Rede:
ID0204702900

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Metadaten
  • insert_drive_fileAus Protokoll: 2047

  • date_rangeDatum: 7. Oktober 1954

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    6. Bundeskanzler.: 1
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    2. Deutscher Bundestag — 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Oktober 1954 2235 47. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 7. Oktober 1954. Geschäftliche Mitteilungen . . . . 2235, 2320 A Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung vom 5. Oktober 1954 (Londoner Konferenz) (Anträge Drucksachen 863, 864): 2235 C Ollenhauer (SPD) 2235 A, 2306 C, 2308 B, 2309 A, 2314 B Dr. von Brentano (CDU/CSU): zur Sache .. 2242 B, 2248 B, 2305 A, B zur Geschäftsordnung .. . . . 2286 C Erler (SPD) . . 2248 B, 2287 A, D, 2290 D, 2291 C, 2292 A, B, 2294 A, 2317 D, 2318 C Dr. Dehler (FDP) 2249 D Haasler (GB/BHE) 2249D Dr. von Merkatz (DP): zur Sache 2257 D zur Geschäftsordnung. . . . 2286 A, D Dr. Baron von Manteuffel-Szoege (CDU/CSU) 2264 D Stegner (Fraktionslos 2267 B Dr. Schmid (Frankfurt) (SPD) . 2269 B, 2277 D, 2316 C Kiesinger (CDU/CSU) . . . 2274 A, 2290 C, 2291 C, 2293 D Dr. Adenauer, Bundeskanzler . . 2282 A, 2287 D, 2305 C, 2311 D, 2315 C, 2317D, 2318 C, D Mellies (SPD) (zur Geschäftsordnung) 2286 B Euler (FDP) : zur Geschäftsordnung 2286 C zur Sache . . . . . . . . 2319 C D. Dr. Gerstenmaier (CDU/CSU) . 2292 A, C, 2294 D, 2304 B, 2308 A, 2309 A, C, 2319 B D. Dr. Ehlers (CDU/CSU) . . 2299 C, 2300 C, 2310 B, 2311 B Dr. Arndt (SPD) 2300 C, 2303 A, 2304 C, 2305 B, C Wehner (SPD) 2309 D Heiland (SPD) 2311 A Dr. Becker (Hersfeld) (FDP) . . . 2312 C Dr. Kather (GB/BHE) 2319 A Überweisung des Antrags Drucksache 863 an den Auswärtigen Ausschuß . . . . 2320 C Annahme des Antrags Drucksache 864 2320 C Nächste Sitzung 2320 C Die Sitzung wird um 9 Uhr 5 Minuten durch den Präsidenten D. Dr. Ehlers eröffnet.
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    Rede von Dr. Kurt Georg Kiesinger


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Schön, dann wollen wir also ganz klarstellen, daß von meinen Freunden niemals jemand die Möglichkeit der Einbeziehung Sowjetrußlands in ein kollektives Sicherheitssystem geleugnet hat.

    (Zuruf von der SPD: Na also!)

    — „Na also", verehrter Herr Kollege? Nur nicht so kurzschlußhaft gedacht! Wann die Sowjetunion in ein solches System kollektiver Sicherheit einbezogen werden kann und unter welchen Voraussetzungen, das ist doch die Frage. Darüber hat schon mein verehrter Herr Kollege von Merkatz einige Ausführungen gemacht. Ich kann natürlich den Hecht in den Karpfenteich des Systems kollektiver Sicherheit hineinsetzen — die Karpfen werden dann einiges erleben!

    (Heiterkeit.)

    Die Voraussetzungen müssen erst geschaffen werden, und das ist nun, wie Sie es zu nennen belieben, die berühmte „Politik der Stärke". Was ist diese Politik?

    (Abg. Dr. Schmid [Frankfurt] : Der Ausdruck stammt von Ihnen, Herr Kiesinger!)



    (Kiesinger)

    — Nun, der Ausdruck mag da und dort einmal gefallen sein.

    (Abg. Dr. Schmid [Frankfurt] : Vom Herrn Bundeskanzler!)

    — Aber zur Kennzeichnung unserer Bemühungen haben Sie die Freundlichkeit gehabt, diesen Ausdruck fast ausschließlich zu verwerten.

    (Abg. Dr. Schmid [Frankfurt] : Ich habe nur Ihre Worte verwendet!)

    Was ist denn die „Politik der Stärke"? Ich will die Formulierung gar nicht ablehnen. Ich sage nur: Sie kann irreführend wirken, wenn sie als einzige Etikette unserer Bemühungen benutzt wird. Das ist heute nun schon verschiedentlich dargestellt worden. Sie sagen: Keine Bemühungen um militärische Sicherheit der westlichen Welt, bevor nicht endgültig klargestellt ist, daß Sowjetrußland keine deutsche Wiedervereinigung in Frieden und Freiheit will. Wir sagen — und da können wir nur These gegen These stellen, und es ist nur recht und gut, daß wir das in voller Klarheit vor dem deutschen Volk tun —: Alle Erfahrungen, die man mit der Sowjetunion bisher gemacht hat, belehren uns darüber, daß die Sowjetunion erst dann bereit sein wird, zu einer echten deutschen Wiedervereinigung die Hand zu reichen, wenn der Westen sich in einer Lage befindet, die Sowjetrußland zwingt, den Westen zu respektieren.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Es gibt eine paradoxe Entwicklung in der Geschichte. Ich möchte denjenigen unter Ihnen, die fleißige Karl-Marx- und Friedrich-Engels-Leser sind — Sie sind es sicherlich, verehrter Herr Kollege Schmid —, ins Gedächtnis rufen, wie Karl Marx und Friedrich Engels über das Problem Rußland gedacht haben. Karl Marx hat zum . Beispiel den berühmten Satz gesagt: Rußland ist ein Tier, das nur mit einem Tier verhandelt, das gleich stark ist wie es selbst.

    (Abg. Hilbert: Er hat es sehr richtig gesehen!)

    Und Friedrich Engels hat sehr viel schärfere Formulierungen gebraucht und Vorschläge gemacht.

    (Zuruf des Abg. Dr. Schmid [Frankfurt].)

    — Nun, die beiden haben sich natürlich auch in diesem Punkte geirrt, sagen Sie, verehrter Herr Kollege Schmid?

    (Heiterkeit bei den Regierungsparteien. — Abg. Dr. Schmid [Frankfurt]: Er würde das Gegentier wahrscheinlich nicht für so stark gehalten haben!)

    Wir haben eine sorgfältige Analyse der europäischen und der Weltsituation gemacht, bevor wir unsere Entschlüsse faßten. Nichts ist inzwischen geschehen, auch — trotz Herrn Rauschning — das Phänomen der Wasserstoffbombe nicht, was uns gezwungen hätte, unsere Politik grundlegend zu ändern. Das heißt, wir werden so lange fortfahren, uns mit der westlichen Welt zusammen zu stärken, bis Sowjetrußland bereit ist, in Anerkennung dieses Faktums auf Ziele zu verzichten, die es sich gesteckt hat, so lange das machtpolitische Vakuum im Westen besteht.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Ich behaupte nicht, daß Sowjetrußland an einen Krieg denkt. Aber Sowjetrußland denkt ganz gewiß daran, dieses westliche Europa im Kalten
    Krieg eines Tages für sich zu vereinnahmen, und
    es hat allen Grund, solche Hoffnungen zu hegen.

    (Sehr wahr! in der Mitte.)

