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    2. Deutscher Bundestag — 47. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Oktober 1954 2235 47. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 7. Oktober 1954. Geschäftliche Mitteilungen . . . . 2235, 2320 A Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung vom 5. Oktober 1954 (Londoner Konferenz) (Anträge Drucksachen 863, 864): 2235 C Ollenhauer (SPD) 2235 A, 2306 C, 2308 B, 2309 A, 2314 B Dr. von Brentano (CDU/CSU): zur Sache .. 2242 B, 2248 B, 2305 A, B zur Geschäftsordnung .. . . . 2286 C Erler (SPD) . . 2248 B, 2287 A, D, 2290 D, 2291 C, 2292 A, B, 2294 A, 2317 D, 2318 C Dr. Dehler (FDP) 2249 D Haasler (GB/BHE) 2249D Dr. von Merkatz (DP): zur Sache 2257 D zur Geschäftsordnung. . . . 2286 A, D Dr. Baron von Manteuffel-Szoege (CDU/CSU) 2264 D Stegner (Fraktionslos 2267 B Dr. Schmid (Frankfurt) (SPD) . 2269 B, 2277 D, 2316 C Kiesinger (CDU/CSU) . . . 2274 A, 2290 C, 2291 C, 2293 D Dr. Adenauer, Bundeskanzler . . 2282 A, 2287 D, 2305 C, 2311 D, 2315 C, 2317D, 2318 C, D Mellies (SPD) (zur Geschäftsordnung) 2286 B Euler (FDP) : zur Geschäftsordnung 2286 C zur Sache . . . . . . . . 2319 C D. Dr. Gerstenmaier (CDU/CSU) . 2292 A, C, 2294 D, 2304 B, 2308 A, 2309 A, C, 2319 B D. Dr. Ehlers (CDU/CSU) . . 2299 C, 2300 C, 2310 B, 2311 B Dr. Arndt (SPD) 2300 C, 2303 A, 2304 C, 2305 B, C Wehner (SPD) 2309 D Heiland (SPD) 2311 A Dr. Becker (Hersfeld) (FDP) . . . 2312 C Dr. Kather (GB/BHE) 2319 A Überweisung des Antrags Drucksache 863 an den Auswärtigen Ausschuß . . . . 2320 C Annahme des Antrags Drucksache 864 2320 C Nächste Sitzung 2320 C Die Sitzung wird um 9 Uhr 5 Minuten durch den Präsidenten D. Dr. Ehlers eröffnet.
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    Rede von Dr. Kurt Georg Kiesinger


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin dem Herrn Kollegen Professor Carlo Schmid dankbar für eine Reihe sehr konkreter Fragestellungen, auf die ich antworten kann. Ich kann schon vorweg sagen, daß eine ganze Reihe seiner Besorgnisse von mir widerlegt werden können. Ich habe nicht die Absicht, jetzt etwa in die Vergangenheit zurückzusteigen und jene Rechnung aufzumachen, die heute schon zu verschiedenen Malen vorgelegt worden ist, wer sich in der Vergangenheit getäuscht und wer recht behalten habe. Aber, verehrter Herr Kollege Ollenhauer, Sie müssen mir schon gestatten, wenigstens zwei Sätze dazu zu sagen.

    (Abg. Mellies: Also doch!)

    Wir haben ja eine ganze Menge der Aussprüche, der Reden und der Verlautbarungen der Sozialdemokratischen Partei auch in unserem Archiv, und es wäre sehr leicht, nun hier eine Blütenlese dieser Verlautbarungen dem Hohen Hause darzubieten,

    (Abg. Schoettle: Da müßten wir noch eine Sondersitzung machen!)

    um zu beweisen, daß die Sozialdemokratie wahrlich nicht recht behalten hat.
    Ich kann es sehr einfach machen. Es ist richtig, verehrter Herr Kollege Schmid: Wir haben ein Ziel, ein Zwischenziel unserer bisherigen Politik nicht erreicht, nämlich die Europäische Verteidigungsgemeinschaft. Niemand von uns wird sich dagegen wehren, wenn Sie das auch sonst in der Öffentlichkeit so formulieren. Aber es ist ja ganz anders formuliert worden. Man hat gesagt: die Politik des Bundeskanzlers sei gescheitert.

    (Abg. Dr. Schmid [Frankfurt]: Aber Herr Kiesinger, Sie haben doch dieses sogenannte Zwischenziel als das Kardinalziel schlechthin bezeichnet! — Weiterer Zuruf von der SPD: Ohne jede andere Alternative!)

