Herr Präsident! Meine Damen und meine Herren! Ich bin Herrn Abgeordneten Kiesinger und Ihnen allen sehr dankbar dafür, daß er unserer türkischen Gäste und des türkischen Volkes gedacht hat. Es ist in der Tat so, daß das türkische Volk durch viele Jahrzehnte hindurch eine wahre freundschaftliche Gesinnung gegenüber dem deutschen Volk gehabt hat, wie wir zu ihm, und daß die Trübungen, die gewesen sind, ausgeglichen und vorbei sind und daß uns wie zuvor eine herzliche Freundschaft verbindet.
Meine Damen und Herren! In einer halben Stunde wird in Paris die französische Nationalversammlung mit der Beratung der Londoner Abkommen beginnen. So ist in der Tat der heutige Tag nach meiner tiefen Überzeugung entscheidend für das Schicksal des deutschen Volkes und für Europa, entscheidend dafür, ob Friede und Freiheit erhalten bleiben oder nicht.
Ich danke allen Rednern der Koalitionsfraktionen, daß sie sich mit solcher Wärme und mit solcher Überzeugungskraft für das eingesetzt haben, was in London vereinbart worden ist. Ich möchte auch an die Damen und Herren von .der Opposition die sehr dringende Bitte richten, doch einmal zu überprüfen, ob es nicht eine Möglichkeit für sie gibt, ebenfalls den Grundgedanken zuzustimmen, die in London festgelegt sind.
Meine Damen und Herren, ich widerstehe der Versuchung, in den Protokollen über die Debatten nachzulesen, die das Thema der europäischen Verteidigung in den letzten Jahren betreffen, obgleich ich weiß, daß ich gerade bei der Lektüre der Ausführungen der Herren Kollegen Ollenhauer und Schmid eine reiche Fundgrube hätte, um das, was jetzt in London geschaffen worden ist, zu begründen. Aber ich widerstehe dem, meine Damen und Herren; es hat keinen Zweck.
— Ja, eine kleine Erinnerung, Herr Heiland! Eine ganz kleine Erinnerung!
Ich wünschte, Sie würden mich auch immer so zart erinnern, wie ich das jetzt getan habe!
Aber ich möchte doch auf einige Ausführungen und Fragen, die von seiten der Herren von der sozialdemokratischen Opposition heute gestellt worden sind, Auskunft geben.
Lassen Sie mich eines aber an die Spitze meiner Ausführungen stellen, ein Wort, das eben auf der Regierungsbank fiel und das mir im Ohr haften geblieben ist:
Wie die Welt einmal ist, wie die Menschen
einmal sind, ist der Frieden nicht etwas, was
von Natur wegen dem Menschen geschenkt ist.
Frieden, meine Damen und Herren, muß erarbeitet werden, Frieden muß mit Konsequenz und mit Zähigkeit und mit ruhiger Überlegung herbeigeführt werden, und der Frieden muß auch verteidigt werden — nicht mit den Waffen des Krieges, sondern mit den Waffen der Gesinnung und den Waffen des Beispiels.
Nun, ein solches Beispiel hat die Bundesrepublik in London gegeben, als sie erklärt hat, daß sie aus den Gebrauch dieser fürchterlichen Waffen der Massenvernichtung, die allein doch schließlich auch Sowjetrußland schrecken könnten, verzichte und sich einer besonders strengen Kontrolle, daß dieser Verzicht innegehalten wird, zu unterwerfen bereit sei.
Sagen Sie nicht: „Das hast du leicht sagen! Ihr habt ja gar nicht die Möglichkeit, weder finanzieller noch physikalischer Art!" Um chemische Waffen herzustellen, braucht man keine solch besonderen Möglichkeiten, um biologische Waffen herzustellen, braucht man sie ebenfalls nicht; und wie es einmal mit der Entwicklung der Atomwaffen werden wird, das wissen wir jetzt auch noch nicht. Aber, meine Damen und Herren, die Bundesrepublik ist hier beispielhaft vorangegangen,
und ich glaube, das ist ein überzeugender Beweis für das, was wir wollen: Frieden in Europa und in der Welt. Ich war in London sehr glücklich, als sich spontan der Vertreter Belgiens und der Vertreter der Niederlande dieser Erklärung des deutschen Vertreters anschlossen.
