Ich werde zur christlichen Auffassung im öffentlichen Leben noch ein Wort sagen.
Lassen Sie mich aber jetzt zu dem sprechen, was mich veranlaßt hat, hier auf ,die Tribüne zu kommen. Ich wollte gerade aus dem Geist der letzten Viertelstunde, des Gedenkens an die Kriegsgefangenen, noch eine letzte Anstrengung machen, die Atmosphäre von mir aus nach Kräften zu entgiften, und so wollte ich an die Adresse von Herrn Kollegen Cillien etwas sagen, den ich im Augenblick leider nicht im Saale sehe.
Herr Kollege Cillien hat eine leise Beschwerde vorgetragen, daß ich ihn mit seinem kirchlichen Titel angesprochen habe. Aber er wird mir das verzeihen müssen, da er selbst es gewesen ist, der das von dieser Stelle erwähnt hat, als er meinte, mit Leuten wie ihm — im Zusammenhang mit dem erwähnten Dehler-Zitat, in dem Dehler sagt, daß er Furcht vor einem von Prälaten und Oberkirchenräten regierten Deutschland habe —, mit Leuten wie ihm, Cillien, könne man wahrscheinlich doch fertig werden. Ich habe daher geglaubt, daß er es nicht als ungebührlich empfinden würde, wenn man ihn mit diesem Titel anredet.
Herr Kollege Cillien hat hier das Bekenntnis abgelegt, daß er aus christlicher Verantwortung in die Politik gekommen sei, nachdem er sich früher dem politischen Leben ferngehalten habe, und er hat es als Verdienst bezeichnet, daß sich in der CDU Männer und Frauen beider Bekenntnisse zu einer politischen Aktivität zusammengefunden haben. Erlauben Sie mir bitte, zu sagen: Dies ist nicht das Monopol der CDU.
Aber immerhin, wenn man es für verdienstlich
hält, daß sich Männer und Frauen verschiedener
Bekenntnisse in einer Partei zusammenfinden,
dann übersteigt es mein menschliches Fassungsvermögen, wenn man es gleichzeitig für schädlich
hält, daß sich Männer und Frauen verschiedener
Bekenntnisse auch in einer Ehe zusammenfinden.
Und das ist ein Problem, das mit dem Personenstandsgesetz einiges zu tun hat.
Und r un die Frage der sogenannten christlichen Politik. Wenn Herr Kollege Cillien gesagt hat, daß er aus christlicher Verantwortung zur Politik gekommen ist, so möchte ich das, was ich jetzt sage, nicht in bezug auf seine Person sagen, überhaupt niemandem entgegenhalten, der in diesem Saale sitzt; es ist eine allgemeine Feststellung, die zu überprüfen jeder einzelne vor seinem Gewissen Veranlassung hat. Meine Damen und Herren! Das Gerede von der „christlichen Politik" ist für viele nichts anderes als ein Götzendienst mit Worten.
Das Christliche — um ein Wort von Kierkegaard zu erwähnen — ist für viele eine Art Zusatz, wie Kierkegaard sich äußert: ein Ingrediens, das in die Politik gemischt werde und das dazu diene, den Genuß nur raffinierter zu machen. Mit dem, was den Titel „christliche Politik" trägt, hat das Christentum sehr oft sehr wenig zu tun. Ich glaube, es wäre gut, wir würden uns alle häufiger des Wortes des großen italienischen Schriftstellers Ignazio Silone erinnern, der einmal gesagt hat, man solle endlich lernen, in der Politik die Frage der Steuergesetzgebung zu trennen von der Frage der Göttlichkeit Jesu Christi. Das Christentum wird uns viel zu oft und viel zu despektierlich in die Politik hineingemischt.
Und wenn viele, meine Damen und Herren, ihr
Christentum so gern demonstrativ zur Schau tragen, werde ich immer an ein Wort Dantes erinnert:
Doch siehe, viele rufen: „Christus! Christus!" Und steh`n ihm ferner einst beim Weltgericht Als jene Heiden, die ihn nie gekannt.
Diejenigen, die mit dem Christentum allzu sehr
hausieren gehen, sind mir sehr häufig verdächtig.
Und nun zu Ihrer konkreten Frage, Herr Kollege Gontrum, wie ich zur christlichen Grundlage der Ehe stehe. Die Begründung der Ehe aus christlicher Gesinnung ist eine Begründung der Ehe, neben der es auch andere ethisch verantwortliche Begründungen gibt.
Für mein Gefühl ist nicht entscheidend, ob jemand seine Ehe christlich oder sonstwie weltanschaulich begründet; für mein Gefühl und meine Überzeugung ist entscheidend, daß jeder aus tiefster sittlicher Verantwortung, wenn er eine Ehe eingeht, diese Ehe mit dem Gefühl eingeht, eine dauerhafte
Gemeinschaft aus höchster Verantwortung zu schließen. Das ist das für uns alle Entscheidende,
nicht die konfessionelle Begründung dieser Ehe.