    — Nein, verehrter Herr Kollege Schmid, das hat niemand von uns jemals getan.

    (Oh-Rufe und Widerspruch bei der SPD. — Zuruf von der SPD: Wären Sie nur sonst so bescheiden gewesen!)

    Lassen Sie mich ausführen, was wir gesagt haben.

    (Zuruf von der SPD: Das können wir nachschlagen!)

    Ich habe schon bei meinen letzten Ausführungen hier in diesem Hohen Hause, meine verehrten Kollegen von der Opposition, gesagt, daß wir uns vielleicht doch angewöhnen sollten, genau zuzuhören.

    (Erneute Zurufe von der SPD.)

    Was haben wir also als unser Ziel bezeichnet und betrachtet? Meine Damen und Herren, von dem Augenblick an, als es wieder die Möglichkeit gab, für Deutschland zu handeln, war das Ziel klar. Es hieß: erstens: das deutsche Volk aus seiner Isolierung herauszuführen zurück in die Gemeinschaft der Völker, zweitens: das deutsche Volk wieder freizumachen, d. h. das Besatzungsregime zu beenden. Und es hieß ferner, diese Ziele für das ganze deutsche Volk zu erreichen. Das war, das ist und das bleibt unser Ziel.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der DP.)

    Allerdings kam sehr bald eine andere Einsicht hinzu. Hätten wir noch in der Zeit nach dem ersten Weltkrieg gelebt, so wäre es wahrscheinlich mit dieser Zielsetzung genug gewesen. Wir sahen aber, daß sich inzwischen eine Weltlage entwickelt hatte, in der die Zielsetzung der Erlangung einer nationalen Souveränität einfach zuwenig war. Wer sich damit begnügt hätte, hätte schlechte Politik gemacht. Wir erkannten, daß angesichts der Bildung gewaltiger Machtblöcke, insbesondere des östlichen Machtblocks, ein nationales souveränes Deutschland viel zu schwach sein würde, um der großen Bedrohung von dorther zu widerstehen. Daher konnten wir auch nur eine gute nationale Politik treiben, indem wir eine gute europäische Politik trieben; denn Europa war mit uns in der gleichen Lage.

    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

    Daraus entwickelten sich nun die Bemühungen der vergangenen Jahre. Dabei tauchte eine große Reihe von Schwierigkeiten auf. Ich sagte schon: dieses Europa war hineingestellt zwischen die beiden großen Machtsysteme, zwischen den Sowjetblock, zu dem später China hinzutrat, und den Block der, ich will einmal sagen: maritimen Mächte mit den Vereinigten Staaten als Mittelpunkt. Dabei war dieser maritime Block schon wieder problematisch genug, da natürlich zwischen den Vereinigten Staaten von Nordamerika und dem britischen Weltreich zwar keine vitalen Gegensätze bestanden, aber immerhin gewisse Differenzierungen der Meinungen und der politischen Tendenzen in der Welt.
    Ich will einmal absehen von den großen Völkern des Ostens, etwa dem großen indischen Volk, auch dem chinesischen Volk, von dem ich sehr hoffe, daß es nicht ein Satellit Moskaus werden oder bleiben wird. Ich will auch absehen von dem sich vielleicht bildenden großen Block der islamischen Welt und auch von Südamerika. Wir sollten auch diese Dinge in unsere Betrachtungen mehr einbeziehen, als wir es im allgemeinen bei den Debatten in diesem Hause tun. Davon will ich aber jetzt„ wie gesagt, absehen.
    Es bildete sich für uns Europäer ein eigentümliches Problem heraus. Wenn wir Kontinentaleuropäer von Europa sprechen, dann gebrauchen wir ein Wort, das wir in der Schule gelernt haben. Es ist noch immer das alte Europa von der Pyrenäenhalbinsel bis zum Ural.

    (Abg. Dr. Greve: Mit dem Ural würde ich ein bißchen vorsichtig sein! Da ist Herr Hallstein zuständig!)



