Rede von
Dr.
Wolfgang
Stammberger
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FDP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der 40. Sitzung des Bundestages am 14. Juli 1954 haben alle Fraktionen des Hohen Hauses einstimmig die Bundesregierung beauftragt, einen Gesetzentwurf vorzulegen, in dem die Grundrenten der Kriegsbeschädigten und Kriegshinterbliebenen erhöht und die Elternrenten verbessert werden sollen. Wir bedauern sehr, daß die Bundesregierung, obwohl bereits ein Vierteljahr vergangen ist, bis heute weder einen solchen Gesetzentwurf vorgelegt noch uns Bericht erstattet hat, wieweit sie in ihren Vorarbeiten diesem vom Parlament einstimmig erteilten Auftrag bereits nachgekommen ist. Hätte sie las getan, hätte sich vielleicht die Flut der heutigen Anträge, mit denen wir uns befassen müssen und die uns die Arbeit im Ausschuß gewiß nicht erleichtern werden, vermeiden lassen.
Gleichzeitig mit dem Auftrag haben sich sämtliche Fraktionen des Bundestages einmütig zur Unantastbarkeit der Grundrente als eines unabdingbaren Rechtes aller deutschen Kriegsopfer bekannt.
Angesichts dieser Tatsache scheint es mir nicht mehr erforderlich zu sein, zur Bedeutung der Grundrente und zu der Notwendigkeit ihrer Erhöhung zu sprechen, da hierüber Einmütigkeit im ganzen Hause besteht. Notwendig scheint es mir aber zu sein, über die Deckungsfrage und über den davon abhängigen Umfang der Erhöhung zu sprechen, auch bevor man sich einigt und gerade bevor man sich einigt, um welchen Prozentsatz man die Grundrente erhöhen kann. Denn es sollte unser aller Bestreben sein, dieser Novelle von vornherein das unerfreuliche Schicksal des Heimkehrerentschädigungsgesetzes hinsichtlich der Behandlung und der Verkündung zu ersparen.
Wir Freien Demokraten klammern uns nicht an den von uns vorgeschlagenen Satz einer Erhöhung um 20 %. Wir sind der Meinung, daß das Limit der Erhöhung da liegen muß, wo der Herr Bundesfinanzminister und der ihm nun einmal zur Seite stehende Art. 113 des Grundgesetzes es uns setzen.
Wir haben das beantragt, was wir glauben durchsetzen zu können, und haben uns daher heute sehr gefreut, als wir einen Vorschlag aus den Reihen der Fraktion des Herrn Bundesfinanzministers vorfanden, der über unseren eigenen Vorschlag hinausgeht. Frau Kollegin Dr. Probst, wenn es Ihnen bei Ihren bekannten guten Beziehungen und Ihrer bekannten guten Einflußnahme auf den Herrn Bundesfinanzminister möglich sein sollte, seine Zustimmung zu diesem Entwurf zu erhalten, werden auch wir freudigen Herzens unsere Zustimmung geben.
Wir sind uns darüber klar, daß angesichts der sozialen Verpflichtungen und auch der Auswirkung der Großen Steuerreform eine Erhöhung des Haushaltsansatzes der Kriegsopferversorgung nur unter großen Schwierigkeiten möglich sein wird. Aber bereits der 1. Bundestag hat sich bei der Beratung des Bundesversorgungsgesetzes auf den Standpunkt gestellt, daß Einsparungen nicht zur Verminderung des Haushaltsansatzes, sondern zu dringend notwendigen Verbesserungen in der Kriegsopferversorgung herangezogen werden sollten. Die Regierung hat verschiedentlich zu verstehen gegeben, daß derartige Einsparungen bisher nicht hätten erzielt werden können, daß darüber hinaus sogar eine zusätzliche Belastung eingetreten sei. Diese Erklärung allein kann uns nicht befriedigen. Wir benötigen bei den Ausschußarbeiten unbedingt die genauen Unterlagen, auf Grund derer die Regierung zu ihren Berechnungen kommt. Die Freie Demokratische Partei hat bereits am 1. Dezember 1953 eine Kleine Anfrage gestellt und um Auskunft gebeten, in welcher Weise die von der Regierung im Bulletin vom 12. November 1953 bekanntgegebenen bisherigen Ausgaben für die Kriegsopferversorgung für laufende Auszahlungen und für die Rentennachzahlungen verwandt worden sind, die sich aus der Umstellung von Länderrecht auf Bundesrecht oder aus der Umstellung von vorläufigen auf endgültige Bescheide ergeben haben. Die Bundesregierung hat geantwortet, daß eine derartige Aufschlüsselung nicht erfolgen könne; denn beide Arten von Ausgaben würden nach den bestehenden Haushaltsvorschriften auf
demselben Nenner verbucht, und eine Trennung sei nur dadurch möglich, daß bei den insgesamt 3 300 000 Nachzahlungsfällen eine genaue Durchsicht der Akten stattfinde.
