Rede von
Fritz
Erler
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir tauschen augenblicklich eine Art diplomatischen Unterrichts aus. Es ist gar kein Grund, dabei so heiter zu sein; es geht um sehr ernste Fragen.
Zum Beispiel darf ich auf eine Bemerkung des Herrn Bundeskanzlers vorhin zurückkommen — sie wirft ein Licht auf diese Frage —, damit wir nicht unbelehrt von dannen ziehen.
— Die Antwort kriegen Sie noch, seien Sie nur still!
Vorhin hat der Herr Bundeskanzler davon gesprochen, daß er sich darum bemühen werde, nach dem Zustandekommen der Londoner Vereinbarungen die Aufnahme der Bundesrepublik Deutschland in die Vereinten Nationen zu betreiben. Der Herr Bundeskanzler hat uns nicht verraten, wie er, solange ein Vertragssystem auf der Spaltung Deutschlands beruht, das Veto der Vereinten Nationen gegen die Aufnahme gewissermaßen eines Protegés der Westmächte verhindern wolle. Wir müssen begreifen: deutsche Wiedervereinigung und Aufnahme in die Vereinten Nationen sind identisch, weil beides die Einigung der Weltmächte über beide Komplexe voraussetzt.
Das ist die erste Frage. Sie jagen einem Phantom nach, wenn Sie den westdeutschen Teilstaat in die Vereinten Nationen bringen wollen, ohne sich der peinlichen Lage aussetzen zu müssen, daß Sie dann die Verewigung der Spaltung Deutschlands durch die gleichzeitige Zulassung auch der sogenannten DDR erkaufen.
Das ist offensichtlich. Infolgedessen führt der Weg Deutschlands in den Kreis der gleichberechtigten Völker dieser Welt nur über die Wiedervereinigung. Das ist das eine.
Ein europäisches Sicherheitssystem im Rahmen der Vereinten Nationen setzt also eine Einigung über die Wiedervereinigung voraus und ist damit ein Stück praktischer Entspannungspolitik. Herr Bundeskanzler, ich weiß nicht, ob Sie meine Rede vorhin gehört haben. Ich bitte doch noch einmal, die Teile nachzulesen, in denen ich mich gegen die Vermischung der Begriffe gewehrt habe. „Militärallianzen gegen eine andere Macht" und „kollektive Sicherheitssysteme", die alle Teilnehmer eines bestimmten Gebietes, auch den möglichen Angreifer, umschließen, sind zweierlei. In einem System der kollektiven Sicherheit verpflichten sich alle, gegen jeden von ihnen, der den Frieden bricht, gemeinsam einzuschreiten. Und es scheint mir offensichtlich zu sein — Sie sollen diese Frage ganz offen beantwortet haben —: Eine Wiedervereinigung Deutschlands in Frieden und Freiheit wird nur möglich sein, wenn sowohl der Westen wie der Osten das wiedervereinigte Deutschland nicht als gegen sich gerichtetes Aufmarschgebiet im vorhinein präsentiert bekommen.
Infolgedessen gehören drei Dinge zusammen: Wiedervereinigtes Deutschland, Aufnahme dieses Deutschlands in die Vereinten Nationen und — das muß man aber selbstverständlich vorher im Verhandlungswege klären — Schaffung eines europäischen Sicherheitssystems im Rahmen der Vereinten Nationen, das dann alle jetzigen Besatzungsmächte mit zu seinen Partnern haben wird.
In welcher Weise die Vereinigten Staaten, die ihre Bindungen an die europäischen Besatzungsmächte in einem anderen Komplex geregelt haben, daran beteiligt werden, das ist eine Aufgabe der praktischen Verhandlungen.
— Bitte, meine Damen und Herren, Sie können sich über diese Auskunft von mir aus ruhig erhitzen; Sie werden an der Beantwortung der Frage nicht vorbeikommen, wie anders Sie Deutschland vereinigen wollen, solange Sie auf dem Konzept beharren, daß das vereinigte Deutschland amerikanischer Truppenübungsplatz sein muß.