    (Kiesinger)

    — Lieber Herr Dr. Greve, das ist immer noch der geographische Europabegriff.
    Wenn wir vom freien Europa sprechen, dann haben wir ganz selbstverständlich Großbritannien mit einbezogen; ich meine nun wirklich nur Großbritannien, nicht einmal das britische Weltreich. Bei einem kurzen Besuch in England, meine sehr verehrten Herren Kollegen, können Sie sich aber davon überzeugen, daß unsere britischen Nachbarn ganz anderer Auffassung sind. Sie fragen Sie nämlich freundlich einen Tag vor Ihrer Abreise: ,,Wann gedenken Sie nach Europa zurückzufahren?" Und britische Post, die für den Kontinent bestimmt ist, trägt den offiziellen Aufdruck: "To Europe". Nun will ich nicht behaupten, daß sich die Engländer zu Asien oder zu Amerika oder zu Australien rechneten. Aber sie haben ihren eigenen Standort in dieser Welt; wir wissen es alle. Sie liegen zwar an der Küste Europas, blicken aber über die sieben Meere auf ihr großes Weltreich, das ihnen immer noch sehr viel bedeutet, und sie haben im Laufe der letzten 400 Jahre alles getan, um uns Kontinentalen deutlich zu machen, daß sie sich dieses Reservat, nur bedingt zu Europa zu gehören, nicht wegnehmen lassen werden.
    Vielleicht haben manche das verkannt. Ich gebe Ihnen und auch Herrn von Merkatz zu, daß man möglicherweise Großbritannien bei den europäischen Planungen mehr zugemutet hat, als es leisten kann. Ich darf persönlich für mich in Anspruch nehmen, daß ich in dieser Frage immer etwas skeptischer dachte als mancher meiner Freunde. Aber das besagt nicht, daß der Versuch nicht unternommen werden sollte. Es ist außerordentlich schwer, in einer Zeit wie der unseren, nach einem Weltkrieg, der alles auf den Kopf gestellt hat, festzustellen, ob die alten geographischen, politischen und geopolitischen Gesetzmäßigkeiten noch ihre Gültigkeit behalten haben oder ob die Möglichkeit besteht, einen wirklich neuen Abschnitt politischen Handelns zu beginnen.
    Für England — ich schicke das vorweg — muß man sagen, daß die Entscheidungen nicht erst der Londoner Konferenz, aber erst recht der Londoner Konferenz, bedeuten, daß England eine Epoche seines politischen Verhaltens gegenüber Kontinentaleuropa beendet und eine neue begonnen hat. Das heißt allerdings nicht, daß England bereit sein könnte, einen so engen Zusammenschluß mit anderen europäischen Staaten einzugehen, wie es eine Reihe von europäischen Staaten gewollt haben und ferner wollen.
    Hieraus ergab sich jene eigentümliche Problematik, die uns seit Jahren bekannt ist. Wir haben im Europarat diese Kämpfe zwischen den Föderalisten und den Funktionalisten bis zum Überdruß durchgestanden.

    (Abg. Dr. Schmid [Frankfurt]: Es wird wieder beginnen müssen, fürchte ich!)

    — Wahrscheinlich wird dieser Kampf überhaupt nicht aufhören, solange nicht der Kanal zwischen dem Kontinent und Großbritannien durch irgendein Wunder der Schöpfung zu Festland geworden ist, Herr Kollege Schmid,

    (Zuruf des Abg. D. Dr. Gerstenmaier.)

    — Lieber Freund Gerstenmaier, ich gestehe Ihnen gern einen etwas größeren Optimismus zu; aber ich persönlich bin Formulierungen wie der, die englische Grenze liege heute an der Elbe usw.,
    immer nur mit einem leichten skeptischen Lächeln begegnet. Es hat noch etwas für sich, ein gutes Stück Meer zwischen sich und den Bolschewiken zu haben. Doch das bedeutet ja nun nicht, daß im Laufe der kommenden Jahre die Entwicklung der englischen Politik nicht über den bisher erreichten Punkt hinausgehen könnte.
    Ich habe diese Ausführungen deswegen gemacht, meine Damen und Herren, weil ich einmal ganz klar das eigentlich kontinentaleuropäische Anliegen herausstellen wollte. Man hat es in einem guten Teil Europas und vor allen Dingen in Großbritannien für genügend erachtet, den Schutz Europas dadurch sicherzustellen, daß man die atlantische Verteidigungsgemeinschaft gründete und immer enger ausgestaltete. Wir waren von vornherein der Auffassung, daß das allein für den endgültigen Schutz, für die Stabilisierung der Sicherheit Kontinentaleuropas nicht ausreichen würde, d. h. wir waren der Meinung, daß sich die kontinentaleuropäischen Staaten in einer engeren Form zusammenschließen müßten. Das ist eine sehr einfache Überlegung. Dieses Europa und gerade auch dieses Kontinentaleuropa, einst der führende Kontinent, von dem die ganze Prägung unseres Planeten ausgegangen ist, ist nun nach zwei Weltkriegen in kleine, armselige Nationalstaaten aufgelöst und zersplittert, auf einem so engen Raum zusammengepfercht, daß diese Staaten für sich allein nicht hoffen können, jemals wieder eine Politik zu machen, die man als souverän bezeichnen könnte. Auch im Rahmen eines atlantischen Sicherheitssystems wäre dieses Kontinentaleuropa sicherlich der schwächste Teil, wenn es auf unabsehbare Zeit in seine kleinen nationalen Staaten aufgesplittert bliebe. Daher muß der Prozeß der kontinentaleuropäischen Integration auch nach dem Ergebnis der Londoner Konferenz weitergehen. Wir haben zu verschiedenen Malen betont, daß das Londoner Abkommen Ansätze dieser Art enthält. Aber, meine Damen und Herren, mehr als diese vertraglichen Ansätze sind für mich die Millionen von auf diesem europäischen Kontinent lebenden Menschen Garantie dieser Weiterentwicklung. Es sind Menschen, die wissen, daß die Entscheidung über das Schicksal Europas und gerade Kontinentaleuropas darin beschlossen liegt, ob dieses Kontinentaleuropa wirklich den Willen zu diesem Zusammenschluß findet.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Dieses Ziel, meine Damen und Herren, war und ist wahrhaftig des Schweißes der Edlen wert.