    Ich habe schon öfter in diesem Hause darauf hingewiesen, wie einem Politiker in Moskau wohl zu Mute sein mag, wenn er auf dieses westliche Europa blickt, das schon im 19. Jahrhundert einmal ein Russe verächtlich genug „ein Furunkelchen am Körper Asiens" genannt hat. Wenn er im westlichen Europa diese nun nicht mehr querelles allemandes, sondern diese querelles européennes, diese widerlichen europäischen Streitigkeiten wahrnimmt und wenn er die starken Schutztruppen des Bolschewismus bei einigen unserer westlichen Nachbarn, bei einem unserer Nachbarn über ein Drittel stark, bemerkt. Dann muß sich doch ein Moskauer Politiker sagen: Was soll ich meine Position an der Elbe aufgeben? Wo ist denn dieses berühmte bedrohte Sicherheitsbedürfnis Sowjetrußlands, von dem so oft die Rede ist? Das ist irgendwann, zu irgendeiner Zeit einmal ein Problem, wenn die westliche Welt wirklich jenen Grad der Verteidigungskraft erreicht haben wird, den sie heute leider immer noch nicht hat. Dann wird vielleicht auch einmal das Problem des russischen Sicherheitsbedürfnisses ein echtes und aktuelles sein, dann wird man auch darüber reden können; dann, meine verehrten Damen und Herren von der Opposition!
    Sie sagen, verehrter Herr Kollege Ollenhauer: Ihr könnt ja die Entwicklung nicht aufhalten, die Konferenzen werden kommen, ihr könnt ihnen nicht ausweichen. Wir wollen ihnen nicht ausweichen. Wir wissen alle und wir haben es immer wieder betont, daß auch die deutsche Frage, wie überhaupt alle politischen Fragen, die heute den Menschen Sorge machen, nur auf Konferenzen der Großen gelöst werden kann. Wir wollen diese Konferenzen, aber wir wollen diese Konferenzen nicht jetzt, in einem Zeitpunkt absoluter machtpolitischer Ohnmacht. Das ist die Lage. Es ist in den letzten Jahren immer dasselbe gewesen. Immer wieder hat man erlebt, daß sich bei solchen Konferenzen praktisch der sowjetische Standpunkt ganz oder zu einem erheblichen Teil durchgesetzt hat. Warum? Weil die westliche Welt nicht stark genug war, Widerpart zu bieten. Es würde auch jetzt bei einer neuen Konferenz nicht anders sein. Wie verhängnisvoll würde es sich auf die Stimmung, würde es sich in den Herzen der 'deutschen Bevölkerung des Ostens auswirken, wenn eine Konferenz in diesem Zeitpunkt aufs neue mit einem Mißerfolg endete! Sagen wir lieber den Menschen im Osten: Bitte, haltet noch durch, noch sind wir nicht so weit!

    (Zuruf von der SPD: Wie lange noch? — Weitere Zurufe von der SPD.)

    Sie verstehen diese Sprache; oft genug haben sie es uns gesagt. In diesem Zusammenhang fiel der Satz — ich glaube, auch der Herr Kollege Ollenhauer hat ihn ausgesprochen —, wir stellten unsere Politik darauf ab, daß die Spaltung der Welt und damit auch die Spaltung Deutschlands ins Unabsehbare hinein dauern werde. Nein, verehrter Herr Kollege Ollenhauer, das tun wir nicht. Aber wir begehen auch nicht den anderen Fehler, zu glauben, daß eine freundliche Unterhaltung mit Moskau in einem Augenblick wie dem jetzigen, wo noch nichts gefestigt ist, genügen könne, um die ungeheueren, für die beteiligten Mächte lebenswichtigen Probleme zu lösen. Wann der Kalte Krieg beendet werden kann, wann es zu einem globalen Ausgleich


    (Kiesinger)

    zwischen ,den großen Machtgruppen und damit auch zur Lösung der deutschen Frage kommt, davon weiß niemand von uns etwas Gewisses zu sagen. Gut, das sind also unsere verschiedenen Meinungen zu diesem Punkte. Jede ist respektabel; versuchen wir, jede respektabel zu vertreten. Wir werden nie aufhören, zu sagen, daß Ihre Meinung nach unserer Auffassung falsch ist und daß sie nach unserer Auffassung große Gefahren in sich birgt, daß sie uns dazu verurteilen würde, Objekt des Weltgeschehens zu bleiben, daß wir das hinzunehmen hätten, was die großen Mächte über uns verhängen. Ist es denn nicht so?
    Ihr Vergleich mit dem Saargebiet hat gehinkt, verehrter Herr Kollege Schmid. Dort handelt es sich doch nicht darum, endlich herzustellen, was fehlt, was die Völker in Europa so schmerzlich vermissen: die Verteidigungskraft Europas.

    (Abg. Heiland: Aber die Freiheit!)

    Wir haben uns über alle möglichen Lösungen zerstritten, und noch immer ist in diesem kontinentalen Europa keine Macht und keine Kraft da, die in der Lage wäre, den Russen jenen Respekt zu geben, der notwendig ist, damit sie sich zur Beendigung des Kalten Krieges entschließen.

    (Vizepräsident D r. Schneider übernimmt den Vorsitz.)

    Wer hat denn nach dem zweiten Weltkrieg den Kalten Krieg begonnen? Nicht der Westen, Rußland hat ihn begonnen! Wer hat damals, 1945, utopische Politik betrieben? Die amerikanischen Mütter, die gefordert haben: „Bring the boys home!" Schickt unsere Jungens nach Hause!, die glaubten, wie schon einmal nach dem ersten Weltkrieg, es sei nun die Zeit ewigen Friedens angebrochen! Und wie vieler Aggressionen Sowjetrußlands hat es bedurft, bis man sich in Washington endlich entschloß, die vollkommene Abrüstung zu beenden und langsam wieder einen Verteidigungsapparat der westlichen Welt aufzubauen, der diesen ewigen russischen Aggressionen ein Ende setzen sollte! Griechenland war die erste Station, Korea hat die endgültige Entscheidung gebracht, und in der Linie dieser Entwicklung befinden wir uns heute immer noch. Nach unserer Meinung ist es noch nicht so weit, daß man von jenem Gleichgewicht der Kräfte sprechen könnte, welches es erlauben würde, jetzt den globalen Ausgleich herbeizuführen.
    Damit ist auch das Notwendige über das tragische Thema der deutschen Wiedervereinigung gesagt. Wenn Sie selbst die Einsicht haben, verehrter Herr Kollege Schmid, daß diese deutsche Wiedervereinigung erst erreicht wird im Rahmen eines globalen Ausgleichs unter den Machtgruppen, dann müssen Sie doch auch die riesenhafte Schwierigkeit der Aufgabe sehen und müssen einkalkulieren, was alles noch notwendig sein wird, um der westlichen Welt jene Stärke und jene Stabilität zu geben, die sie zu einem gleichrangigen Partner Sowjetrußlands und Chinas machen werden.
    Das große Anliegen, das uns alle beschäftigt, ist die Sache des Friedens. Ich will auch dazu ein paar Sätze sagen, weil das, was dazu zu sagen ist, vielleicht nicht oft und nicht klar genug gesagt wird. Jeder Krieg — wir haben es oft genug gesagt —, wie immer er ausgehen würde — ich habe keinen Zweifel, daß er mit dem Siege der maritimen Mächte enden würde —, jeder Krieg würde
    das Ende Europas, zumindest des kontinentalen Europas bedeuten, ja wahrscheinlich darüber hinaus das Ende eines guten Teils der menschlichen Zivilisation überhaupt. Aber besonders wir Europäer sind von diesem Kriege bedroht. Sehen Sie, da will mir sehr häufig Ihre Argumentation, meine Damen und Herren von der Opposition, unlogisch erscheinen. Dieses Europa, wenn es sich vereinigt, wenn es seine militärischen Anstrengungen zusammenwirft, soll eine Bedrohung Sowjetrußlands bilden, und daher soll Sowjetrußland sich nicht entschlossen zeigen, einen Teil seiner Positionen aufzugeben? Sie argumentieren manchmal in einer Rede mit jenen 12 deutschen Divisionen und sagen: die 12 deutschen Divisionen sind ohnehin nicht zahlreich genug, um unseren Schutz zu verbürgen, und in derselben Rede sagen Sie uns: diese 12 deutschen Divisionen bilden eine Bedrohung des Sicherheitsgefühls Sowjetrußlands. Meine Damen und Herren, das sind Widersprüche, die bei außenpolitischen Diskussionen schwer wiegen. Nehmen wir einmal an, dieses Europa sei politisch, militärisch in einem viel engeren Sinne vereinigt, als es sich unsere besten Europäer in ihren kühnsten Vorstellungen je gedacht haben.

