Dann möchte ich den Kollegen Gerstenmaier darauf aufmerksam machen, daß diese Formulierungen in ,der Beratenden Versammlung des Europarats mehrfach zitiert worden sind und daß zu diesen Formulierungen kein Mitglied des Ausschusses sich ausdrücklich mit abweichender Meinung geäußert hat.
Damit können wir wohl dieses Kapitel abschließen.
Ich gehe über zum nächsten Punkt, nämlich wie sich aus diesem Beschluß ergibt, ist also in Berlin von beiden Seiten lediglich das Maximalziel verkündet worden. In dem gleichen Sinne gebe ich allen recht, die hier davon gesprochen haben, welche Ziele Herr Molotow habe. Jawohl, die russische Politik hat als Maximalziel die Einverleibung des gesamten Deutschlands in ihren Machtbereich. Aber die westliche Politik hat dann ebenso als Maximalziel, daß das vereinigte Deutschland Bestandteil des westlichen Militärsystems wird.
Hier gestatte ich mir „zur Klarstellung", mich auf einen unter dieser Überschrift erschienenen Artikel des Bulletins der Bundesregierung zu beziehen. Dort wird zunächst einmal der Herr Bundeskanzler zitiert:
Die außenpolitische Handlungsfreiheit eines gesamtdeutschen Staates ist . . . eine weitgehend akademische Frage. In der praktischen Politik ist die Kraft der Tatsachen entscheidend. Steht die Europa-Armee erst einmal, so wird kein Staat mehr aus ihr austreten, auch kein gesamtdeutscher Staat. Das ist ja gerade der Sinn der Integration . . .
Nicht nur
— damit bringe ich eine Regierungserklärung des Herrn Bundeskanzlers vor dem Deutschen Bundestag —
wird jede Regierung der Bundesrepublik Deutschland alles tun, um ganz Deutschland in der im Bonner und Pariser Vertrag gegebenen Form in die Gemeinschaft der freien Völker zu führen, sondern wenn die Stunde der Wiedervereinigung gekommen ist, wird das ganze deutsche Volk diese Entscheidung zu der seinigen machen.
Das Bulletin bemerkt dazu:
In den Verhandlungen bereits ist von deutscher Seite stets mit größter Entschiedenheit betont worden, daß kein Zweifel über die Entscheidung eines wiedervereinigten Deutschlands zugunsten einer politischen und militärischen Zugehörigkeit an den Westen bestehen könne.
Und weiter:
. . . , daß die Bundesrepublik mit ihrem gesamten politischen Potential dafür bürgt, daß ein wiedervereinigtes Deutschland ein Glied der integrierten europäischen Gemeinschaften
— also auch der militärischen — bleiben wird.
Damit sind wir — das ist meine feste Überzeugung; man kann eine andere haben, es ist die meine — beim Kern des Problems. Deutschland wird nicht friedlich vereinigt werden, solange die russische Position darauf beharrt, daß das ganze Deutschland in einer Form geschaffen werden muß, die es sowjetisieren kann; und zwar wird es deshalb so nicht vereinigt werden, weil wir das nicht wollen; denn wir wollen die Vereinigung Deutschlands nicht, indem wir in die Sklaverei der Sowjetzone gehen, sondern indem die Bewohner der Sowjetzone aus der Sklaverei herauskommen.
Das ist das eine.
Zum zweiten wird diese Form der Wiedervereinigung nach kommunistisch-sowjetischem Rezept auch daran scheitern, daß die Westmächte nicht daran denken, unter diesen Umständen ihre Positionen in Deutschland aufzugeben. Und das letztere Argument gilt genau so umgekehrt für den westlichen. Versuch, heute schon die gesamte Politik darauf abzustellen, daß das wiedervereinte Deutschland dem westlichen Heeressystem angehören solle und müsse und werde. Genau so wie wir kein kommunistisches Deutschland friedlich entstehen lassen werden, genau so wird die Sowjetunion — und damit nehme ich die Frage des Herrn Bundeskanzlers auf — nicht auf dem Tablett gewissermaßen die
Sowjetzone darbieten, damit sie am Tage nach der Wiedervereinigung. amerikanischer Truppenübungsplatz wird. Das ist auch in der weltpolitischen Mächteverteilung heute nicht gegeben, meine Damen und Herren.
— Was dann? Das ist es eben, daß Sie sich mit dieser Lage der gegenseitigen Ausschließlichkeit nicht abfinden dürfen, daß daher der Versuch unternommen werden muß, zwischen uns und unseren westlichen Partnern einen Status für das wiedervereinte Deutschland zu finden, der uns Sicherheit gibt — jawohl, Kollege Kiesinger, der den Westmächten Sicherheit gibt und der gleichzeitig etwas 'befriedigt, was auch der Herr Bundeskanzler im vergangenen Jahr anerkannt hat, nämlich das sowjetische Sicherheitsbedürfnis.
