ob er es von den Ländern und deren Finanzministern nimmt oder ob er die Länder selbst auf Grund seiner Weisungsrechte durch einen Zwangsvollzug zwingen will, weiterzubauen. Man soll doch die Dinge nicht übertreiben.
Aber nun, meine Herren, etwas Wesentliches. Bedenken Sie die Belastung unseres Bundestages, die Zeitnot, in der wir ständig bei unseren Gesetzentwürfen stehen! Bedenken Sie, daß wir immer wieder zu Novellen greifen müssen, weil wir Gesetze auf den ersten Anhieb nicht so schaffen können, daß sie auf lange Zeit Bestand haben!
Und in dieser Zeit wollen Sie die schwierigste Materie der Gesetzgebung auch noch dem Bundestag aufladen?
Können Sie das gegenüber der Schule überhaupt verantworten, meine Herren? Hier gibt es keine Novellengesetzgebung. Denn was hier verfehlt wird, das setzt sich durch ganze Jahrgänge fort, das wirkt auf die Bereitstellung von Lehrstellen, auf den Übergang zur Hochschule, und das kann nicht ohne weiteres wiedergutgemacht werden. Das ist eine wesentliche Verantwortung gegenüber der großen Aufgabe, die uns hindert, nun einfach die Gesetzgebung für Schule und Erziehung zu übernehmen.
Aber ich mache noch auf etwas Weiteres aufmerksam, und zwar gerade hinsichtlich der Formulierung des Antrags und der Begründung, die der Herr Antragsteller dazu gegeben hat. Meine Damen und Herren, unsere Gesetzgebung ist nicht mehr in erster Linie Rechtsetzung, sondern Regelung von Zuständen, von Tatbeständen. Sie wird immer kasuistischer. Sie wendet sich an die Behörden, sich irgendwie zu verhalten oder etwas auszuführen. Sie wandelt Aufgaben der aktiven Verwaltung — und das ist das Erziehungs- und Bildungswesenimmer mehr in Vollzugsaufgaben um. Das ist eine Erscheinung, die auf die Zustände zurückgeht, die nun als Massenzustände eingetreten sind. Aber diese Methode der Gesetzgebung geht auch hervor aus der Geisteshaltung der Kriegswirtschaft, der Inflationswirtschaft. Neben die Rechtsetzung tritt in verstärktem Maße die Regelung. Auch in diesem Antrag wird von der Regelung des Erziehungs-
und Bildungswesens gesprochen. Der Herr Antragsteller hat von der zentralen Steuerung des Erziehungs- und Bildungswesens, des Schulhausbaues usw. geredet, von Weisungsrechten, die also offenbar bis in die Stadtverwaltungen und bis in die letzte Landgemeinde gehen sollen. Dann würde sich auf dem Gebiet der Bildung und Erziehung das ergeben, was auf anderen Verwaltungsgebieten schon der Fall gewesen ist: daß man die schöpferische, die aktive Verwaltung gelähmt und versucht, hat, alles von einer Zentrale aus mit Vollzugsanweisungen, Ermächtigungen usw. zu steuern. Ob man dieses Wort auf das Erziehungs- und Bildungswesen überhaupt anwenden kann, möchte ich doch sehr in Frage stellen.
Im Erziehungs- und Bildungswesen kann man nur organisatorische Maßnahmen treffen, finanzielle Unterstützung geben, Verpflichtungen für Eltern festlegen. Aber das Wesentliche ist die persönliche schöpferische Arbeit des einzelnen, angefangen von den Volksschullehrern bis zu den Hochschullehrern, auf Grund von Wissen, Erfahrung, Veranlagung und Hingabe an den Beruf.
Das können Sie weder durch Gesetz noch durch Verordnung noch durch Steuerung, durch Steuerung am allerwenigsten, sondern nur durch lebendiges Vorbild schöpferischer Menschen erreichen. Das ist eine sehr wesentliche Aufgabe. Aber man kann das Erziehungs- und Bildungswesen nicht mit Methoden regeln, die ihm absolut fern liegen. Bei der ganzen Kultur geht es um eine Kulturpflege. Es ist sehr wesentlich, daß in alten Vorschriften im Hinblick auf Schule und Erziehung das Wort von der Schulpflege und bei den Behörden das Wort von den Schulpflegschaften gewählt worden ist. Damals hat man diese Bedeutung der Schule und des Bildungswesens viel schärfer erkannt als in einer Zeit, in der man steuern, Weisungsrechte geben und das Ganze in Vollzugsvorschriften einfangen will. Diese Gesichtspunkte sind das Wesentliche, warum wir uns diesem Antrag versagen.