    (Zustimmung bei den Regierungsparteien.) Wir haben es nicht — noch nicht — erreicht. Sie, verehrter Herr Kollege Schmid, haben uns darauf aufmerksam gemacht — und Herr Kollege Ollenhauer hat es auch getan —, wir hätten früher einsehen müssen, daß dieses Ziel nicht erreicht werden könnte. Sie haben von dem pays réel gesprochen. Aber die Frage nach dem pays réel ist es gewesen und ist es heute noch, die nicht ohne weiteres in ihrem Sinne beantwortet werden kann. Was war denn die Meinung der französischen Öffentlichkeit zum EVG-Vertrag? Immer wieder haben uns Franzosen gesagt: Das französische Volk, das pays réel, denkt über den europäischen Zusammenschluß sehr viel positiver als das Parlament.


    (Zustimmung in der Mitte und rechts.)

    Erinnern Sie sich?
    Wir wissen, was Gallup-Umfragen, Meinungsbefragungen auf sich haben; aber in der Erfahrung


    (Kiesinger)

    der letzten Jahre haben wir ja gewisse Bestätigungen gefunden.

    (Abg. Dr. Schmid [Frankfurt]: Sogar der letzten Wochen!)

    — Gut, gut, sogar der letzten Wochen! bloß müssen Sie richtig interpretieren, verehrter Herr Kollege Schmid!

    (Heiterkeit. — Zuruf von der SPD: Das ist nicht gesagt, daß Sie es tun!)

    Eine Umfrage hat damals, Ende 1953, im französischen Volk folgendes Ergebnis gehabt: Von den Befragten stimmten 46 % für die EVG, 22 % dagegen; der Rest war unentschieden und ohne eigene Meinung. Ich will das mit allem Vorbehalt gegenüber solchen Umfragen anführen, um Sie darauf hinzuweisen, daß das pays réel in Frankreich auch heute noch wesentlich anders denken kann — und nach meiner Überzeugung sogar wesentlich anders denkt — als das zur Zeit bestehende französische Parlament. Die Nachwahlen der letzten Zeit in Frankreich haben uns jedenfalls in dieser Überzeugung gestärkt, weil sich bei ihnen stets überzeugte Anhänger der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft durchgesetzt haben.

    (Abg. Dr. Schmid [Frankfurt] : Herr Kiesinger, es gibt im Leben der Nationen Dinge, die viel tiefer liegen, als man es durch Meinungsumfragen erfassen kann!)

    — Sicherlich, aber man muß doch wohl auf irgendeine Weise, da Sie nun einmal das Thema angeschnitten und uns vorgeworfen haben, wir hätten nicht das richtige Fingerspitzengefühl für dieses pays réel gehabt, nachweisen, daß es damit so schlimm nicht bestellt war.

    (Abg. Dr. Schmid [Frankfurt]: Sie haben es mit falschen Methoden versucht!)

    Wir haben dieses Ziel nicht erreicht. Aber es war nach meiner Meinung richtig, den Weg bis zu Ende zu gehen und bis zum letzten Augenblick zu versuchen, das Bessere statt des Schlechteren zu bekommen.

    (Beifall in der Mitte und rechts.)

