Rede von
Hans
Hermsdorf
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dieses Hohe Haus hat sich wiederholt mit der Bombardierung des Großen Knechtsandes beschäftigt. Ich möchte, bevor ich auf die Einzelheiten dieser Bombardierung eingehe, eine allgemeine Feststellung treffen: Wir hätten uns eine Reihe dieser Debatten ersparen können, wenn dieses Hohe Haus in der entscheidenden Auseinandersetzung im 1. Bundestag darüber, ob der Große Knechtsand als Bombenübungsziel zur Verfügung gestellt werden sollte, sich der Haltung der sozialdemokratischen Fraktion angeschlossen und diese Bereitstellung abgelehnt hätte. Wir wurden aber damals insbesondere von Herrn Hasemann in einer sehr gehässigen Weise kommentiert. All die Folgen, die sich heute eingestellt haben und die wir damals hier aufgezeigt haben, wurden von der FDP, insbesondere durch deren Sprecher, Herrn Hasemann, als illusorisch bezeichnet. Es wurde uns damals sogar in die Schuhe geschoben, daß wir die Bombardierung des Großen Knechtsandes zu einer demagogischen und parteipolitischen Auseinandersetzung benutzten. Nun, meine Damen und Herren, in der Zwischenzeit haben sich alle die Folgen, die damals von der Sozialdemokratischen Partei warnend aufgezeigt worden sind, eingestellt.
Wir haben dann im November 1953 hier einen Antrag diskutiert, der sich insbesondere mit der Entschädigung der Fischer beschäftigte. Dieser Antrag der Sozialdemokraten wurde im Mai dieses Jahres noch einmal zum Gegenstand der Diskussion gemacht. Resultat: Alle Parteien in diesem Hause waren sich einig, daß sofort etwas geschehen müsse.
Alle Auskünfte, die die Regierung nun gegeben hat, beziehen sich auf technische Dinge und gehen nicht ins Grundsätzliche. Soweit die Entschädigung der Fischer in Frage kommt, darf ich für meine Fraktion ohne weiteres erklären, daß das Finanzministerium in dieser Frage eine ausgezeichnete Arbeit geleistet hat und daß wir mit der Methode, wie jetzt — insbesondere nach dem Juni-Ergebnis — die Entschädigung an die Fischer gezahlt wird, einverstanden sind.
Eine andere Frage ist die Einbeziehung der Verarbeitungsbetriebe. Auch in dieser Frage würden wir darum bitten, daß wir recht bald vom Finanzministeriumdetaillierte Auskunft darüber bekom-
men, nach welchem System die Entschädigung der Verarbeitungsbetriebe erfolgen soll.
Eine ganz andere Frage, die noch nicht gelöst ist, ist die der Bombenschäden an den Häusern. Hier ist es so: Da können Sie einen Schaden haben, wie Sie wollen, zunächst müssen Sie erst einmal 10 Mark bezahlen, ehe Sie überhaupt den Schaden anmelden dürfen. Ich glaube, wenn man diese Sachlage überlegt, müßte man zumindest doch zu dem Resultat kommen, daß ,den Menschen, denen durch die Bombardierung die Decken über dem Kopf zusammenfallen, nicht noch 10 Mark abgenommen werden dürfen, damit sie den Schaden anmelden können. Dieses Verfahren müßte also geändert werden.
Nun steht aber folgendes fest: Die Bombardierungen haben, insbesondere im Mai und im Juni, ein Ausmaß angenommen, das eine große Beunruhigung weit über das Knechtsandgebiet hinaus hervorgerufen hat. Wir haben damals ein Telegramm an den Staatssekretär H a 11 s t ein geschickt. Nachdem alle Landkreise - der Landkreis Wesermünde, der Landkreis Hadeln — und die Stadt Cuxhaven einstimmige Protestresolutionen an die Bundesregierung geschickt hatten, haben wir den Staatssekretär gefragt, was er denn zu tun gedenke. Daraufhin hat uns der Staatssekretär in einem Antworttelegramm mitgeteilt, daß .die Regierung in Verhandlungen stehe und daß man erwarte, ,daß die Bombenabwürfe eingeschränkt würden. An demselben Tag, an .dem ich dieses Telegramm erhielt, hat derselbe Herr Staatssekretär Hallstein einen Vertrag unterzeichnet, der auch noch den amerikanischen Bombenfliegern in England erlaubte, den Großen Knechtsand zu
bombardieren.