Meine Damen und Herren! Herr Kollege Ollenhauer hat seine Rede heute morgen damit begonnen, daß er sagte, die Europapolitik des Bundeskanzlers und der Regierungskoalition sei gescheitert, und Herr Kollege Schmid hat etwas Ähnliches gesagt. Wenn sie allerdings unsere Europapolitik mit der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft identifizieren, würden sie recht haben.
Aber ich darf Sie vielleicht ,an ein Wort erinnern, das Herr Robert Schuman, damals Außenminister — der Plan zur Europäischen Verteidigungsgemeinschaft ist, wie Sie wissen, von Frankreich ausgegangen —, gesagt hat. Er hat gesagt, normalerweise müßte es so sein, daß in dem ganzen europäischen Bau, den wir errichten wollen, die Verteidigungsgemeinschaft den Schlußstein bilden würde, wenn insbesondere auch die Politische Gemeinschaft geschaffen wäre. Aber — so hat er ausgeführt — nun
zwingen uns die Verhältnisse in der Welt, dieses Stück europäischer Gemeinschaft vorzuziehen und zu versuchen, es jetzt schon zu verwirklichen. Aber eines möchte ich Ihnen sagen — auch einer der Herren hat das heute morgen schon anklingen lassen —: Ohne die Auseinandersetzungen über die Europäische Verteidigungsgemeinschaft während aller dieser Jahre wäre der europäische Gedanke nicht so stark geworden, daß er in London diesen Erfolg hätte davontragen können.
Wenn Sie mich nun fragen würden: Ist die Europäische Verteidigungsgemeinschaft besser oder der Brüsseler Pakt usw., dann würde ich in aller Offenheit sagen: zum Teil ist die Situation besser, zum Teil ist sie genau so gut, weil ein Teil aus der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft übernommen worden ist, und zum Teil ist sie schlechter. Aber es ist doch gerade die Kunst der Politik, daß, wenn ein Ziel wenigstens zur Zeit nicht erreichbar ist, man versucht, auf einem andern Wege zu einem mindestens gleich guten Ergebnis zu kommen.
Aber, meine Damen und Herren, die Londoner Besprechungen und das Londoner Abkommen erschöpfen sich doch in keiner Weise in militärischen Fragen, und ich bedauere eigentlich außerordentlich, daß man sich viel zuviel mit militärischen Fragen beschäftigt.
— Ja, meine Damen und Herren , das tun Sie; ich nicht!
Sehen Sie, meine Damen und Herren: daß wir endlich das Besatzungsregime hinter uns bekommen,
daß ein Volk von 50 Millionen braver, fleißiger, tüchtiger Menschen jetzt seine Freiheit wiederbekommt, das ist doch das Große!
Und noch ein Weiteres lassen Sie mich wiederholen; man soll einfache, aber wahre Dinge mehrfach sagen, weil über allen möglichen Arabesken, die hier gemacht werden, vieles versinkt, was man sehen sollte.
Meine Damen und Herren! Der Art. 2 der UNO-Satzung, das Kernstück dieser UNO-Satzung, den ich so zusammenfassen möchte, daß keine Gewalt mehr angewendet werden soll, sondern im Wege der friedlichen Auseinandersetzung die Gegensätze beglichen werden sollen, ist von Deutschland bekräftigt worden und von den Mächten uns gegenüber bestätiigt worden!
