Rede von
Dr.
Heinrich
Lübke
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Agrarpolitik ist, wie ich glaube, ein nicht ganz unwesentlicher Bestandteil der Gesamtpolitik. Aber leider ist sie wohl etwas schwieriger zu handhaben als die übrige Politik. Wir haben dafür heute morgen, glaube ich, einen sehr lehrreichen Beweis in der Antragsbegründung unseres Kollegen Bender bekommen. Sie sehen das auch in der Reaktion des gesamten Hauses auf Ihren Antrag, Herr Kollege Bender. Ich wäre durchaus in der Lage, mich ganz sachlich mit all Ihren Fragen und Feststellungen zu befassen, wenn nicht eine einzige Erklärung von Ihnen vorläge, die mir doch beinahe nahelegt, zu denken, daß die Anfrage aus einer Einstellung gegen den gesamten agrarischen Komplex erfolgt ist. Ich meine die disqualifizierende Äußerung, die Sie in bezug auf die deutsche Butter getan haben. Ich will sie nicht ganz wiederholen, es widerstrebt mir; ich will nur den ersten Teil den ich mir notiert habe — vorlesen: „Butter hat heute eine Qualität, die mit der früheren keine Ähnlichkeit mehr besitzt."
Da muß man schon fragen, ob Sie die frühere Butter gekannt haben.
Woraus erklären Sie sich denn, daß Deutschland das einzige Land in ganz Europa ist, in dem der Butterverbrauch zunimmt, und daß die deutschen Verbraucher die deutsche Markenbutter am liebsten essen, auch lieber als die holländische und die dänische Qualität, von der neuseeländischen ganz zu schweigen?
So ist die Situation. Ich bedaure es ganz außerordentlich — da wir doch gerade in der Steigerung des Verbrauchs von Veredlungsprodukten und besonders von Butter, die für die Gesundheit von Kindern und Erwachsenen von solcher Bedeutung ist, ein Ziel unserer Agrarpolitik sehen —, daß wir diese disqualifizierenden Äußerungen ausgerechnet im Bundestage hören mußten.
Meine Damen und Herren! Zu den Punkten des Antrages sind eine Reihe von Behauptungen aufgestellt worden, die ich im einzelnen noch richtigstellen muß. Damit entfallen selbstverständlich auch ,die daraus gezogenen Schlußfolgerungen. Im ganzen stelle ich mich auf den Standpunkt, der hier allgemein von den Sprechern der Fraktionen vertreten worden ist. Wir können wohl einig darin sein, daß an der Marktordnung selber, an dem materiellen Inhalt der Marktordnungsgesetze nichts geändert werden soll, daß aber die Apparatur, die Organisation, die die von den Marktordnungsgesetzen ausgehenden Aufgaben technisch zu be-
wältigen hat, so einfach, so übersichtlich und so billig sein soll wie möglich.
Ich stehe gar nicht an, zu erklären, daß wir bei diesem Punkte noch gar nicht angekommen sind und uns genau wie bisher noch viel Mühe zu geben haben, um diesen Punkt zu erreichen.
Das erkläre ich ohne weiteres.
Es ist ja nicht gefährlich, zuzugeben, daß etwas nicht in Ordnung ist, wenn es sehr schwierig und gleichzeitig sehr gefährlich ist, es abzuändern. Mit den Marktordnungsgesetzen für die Grundnahrungsmittel, für die sie erlassen worden sind, ist nämlich nicht nur die tatsächliche Erhaltung einer sehr leistungsfähigen Landwirtschaft, sondern auch die Sicherung der Ernährung der Bevölkerung zu stabilen Preisen verbunden. Es ist nicht so, wie Sie glauben — um diesen einen sehr wichtigen Vorstoß von Ihnen vorwegzunehmen —, daß wir hier auf einer Preisinsel lebten, die in ganz Europa ihresgleichen suche. Meine Damen und Herren, das ist vollendete Unrichtigkeit. Ich hätte beinahe einen unparlamentarischen Ausdruck gebraucht.
— Nein, ich habe es nicht gesagt. Ihr Argument ist aber wirklich so abseits jeder Wirklichkeit, daß der Ausdruck berechtigt gewesen wäre.
— Nun, meine Herren, ich kann nur sagen, daß hier im Hause über diese Fragen oft genug gesprochen worden ist und daß man, wenn man einen solchen Vorstoß mit einer so weitreichenden und einer so außerordentlich scharfen Begründung macht, schon etwas gesicherter in dem Erfahrungsmaterial sein sollte.