Der Herr Antragsteller hat aus Zeitungen und Rundfunkmitteilungen das Äußerste herausgeholt, was man an Übertreibung und an Schlagworten überhaupt aufbringen konnte.
Meine Herren, heute ist alles „Chaos", was nicht mehr die alte, einheitliche Ausrichtung zeigt,
und alles ist Wirrwarr, was von dieser ehemals einheitlichen Linie abweicht. Von einem „Augiasstall" der öffentlichen Bildung zu sprechen, meine Herren, das dürfte von dieser Stätte des Bundestags wirklich nicht erfolgen!
Daß uns die Wiedervereinigung auch auf dem Gebiet der Schule und des Erziehungswesens große Aufgaben stellen wird, ist selbstverständlich. Die können Sie aber jetzt nicht von einem Bundesministerium für Erziehung und Unterricht vorbereiten lassen. Ich fürchte, daß der Vorbereitungen schon zu viele sind, die in dieser Hinsicht laufen. Ich meine vielmehr, man muß sie geschlossen in eine einheitliche große Konzeption zusammenfassen.
— Dazu brauchen wir keinen Bundesminister für Erziehung und Unterricht, der sich nun zunächst der Steuerung im ganzen Bundesgebiet annehmen will!
Nun, meine Herren: Kultusministerkonferenz! Diese Kultusministerkonferenz hat es gegeben während der Weimarer Zeit und gibt es jetzt seit dem Jahre 1946. Sie hat auch einmal mit der Vertretung der Unterrichtsverwaltungen in der Ostzone getagt — im Jahre 1947 wird es gewesen sein —; dann sind derartige gemeinsame Konferenzen nicht mehr möglich gewesen. Es ist aber doch nicht so, als ob diese Konferenzen zu nichts geführt hätten. Mich wundert eines: Sie haben so viele Zeitungen und Zeitschriften zitiert, aber die Denkschrift der Kultusministerkonferenz vom Jahre 1952 ist einfach nicht erwähnt worden. In ihr sind doch die Gründe dargelegt, die zu den Schwierigkeiten nach 1945 geführt haben: Flüchtlingselend, Evakuierungen, Eingriffe der Besatzungsmächte, Zerstörungen usw. Niemals hat die Kultusministerkonferenz — auch nicht während der Weimarer Zeit — zu so vielen Vereinbarungen geführt wie jetzt nach 1945. Es sind 23 Vereinbarungen über das Volksschulwesen und 12 Vereinbarungen über das Hochschulwesen erzielt worden, und man kann nicht sagen, sie seien nicht durchgeführt worden.
Die Schulmänner müssen es doch besser wissen als der Verwaltungsbeamte, daß derartige Vereinbarungen in der Schule nur mit Vorsicht durchgeführt werden können. Wenn z. B. hinsichtlich des Schulanfangs ein Beschluß gefaßt wird, so kann er nicht in den nächsten acht Tagen vollzogen werden; er muß doch durchgeführt werden in allen Jahrgängen, in allen Schulklassen, im Hinblick auf die Unterbringung in Lehrstellen, im Hinblick auf den Übergang auf die Hochschulen.
— Es ist angefangen, und zwar überall!
Nun hat der Herr Antragsteller von den Lehrerseminarien in Bayern gesprochen. Mich wundert es. Diese Lehrerseminarien waren einmal sehr gut. Ich habe in München einer Konferenz beigewohnt, in der ein preußischer Verwaltungsbeamter als Lehrersohn gesagt hat, wir hätten in Bayern die beste Ausbildung für Volksschullehrer gehabt, die es überhaupt gegeben habe, und die Lehrer, die aus dieser Ausbildung hervorgegangen seien, seien überall sehr gerne aufgenommen und gesehen gewesen. Das hat damals auf die anwesenden neuen und jungen Lehrer einen geradezu niederdrückenden Eindruck gemacht. Aber es ist doch längst so, daß die Schüler aus den Mittelschulen, also den sechsklassigen Schulen — sei es nun den Realschulen, sei es aus den sechs Klassen der humanistischen Gymnasien —, in die Lehrerhochschulen übergehen. Das ist doch längst eingeführt worden. Mich wundert es, daß das hier in dieser Weise herabgesetzt wird.
Der Deutsche Ausschuß für das Erziehungs- und Bildungswesen, den Sie seinerzeit beschlossen haben, hat zu diesen Fragen Stellung genommen. Er hat aber zur Vorsicht gemahnt und zur Zurückhaltung, und er hat Vorschläge gemacht, die eigentlich durch die Beschlüsse der Kultusministerkonferenz schon erfüllt sind. Von den Vorschlägen hinsichtlich des Berechtigungswesens glaube ich sagen zu können, daß wir sie im Bundesbeamtengesetz bereits restlos verwirklicht haben.