    (Abg. Dr. Greve: Der beste Europäer ist doch Dulles!)

    — Ich komme auf Dulles zurück, Herr Greve! — Was müßte dieses vereinigte Europa für eine Außenpolitik betreiben? Wenn es wahr ist, was wir alle immer sagen, daß jeder Krieg dieses Europa zerstören würde, dann kann der Kurs der europäischen Außenpolitik und gerade eines vereinigten Europas gar kein anderer Kurs sein als ein Friedenskurs.

    (Beifall in der Mitte.)

    Ich habe es nicht nötig, das nach Moskau hinüberzurufen. Die Herren in Moskau wissen es leider nur zu gut.

    (Sehr richtig! in der Mitte.)

    Weil sie es so gut wissen, deswegen handeln sie immer noch so, wie es tagtäglich geschieht. Wenn eine Krise entstehen würde, wenn die Waage des Geschicks zwischen Krieg und Frieden schwanken würde, dann müßte diese europäische Außenpolitik ihr ganzes Gewicht in die Waagschale des Friedens werfen.
    Was bedeutet das für die Sowjetunion? Das bedeutet, daß eine westeuropäische Vereinigung niemals eine Lebensbedrohung Sowjetrußlands darstellen kann, solange Sowjetrußland die Macht darstellt, die es heute ist und die es morgen bleiben wird. Insofern könnte, Herr von Merkatz, das vereinigte Europa so etwas wie eine Brücke bilden: eine Kraft, die es der Sowjetunion ganz klarmacht, daß sie niemals willens ist, ihre Freiheit durch ein bolschewistisches System bedrohen zu lassen, die aber zugleich entschlossen ist, für ihre Völker den Frieden zu wahren. Sollte das ein Gebilde sein, mit dem Moskau nicht wohl rechnen könnte und auf Grund dessen Moskau nicht bereit sein könnte, sich einem System kollektiver Sicherheit anzuschließen und damit endlich den Kalten Krieg zu beenden? Ich behaupte, es steht ausschließlich bei Moskau, daß dieser Kalte Krieg beendet wird, und wir warten auf diese Entscheidung Moskaus.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Es ist in dieser Debatte des öfteren darauf hingewiesen worden, die Bemühungen der westlichen


    (Kiesinger)

    Verteidigung hätten je und je dazu geführt, daß Moskau im letzten Augenblick mit einlenkenden Vorschlägen gekommen sei. Wieviel daran wahr ist, mag dahingestellt bleiben. Im großen und ganzen waren es doch nur Störungsmanöver, Ablenkungsmanöver, zu denen sich Sowjetrußland bis jetzt entschlossen hat. Was in dem neuen Abrüstungsvorschlag Moskaus steckt, kann noch niemand von uns mit Sicherheit sagen. Wir sollten ihn gewiß nicht mit leichter Hand beiseite schieben.
    Es ist klar — ich will es ungeschminkt aussprechen —: der Tag muß kommen, an dem der Kalte Krieg beendet wird. Der Tag des Ausgleichs zwischen den Machtblöcken, wenn vorher nicht ein Wunder geschieht, muß kommen, damit endlich die Angst und die Sorge aus den Herzen der Menschen gerissen werden. Denn ein hundertjähriger Zustand des Kalten Krieges würde eines Tages den wirklichen Krieg bedeuten können.
    Aber wiederum sei betont: gerade weil wir dies so klar und genau sehen, machen wir eine Politik, die sich nicht auf Illusionen einläßt, die sich vor allen Dingen nicht leichtfertig mit einem Partner einläßt, von dem wir bisher nur erfahren haben, daß er keine andere Alternative kennt, nicht einmal, Herr von Merkatz, die Alternative der Hegemonie, von der Sie vorhin gesprochen haben, als die: entweder bist du mein Satellit oder du bist mein Feind!

    (Sehr gut! in der Mitte.)

    Und das wird in der Rede Molotows, wenn Sie sie sorgfältig durchlesen, meine verehrten Damen und Herren dieses Hohen Hauses, wieder ganz klar. Von Seite zu Seite spricht hier ein Mann, der sich die Welt, wie er sich ausdrückt, „freiheits- und friedliebender demokratischer Völker" nicht anders vorstellen kann als in der gegenwärtigen Ordnung des Sowjetmachtsystems, d. h. in der gegenwärtigen Ordnung des Satellitensystems. Niemals werden wir uns dazu bereit finden!

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Ich bin der Meinung, meine Damen und Herren — und die Geschichte beweist es immer wieder —: Frieden, Frieden machen, Frieden bewahren ist — in den Ausführungen meines Kollegen von Merkatz klang es schon an — nicht nur eine Frage der Gesinnung und des Wohlverhaltens. Ich habe schon erwähnt, daß es die Utopisten sind, die schon so häufig großes Elend über die Menschheit gebracht haben. Frieden bewahren ist eine schwere und harte Kunst. Frieden bewahren heißt eine richtige, kraftvolle Politik machen. Und das alles versuchen wir, Menschen, die wir sind, und im Bewußtsein auch unserer eigenen Fehlermöglichkeiten nun all die Jahre her zu tun.
    Herr Ollenhauer hat — auch dazu noch einen Satz — als ganz wesentlichen Fehler des Londoner Abkommens beanstandet, daß keine Kündigungsklausel enthalten sei, und Professor Carlo Schmid hat dem zugestimmt. Nun, dazu möchte ich zwei Dinge sagen. Jedes Kündigungsrecht ist zweiseitig, und daher ist in jedem Kündigungsrecht ein gewaltiges Risiko enthalten.
    Meine Damen und Herren! Wenn schon heute immer wieder davon geredet worden ist, man müsse ein System finden, bei dem weder der Westen noch der Osten sich bedroht fühlen könnten, dann möchte ich doch die Aufmerksamkeit dieses Hohen Hauses einen kleinen Augenblick auf die Tatsache zurücklenken, daß es ja auch notwendig ist, ein System zu finden, bei dem wir, dieses Land und dieses Volk sich nicht mehr bedroht fühlen können.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Dr. Schmid [Frankfurt]: Genau das!)