    Wir haben dieses nach unserer Meinung Bessere nicht bekommen, d. h. wir sind in unseren Bemühungen zunächst um eine Strecke zurückgeworfen worden. Aber zu keinem Zeitpunkt sind wir aus unserer Bahn geworfen worden, und zu keinem Zeitpunkt haben wir das uns gesteckte Ziel aus den Augen verloren.

    (Zustimmung bei der CDU/CSU.)

    Nun, ich will nicht mehr mit der Vergangenheit rechten. Ich hätte Ihnen, meine Damen und Herren von der Opposition, sagen können, daß Ihre Argumente gar nicht lange deshalb gegen die EVG gingen, weil nur durch einen bündnisfreien Status Deutschlands die deutsche Wiedervereinigung ermöglicht würde. Sie haben sich sehr früh mit einer Zulassung Deutschlands zur nordatlantischen Verteidigungsgemeinschaft an Stelle der EVG-Lösung einverstanden erklärt

    (Abg. Dr. Schmid [Frankfurt]: Na, na!)

    -- jedenfalls eine ganze Reihe von Ihnen —, und was damals recht war, kann heute nicht falsch sein. Sie haben uns damals in sehr vielen Äußerungen vorgeworfen — ich erinnere an jede Debatte vom Petersberger Abkommen an, wo ich für die Koalition zu sprechen die Ehre hatte —, daß wir durch unsere Politik uns einer Hegemonie Frankreichs auslieferten. Das war beim Eintritt in den Europarat, bei der Montan-Union der Fall, das war bei allen diesen Schritten Ihre Warnung.

    (Abg. Dr. Schmid [Frankfurt]: Ja!)

    Paradoxerweise ist es nun gerade die französische äußerste Rechte, paradoxerweise war es der General Aumerand, der den bekannten Antrag jüngst in der französischen Kammer gestellt hat, der schon bei der Debatte über den Schuman-Plan ausgerufen hat: „Unsere Toten sind nicht dafür gefallen, daß wir uns der wirtschaftlichen Vorherrschaft Deutschlands ausliefern." Monsieur Pleven hat ihm damals die passende Antwort gegeben: „Unsere Toten sind nicht dafür gefallen, daß alles von neuem anfange".
    Das ist doch ein höchst eigentümliches Zusammentreffen der Argumente. Irgend etwas kann doch nicht stimmen, wenn man uns hier vorgeworfen hat, wir lieferten uns einer Hegemonie Frankreichs aus, und wenn die Rechtsradikalen Frankreichs ihren Europäern vorgeworfen haben, sie lieferten Frankreich einer Vorherrschaft Deutschlands aus.
    Aber schließen wir diese Rechnung ab und fragen wir uns: was bleibt nunmehr zu tun? Dabei konzentrieren sich ja unsere Sorgen auf folgende Punkte. Erstens auf die Bewahrung unserer Freiheit. Herr Kollege Ollenhauer, Sie haben es beklagt, daß die europäischen Einigungsbestrebungen damit belastet seien, daß man mit dem Militärischen beginnen müsse. Das ist wahr, das ist schlimm. Aber so ist es in der Geschichte der Menschheit immer gewesen. Die große Blüte der griechischen Polis, die Ordnung des Friedens und des Rechtes in Rom, die Freiheit eines germanischen Stammesstaates und das Blühen der jeweiligen volklichen Kulturen, sie waren immer davon abhängig, daß sie abgeschirmt und geschützt waren durch eine starke Wehr. Das ist, solange Menschen Menschen bleiben, so. Herr Kollege von Merkatz hat ein paar anthropologischphilosophische Bemerkungen zu dem falschen Weltbild eines gewissen Liberalismus gemacht. Natürlich war der Fehler dieses Liberalismus der, daß er den Menschen in seiner Wirklichkeit nicht mehr sah, daß der Mensch als autark gutes Wesen betrachtet wurde. Dieser Irrtum ist natürlich überwunden. Ich werfe das keinem unserer heutigen liberalen Freunde vor.

    (Abg. Dr. Schmid [Frankfurt] : Es war wenigstens ein generöser Irrtum!)

    — Es war ein generöser Irrtum, das gebe ich zu. Verehrter Herr Kollege Schmid, auch der Irrtum Karl Marx, daß es eines Tages eine Gesellschaft freier, unabhängiger Menschen auf dieser Welt gäbe ohne den Zwangsapparat des Staates, wie er meinte, war ein generöser Irrtum, ich sage sogar: war der Irrtum eines großen Herzens. Aber mit solchen Irrtümern baut man nicht ,Geschichte, mit solchen Irrtümern verteidigt man nicht Kulturen, sondern mit solchen Irrtümern — Karl Marx hat es bewiesen — schafft man die schauerlichen Wirklichkeiten, wie sie sich uns heute um Moskau darstellen.