Ich möchte bei der „einsamen Preisinsel im Meer von Europa" anfangen. Ich habe Ihnen dafür einige Unterlagen beschaffen können, die die Getreidepreise in Europa nach den Feststellungen der United Nations, nicht nach unseren eigenen Feststellungen enthalten; es sind fast sämtliche europäischen Länder bis auf Griechenland und Spanien aufgeführt. Die Preise sind in Dollar angegeben, angefangen bei der Schweiz mit 14,87 Dollar je 100 kg bis zu 6,84 Dollar in Holland; dies ist der niedrigste Preis. Der Durchschnittspreis in dem genau in der Mitte liegenden Westdeutschland ist 9,95 Dollar. Der OEEC-Durchschnittspreis ist 10,10 Dollar. Das heißt, wir bewegen uns in Deutschland noch unter dem Durchschnitt des europäischen Weizenpreises.
So ist die Sachlage.
Nun ein Weiteres. Wir haben hier ebenfalls von United Nations eine Zusammenstellung der Lebenshaltungsindices für Deutschland, Belgien, Dänemark, Frankreich, Holland, die Schweiz, England und Italien. Wenn wir ,den Index für 1950 gleich 100 setzen, dann hat sich der Lebenshaltungsindex in Deutschland folgendermaßen entwickelt: 1951 109, 1952 114, 1953 112, im Juli 1953 113 und im Juli 1954 114. Der Lebenshaltungsindex hat sich also von 109 im Jahre 1951 auf 114 im Juli 1954 heraufentwickelt, in Belgien von 107 auf 115, in Dänemark von 111 auf 122, in Frankreich von 116 auf 120, in Holland von 109 auf 119, in der Schweiz von 104 auf 108 —das ist günstiger —, in England von 111 auf 145, in Italien von 107 auf 113, wobei die Zahlen vom Juli 1954 fehlen. Sie können daraus ersehen, daß Deutschland in der Entwicklung der Lebenshaltungsindices seit 1950 im Rahmen der europäischen Länder mit am günstigsten liegt.
Im Jahre 1950 traten die ersten Marktordnungsgesetze in Kraft. Sie konnten damals noch keine Auswirkung haben. Also jedenfalls hat die Marktordnung auf die Grundsituation, auf der diese Preisentwicklung beruht, keinen Einfluß gehabt. Die Behauptung von der Preisinsel Deutschland ist demnach durchaus falsch.
Vielleicht darf ich auch darauf hinweisen, daß z. B. Holland und Dänemark niedrigere Preise für Stickstoff- und Phosphorsäuredünger haben, daß z. B. Dieselkraftstoff je 100 kg in Holland 16,4, in Dänemark 18,1 und in Deutschland 34,0 DM kostet, Steinkohle in Holland 12,71, in Dänemark 8,75 und in Deutschland 12,28 DM kostet, daß Trecker mit 20 bis 25 PS in Holland 6900, in Dänemark 5800 und in Deutschland 8000 DM kosten. Wenn wir ganz allgemein Geräte und Landmaschinen zugrunde gelegt hätten, wären wir zu noch ungünstigeren Ergebnissen gekommen. In Dänemark und Deutschland gibt man für den Trecker, in Weizen gerechnet, etwa dasselbe aus. Daraus können Sie auch ersehen, daß es nicht unberechtigt ist, wenn der deutschen Landwirtschaft auf der Einnahmeseite durch Preise, die über den Weltmarktpreisen liegen, ein Äquivalent für die Produktionsmittelpreise geboten wird, die in Deutschland außerordentlich hoch sind.
Sie haben weiterhin erklärt, daß die Marktordnungsgesetze nur eine abgewandelte Reichsnährstandseinrichtung seien. Meine Damen und Herren, die Marktordnungsgesetzgebung, die wir 1949/50 begonnen haben, ist eine konsequente Fortsetzung des Gesetzgebungswerkes, das in der Ära 1929 bis 1932, auch unter der Regierung Brüning, mit dem Reichsmilchgesetz und mit dem Maisgesetz begonnen wurde. Es wurde schon damals versucht, eine Art Marktordnung aufzubauen, die auf das Ziel hinsteuert, stabile Preise für die Verbraucher, eine gesicherte Versorgung der Verbraucher und gleichzeitig rentable Preise für die Landwirtschaft zu haben. Diese Entwicklung wurde 1933 durch Zwangs- und Kriegswirtschaft unterbrochen. Die Zwangswirtschaft, die wir in dieser Zeit gehabt haben, hat mit der Wirtschaft, die wir heute haben, gar nichts zu tun. Wir haben keine Getreidebewirtschaftung; wir haben keine Zwangserfassung und keine Zwangsverteilung. Das haben wir in jener Zeit alles gehabt.