    Im übrigen ist die Frage, wieweit eine Bindung, eine Hemmung der deutschen Wiedervereinigungspolitik dadurch bestehen könne, daß die Bundesrepublik ihrerseits gewisse Verpflichtungen ohne formelle Kündigungsklausel eingegangen sei, wahrhaftig nicht so schlimm, wie sie gesehen wird. Ich sehe die Dinge folgendermaßen an. Dieses vereinigte Europa im Rahmen der atlantischen Solidarität kann ja nur existieren auf Grund einer wahrhaften Interessengemeinschaft. Die Interessengemeinschaft dieser Völker wird die weitere Entwicklung beeinflussen. Im Rahmen dieser Solidarität der westlichen Welt spielt unser Volk, spielt unser Land eine bedeutende Rolle.
    Übrigens hat sich die westliche Welt — man kann nicht genug darauf hinweisen — feierlich verpflichtet, das ihre mit allen Kräften dazu beizutragen, die deutsche Wiedervereinigung in Freiheit und in Frieden herbeizuführen. Sehr verehrter Herr Kollege Ollenhauer, da steckt nun nach meiner Meinung wirklich alles drin. Ich brauche nicht auf die berühmten völkerrechtlichen Grundsätze der clausula rebus sic stantibus hinzuweisen. Es könnte mißverstanden werden. Man könnte uns vielleicht, so wie es heute schon einmal in anderer Hinsicht geschehen ist, sagen: Aha, ihr schielt schon wieder nach der Möglichkeit, euch von eingegangenen Verbindlichkeiten zu lösen! Nein, das erklären wir in diesem Hause und vor aller Welt: wir werden die kommenden Aufgaben nur gemeinschaftlich mit der freien Welt lösen. Und wenn wir eines Tages glauben sollten, daß die von der Bundesrepublik eingegangenen Verpflichtungen einer Wiedervereinigung Deutschlands wirklich entgegenstehen, dann werden wir die Bitte an unsere Freunde in der westlichen Welt richten, die Dinge neu zu betrachten und neu mit uns zu verhandeln. Glauben Sie, daß eine politische Kraft, wie es Deutschland immerhin ist, im Rahmen der westeuropäischen Friedenssolidarität nicht Gewicht genug hätte, in der westlichen Welt jede ernsthafte Erwägung für diese neue Situation zu erwirken? Wenn ich die Verhandlungen in London zu führen gehabt hätte, hätte ich gerade im Interesse der deutschen Wiedervereinigung, die ja ohne Freiheit und Frieden nicht betrachtet werden kann, mich selber einer beiderseitigen Kündigungsklausel widersetzt.
    Sie haben, verehrter Herr Kollege Schmid, noch ein paar andere Besorgnisse gehabt, auf die ich kurz eingehen will. Sie sagten, all das, was wir hier tun, ist bestenfalls eine provisorische Notlösung. Ja, es ist eine provisorische Notlösung im Hinblick auf das Ziel einer endgültigen Bereinigung des Konflikts, der Herbeiführung eines echten Friedenszustandes in dieser Welt. Niemand von uns hat je etwas anderes gedacht oder etwas anderes gesagt. Sie sagten, es sei bedenklich, daß der Status Gesamtdeutschlands wegen dieser Bindungen der Bundesrepublik offengeblieben sei.

    (Abg. Dr. Schmid [Frankfurt]: Nein, Nein!)

    Diese Frage ist geklärt. Sie haben aber, glaube ich,
    noch ein anderes Bedenken gehabt, die Formulierung betreffend, daß die Regierung der deutschen


    (Kiesinger)

    Bundesrepublik berechtigt sei, in internationalen Angelegenheiten für Gesamtdeutschland. zu sprechen.

    (Abg. Dr. Schmid [Frankfurt] : Ich habe gesagt, warum; wegen des Zitats in der ,,Neuen Zürcher Zeitung"!)

    Sie wissen ja, daß das nichts Neues ist. In Wahrheit liegt ja der Akzent bei diesem Passus darauf, daß uns die westliche Welt erklärt: Für uns gibt es keine „Deutsche Demokratische Republik" als Vertreterin irgendeines Teiles des deutschen Volkes, sondern für uns gibt es nur die deutsche Bundesrepublik als Sprecherin ganz Deutschlands.

    (Abg. Dr. Schmid [Frankfurt]: Ja, so ist es!)

    Ich bin zwar bereit, der Sache politisch eine etwas weitere Interpretation zu geben, indem ich das der kommenden Entwicklung anvertraue. Ich sehe einen Wachstumsprozeß darin, daß wir immer mehr in die Rolle des Treuhänders für das gesamte deutsche Volk hineinwachsen.
    So glaubte ich, ein paar der heute hier angesprochenen Gesichtspunkte noch einmal klarstellen zu müssen. Aber sagen Sie nicht, verehrter Herr Kollege Ollenhauer, daß damit — denn der Prozeß der europäischen Integration, der kontinentaleuropäischen Integration wird ja weitergehen — eine neue Spaltung Europas drohe! Das ist in Wirklichkeit nie der Fall gewesen. Es gab gewisse englische Interessen im Zusammenhang mit jener Position Englands, die ich bereits zu zeichnen versucht habe, der Politik der balance of power und dergleichen. Aber die Engländer haben ja auch inzwischen eingesehen — es fiel ihnen schwer; es war ja auch nicht leicht, aus einer vielhundertjährigen politischen Tradition plötzlich herauszuspringen —, daß es geradezu ein Lebensrecht Kontinentaleuropas ist, sich enger zusammenzuschließen. Wo die Grenzen dessen liegen, was man England auf die Dauer zumuten kann, das ist eine Frage, die wir getrost der Zukunft und dem gemeinsamen Vertrauen der europäischen Partner und Großbritanniens selber überlassen wollen.
    Wir haben allen Grund, den Punkt, den wir heute in der Entwicklung erreicht haben, zu begrüßen, wenn auch nicht mit großem Jubilieren. Wer könnte dies angesichts der Lage unseres Volkes, angesichts der noch immer ungelösten Verteidigungsprobleme der westlichen Welt? Aber wir glauben sagen zu dürfen, daß trotz des Rückschlags in einer Etappe, der EVG, das in London Erreichte, soweit eine vorläufige Prüfung dieses Urteil schon zuläßt, Anlaß zur Genugtuung gibt. Es ist heute schon von verschiedenen Seiten — auch der Bundeskanzler hat es getan — der Dank an jene Völker und jene Politiker ausgesprochen worden, die auf diesem Wege mitgegangen sind. Wir haben jetzt jedenfalls das vorläufige Ergebnis einer echten europäischen Einigung vorbehaltlich der endgültigen Zustimmung aller Partner. Es beginnt sich die Möglichkeit eines endlichen deutschfranzösischen Ausgleichs abzuzeichnen. Wir haben Großbritannien auf dem Festland verpflichtet.
    Wir sehen, daß auch die Vereinigten Staaten von Nordamerika Genugtuung über das Erreichte haben. Ich kann diesen Augenblick nicht vorübergehen lassen, ohne einmal über die üblichen Versicherungen hinaus an die Adresse der Vereinigten Staaten von Nordamerika ein besonderes Dankeswort zu richten. Bis jetzt herrschte in der Geschichte der Völker leider Gottes jenes trübselige Einerlei, daß eine stärkere Macht ihr Verhältnis zu anderen Mächten meist nur dadurch glaubte regeln zu können, daß sie das unheilvolle Prinzip des „divide et impera", des „Teile und herrsche" anwandte. Die Vereinigten Staaten von Nordamerika haben das keinen Augenblick lang uns Europäern gegenüber getan; und das ist keine Kleinigkeit. Sie haben es nicht nur hinsichtlich der 150 Millionen Europäer nicht getan, die schließlich bereit waren, sich in der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft wie auch in der Politischen Gemeinschaft zusammenzufinden; sie haben es gegenüber ganz Europa nicht getan, als gegenüber einer Zahl von Völkern, gegenüber einer Millionenzahl von Menschen, die die Einwohnerzahl der Vereinigten Staaten von Nordamerika um ein sehr Erhebliches übertrifft, gegenüber einer in Zukunft möglichen Mächtekombination, die auch an Wirtschaftskraft den Vereinigten Staaten ebenbürtig oder nahezu ebenbürtig ist. Das festzustellen, ist einfache Pflicht der Anerkennung und des Dankes. Ich nenne dieses Verhalten der Amerikaner in den letzten Jahren großartig, segensreich und zukunftsträchtig.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Ich darf und will die Gelegenheit nicht vorübergehen lassen, ohne auch all jenen zu danken, die uns außerhalb der Gespräche der Sechs, der Sieben, der Acht oder der Neun auf unserem Wege ermutigt haben. Viele, die nie in Straßburg gesessen haben, die nie an diesen europäischen Verhandlungen beteiligt gewesen sind, haben uns durch ihren Zuspruch und ihren Rat den Entschluß leicht gemacht.
    Ich nehme die Gelegenheit gerne wahr, anläßlich des Besuchs des türkischen Ministerpräsidenten und des türkischen Außenministers in Bonn des großen, uns befreundeten türkischen Volkes in Dankbarkeit zu gedenken und ihnen und ihrem Volke zu versichern, daß wir in Deutschland ihrem Volke gegenüber die Gefühle engster Verbundenheit und Freundschaft hegen,