    (Beifall in der Mitte. — Lachen und Unruhe bei der SPD.)

    — Meine Damen und Herren, Sie glauben das ins Lächerliche ziehen zu können. Haben Sie noch nie darüber nachgedacht, daß es vielfach die großen Utopisten waren, die es gut meinten und die doch


    (Kiesinger)

    über die Menschen die schlimmsten Übel gebracht haben?

    (Abg. Dr. Schmid[Frankfurt]: Es gab auch große Realisten, die Böses über die Menschen gebracht haben! — Abg. Dr. Greve: Vor Moskau waren Petersburg und Zarismus, Herr Kiesinger! Das dürfen Sie dabei auch nicht vergessen!)

    Wir betrachten uns nicht als Realpolitiker in einem Sinne, wie es einmal in Deutschland gemeint war. Was wir unter realer Politik verstehen, ja, meine Damen und Herren, das haben Sie ja in den letzten Jahren gesehen. Und Sie werfen uns ja gar nicht Realpolitik vor, im Gegenteil: die nehmen Sie für sich in Anspruch, uns werfen Sie Utopismus vor.

    (Zuruf von der SPD: Nein, . nein! — Abg. Dr. Greve: Das ist verdammt real, was Sie machen! Ihnen wirft keiner Utopismus vor!)

    — Was Sie vorhin aus dem Munde von Herrn Carlo Schmid hörten, war der Vorwurf einer unrealistischen Politik, verehrter Herr Kollege Greve. Und wenn das richtig ist, was ich von Ihnen gehört habe, daß Sie gegen jede deutsche Wiederbewaffnung sind, dann, verehrter Herr Kollege Greve, muß ich Ihnen lallerdings sagen, daß das eine höchst unreale Politik wäre.

    (Abg. Dr. Greve: Warum „wäre"?)

    Die Sicherung der Freiheit bedarf einer starken westlichen militärischen Gewalt so lange, wie in Sowjetrußland eine noch stärkere militärische Gewalt steht. Das ist doch eine Binsenwahrheit, meine Damen und Herren.

    (Beifall in der Mitte.)

    Deswegen lasse ich mich nicht mehr auf Streitereien um Worte ein. Ich lasse mich nicht mehr in eine Diskussion darüber ein, was „rangmäßig" das Erste und Wichtigste sei. Alle drei Ziele haben den gleichen Rang und müssen gemeinsam verfolgt werden. Es mag zeitlich, etappenmäßig, methodisch Unterschiede geben. Man kann darüber streiten. Aber wir sollten in diesen Dingen in unser ohnehin schon arg verquältes Volk nicht noch mehr Unsicherheit tragen.
    Was die Freiheit bedeutet und wie sie bedroht ist, das ist mir wieder klargeworden, als ich jetzt die neueste Rede Molotows zum fünfjährigen Bestehen der Deutschen Demokratischen Republik gelesen habe. Ich weiß nicht, wie viele meiner Kollegen die Rede bereits aufmerksam studiert haben. Wir alle kennen ja das sowjetische Wörterbuch, das demokratische, freiheits- und friedliebende Völker nirgendwo anders sehen kann als im Machtbereich Moskaus selbst. „Freiheits- und friedliebende demokratische Völker" sind in diesem Wörterbuch eben die Satelliten Moskaus. Das ist zu beachten. Es ist ja eine eigentümliche Schwäche totalitärer Systeme, daß sie im Grunde genommen das, was sie wollen, gar nicht verbergen können, selbst wenn sie es wollten. Verehrter Herr Kollege Dehler, insofern möchte ich eine kleine Berichtigung anbringen. So wie Adolf Hitler ziemlich brutal, sehr früh hinausgebrüllt hat, was er wollte, so wird es auch aus all diesen Äußerungen immer wieder klar, wie man sich die Entwicklung der Dinge, wie man sich z. B. die deutsche Wiedervereinigung denkt. Ich darf mit Genehmigung des Herrn Präsidenten nur ein paar Sätze verlesen.
    Die sogenannte Deutsche Demokratische Republik wird von Molotow sehr gelobt, und dann heißt es:
    Diese Erfolge werden die Anziehungskraft der Deutschen Demokratischen Republik als des Trägers der berechtigten Bestrebungen des deutschen Volkes, die Möglichkeit der Entwicklung auf friedlicher und demokratischer Grundlage zu sichern, noch mehr verstärken. N u r a u f dies e m Wege wird das deutsche Volk die Möglichkeit erlangen, seine großen schöpferischen Kräfte vollkommen wirksam zu machen und zu entfalten. . . . Die Deutsche Demokratische Republik ist das feste Bollwerk der friedliebenden demokratischen Kräfte ganz Deutschlands.