Als eine weitere Kleine Anfrage gestellt wurde, die vom Herrn Bundesarbeitsminister am 7. Juli 1954 beantwortet wurde, hat sich herausgestellt, daß entweder damals die Antwort sehr vorschnell gegeben wurde oder aber später diese Aufteilung doch vorgenommen werden konnte. Denn in der Drucksache 679, in der aufgeführt wird, wie sich eine zehn- his vierzigprozentige Erhöhung der Grundrenten auswirken würde, geht man von den augenblicklichen Ausgaben für die laufenden Zahlungen aus, die demnach sehr wohl zur Kenntnis des Arbeitsministeriums gelangt sein müssen.
Dann interessiert uns, ob und welche Einsparungen durch den Wegfall von Versorgungsberechtigten entstehen, sei es durch eine Herabstufung in der Erwerbsminderung, sei es durch Todesfall, sei es durch Wiederverheiratung der Witwen oder Erreichung der Altersgrenze der Waisen. Wir wünschen zu wissen, ob statistisches Material über die zu erwartende Entwicklung dieser Frage in den kommenden Jahren vorliegt, ob eine solche Statistik überhaupt möglich ist bzw. warum sie nicht möglich ist und warum sie nicht bereits eingeholt und vorgelegt worden ist. Es ist unerfreulich und auf die Dauer sehr wenig schön, daß die Kriegsopferverbände immer wieder mit Zahlenmaterial aufwarten, ohne daß diese Zahlen von den Ministerien entweder als richtig bestätigt oder aber mit den amtlichen Unterlagen widerlegt werden. Das Bundesarbeitsministerium sollte sich nicht ständig in die Rolle des schlecht informierten Anwalts bei Gericht drängen lassen, der einfach mit Nichtwissen bestreitet.
Schließlich interessiert uns auch das Schicksal der 250 Millionen DM, die ursprünglich im Entwurf vorhanden waren, wodurch der Ansatz des neuen .Haushaltsplans dem des Vorjahres entsprach, der aber dann zur Vornahme von Abschlagzahlungen an Rentenversicherungsträger gemäß § 90 BVG in den außerordentlichen Haushalt überführt wurde. Was uns stutzig macht, ist, daß hierfür ein eigener Ansatz von 156 Millionen DM im ordentlichen Haushalt vorhanden ist, der zunächst in der Begründung auf Grund der Erfahrungen der letzten Jahre als ausreichend angesehen wurde. Später ist diese Begründung dahingehend abgeschwächt worden, daß sich Bedenken gegen die der Berechnung zugrunde liegenden Unterlagen des Bundesarbeitsministeriums ergeben hätten. Meine Damen und Herren, ich will mich nicht der in der Öffentlichkeit vielfach vertretenen Auffassung anschließen, daß hier etwas verschleiert werden soll. Man kann sich aber auch des Eindrucks nicht erwehren, daß hier Arbeitsunterlagen zugrunde liegen, mit denen man nichts anfangen kann, weil das Bundesministerium für Arbeit selbst nicht an die Richtigkeit dieser Unterlagen glaubt, da plötzlich das Zweieinhalbfache von dem benötigt werden soll, was man zuerst auf Grund der Erfahrungen der vergangenen Jahre für ausreichend hielt.
Wir haben uns in unserem Antrag nicht beschäftigt mit der Frage der Erhöhung der Ausgleichsrenten, weil unser Antrag zunächst nur einmal dahin zielt, die Grundrenten wieder den bereits mit der zweiten Novelle erhöhten Ausgleichsrenten anzupassen. Sollte eine weitere Erhöhung der
Grundrenten über 20 % hinaus erfolgen können; sind wir der Meinung, daß auch die Ausgleichsrenten angehoben werden müssen. Wir sind dann aber der Auffassung, daß nicht nur die Ausgleichsrenten sondern, was noch viel wichtiger ist, auch die Freibeträge erhöht werden müssen. Denn es ist auf die Dauer gesehen sowohl sozialpolitisch wie vor allem arbeitspolitisch untragbar, daß die erhöhte Ausgleichsrente in dem Augenblick ganz oder teilweise wieder in Wegfall kommt, in dem der Schwerkriegsbeschädigte nur ein geringes und zur Existenzsicherung der Familie nicht ausreichendes Einkommen hat, das er oft auch nur unter besonders schweren körperlichen Opfern erringen kann.
Wir verkennen nicht die Schwierigkeiten — das möchte ich ausdrücklich betonen —, die sich aus einer Erhöhung der Ausgaben für die Kriegsopferversorgung ergeben. Es ist vollkommen falsch, die Schwierigkeiten zu leugnen oder auch nur vor ihnen die Augen zu verschließen, weil diese Art und Weise Hoffnungen erwecken könnte, die wir später nicht oder nur unvollkommen zu erfüllen vermögen. Aber wir sind der Überzeugung, daß sich in einer gründlichen Ausschußarbeit unter Hinzuziehung der Vertreter des Finanzministeriums und des Arbeitsministeriums eine befriedigende Lösung des Problems erreichen läßt, die eine Verbesserung der Kriegsopferversorgung ermöglicht. Diesen Bemühungen sollten wir uns unterziehen. Wir sollten das um so mehr tun, als wir am Vorabend einer neuen deutschen Wehrverfassung stehen und, wie ich schon mehrfach geäußert habe, unabdingbarer Bestandteil einer neuen deutschen Wehrverfassung eine ausreichende und in jeder Hinsicht zufriedenstellende Kriegsopferversorgung sein sollte.