    (lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien)

    so wie auch die Türkei in den vergangenen Jahren unwandelbar an unserer Seite gestanden hat.
    Wir haben über die formulierten Verträge und Vertragsentwürfe hinaus sehr viel mehr erreicht, als viele Menschen in Europa wissen. Es ist ja leider so, daß unsere Publizistik meistens nur über ganz konkrete Erfolge oder Mißerfolge zu berichten weiß. Wir aber, die wir in ständiger Berührung mit den europäischen und den überseeischen Nachbarn stehen, die wir die große Freude haben, mit vielen, mit Hunderten von bedeutenden Politikern Europas und der übrigen Welt in immer engerer Zusammenarbeit und in freundschaftlichstem Kontakt zu stehen, wissen, daß Europa schon sehr, sehr viel weiter ist, als viele wissen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Wir alle wissen aus der Geschichte der Einigung der Nationalstaaten, daß dies die wichtigste Voraussetzung der Integration ist und nicht der in die Luft geworfene Entwurf utopischer Verfassungen: der Integrationswille der Gehirne und der Herzen der Menschen und der Völker, die zusammenkommen wollen. Dieser Integrationswille lebt. Auch der kontinentale Integrationswille ist nicht erloschen. Wir werden in voller Loyalität gegenüber den eingegangenen Verpflichtungen daran weiterarbeiten.


    (Kiesinger)

    Wir werden, davon bin ich überzeugt, allen Schwierigkeiten zum Trotz auch mit unserem französischen Nachbarvolk immer enger zusammenarbeiten. Und es wird der Tag kommen, und wir werden ihn erleben, meine Damen und Herren, wo die Fahnen des Sieges der europäischen Einigung über unseren Häuptern flattern werden.

    (Lachen bei der SPD.)

    Der Tag wird kommen, und Sie, meine Damen und Herren von der Sozialdemokratie, werden dann hoffentlich die Größe des Herzens haben, mit in die Hymnen des Sieges einzustimmen.

    (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU und der DP. — Lachen bei der SPD. — Zurufe von der SPD: Heil! Heil!)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Konrad Adenauer


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (None)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine Damen und meine Herren! Ich bin Herrn Abgeordneten Kiesinger und Ihnen allen sehr dankbar dafür, daß er unserer türkischen Gäste und des türkischen Volkes gedacht hat. Es ist in der Tat so, daß das türkische Volk durch viele Jahrzehnte hindurch eine wahre freundschaftliche Gesinnung gegenüber dem deutschen Volk gehabt hat, wie wir zu ihm, und daß die Trübungen, die gewesen sind, ausgeglichen und vorbei sind und daß uns wie zuvor eine herzliche Freundschaft verbindet.

    (Beifall im ganzen Hause.)

    Meine Damen und Herren! In einer halben Stunde wird in Paris die französische Nationalversammlung mit der Beratung der Londoner Abkommen beginnen. So ist in der Tat der heutige Tag nach meiner tiefen Überzeugung entscheidend für das Schicksal des deutschen Volkes und für Europa, entscheidend dafür, ob Friede und Freiheit erhalten bleiben oder nicht.
    Ich danke allen Rednern der Koalitionsfraktionen, daß sie sich mit solcher Wärme und mit solcher Überzeugungskraft für das eingesetzt haben, was in London vereinbart worden ist. Ich möchte auch an die Damen und Herren von .der Opposition die sehr dringende Bitte richten, doch einmal zu überprüfen, ob es nicht eine Möglichkeit für sie gibt, ebenfalls den Grundgedanken zuzustimmen, die in London festgelegt sind.
    Meine Damen und Herren, ich widerstehe der Versuchung, in den Protokollen über die Debatten nachzulesen, die das Thema der europäischen Verteidigung in den letzten Jahren betreffen, obgleich ich weiß, daß ich gerade bei der Lektüre der Ausführungen der Herren Kollegen Ollenhauer und Schmid eine reiche Fundgrube hätte, um das, was jetzt in London geschaffen worden ist, zu begründen. Aber ich widerstehe dem, meine Damen und Herren; es hat keinen Zweck.

    (Abg. Heiland: Nur ein kleiner Tropfen!)

    — Ja, eine kleine Erinnerung, Herr Heiland! Eine ganz kleine Erinnerung!

    (Abg. Heiland: Nach Manier Dr. Adenauer!)

    Ich wünschte, Sie würden mich auch immer so zart erinnern, wie ich das jetzt getan habe!

    (Heiterkeit und Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Aber ich möchte doch auf einige Ausführungen und Fragen, die von seiten der Herren von der sozialdemokratischen Opposition heute gestellt worden sind, Auskunft geben.
    Lassen Sie mich eines aber an die Spitze meiner Ausführungen stellen, ein Wort, das eben auf der Regierungsbank fiel und das mir im Ohr haften geblieben ist:
    Wie die Welt einmal ist, wie die Menschen
    einmal sind, ist der Frieden nicht etwas, was
    von Natur wegen dem Menschen geschenkt ist.

    (Sehr gut! bei der CDU/CSU.)

    Frieden, meine Damen und Herren, muß erarbeitet werden, Frieden muß mit Konsequenz und mit Zähigkeit und mit ruhiger Überlegung herbeigeführt werden, und der Frieden muß auch verteidigt werden — nicht mit den Waffen des Krieges, sondern mit den Waffen der Gesinnung und den Waffen des Beispiels.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD und bei den Regierungsparteien.)