    (Hört! Hört! in der Mitte.)

    So geht es in einem Zuge weiter, und im nächsten Satz wird davon gesprochen, daß eine Wiedervereinigung Deutschlands nur gestützt auf diese „friedliebenden demokratischen deutschen Kräfte" erfolgen könne. Meine Damen und Herren, was bedeutet das?

    (Zuruf von der SPD.)

    Man sagt uns durch den Mund des Herrn Molotow klipp und klar, daß Moskau eine deutsche Wiedervereinigung nicht anders sehen kann als so, daß Gesamtdeutschland zu einem sowjetischen Satelliten wird.

    (Zuruf von der Mitte: Unerhört!)

    Ich behaupte nicht, daß das in alle Ewigkeit so sein müßte. Ich greife das Argument auf, das Sie, verehrter Herr Kollege Schmid, vorhin gebraucht haben, den Vorwurf, daß wir glaubten, es gebe niemals die Möglichkeit eines kollektiven Sicherheitssystems mit Rußland. Wir waren nie dieses Glaubens.

    (Abg. Dr. Schmid [Frankfurt] : Das habe ich nicht gesagt!)

    — Gut, wenn Sie es nicht so gemeint haben.


Rede von Dr. Carlo Schmid
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Ich habe gesagt, es möge Leute geben, die glauben, mit den Russen könne man sich überhaupt nicht einigen. Wenn es solche Leute geben sollte, sollten sie auch sagen, welche Konsequenzen sich aus ihrer Meinung ergeben.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Kurt Georg Kiesinger


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Schön, dann wollen wir also ganz klarstellen, daß von meinen Freunden niemals jemand die Möglichkeit der Einbeziehung Sowjetrußlands in ein kollektives Sicherheitssystem geleugnet hat.

    (Zuruf von der SPD: Na also!)

    — „Na also", verehrter Herr Kollege? Nur nicht so kurzschlußhaft gedacht! Wann die Sowjetunion in ein solches System kollektiver Sicherheit einbezogen werden kann und unter welchen Voraussetzungen, das ist doch die Frage. Darüber hat schon mein verehrter Herr Kollege von Merkatz einige Ausführungen gemacht. Ich kann natürlich den Hecht in den Karpfenteich des Systems kollektiver Sicherheit hineinsetzen — die Karpfen werden dann einiges erleben!

    (Heiterkeit.)

    Die Voraussetzungen müssen erst geschaffen werden, und das ist nun, wie Sie es zu nennen belieben, die berühmte „Politik der Stärke". Was ist diese Politik?

    (Abg. Dr. Schmid [Frankfurt] : Der Ausdruck stammt von Ihnen, Herr Kiesinger!)



    (Kiesinger)

    — Nun, der Ausdruck mag da und dort einmal gefallen sein.

    (Abg. Dr. Schmid [Frankfurt] : Vom Herrn Bundeskanzler!)

    — Aber zur Kennzeichnung unserer Bemühungen haben Sie die Freundlichkeit gehabt, diesen Ausdruck fast ausschließlich zu verwerten.

    (Abg. Dr. Schmid [Frankfurt] : Ich habe nur Ihre Worte verwendet!)

    Was ist denn die „Politik der Stärke"? Ich will die Formulierung gar nicht ablehnen. Ich sage nur: Sie kann irreführend wirken, wenn sie als einzige Etikette unserer Bemühungen benutzt wird. Das ist heute nun schon verschiedentlich dargestellt worden. Sie sagen: Keine Bemühungen um militärische Sicherheit der westlichen Welt, bevor nicht endgültig klargestellt ist, daß Sowjetrußland keine deutsche Wiedervereinigung in Frieden und Freiheit will. Wir sagen — und da können wir nur These gegen These stellen, und es ist nur recht und gut, daß wir das in voller Klarheit vor dem deutschen Volk tun —: Alle Erfahrungen, die man mit der Sowjetunion bisher gemacht hat, belehren uns darüber, daß die Sowjetunion erst dann bereit sein wird, zu einer echten deutschen Wiedervereinigung die Hand zu reichen, wenn der Westen sich in einer Lage befindet, die Sowjetrußland zwingt, den Westen zu respektieren.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Es gibt eine paradoxe Entwicklung in der Geschichte. Ich möchte denjenigen unter Ihnen, die fleißige Karl-Marx- und Friedrich-Engels-Leser sind — Sie sind es sicherlich, verehrter Herr Kollege Schmid —, ins Gedächtnis rufen, wie Karl Marx und Friedrich Engels über das Problem Rußland gedacht haben. Karl Marx hat zum . Beispiel den berühmten Satz gesagt: Rußland ist ein Tier, das nur mit einem Tier verhandelt, das gleich stark ist wie es selbst.