Ich weiß, mancher bei Ihnen lächelt. Ich nehme den Herrn Bundeskanzler damit blutig ernst. Es ist nämlich nicht so, daß Furcht trotz der Anwesenheit von 175 sowjetischen Divisionen in der Welt nur in den Ländern des Westens herrscht.
Furcht — das ist leider die Wahrheit — beruht auf Gegenseitigkeit. So war es bisher immer noch in den großen Konflikten und Spannungen in der Welt. Furcht entsteht mitunter — und das sei auch in diesem Hause einmal deutlich ausgesprochen — aus Erinnerungen an gar nicht allzulange zurückliegende Jahre und Jahrzehnte.
Bitte, auch das ist ein Motiv, das Mißtrauen in unserem französischen Nachbarvolk gesät hat. Es gibt eine Furcht aus der Erinnerung an die Anwesenheit deutscher Truppen vor Moskau, vor Leningrad und in Stalingrad, eine Furcht, die auch trotz der in unserem Lande als nicht gerade friedliebend anerkannten sowjetischen Politik noch vorhanden ist und das sowjetische Regime und das russische Volk beherrscht. Wir müssen versuchen, eine Lösung zu finden, bei der das vereinte Deutschland in ein kollektives Sicherheitssystem eingebaut wird und die unter unserer eigenen Mitwirkung jedem Teilnehmer die Gewißheit schafft: Wer die Grenzen des. vereinten Deutschlands verletzt, der löst den dritten Weltkrieg aus. Darin liegt Sicherheit für Deutschland und für unsere Nachbarn. Denn keine Lösung wird es geben — so uneigennützig sind die Völker der Welt nicht —, die etwa nur zugunsten der Deutschen getroffen wird.
Es tut mir leid, daß ich noch einmal in aller Ausführlichkeit zu dieser Frage zurückkehren mußte. Aber ich bin dazu gezwungen worden, weil immer wieder die Frage gestellt worden ist: Ja, soll man denn in diesem Zeitpunkt eine Konferenz mit der Sowjetunion abhalten? Ich habe nicht gesagt, daß sich der Herr Bundeskanzler sofort mit fliegenden Rockschößen zu Herrn Malenkow begeben solle — weiß Gott nicht —; aber wenn man eine solche Begegnung will, dann muß man wissen, was man auf dieser Begegnung will, und dann muß man wissen, daß man nicht mit einer unerfüllbaren Vorstellung dorthin gehen kann, und dann muß man wissen, daß man für eine solche Lösung natürlich auch und gerade unsere westlichen Partner braucht, und dann muß man das vorbereiten, und daher unsere konkreten Vorschläge
— ich komme wieder darauf zurück —, daß Sie zur Vorbereitung einer gemeinsamen Stellungnahme des Westens in einer kommenden Verhandlungsatmosphäre mit der Sowjetunion wirklich einen praktischen Beitrag mit der gleichen Dringlichkeit leisten, mit der Sie die anderen Probleme der Londoner Konferenz angehen. Wir verlangen gar nicht von Ihnen — das steht nicht einmal drin —, daß Sie zeitlich einen bestimmten Vorrang geben. Wir verlangen lediglich von Ihnen — und wir hoffen, daß Sie sich dem anschließen —, daß in der gleichen Weise, wie es in den Kommissionen geschehen soll, die man dort beabsichtigt, die anderen Probleme bearbeitet werden und endlich auch an die Erarbeitung eines Standpunkts für die Möglichkeiten der deutschen Wiedervereinigung gegangen wird. Das steht doch drin!
Nun bin ich gezwungen, noch ein paar kleine Bemerkungen zu den etwas schweifenden Ausführungen unseres Kollegen Dehler zu machen. Er hat u. a. versucht, sozusagen den Widerstand der gesamten deutschen Wirtschaft gegen die ihr von den Nationalsozialisten aufgedrungene, aufgezwungene Aufrüstung vor diesem Hause klarzumachen. Ich möchte in aller Bescheidenheit als Gegner aller Kollektivurteile sagen, daß ich aber auch kein Anhänger einer Art kollektiver Unschuldserklärungen bin.
Es gibt nun einmal Persönlichkeiten, die in der deutschen Wirtschaft keine kleine Rolle gespielt haben, wie die Herren Thyssen und Kirdorf oder wie schließlich Herr Hugenberg, der doch anerkanntermaßen einer der Führer sowohl der Harzburger Front gewesen als auch aus der deutschen Schwerindustrie hervorgegangen ist, die mit Propaganda und Finanzen ihren Beitrag zu jener Politik geleistet haben, die Deutschland ins Unheil und ins Verderben geführt hat.
— Gern.