Das sind die Gründe! Nicht daß wir an den Schwierigkeiten vorbeigehen, die eingetreten sind, nicht daß wir ein geringeres Interesse am Schulwesen und am Erziehungswesen haben, sondern wir sind uns der Verantwortung der Gesetzgebung gegenüber dieser schwierigen Aufgabe so bewußt, daß wir sie dem überlasteten Bundestag in den nächsten Jahren nicht aufladen zu können glauben, ohne das Schulwesen zu gefährden. Stellen Sie sich vor, wir würden jetzt das Grundgesetz ändern! Dann würden Sie erreichen, daß in den Ländern die Gesetzgebung, die Verwaltung stillesteht, weil man wartet und nicht weiß, was aus den Bundesgesetzen herauskommt. Das ist ein weiterer Grund: gerade in der Zeit des schweren Ubergangs die höchste Vorsicht walten zu lassen.
Schule und Kultur kann man nicht regeln und verwalten, man muß sie pflege n. Hier schafft die Gesetzgebung nur die äußeren, die organisatorischen Voraussetzungen, das übrige schafft das Vorbild, schafft die Ausbildung der Lehrkräfte. Das läßt sich nicht mehr steuern, das läßt sich nicht mehr mit Vollzugsanweisungen und mit Ministerialerlassen regeln. Ein Bundesminister für Erziehung und Bildungswesen würde keine Schule mehr aus dem Boden stampfen können, als das jetzt die Länderminister tun.
Wenn früher verschiedene Schulen geschaffen worden sind, so kam das aus den Bedürfnissen der Wirtschaft, aus der Anschauung, daß man vielleicht die humanistische Bildung für das Bankwesen oder für die Industrie nicht mehr für so nötig hält, daß man für den Ubergang zu den technischen Berufen durch realistische Bildungsanstalten besser vorgebildet ist. Ich wiederhole nur die Anschauungen, ich teile sie nicht, und ich weiß, daß auch hervorragende Physiker sie nicht teilen. Aber so ist die Vielfalt der Schulen entstanden, und sie, die aus den Notwendigkeiten nicht erst seit 1945, sondern schon vor 1918 erwachsen ist, als einen Wirrwarr hinzustellen, geht dann doch zu weit.
— Jetzt komme ich zu dieser Frage; es ist gut, daß Sie mich daran erinnern. Herr Professor Brühler, ich bin bei demselben Vortrag gewesen wie Sie. Süsterhenn hat die Leute zitiert, die vom Chaos gesprochen haben, aber er hat doch nicht selbst vom Chaos gesprochen.
So liegen ,die Dinge. Ich kann mich sehr gut erinnern, und andere Herren erinnern sich dessen auch.
Ich wiederhole also, daß der Grundgesetzgeber beabsichtigt hat, diese Fragen auszuschalten, damit
das Entstehen des Grundgesetzes nicht verzögert und erschwert wird. Das wollen wir dem Bundestag auch nicht aufladen. Wir wollen es dem Bundestag nicht aufladen, weil die Notwendigkeit, Gesetze zu schaffen, weil die Arbeitslast, weil der Zeitdruck so groß sind, ,daß wir die Schulgesetzgebung ,dieser Situation nicht aussetzen wollen. Wir raten ,dazu, ruhig die Ministerkonferenz und den vom Bundestag beschlossenen Ausschuß für Erziehungs- und Bildungswesen weiterarbeiten zu lassen und nach Jahr und Tag ,die Folgerungen ausdieser Arbeit zu ziehen, wenn sich die Verhältnisse durch die allgemeine Anstrengung wieder gebessert haben.
Deshalb lege ich Ihnen namens der Fraktion der CDU/CSU einen Antrag vor:
Der Bundestag wolle beschließen:
Der Bundesminister ,des Innern wird gebeten,
1. die Kultusministerkonferenz um die Vorlage einer weiteren Denkschrift über den sachlichen Inhalt ihrer Vereinbarungen und Empfehlungen und über deren Ergebnisse zu ersuchen,
2. den Deutschen Ausschuß für das Erziehungs-
3. und Bildungswesen und die Kultusministerkonferenz zu veranlassen, jährlich einen Bericht über die Ergebnisse der Arbeit vorzulegen
und die Denkschrift und die Berichte dem Bundestage zuzuleiten.
Im übrigen beantragen wir, die gestellten Anträge abzulehnen, damit diese Frage, bei der wir die Verfassungsänderung verweigern, nicht auch noch wochenlang den Ausschuß für Kulturpolitik beschäftigen muß, um dann doch abgelehnt zu werden.