Ich muß schon sagen, das ist eine Methode, die wir uns in diesem Hause keinesfalls auf die Dauer bieten lassen können. Man kann nicht ,den Abgeordneten sagen, man stehe in Verhandlungen über die Einschränkung der Bombardierungen, und am gleichen Tage, an dem man das sagt, den Vertrag erweitern! Das sehe ich nicht als eine, ich möchte sagen, korrekte Haltung der Regierung an.
Nun lassen Sie mich etwas zum Grundsätzlichen sagen. Die Frage der Bombardierungen des Großen Knechtsandes ist nicht nur eine Frage der Entschädigung. Sie ist in erster Linie eine Frage der psychologischen Auswirkungen auf alle Menschen, die in diesem Gebiet wohnen. Es ist ganz klar und kann von keiner Seite bestritten werden, daß die Bombardierung ein Ausmaß angenommen hat, daß nicht nur echte Schäden an Material, sondern auch seelische Schäden bei den Menschen entstanden sind. Wir haben in den Kreisen an der Küste sehr große Krankenhäuser. Ich erinnere insbesondere an das große Krankenhaus in Wüsterheide und die Menschen, die dort mit Knochentuberkulose liegen. Es ist ein unmöglicher Zustand, daß diese Krankenhäuser unter der dauernden Bombardierung leiden. Es ist ein unmöglicher Zustand auch für die Kinder, die Säuglinge. Wenn dort Nacht für Nacht bombardiert wird, müssen sich unweigerlich Schäden an diesen Menschenkindern ergeben.
Ich habe hier im Mai ,die Frage aufgeworfen, ob die Regierung nicht ,den Versuch machen will, die Revision des Vertrags anzustreben, weil die Schäden, die eingetreten sind, weit über das Maß hinausgehen, an das die Regierung zumindest beim Abschluß gedacht hat. Ich habe im Mai darauf keine Antwort erhalten, und auch heute hat die Regierung die Frage nur auf technische Dinge ausgeweitet, sie ist nicht in das Grundsätzliche gegangen. Ich sage Ihnen ganz offen, meine Damen und Herren: Wenn nicht eine Revision des Vertrags über die Bombardierung des Großen Knechtsandes erfolgt, wird sich dieses Haus noch häufig mit dieser Frage beschäftigen müssen, weil die Folgen 'der Bombardierung immer größer werden. Das ist eine Selbstverständlichkeit. Ich bin gar nicht der Meinung meines hochverehrten Herrn Vorredners, der sagte, wir hätten uns in einer Zwangslage befunden und jetzt müsse die Frage, insbesondere nach den Pariser Verträgen, erneut aufgeworfen und geklärt werden. Ich glaube, wenn dieses Hohe Haus sich im September 1952 den Auffassungen der sozialdemokratischen Fraktion angeschlossen hätte, hätten wir damals bereits eine andere Vereinbarung erreicht. Zweitens bin ich mit Ihnen einig, wenn Sie sagen: Jetzt sind die Pariser .Verträge da, und jetzt soll man noch einmal verhandeln. Ich möchte Ihnen ganz konkret die Frage vorlegen: Halten Sie es mit der von Ihnen so viel gepriesenen Souveränität für vereinbar, daß fremde Bombenflugzeuge Tag für Tag den Großen Knechtsand bombardieren? Meine Fraktion jedenfalls nicht.
Wir möchten mit allem Ernst darauf hinweisen, daß wir von der Regierung nicht nur eine Regelung der Entschädigung, sondern die Revision des Vertrags, die Einstellung der Bombenabwürfe verlangen. Es gibt genug Begründungen, um das Ziel zu erreichen.