Rede von
Georg
Peters
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der uns vorliegende Antrag Drucksache 736 will die Erstellung eines Küstenplans für eine lange Zeit, mindestens für 10 Jahre. Wir wollen die Sicherheit der deutschen Nordseeküste erhöhen und möchten, daß auch die unhaltbaren Wasserverhältnisse geändert werden. Aber nach dem Wortlaut des Antrags muß er nicht einem Ausschuß überwiesen werden, sondern er stellt eine Aufforderung an die Bundesregierung dar, von sich aus einen Küstenplan zu erstellen. Mit dem in dieser Form gestellten Antrag kann ein Ausschuß überhaupt nichts beginnen. Es kommt ja darauf an, daß hier nicht nur Reden gehalten werden, sondern daß nun etwas geschieht.
Dieser Antrag ist von Mitgliedern aus vier Fraktionen dieses Hauses unterzeichnet, und ich meine, er sollte die Zustimmung der Gesamtheit dieses Hohen Hauses finden. Es ist so — wie schon hervorgehoben wurde —, daß nur ein gütiges Schicksal die deutsche Nordseeküste vor der Gefahr bewahrt hat, die am 1. Februar 1953 die Küsten von Holland, Belgien und England heimgesucht hat. In jener Nacht haben sich die Bewohner der dortigen Küsten genau so ruhig zu Bett gelegt wie die an unserer deutschen Nordseeküste, und sie wurden geweckt durch das in ihre Häuser eindringende Wasser. Dadurch kamen über 2000 Menschen ums Leben. 47 000 Häuser sind zerstört worden. 250 000 ha Land wurden von der See überflutet.
Diese Katastrophe ist eine Warnung für das deutsche Volk gewesen; wir sollten aber hier gewisse Konsequenzen daraus ziehen. Holland wird viele Jahre benötigen, um die wirtschaftlichen Schäden zu beseitigen, und es wird sehr viel Geld kosten. Es ist sicher so, daß wir besser tun, wenn wir solchen Katastrophen vorbeugen.
Wie nachhaltig sich solche Flutkatastrophen auswirken können, dafür ein Beispiel aus der ostfriesischen Geschichte. In Ostfriesland entstand durch eine Reihe von Sturmfluten — die schwerste davon hauste bereits 1373 — eine große Einbuchtung, die sogenannte Leybucht. In dieser Leybucht versank damals eine ganze Reihe von Dörfern und Kirchspielen. Man hat bereits um das Jahr 1600 herum mit den Rückgewinnungsarbeiten begonnen, und sie sind heute noch nicht abgeschlossen. Im Jahre 1950 wurden die Arbeiten für die Eindeichung von 1000 ha beendet, und eben jetzt entsteht dort ein neues Dorf. Aber trotz der modernsten Arbeitsmethoden und der modernen Maschinen wird es noch einige Jahrzehnte dauern, um auch die letzten 2- bis 3000 ha wieder dem Meere an dieser Stelle abzugewinnen. Im Jadebusen — das ist die Einbuchtung östlich von Wilhelmshaven — versanken einstmals sieben Kirchdörfer, und dort wühlt heute immer noch die See.
Wieviel vernünftiger, besser und billiger ist es da, wenn wir mit den modernsten Mitteln alles Menschenmögliche tun, um solche Katastrophen zu unterbinden! Wie gut ist es da, wenn wir mit wohldurchdachten, langfristigen Plänen die Sicherheit der deutschen Küste ständig verbessern! Es wurde schon darauf hingewiesen, daß in den Regierungsbezirken Ostfriesland, Oldenburg und Stade 500 000 ha Land unter dem Schutz der Deiche liegen. Diese Deiche sind 750 km lang. Hinzu kommen alle die anderen Strecken an der Küste, allein 500 km an der schleswig-holsteinischen Küste, all die vorgelagerten Inseln und die Halligen.
Die Flutkatastrophe am 1. Februar 1953 hat auch bei uns Veranlassung gegeben, die Dinge nachzuprüfen. Es hat sich herausgestellt, daß unsere See- und Tidestromdeiche nicht die notwendige Standsicherheit aufweisen. Das bedeutet, daß die Lebenssicherheit und die Lebensgrundlage all der Menschen in diesem Gebiet nicht mehr voll gegeben ist. Meine Damen und Herren, wir müssen, wie auf so vielen anderen Gebieten, auch hier nachholen, was in der Vergangenheit versäumt worden ist. Es ist in Deutschland anscheinend schon immer leichter gewesen, für Soldaten und Kriege Geld zu bekommen als für friedliche Zwecke.
Wir sind aus diesem Grunde gezwungen, zu tun, was vor uns hätte getan werden müssen. Es ist notwendig, Küstenschutzarbeiten in größtem Umfange durchzuführen. Art und Umfang dieser Arbeiten werden allein vom blanken Hans bestimmt.