Nun zur Frage der Wiedervereinigung. Ja, meine Damen und Herren, die Wiedervereinigung hat auf der Londoner Konferenz eine sehr große und sehr entscheidende Rolle gespielt, und Sie reden vollständig an den Tatsachen vorbei, wenn Sie glauben, daß sie auf der Londoner Konferenz nicht eine wichtige Rolle gespielt hätte. Es wird mir gesagt, daß ich eine Chance ausgelassen hätte. Ich habe sie nicht nur nicht ausgelassen, meine Damen und Herren, sondern ich habe sie weidlich genützt. Lesen Sie doch bitte nach, was darüber in der Schlußakte der Londoner Konferenz steht. Da sind doch, und zwar losgelöst von dem Junktim zwischen dem Bonner Vertrag und der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft, die Bestimmungen über eine gemeinsame Politik in der Frage Gesamtdeutschlands niedergelegt. Darin steht doch, daß die Schaffung eines völlig freien und vereinigten Deutschlands durch friedliche Mittel ein grundsätzliches Ziel der Politik der Drei Mächte und der Bundesrepublik bleibt.
Meine Damen und Herren, der Berliner Bürgermeister Schreiber hat sich durch ein sehr schönes Telegramm bei der Bundesregierung dafür bedankt,
daß wir bei diesen Verhandlungen auch für Berlin gesorgt haben.
Nun wollte ich etwas über den Brüsseler Pakt sagen. Vorher allerdings möchte ich einige Worte sagen über die Ausführungen des Kollegen Ollenhauer, daß sich die Lage seit Korea gebessert habe. Das ist nach meiner Meinung nicht der Fall.
Es ist gelungen, unter blutigen Kämpfen in Korea einen Status herzustellen, der weder Krieg noch Frieden ist. Es ist gelungen, in Indochina den Krieg zu beenden. Aber, meine Damen und Herren, glauben Sie nicht, daß damit in Indochina friedliche Zustände eingetreten sind!
Und von neuem fängt es an — wenn man auf die äußeren Ereignisse sehen will — zwischen Rotchina und Formosa. Dort schwelt es doch schon die ganze Zeit, dort liegt eine akute Gefahr. Dort fängt es wieder an zu brennen! Und endlich, was ist denn das wahre Kennzeichen der Spannungen in unserer Welt? Das ist doch die ungeheure Aufrüstung auf allen Seiten!
Sie beweist doch, daß diese Spannungen noch unverändert vorhanden sind!
Daher kann wirklich niemand sagen, daß eine allgemeine Entspannung eingetreten sei. Sicher wollte Herr Ollenhauer nicht sagen — ich glaube, er hat es auch gar nicht gesagt — —
— Ja, meine Damen und Herren, ich konnte doch das Stenogramm noch nicht lesen. — Sicher wird Herr Ollenhauer nicht behaupten wollen, die Spannungen seien bis zu einem Grad geschwunden, daß militärische Sicherungen nicht mehr nötig seien.
Aber nun der Brüsseler Pakt! Es liegt Herrn Ollenhauer und den Mitgliedern der sozialdemokratischen Fraktion ebenso wie uns allen am Herzen, daß durch einen Sicherheitspakt in Europa und in der Welt Ruhe und Frieden und Abrüstung eintritt.
Nun betrachten Sie doch gerade den Brüsseler Pakt im Hinblick auf die Kennzeichen, Herr Ollenhauer, die die wahren Kennzeichen eines Sicherheitssystems sind! Der Brüsseler Pakt, dem angehören: Großbritannien, Italien, Deutschland, Frankreich und die Benelux-Länder und dem, wie ich mit Sicherheit glaube sagen zu können, weitere europäische Staaten sich anschließen werden, hat doch die beiden wesentlichen Kennzeichen eines kollektiven Sicherheitspaktes in sich, nämlich einmal eine Begrenzung der Rüstung und zweitens eine effektive Kontrolle dieser Rüstung.