Wenn Sie sich erinnern — Sie sind aber auf diesem Gebiet in der Entwicklung der Dinge steckengeblieben — an unsere Arbeit im Frühjahr und im Sommer, die auch gelegentlich in diesem Hause besprochen wurde, dann werden Sie wissen, daß wir das Einfuhrverfahren für Auslandsgetreide
und seine Verteilung in Deutschland im Laufe dieses Jahres erheblich geändert und vereinfacht haben. Das ist der erste Schritt: Wenn man eine Organisation vereinfachen und verbilligen will, muß man ihre Aufgaben verringern.
Dann hat Herr Kollege Bender gesagt, er wolle zwar eine Sicherheitsreserve für Getreide zulassen, aber jeder Ausgleich saisonaler Marktschwankungen, der durch die Einfuhr- und Vorratsstellen auf Grund gesetzlicher Verpflichtung vorgenommen wird, solle in Zukunft unterlassen werden, weil die ein- und ausgelagerten Mengen so niedrig seien, daß sie auf die Preisbildung keinen Einfluß hätten. Nun, Herr Kollege Bender, wenn die Verbraucher und die Landwirte derselben Meinung wären, gäbe es hier im Hause wahrscheinlich keinen Menschen, der sich nicht mit Ihrer Auffassung sofort konform erklären würde. Aber wenn wir z. B. bei dem Angebotsdruck von Getreide im Herbst, wo doch praktisch zur Sicherung der Verbraucher in Deutschland noch eine Reserve an Auslandsgetreide vorhanden sein muß und dazu das gesamte Inlandsgetreide sich an die Einfuhr- und Vorratsstelle heranwälzt, nicht durch Aufnahme dieser Getreidemengen die Preisbildung beeinflußten, hätten wir ausgerechnet in den Monaten der Ernte ruinöse Preise für die Landwirtschaft.
Genau dasselbe ist z. B. beim Weideabtrieb der Fall. Wenn im Herbst des Jahres der einzelne Landwirt das ernten will, was er an Futter für sein Vieh im Stall und auf der Weide geopfert hat, und dann der Weideabtrieb natürlich außerordentlich stark einsetzt — in den Monaten August bis November in der Regel 400 000 Tiere —, dann würde ohne Eingreifen der Einfuhr- und Vorratsstelle ein Preisverfall eintreten, so daß wir zu Subventionsmaßnahmen für die Landwirtschaft schreiten müßten, die das Zigfache von dem kosten, was dieses Verfahren erfordert. Im übrigen sind dafür im letzten Jahr nicht 47 Millionen DM ausgegeben worden, wie Sie es vorhin dargestellt haben. Sie mögen zwar im Etat stehen, aber sie sind nicht ausgegeben worden. Für die Vorratshaltung bei Vieh z. B. sind ganze 21 Millionen DM verbraucht worden.
Sie fragen nun, warum wir heraufschleusen und warum die Verbraucher nicht die Möglichkeit haben sollen, billiges Fleisch oder billige Butter zu essen. Meine Damen und Herren, wenn wir jetzt nicht Tausende von Tonnen ausgelagert hätten, äßen die Verbraucher heute schon Butter, die pro Kilogramm mindestens 8 DM und mehr kosten würde.
Denken Sie an den Herbst 1952. Das Ausland ist gar nicht in der Lage, den deutschen Markt in vollem Umfang zu versorgen, wenn die deutsche Landwirtschaft nicht mitzieht.
Wenn wir die deutsche Landwirtschaft dem Preisverfall überließen, der bei dauernd herauf- und herunterschwankenden Preisen eintreten würde — die im übrigen nicht nur den Erzeuger, sondern auch den Verbraucher und auch den Handel stören —, würde ein erheblicher Produktionsausfall die Folge sein. Sie brauchen nur nach Frankreich zu sehen, da können Sie das in der Praxis studieren. Wenn der Bauer auf die Höhe der Erzeugung kom-
men will, muß er einigermaßen verläßliche, stabile Preise haben, weil er kalkulieren muß. Dieser Aufgabe dienen die Marktordnungsgesetze. Ich glaube, sie haben sich ausgezeichnet bewährt, weil sie dem Verbraucher eine gesicherte Versorgung zu stabilen Preisen und dem Erzeuger Kalkulationsgrundlagen geben, damit er seine Erzeugung ausdehnen kann und damit er da hineinwächst, wohin wir auf dem Marsche sind: zu größeren, gemeinsamen Märkten.