Ich möchte ganz besonders darauf hinweisen, daß der beste Küstenschutz die Landgewinnung ist. Wir müssen an der ganzen Küste fiskalisches Vorland schaffen. Wo private Anlandungsrechte dem entgegenstehen, können im Interesse aller Teile Vereinbarungen zur Übernahme durch den Staat führen. Das ist weitgehend, ich glaube, in Ostfriesland fast ausschließlich, geschehen. Aber die Verhältnisse sind noch nicht überall bereinigt. Das haben wir auch damals bei der Bereisung des Regierungsbezirks Stade festgestellt.
Zu dieser Sicherung durch Vorland muß, wie schon hervorgehoben wurde, die Erhöhung unserer Deiche kommen. Die Küste sinkt nicht nur ständig, sondern die Sturmfluten laufen auch dauernd höher auf. Von 1570 bis 1906 wurde ein Unterschied von 60 cm gemessen. Das ist ein erheblicher Unterschied, und dem müssen die Deiche angepaßt werden. Bei der Katastrophe am 1. Februar 1953 war an der deutschen Küste das Wasser schon so hoch, daß, wenn der Deichschutz nicht gewesen wäre, das gesamte Gebiet von Wilhelmshaven im Westen bis Bremerhaven im Osten und Oldenburg, Delmenhorst, Vegesack im Süden alles überflutet worden wäre.
In die Deichschutzarbeiten einbezogen werden müssen die Reparatur und die Neuanlage von Sielen. Gerade die Siele stellen manches Mal die gefährlichsten, die schwächsten Punkte dar und bieten dem Wasser immer die beste Angriffsmöglichkeit. Wir müssen dabei bedenken, daß die Sturmfluten bis zu 50 km landeinwärts laufen und daß die Stauung des Oberwassers dann ein übriges tut.
Unmittelbar zum Deichschutz — das ist hier noch nicht gesagt worden — gehören auch die Anlage und die Verbesserung von Zuwegungen zu den Seedeichen, es gibt viele Stellen, an denen wir von der Kuppe des Seedeiches aus vergeblich nach Zuwegungen Umschau halten, die auch in den besonders gefährlichen Frühjahrs- und Herbstmonaten benutzbar sind. Auf diesen verschlammten Kleiwegen kommt schon ein normales bäuerliches Fuhrwerk etwa im Februar/März oder während der frostfreien Herbst- und Wintermonate nicht weiter. Im Falle einer drohenden oder tatsächlichen Katastrophe aber könnten so schwere Lasten, wie sie bei Katastrophen eingesetzt werden müssen, überhaupt nicht transportiert werden. Wir müssen hier also schleunigst zu einem Ausbau kommen. Dieser Ausbau Muß systematisch geschehen und in Abständen von höchstens 3 bis 4 km. Die Wege müssen auch über die Deiche herübergeleitet werden. Es ist sicherlich eine Erleichterung auch in finanzieller Beziehung, feststellen zu können, daß ein Grunderwerb dafür kaum erforderlich sein wird und daß die privaten Anlieger, soweit sie dabei persönliche Vorteile haben, ohne Frage bereit sein werden, sich an den Kosten zu beteiligen.
Wenn einmal etwas passiert, ohne daß wir diese Arbeiten ausgeführt haben, stehen wir vor weit größeren Aufgaben. Die Gemeinden und Kreise und auch die Deichachten bei uns wissen durchaus, was sie tun müssen. Aber es fehlt ihnen die wirtschaftliche Kraft, es nun auch im Interesse der Landessicherheit tun zu können.
Meine Herren Vorredner haben schon darauf hingewiesen, daß wir aber nicht nur die Sturmflutgefahr bannen müssen, sondern daß auch das Zuviel des Wassers binnenwärts der Deiche beherrscht werden muß. An der gesamten Küste gibt es große
Niederungsgebiete, die unter Normalnull liegen. Diese tiefen Stellen erstrecken sich weit in das Land hinein. Sie bilden gewissermaßen Schüsseln, die ständig voll Himmelswasser laufen. Wenn wir keinen Deichschutz hätten, würden alle diese Gebiete zweimal täglich überflutet. Die Bekämpfung des Binnenwassers wird dadurch erschwert, daß wir eine Meeresspiegelhebung haben. Dadurch sind die Arbeiten immer kostspieliger geworden, und die Entwässerungsverbände allein können die finanziellen Mittel nicht mehr aufbringen. Durch die Hebung des Meeresspiegels ist die Entwässerungszeit unserer Siele immer kürzer geworden, die Vorflut, das Gefälle unserer Vorfluter, wurde dadurch verzehrt. Wir müssen hier also völlig neue Entwässerungsanlagen schaffen. Das Niederschlagswasser muß viel schneller, als das bisher geschehen ist und geschehen konnte, dem Meere zugeführt werden. Während die Holländer das Wasser weitgehend beherrschen und jeden Quadratmeter Boden nutzen, ist bei uns unendlich viel versäumt worden.