    Nun, ein solches Beispiel hat die Bundesrepublik in London gegeben, als sie erklärt hat, daß sie aus den Gebrauch dieser fürchterlichen Waffen der Massenvernichtung, die allein doch schließlich auch Sowjetrußland schrecken könnten, verzichte und sich einer besonders strengen Kontrolle, daß dieser Verzicht innegehalten wird, zu unterwerfen bereit sei.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Sagen Sie nicht: „Das hast du leicht sagen! Ihr habt ja gar nicht die Möglichkeit, weder finanzieller noch physikalischer Art!" Um chemische Waffen herzustellen, braucht man keine solch besonderen Möglichkeiten, um biologische Waffen herzustellen, braucht man sie ebenfalls nicht; und wie es einmal mit der Entwicklung der Atomwaffen werden wird, das wissen wir jetzt auch noch nicht. Aber, meine Damen und Herren, die Bundesrepublik ist hier beispielhaft vorangegangen,

    (Beifall bei den Regierungsparteien)

    und ich glaube, das ist ein überzeugender Beweis für das, was wir wollen: Frieden in Europa und in der Welt. Ich war in London sehr glücklich, als sich spontan der Vertreter Belgiens und der Vertreter der Niederlande dieser Erklärung des deutschen Vertreters anschlossen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Meine Damen und Herren! Herr Kollege Ollenhauer hat seine Rede heute morgen damit begonnen, daß er sagte, die Europapolitik des Bundeskanzlers und der Regierungskoalition sei gescheitert, und Herr Kollege Schmid hat etwas Ähnliches gesagt. Wenn sie allerdings unsere Europapolitik mit der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft identifizieren, würden sie recht haben.

    (Abg. Mellies: Das haben S i e doch getan!)

    Aber ich darf Sie vielleicht ,an ein Wort erinnern, das Herr Robert Schuman, damals Außenminister — der Plan zur Europäischen Verteidigungsgemeinschaft ist, wie Sie wissen, von Frankreich ausgegangen —, gesagt hat. Er hat gesagt, normalerweise müßte es so sein, daß in dem ganzen europäischen Bau, den wir errichten wollen, die Verteidigungsgemeinschaft den Schlußstein bilden würde, wenn insbesondere auch die Politische Gemeinschaft geschaffen wäre. Aber — so hat er ausgeführt — nun


    (Bundeskanzler Dr. Adenauer)

    zwingen uns die Verhältnisse in der Welt, dieses Stück europäischer Gemeinschaft vorzuziehen und zu versuchen, es jetzt schon zu verwirklichen. Aber eines möchte ich Ihnen sagen — auch einer der Herren hat das heute morgen schon anklingen lassen —: Ohne die Auseinandersetzungen über die Europäische Verteidigungsgemeinschaft während aller dieser Jahre wäre der europäische Gedanke nicht so stark geworden, daß er in London diesen Erfolg hätte davontragen können.

    (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU und beim GB/BHE.)

    Wenn Sie mich nun fragen würden: Ist die Europäische Verteidigungsgemeinschaft besser oder der Brüsseler Pakt usw., dann würde ich in aller Offenheit sagen: zum Teil ist die Situation besser, zum Teil ist sie genau so gut, weil ein Teil aus der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft übernommen worden ist, und zum Teil ist sie schlechter. Aber es ist doch gerade die Kunst der Politik, daß, wenn ein Ziel wenigstens zur Zeit nicht erreichbar ist, man versucht, auf einem andern Wege zu einem mindestens gleich guten Ergebnis zu kommen.

    (Lebhafter Beifall in der Mitte und rechts.)

    Aber, meine Damen und Herren, die Londoner Besprechungen und das Londoner Abkommen erschöpfen sich doch in keiner Weise in militärischen Fragen, und ich bedauere eigentlich außerordentlich, daß man sich viel zuviel mit militärischen Fragen beschäftigt.

    (Zustimmung bei der CDU/CSU. — Lachen bei der SPD.)

    — Ja, meine Damen und Herren (zur SPD), das tun Sie; ich nicht!

    (Große Heiterkeit. — Beifall bei der CDU/ CSU. — Zurufe von der SPD.)

    Sehen Sie, meine Damen und Herren: daß wir endlich das Besatzungsregime hinter uns bekommen,

    (stürmischer Beifall bei den Regierungsparteien — Zurufe von der SPD)

    daß ein Volk von 50 Millionen braver, fleißiger, tüchtiger Menschen jetzt seine Freiheit wiederbekommt, das ist doch das Große!

    (Erneuter stürmischer Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Mellies: Wer hat denn das Junktim unterschrieben, Herr Bundeskanzler?)

    Und noch ein Weiteres lassen Sie mich wiederholen; man soll einfache, aber wahre Dinge mehrfach sagen, weil über allen möglichen Arabesken, die hier gemacht werden, vieles versinkt, was man sehen sollte.

    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

    Meine Damen und Herren! Der Art. 2 der UNO-Satzung, das Kernstück dieser UNO-Satzung, den ich so zusammenfassen möchte, daß keine Gewalt mehr angewendet werden soll, sondern im Wege der friedlichen Auseinandersetzung die Gegensätze beglichen werden sollen, ist von Deutschland bekräftigt worden und von den Mächten uns gegenüber bestätiigt worden!
    Nun zur Frage der Wiedervereinigung. Ja, meine Damen und Herren, die Wiedervereinigung hat auf der Londoner Konferenz eine sehr große und sehr entscheidende Rolle gespielt, und Sie reden vollständig an den Tatsachen vorbei, wenn Sie glauben, daß sie auf der Londoner Konferenz nicht eine wichtige Rolle gespielt hätte. Es wird mir gesagt, daß ich eine Chance ausgelassen hätte. Ich habe sie nicht nur nicht ausgelassen, meine Damen und Herren, sondern ich habe sie weidlich genützt. Lesen Sie doch bitte nach, was darüber in der Schlußakte der Londoner Konferenz steht. Da sind doch, und zwar losgelöst von dem Junktim zwischen dem Bonner Vertrag und der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft, die Bestimmungen über eine gemeinsame Politik in der Frage Gesamtdeutschlands niedergelegt. Darin steht doch, daß die Schaffung eines völlig freien und vereinigten Deutschlands durch friedliche Mittel ein grundsätzliches Ziel der Politik der Drei Mächte und der Bundesrepublik bleibt.

    (Starker Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Meine Damen und Herren, der Berliner Bürgermeister Schreiber hat sich durch ein sehr schönes Telegramm bei der Bundesregierung dafür bedankt,

    (Lachen bei der SPD)

    daß wir bei diesen Verhandlungen auch für Berlin gesorgt haben.

    (Beifall bei der CDU/CSU. — Unruhe bei der SPD.)

    Nun wollte ich etwas über den Brüsseler Pakt sagen. Vorher allerdings möchte ich einige Worte sagen über die Ausführungen des Kollegen Ollenhauer, daß sich die Lage seit Korea gebessert habe. Das ist nach meiner Meinung nicht der Fall.

    (Sehr richtig! rechts. — Zuruf von der CDU/CSU: Nach Molotows Meinung!)

    Es ist gelungen, unter blutigen Kämpfen in Korea einen Status herzustellen, der weder Krieg noch Frieden ist. Es ist gelungen, in Indochina den Krieg zu beenden. Aber, meine Damen und Herren, glauben Sie nicht, daß damit in Indochina friedliche Zustände eingetreten sind!

    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

    Und von neuem fängt es an — wenn man auf die äußeren Ereignisse sehen will — zwischen Rotchina und Formosa. Dort schwelt es doch schon die ganze Zeit, dort liegt eine akute Gefahr. Dort fängt es wieder an zu brennen! Und endlich, was ist denn das wahre Kennzeichen der Spannungen in unserer Welt? Das ist doch die ungeheure Aufrüstung auf allen Seiten!

    (Sehr richtig! rechts.)