Die Beispiele Butter und Fleisch habe ich Ihnen bereits vorgeführt und brauche sie wohl nicht weiter zu vertiefen. Im übrigen betrifft die Kritik an der Vorratshaltung praktisch nicht nur Deutschland, sondern eine ganze Reihe von Staaten auf der ganzen Welt, die eine derartige Vorratshaltung haben. Darüber hinaus haben etwas Ähnliches wie die Marktordnung sämtliche Länder der freien Welt. Kein einziges Land überläßt den Ablauf von landwirtschaftlicher Produktion und landwirtschaftlichem Absatz dem freien Spiel der Kräfte. Infolgedessen ist es wohl auch nicht falsch, wenn wir es in Deutschland in der Weise, wie wir das bisher getan haben, verfolgen. Wir sind uns dabei darüber einig, daß das mit den einfachsten Mitteln gemacht werden soll.
Ich habe vorhin bei den Vereinfachungen des Einfuhrverfahrens noch vergessen, daß es z. B. Frachtsubventionen heute nur noch für die Zuteilung von Qualitätsgetreide gibt, um überall einen gleichen Brotpreis und überall die gleiche Qualität im Brot zu haben.
Zu den angegebenen Zahlen darf ich noch folgendes sagen. Die Ansätze, die von Herrn Kollegen Bender für die Vorratshaltungskosten genannt worden sind, sind nicht richtig. Nach Abzug der 4%igen Kürzung und eines gesperrten Betrages von 12 Millionen DM stehen 152,8 Millionen DM und nicht 181,3 Millionen DM zur Verfügung. Von diesem Betrage entfallen rund 6,5 Millionen DM auf die Verwaltungskostenzuschüsse und zirka 146,3 Millionen DM auf die reinen Vorratshaltungskosten. Der Verwaltungsaufwand der Einfuhr- und Vorratsstellen ist auf insgesamt 8,6 Millionen DM veranschlagt. Die Differenz zwischen Verwaltungsaufwand und Bundeszuschüssen wird aus Gebühren und sonstigen Einnahmen gedeckt, die 1,8 Millionen DM betragen. Die Gebühreneinnahmen der Einfuhr- und Vorratsstellen sind für 1954 mit 1,46 Millionen DM veranschlagt.
Wenn die Unkosten so hoch wären, wie sie in Ihrer Kritik angegeben worden sind, würde es, glaube ich, leichter sein, die gesamte Vorratshaltung dem privaten Gewerbe zu übertragen. Der Berliner Getreidehandel hat seit Monaten bei uns einen Antrag laufen: er will die gesamte Vorratshaltung in Berlin in private Hände überführen. Ich habe gesagt: warum nicht, aber dann muß es zu den gleichen Preisen geschehen wie bisher. Das hat der private Handel in Berlin bisher noch nicht anbieten können.
Die Tatsache, daß diese Posten im Etat in jedem Jahr wieder erscheinen und im Haushaltsausschuß und vorher im Finanzministerium und in der Bundesregierung eingehend beleuchtet werden, zeigt doch, daß wir hier nicht Summen vor uns haben, von denen man mit einem Handgriff 100 bis 200 Millionen DM sparen könnte. Wie müßte unser
Haushaltsausschuß aus merkwürdig unerfahrenen oder unintelligenten Leuten zusammengesetzt sein, wenn das so einfach wäre!
Die derzeit 1,1 Millionen t betragenden Brotgetreidemengen haben einen Wert von rund 800 Millionen DM, der sich bei voller Durchführung des Bevorratungsprogramms auf 1,3 Milliarden DM erhöht. Die persönlichen und sächlichen Verwaltungskosten machen nach dem Einsetzen dieser Unkosten 0,4 bis 0,6 % aus. Das soll eine private Organisation mal billiger machen! Dabei ist zu berücksichtigen, daß von den Vorratshaltungskosten von 146 Millionen DM allein 55 Millionen DM auf die Berliner Lagerhaltung entfallen.
Die bekrittelte Lagerhaltung in Schmalz ist äußerst gering: sie besteht nur noch für Berlin. Die bekrittelte Lagerhaltung in Margarinerohstoffen besteht noch zu ganzen 3000 t, die auch bald verschwinden werden.
Sie sehen also, auch ohne die hier sehr scharf vorgetragene Kritik ist vieles im Gange, was Sie hei Rückfragen im Ernährungsministerium sehr einfach hätten erfahren können. Wenn Sie nun Ihrerseits meinen, daß das alles sehr viel schneller gehen müßte, dann möchte ich Ihnen sagen: Wer sich mit Agrarpolitik befaßt und Wert darauf legt, Dauererfolge zu erzielen, der muß viel Geduld mitbringen und der muß den rechten Zeitpunkt zu seinem Eingreifen abwarten können.