Statt gute Ernten zu liefern, verbinsen und versäuern unsere Ländereien, sie versumpfen infolge der stauenden Nässe. Versuche im Leda-Jümme-Gebiet haben ergeben, daß die Erträge der Landwirtschaft um ein Vielfaches gesteigert werden können. Größte finanzielle Opfer machen sich also in wenigen Jahren bezahlt. Ich meine, die Durchführung dieser Aufgaben ist eine echte Angelegenheit des Bundes und der Länder.
Es wurde schon darauf hingewiesen, daß die bäuerlichen Betriebe in den Küstengebieten eine sehr große Wasserhypothek zu tragen haben durch die eigenen unvollkommenen Entwässerungsanlagen und daß dadurch ihre allgemeine Leistungsfähigkeit sehr stark herabgemindert wird.
Nun möchte ich noch auf etwas anderes hinweisen. Im krassen Gegensatz zu diesem Überfluß an Wasser von außen und innen steht der fühlbare und sichtbare Mangel an Trink- und Brauchwasser für Menschen und Tiere. Große Teile der Bevölkerung sind völlig auf den Gebrauch von Regenwasser angewiesen. Wasserleitungen -fehlen, das Grundwasser ist brackig und übelriechend, ist manches Mal sogar salzig und für Menschen und Tiere kaum zu gebrauchen. Der schlechte Gesundheitszustand an der Küste steht damit in engstem Zusammenhang. Es gibt große Gebiete an der Küste, die dauernd von auswärts mit Wasser versorgt werden müssen. Das Wasser muß ständig, fast das ganze Jahr hindurch, hingefahren werden. In einem Küstenplan muß also nach unserer Auffassung auch die Wasserversorgung mit eingeplant sein. Die Schwierigkeiten ergeben sich daraus, daß die Versorgungsanlagen außerhalb der Moorniederungs-
und Marschniederungsgebiete gebaut werden müssen. Dadurch werden sehr lange Leitungsnetze benötigt, die sehr viel Geld kosten. Die Kreise und Gemeinden haben die Vorarbeiten abgeschlossen. Aber sie haben bisher nicht die Mittel bekommen, um Wasserversorgungsanlagen zu bauen. Bund und Länder müssen hier mindestens eine gute Hilfsstellung leisten. In den schwachen Gebieten — es handelt sich ja meistens um Notstandsgebiete — sind selbstverständlich die Kommunen und Kommunalverbände finanziell auch sehr schwach.
Bei einer unvoreingenommenen Betrachtung der dem Hause vorgetragenen Argumente wird sich
sicherlich bestätigen, was der Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten bei seiner Besichtigungsfahrt im April dieses Jahres festgestellt hat: Nur mit durchgreifenden Maßnahmen, die vom Bunde vorwärtsgetrieben und im wesentlichen finanziert werden, können die unter dem Einfluß von Ebbe und Flut liegenden Gebiete vor Katastrophen und weiterer Verkümmerung bewahrt werden. Diese Maßnahmen müssen den unmittelbaren Küstenschutz, die Entwässerung und die Wasserversorgung umfassen.
Die sozialdemokratische Fraktion begrüßt die Initiative der Landesregierung Niedersachsens, die sie mit den Vorarbeiten zur Erstellung eines Zehnjahresplans für den Bereich ihrer Küste ergriffen hat. Insofern kam ,der Antrag im niedersächsischen Landtag, der in der vergangenen Woche dort behandelt wurde, schon etwas zu spät. Der Bund muß aber nach unserer Auffassung in Zusammenarbeit mit den zuständigen Landesregierungen einen Gesamtküstenplan erstellen und im wesentlichen finanzieren, weil die Länder dafür zu schwach sind. Niedersachsen errechnete einen Kostenaufwand von insgesamt 1,4 Milliarden DM für seine Küstengebiete. In ihrem Zehnjahresplan hat die niedersächsische Regierung, wahrscheinlich auch unter Berücksichtigung der finanziellen Kraft des Bundes, 770 Millionen DM eingeplant; das bedeutet also einen Jahresbetrag von 77 Millionen DM. Hinzu müssen die entsprechenden Finanzierungsmittel für Hamburg, Bremen und vor allen Dingen auch für Schleswig-Holstein kommen. Wenn der Bund von den Gesamtmitteln etwa zwei Drittel übernehmen würde, dann wäre das sicherlich ein gerechter Schlüssel. Mögen die Kosten ungeheuer hoch erscheinen, der Schutz der Küste und die wirtschaftliche Gesundung der unter dem Tideeinfluß liegenden Gebiete lohnt jeden Aufwand. Hier wartet nun mal ein Werk des Friedens auf uns. Die Verteidigung gegen die See ist eine Aufgabe der ganzen Nation und nicht allein eine Aufgabe der zunächst Wohnenden.
Ich stelle von meiner Fraktion aus den Antrag, diesen Antrag, der uns auf Drucksache 736 vorliegt, nicht einem Ausschuß zu überweisen, sondern anzunehmen.