Betrachten Sie doch bitte den Brüsseler Pakt einmal auch von dieser Seite! Er ist doch gleichzeitig ein Sicherheitspakt zur Wahrung der Ruhe in Europa, geschlossen für 50 Jahre. Die jetzige Spannung zwischen Osten und Westen wird, wie wir alle hoffen, eines Tages aus der Welt verschwinden. Aber dann wird dieser Sicherheitspakt, der Brüsseler Pakt, die Funktion haben, unter den europäischen Mächten Frieden und Ruhe und gegenseitige Sicherheit zu garantieren. Ich wiederhole: betrachten Sie doch bitte auch unter diesem Gesichtspunkt einmal den ganzen Vertrag.
Nun möchte ich doch noch etwas zu der „Besserung der Lage" sagen. Ich gestehe Ihnen aufrichtig
— man kann ja jetzt ruhig darüber sprechen —, daß ich, solange ich die Ehre habe, die Geschäfte des Bundeskanzlers zu führen, also seit dem Jahre 1949, aber auch schon in den Jahren vorher, niemals in einer solchen Sorge und ernsten Unruhe über unser aller Geschick gewesen bin wie in der Zeit seit Mitte August.
Ich kann Ihnen das mit sehr wenigen Sätzen erklären. Durch das Scheitern des Vertrages über die Europäische Verteidigungsgemeinschaft bestand die außerordentlich ernste Gefahr, daß die Vereinigten Staaten sich von Europa abwenden würden.
— Glauben Sie mir, meine Damen und Herren, die Gefahr war sehr groß und sehr ernst.
Ich bin nicht in der Lage, Ihnen hier zu sagen
— ich will es Ihnen unter vier Augen, meinetwegen unter acht Augen gern sagen —, wie die Stimmung in den Vereinigten Staaten bei maßgebenden Stellen ist. Aber glauben Sie mir, die Gefahr war sehr nahe und sehr ernst, und sie hätte für uns alle miteinander, für die Deutschen und die Franzosen, die Italiener, für alle miteinander den Verlust von Frieden und von Freiheit bedeutet.
Dann hat Herr Ollenhauer gefragt: Wird dann dieser Vertrag die Sicherheit für uns erhöhen? Ich habe die Frage eben zum Teil schon dadurch beantwortet, daß ich auf die Funktion des geänderten Brüsseler Pakts innerhalb der europäischen Völker hingewiesen habe. Aber ich füge noch folgendes hinzu: Durch den Brüsseler Pakt wird Großbritannien mit dem Geschick des Kontinents verbunden, und ich glaube, niemals werden die Vereinigten Staaten unbeteiligt bleiben, wenn insbesondere die zweite angelsächsische Macht, Großbritannien, auf Gedeih und Verderb mit dem Kontinent verbunden ist.
Infolgedessen sage ich Ihnen: Ja, durch den Brüsseler Pakt wird die Sicherheit für uns in eminenter Weise erhöht, nicht durch die zwölf Divisionen allein, meine Damen und Herren — das gehört auch dazu —, aber sie wird erhöht durch die politische Weltlage, die dadurch geschaffen ist, während wir vorher einfach in der Schwebe gewesen sind.
Ich muß jetzt zu einigen kleineren Fragen übergehen. Ich bin gefragt worden, ob wir einen Art. 48 vorbereiten. Sehen Sie, wenn ich darauf geschwiegen hätte, würde, davon bin ich überzeugt, hier oder da in der Presse gestanden haben: Aha!
Deswegen möchte ich Ihnen laut und deutlich sagen: nein.
Dann bin ich zum Thema Saar gefragt worden. Es ist richtig, daß mir der französische Ministerpräsident nach Schluß der Konferenz gesagt hat: Wir müssen uns aber über die Saarfrage unterhalten. Wir haben dann, wie Sie aus der Presse ersehen haben, abgesprochen, daß dieses Gespräch am 20. Oktober in Paris stattfinden soll. Die heutigen Äußerungen über die Regelung der Saarfrage hier in diesem Raume habe ich natürlich sehr gut beachtet, und ich kann Ihnen sagen: 'im großen und ganzen stimmen sie vollkommen mit meiner Überzeugung überein.