    Sie beweist doch, daß diese Spannungen noch unverändert vorhanden sind!

    (Unruhe bei der SPD.)

    Daher kann wirklich niemand sagen, daß eine allgemeine Entspannung eingetreten sei. Sicher wollte Herr Ollenhauer nicht sagen — ich glaube, er hat es auch gar nicht gesagt — —

    (Große Heiterkeit.)

    — Ja, meine Damen und Herren, ich konnte doch das Stenogramm noch nicht lesen. — Sicher wird Herr Ollenhauer nicht behaupten wollen, die Spannungen seien bis zu einem Grad geschwunden, daß militärische Sicherungen nicht mehr nötig seien.

    (Abg. Kunze [Bethel] : Hat er auch nicht gesagt! — Erneute große Heiterkeit. — Zurufe von der SPD.)



    (Bundeskanzler Dr. Adenauer)

    Aber nun der Brüsseler Pakt! Es liegt Herrn Ollenhauer und den Mitgliedern der sozialdemokratischen Fraktion ebenso wie uns allen am Herzen, daß durch einen Sicherheitspakt in Europa und in der Welt Ruhe und Frieden und Abrüstung eintritt.

    (Zustimmung bei der CDU/CSU.)

    Nun betrachten Sie doch gerade den Brüsseler Pakt im Hinblick auf die Kennzeichen, Herr Ollenhauer, die die wahren Kennzeichen eines Sicherheitssystems sind! Der Brüsseler Pakt, dem angehören: Großbritannien, Italien, Deutschland, Frankreich und die Benelux-Länder und dem, wie ich mit Sicherheit glaube sagen zu können, weitere europäische Staaten sich anschließen werden, hat doch die beiden wesentlichen Kennzeichen eines kollektiven Sicherheitspaktes in sich, nämlich einmal eine Begrenzung der Rüstung und zweitens eine effektive Kontrolle dieser Rüstung.

    (Sehr richtig! in der Mitte.)

    Betrachten Sie doch bitte den Brüsseler Pakt einmal auch von dieser Seite! Er ist doch gleichzeitig ein Sicherheitspakt zur Wahrung der Ruhe in Europa, geschlossen für 50 Jahre. Die jetzige Spannung zwischen Osten und Westen wird, wie wir alle hoffen, eines Tages aus der Welt verschwinden. Aber dann wird dieser Sicherheitspakt, der Brüsseler Pakt, die Funktion haben, unter den europäischen Mächten Frieden und Ruhe und gegenseitige Sicherheit zu garantieren. Ich wiederhole: betrachten Sie doch bitte auch unter diesem Gesichtspunkt einmal den ganzen Vertrag.
    Nun möchte ich doch noch etwas zu der „Besserung der Lage" sagen. Ich gestehe Ihnen aufrichtig
    — man kann ja jetzt ruhig darüber sprechen —, daß ich, solange ich die Ehre habe, die Geschäfte des Bundeskanzlers zu führen, also seit dem Jahre 1949, aber auch schon in den Jahren vorher, niemals in einer solchen Sorge und ernsten Unruhe über unser aller Geschick gewesen bin wie in der Zeit seit Mitte August.

    (Abg. Dr. von Brentano: Sehr gut!)

    Ich kann Ihnen das mit sehr wenigen Sätzen erklären. Durch das Scheitern des Vertrages über die Europäische Verteidigungsgemeinschaft bestand die außerordentlich ernste Gefahr, daß die Vereinigten Staaten sich von Europa abwenden würden.

    (Zurufe von der SPD.)

    — Glauben Sie mir, meine Damen und Herren, die Gefahr war sehr groß und sehr ernst.

    (Abg. Dr. von Brentano: Sehr richtig!)

    Ich bin nicht in der Lage, Ihnen hier zu sagen
    — ich will es Ihnen unter vier Augen, meinetwegen unter acht Augen gern sagen —, wie die Stimmung in den Vereinigten Staaten bei maßgebenden Stellen ist. Aber glauben Sie mir, die Gefahr war sehr nahe und sehr ernst, und sie hätte für uns alle miteinander, für die Deutschen und die Franzosen, die Italiener, für alle miteinander den Verlust von Frieden und von Freiheit bedeutet.
    Dann hat Herr Ollenhauer gefragt: Wird dann dieser Vertrag die Sicherheit für uns erhöhen? Ich habe die Frage eben zum Teil schon dadurch beantwortet, daß ich auf die Funktion des geänderten Brüsseler Pakts innerhalb der europäischen Völker hingewiesen habe. Aber ich füge noch folgendes hinzu: Durch den Brüsseler Pakt wird Großbritannien mit dem Geschick des Kontinents verbunden, und ich glaube, niemals werden die Vereinigten Staaten unbeteiligt bleiben, wenn insbesondere die zweite angelsächsische Macht, Großbritannien, auf Gedeih und Verderb mit dem Kontinent verbunden ist.

    (Abg. Dr. von Brentano: Sehr richtig!)

    Infolgedessen sage ich Ihnen: Ja, durch den Brüsseler Pakt wird die Sicherheit für uns in eminenter Weise erhöht, nicht durch die zwölf Divisionen allein, meine Damen und Herren — das gehört auch dazu —, aber sie wird erhöht durch die politische Weltlage, die dadurch geschaffen ist, während wir vorher einfach in der Schwebe gewesen sind.

    (Sehr richtig! in der Mitte.)

    Ich muß jetzt zu einigen kleineren Fragen übergehen. Ich bin gefragt worden, ob wir einen Art. 48 vorbereiten. Sehen Sie, wenn ich darauf geschwiegen hätte, würde, davon bin ich überzeugt, hier oder da in der Presse gestanden haben: Aha!

    (Heiterkeit.)

    Deswegen möchte ich Ihnen laut und deutlich sagen: nein.

    (Abg. Dr. von Brentano: Bravo!)

    Dann bin ich zum Thema Saar gefragt worden. Es ist richtig, daß mir der französische Ministerpräsident nach Schluß der Konferenz gesagt hat: Wir müssen uns aber über die Saarfrage unterhalten. Wir haben dann, wie Sie aus der Presse ersehen haben, abgesprochen, daß dieses Gespräch am 20. Oktober in Paris stattfinden soll. Die heutigen Äußerungen über die Regelung der Saarfrage hier in diesem Raume habe ich natürlich sehr gut beachtet, und ich kann Ihnen sagen: 'im großen und ganzen stimmen sie vollkommen mit meiner Überzeugung überein.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Nun noch folgendes. Sie werden denken, es ist eine Kleinigkeit; aber „vestigia terrent"; es ist schon mal so passiert, deswegen wollen wir aufpassen. Herr Kollege Ollenhauer hat gesagt, wir sollten alle diese Dinge nicht übereilen, und er hat so nett gesagt: in der Fixigkeit hätten wir die Fleißnote Nummer 1 bekommen. Nein, das ist ein Irrtum. Die Vereinigten Staaten und Großbritannien hatten viel schneller gearbeitet;

    (Heiterkeit)

    die waren schon im Sommer fertig.

    (Abg. Ollenhauer: Das bezog sich auf EVG!)

    Wir haben, Herr Kollege Ollenhauer — jetzt sehe
    ich mal vom Bundesverfassungsgericht ganz ab —,

    (lebhafte Heiterkeit)

    wir haben hier in diesem Saal über 10 Monate daran gearbeitet.

    (Sehr richtig! in der Mitte.) So besonders fix war es also nicht.


    (Abg. Mellies: Bei uns gab es ja auch das Junktim, Herr Bundeskanzler!)