Nun noch folgendes. Sie werden denken, es ist eine Kleinigkeit; aber „vestigia terrent"; es ist schon mal so passiert, deswegen wollen wir aufpassen. Herr Kollege Ollenhauer hat gesagt, wir sollten alle diese Dinge nicht übereilen, und er hat so nett gesagt: in der Fixigkeit hätten wir die Fleißnote Nummer 1 bekommen. Nein, das ist ein Irrtum. Die Vereinigten Staaten und Großbritannien hatten viel schneller gearbeitet;
die waren schon im Sommer fertig.
Wir haben, Herr Kollege Ollenhauer — jetzt sehe
ich mal vom Bundesverfassungsgericht ganz ab —,
wir haben hier in diesem Saal über 10 Monate daran gearbeitet.
So besonders fix war es also nicht.
Es wäre aber sehr wünschenswert, daß, nachdem doch jetzt die ganze Materie uns allen klar vor Augen liegt, sobald die Dokumente im Wortlaut fertiggestellt sind und wir sie Ihnen vorlegen können, dann auch möglichst schnell die Ratifizierung
erfolgen kann, damit wir unseren Beitrag dazu geben, daß die Unruhe aus der Welt kommt. Das ist das Wesentliche.
Und nun die Frage der Wiedervereinigung! Meine Damen und Herren, ich empfinde es — ich habe das neulich in Offenbach einmal sehr deutlich gesagt — immer etwas peinlich, wenn Deutsche sich gegenseitig vorhalten, der eine tue mehr für die Wiedervereinigung als der andere,
und dem einen liege sie nicht so sehr am Herzen wie dem andern. Ich muß sehr nachdrücklich erklären — und ich bin Herrn Kollegen Dehler dankbar, daß er das gesagt und mir das bezeugt hat —: Mir liegt — und ich bitte, davon Kenntnis zu nehmen — die Wiedervereinigung Deutschlands genau so am Herzen und ich arbeite mit ganzer Kraft genau so gut dafür wie irgendeiner sonst hier im Saal.
Aber nun lassen Sie mich übergehen zu der Frage: Wie wird sich der Abschluß der Verträge, die Ihnen vorgelegt werden, zu der Frage der Wiedervereinigung stellen? Wird er sie beschleunigen? Wird der Abschluß sie verhindern? — Ich möchte eine Gegenfrage stellen, und auch an den Herrn Kollegen Schmid möchte ich die Gegenfrage stellen. Glaubt denn einer von Ihnen, daß, wenn diese Pakte nicht geschlossen werden, wenn also in Verfolg dessen dieses Europa zerrissen, geschwächt und miteinander verfeindet liegenbleibt und wenn die Vereinigten Staaten sich von einem solchen Europa abwenden, glaubt einer, daß Sowjetrußland dann kommen wird, um uns die Sowjetzone in Frieden und Freiheit auf den Händen entgegenzubringen, und sagen wird: Da habt ihr euch wieder, seid glücklich?! — Ich glaube es nicht.
— Das Wort „albern" ist etwas hart, aber ich trage es.
Nun darf ich fortfahren. Aber lassen Sie mich vorerst doch sagen, wie der Stand der Dinge, der Verhandlungen mit Sowjetrußland zur Zeit ist. Vor wenigen Wochen ist eine Note der Drei an Sowjetrußland ergangen, die Antwort auf die Sowjetnote wegen Verhandlungen über die Wiedervereinigung Deutschlands. In dieser Note ist gesagt, daß man zu Verhandlungen bereit sei, sobald Sowjetrußland die freien Wahlen in dem Sinne, wie sie auf der Berliner Konferenz erörtert worden sind, konzediere. Ich glaube, es ist doch keiner hier im Saale, der von dieser Forderung auf freie Wahlen abzugehen bereit ist. Nun müssen wir abwarten, was Sowjetrußland dazu sagen wird. Wird es ja sagen? Wird es nein sagen? Wenn es ja sagt, werden — davon bin ich fest überzeugt, und wir werden auch darum bitten, daß es geschieht — die Verhandlungen wieder in Gang kommen.