    Es wäre aber sehr wünschenswert, daß, nachdem doch jetzt die ganze Materie uns allen klar vor Augen liegt, sobald die Dokumente im Wortlaut fertiggestellt sind und wir sie Ihnen vorlegen können, dann auch möglichst schnell die Ratifizierung


    (Bundeskanzler Dr. Adenauer)

    erfolgen kann, damit wir unseren Beitrag dazu geben, daß die Unruhe aus der Welt kommt. Das ist das Wesentliche.

    (Unruhe bei der SPD.)

    Und nun die Frage der Wiedervereinigung! Meine Damen und Herren, ich empfinde es — ich habe das neulich in Offenbach einmal sehr deutlich gesagt — immer etwas peinlich, wenn Deutsche sich gegenseitig vorhalten, der eine tue mehr für die Wiedervereinigung als der andere,

    (Sehr richtig! in der Mitte)

    und dem einen liege sie nicht so sehr am Herzen wie dem andern. Ich muß sehr nachdrücklich erklären — und ich bin Herrn Kollegen Dehler dankbar, daß er das gesagt und mir das bezeugt hat —: Mir liegt — und ich bitte, davon Kenntnis zu nehmen — die Wiedervereinigung Deutschlands genau so am Herzen und ich arbeite mit ganzer Kraft genau so gut dafür wie irgendeiner sonst hier im Saal.

    (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU, FDP und DP.)

    Aber nun lassen Sie mich übergehen zu der Frage: Wie wird sich der Abschluß der Verträge, die Ihnen vorgelegt werden, zu der Frage der Wiedervereinigung stellen? Wird er sie beschleunigen? Wird der Abschluß sie verhindern? — Ich möchte eine Gegenfrage stellen, und auch an den Herrn Kollegen Schmid möchte ich die Gegenfrage stellen. Glaubt denn einer von Ihnen, daß, wenn diese Pakte nicht geschlossen werden, wenn also in Verfolg dessen dieses Europa zerrissen, geschwächt und miteinander verfeindet liegenbleibt und wenn die Vereinigten Staaten sich von einem solchen Europa abwenden, glaubt einer, daß Sowjetrußland dann kommen wird, um uns die Sowjetzone in Frieden und Freiheit auf den Händen entgegenzubringen, und sagen wird: Da habt ihr euch wieder, seid glücklich?! — Ich glaube es nicht.

    (Lebhafter Beifall und Heiterkeit bei den Regierungsparteien. — Abg. Dr. Arndt: Das sind doch ganz alberne Unterstellungen! — Abg. Samwer: Diese Rüpelhaftigkeit! — Weitere Gegenrufe von der Mitte: Unerhört! — Flegelei! — Unruhe.)

    — Das Wort „albern" ist etwas hart, aber ich trage es.

    (Heiterkeit und Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Dr. Arndt: So können wir doch nicht miteinander reden! — Weitere Zurufe von der SPD.)

    Nun darf ich fortfahren. Aber lassen Sie mich vorerst doch sagen, wie der Stand der Dinge, der Verhandlungen mit Sowjetrußland zur Zeit ist. Vor wenigen Wochen ist eine Note der Drei an Sowjetrußland ergangen, die Antwort auf die Sowjetnote wegen Verhandlungen über die Wiedervereinigung Deutschlands. In dieser Note ist gesagt, daß man zu Verhandlungen bereit sei, sobald Sowjetrußland die freien Wahlen in dem Sinne, wie sie auf der Berliner Konferenz erörtert worden sind, konzediere. Ich glaube, es ist doch keiner hier im Saale, der von dieser Forderung auf freie Wahlen abzugehen bereit ist. Nun müssen wir abwarten, was Sowjetrußland dazu sagen wird. Wird es ja sagen? Wird es nein sagen? Wenn es ja sagt, werden — davon bin ich fest überzeugt, und wir werden auch darum bitten, daß es geschieht — die Verhandlungen wieder in Gang kommen.
    Aber nun die These: Man kann so etwas wie den Brüsseler Vertrag erst beschließen, wenn feststeht, daß Sowjetrußland sonst zu einer Wiedervereinigung nicht ja sagt. Es ist hier viel darüber gesprochen worden; Herr Kiesinger hat viel dazu gesagt; ich brauche dem weniges hinzuzusetzen.
    Ich habe mir zwischendurch einmal ein Verzeichnis der Vier-Mächte-Konferenzen über Deutschland geben lassen. Ich möchte es Ihnen doch vorlesen: Moskau vom 10. März bis 24. April 1947, London vom 25. November bis 15. Dezember 1947, Paris vom 23. Mai bis 20. Juni 1949, Paris Stellvertreterkonferenz vom 4. März bis 20. Juni 1951, Berlin vom 26. Januar bis 18. Februar 1954. Keine einzige dieser Verhandlungen hat uns auch nur einen Schritt weitergebracht.

    (Sehr richtig! bei den Regierungsparteien.) Ich kann wirklich nicht glauben — und ich glaube, auch keiner der Damen und Herren hier im Saal kann das meinen, wenn er sich das einmal ruhig und unvoreingenommen von all dem Staub und Lärm und Nebel aus den Streitigkeiten der vergangenen Jahre überlegt —, daß der Abschluß eines Paktes zwischen den sieben Ländern, die ich vorhin genannt habe, eines Paktes, der ihre Rüstungen begrenzt, der sie der Kontrolle unterwirft und der ausdrücklich zu dem Zwecke geschlossen wird, einen Angriff auf einen der Betreffenden abzuwehren, also eines reinen Defensivvertrages, Sowjetrußland irgendwie aufregen könnte, es sei denn, es habe die Absicht, einen der Betreffenden anzugreifen. Aber man sagt doch allgemein, das sei nicht der Fall.

    Nehmen Sie also die Dinge doch, wie sie wirklich sind, und lösen Sie sie nicht aus dem Zusammenhang. Die Frage der Wiedervereinigung Deutschlands ist ein Teil des ganz großen Spannungsfeldes, das sich über die Erde erstreckt, und nichts anderes.
    Den Abschluß des Brüsseler Vertrages kann Sowjetrußland in keiner Weise als Drohung empfinden; es wird ihn auch nicht als Drohung empfinden.
    Meine Damen und Herren, ich möchte nicht mehr viel sagen, ich möchte mit wenigen Worten schließen. Das deutsche Volk hat sich nach den Jahren des Nationalsozialismus, nach diesem furchtbaren Kriege, der nicht nur bei uns furchtbar war, sondern der in vielen Ländern der Welt blutige Wunden geschlagen hat, die noch nicht geheilt sind, seit diesem Zusammenbruch durch seine guten Eigenschaften, durch seinen Fleiß, seine Tatkraft, seine Mäßigung, auch in politischer Hinsicht, das Vertrauen und die Achtung der übrigen Welt wiedererworben.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Was sich jetzt in London ereignet hat, ist nichts anderes als die Anerkennung der freien Welt für diese guten Eigenschaften des deutschen Volkes.

    (Erneuter Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Daher bitte ich Sie sehr: Prüfen Sie doch die Sachlage und fallen Sie nicht auseinander! Versuchen wir doch einmal, in Einigkeit zu einer Entschließung zu kommen in einer Frage, die von einer solchen Bedeutung ist über viele Geschlechter hinaus, für Deutschland, für unser gemeinsames Vaterland, für das Volk, dem wir angehören.

    (Langanhaltender, sich erneuernder lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Dr. von Merkatz bittet ums Wort.)