Aber nun die These: Man kann so etwas wie den Brüsseler Vertrag erst beschließen, wenn feststeht, daß Sowjetrußland sonst zu einer Wiedervereinigung nicht ja sagt. Es ist hier viel darüber gesprochen worden; Herr Kiesinger hat viel dazu gesagt; ich brauche dem weniges hinzuzusetzen.
Ich habe mir zwischendurch einmal ein Verzeichnis der Vier-Mächte-Konferenzen über Deutschland geben lassen. Ich möchte es Ihnen doch vorlesen: Moskau vom 10. März bis 24. April 1947, London vom 25. November bis 15. Dezember 1947, Paris vom 23. Mai bis 20. Juni 1949, Paris Stellvertreterkonferenz vom 4. März bis 20. Juni 1951, Berlin vom 26. Januar bis 18. Februar 1954. Keine einzige dieser Verhandlungen hat uns auch nur einen Schritt weitergebracht.
Ich kann wirklich nicht glauben — und ich glaube, auch keiner der Damen und Herren hier im Saal kann das meinen, wenn er sich das einmal ruhig und unvoreingenommen von all dem Staub und Lärm und Nebel aus den Streitigkeiten der vergangenen Jahre überlegt —, daß der Abschluß eines Paktes zwischen den sieben Ländern, die ich vorhin genannt habe, eines Paktes, der ihre Rüstungen begrenzt, der sie der Kontrolle unterwirft und der ausdrücklich zu dem Zwecke geschlossen wird, einen Angriff auf einen der Betreffenden abzuwehren, also eines reinen Defensivvertrages, Sowjetrußland irgendwie aufregen könnte, es sei denn, es habe die Absicht, einen der Betreffenden anzugreifen. Aber man sagt doch allgemein, das sei nicht der Fall.
Nehmen Sie also die Dinge doch, wie sie wirklich sind, und lösen Sie sie nicht aus dem Zusammenhang. Die Frage der Wiedervereinigung Deutschlands ist ein Teil des ganz großen Spannungsfeldes, das sich über die Erde erstreckt, und nichts anderes.
Den Abschluß des Brüsseler Vertrages kann Sowjetrußland in keiner Weise als Drohung empfinden; es wird ihn auch nicht als Drohung empfinden.
Meine Damen und Herren, ich möchte nicht mehr viel sagen, ich möchte mit wenigen Worten schließen. Das deutsche Volk hat sich nach den Jahren des Nationalsozialismus, nach diesem furchtbaren Kriege, der nicht nur bei uns furchtbar war, sondern der in vielen Ländern der Welt blutige Wunden geschlagen hat, die noch nicht geheilt sind, seit diesem Zusammenbruch durch seine guten Eigenschaften, durch seinen Fleiß, seine Tatkraft, seine Mäßigung, auch in politischer Hinsicht, das Vertrauen und die Achtung der übrigen Welt wiedererworben.
Was sich jetzt in London ereignet hat, ist nichts anderes als die Anerkennung der freien Welt für diese guten Eigenschaften des deutschen Volkes.
Daher bitte ich Sie sehr: Prüfen Sie doch die Sachlage und fallen Sie nicht auseinander! Versuchen wir doch einmal, in Einigkeit zu einer Entschließung zu kommen in einer Frage, die von einer solchen Bedeutung ist über viele Geschlechter hinaus, für Deutschland, für unser gemeinsames Vaterland, für das Volk, dem wir angehören.