    (Abg. Hilbert: Er hat es sehr richtig gesehen!)

    Und Friedrich Engels hat sehr viel schärfere Formulierungen gebraucht und Vorschläge gemacht.

    (Zuruf des Abg. Dr. Schmid [Frankfurt].)

    — Nun, die beiden haben sich natürlich auch in diesem Punkte geirrt, sagen Sie, verehrter Herr Kollege Schmid?

    (Heiterkeit bei den Regierungsparteien. — Abg. Dr. Schmid [Frankfurt]: Er würde das Gegentier wahrscheinlich nicht für so stark gehalten haben!)

    Wir haben eine sorgfältige Analyse der europäischen und der Weltsituation gemacht, bevor wir unsere Entschlüsse faßten. Nichts ist inzwischen geschehen, auch — trotz Herrn Rauschning — das Phänomen der Wasserstoffbombe nicht, was uns gezwungen hätte, unsere Politik grundlegend zu ändern. Das heißt, wir werden so lange fortfahren, uns mit der westlichen Welt zusammen zu stärken, bis Sowjetrußland bereit ist, in Anerkennung dieses Faktums auf Ziele zu verzichten, die es sich gesteckt hat, so lange das machtpolitische Vakuum im Westen besteht.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Ich behaupte nicht, daß Sowjetrußland an einen Krieg denkt. Aber Sowjetrußland denkt ganz gewiß daran, dieses westliche Europa im Kalten
    Krieg eines Tages für sich zu vereinnahmen, und
    es hat allen Grund, solche Hoffnungen zu hegen.

    (Sehr wahr! in der Mitte.)

    Ich habe schon öfter in diesem Hause darauf hingewiesen, wie einem Politiker in Moskau wohl zu Mute sein mag, wenn er auf dieses westliche Europa blickt, das schon im 19. Jahrhundert einmal ein Russe verächtlich genug „ein Furunkelchen am Körper Asiens" genannt hat. Wenn er im westlichen Europa diese nun nicht mehr querelles allemandes, sondern diese querelles européennes, diese widerlichen europäischen Streitigkeiten wahrnimmt und wenn er die starken Schutztruppen des Bolschewismus bei einigen unserer westlichen Nachbarn, bei einem unserer Nachbarn über ein Drittel stark, bemerkt. Dann muß sich doch ein Moskauer Politiker sagen: Was soll ich meine Position an der Elbe aufgeben? Wo ist denn dieses berühmte bedrohte Sicherheitsbedürfnis Sowjetrußlands, von dem so oft die Rede ist? Das ist irgendwann, zu irgendeiner Zeit einmal ein Problem, wenn die westliche Welt wirklich jenen Grad der Verteidigungskraft erreicht haben wird, den sie heute leider immer noch nicht hat. Dann wird vielleicht auch einmal das Problem des russischen Sicherheitsbedürfnisses ein echtes und aktuelles sein, dann wird man auch darüber reden können; dann, meine verehrten Damen und Herren von der Opposition!
    Sie sagen, verehrter Herr Kollege Ollenhauer: Ihr könnt ja die Entwicklung nicht aufhalten, die Konferenzen werden kommen, ihr könnt ihnen nicht ausweichen. Wir wollen ihnen nicht ausweichen. Wir wissen alle und wir haben es immer wieder betont, daß auch die deutsche Frage, wie überhaupt alle politischen Fragen, die heute den Menschen Sorge machen, nur auf Konferenzen der Großen gelöst werden kann. Wir wollen diese Konferenzen, aber wir wollen diese Konferenzen nicht jetzt, in einem Zeitpunkt absoluter machtpolitischer Ohnmacht. Das ist die Lage. Es ist in den letzten Jahren immer dasselbe gewesen. Immer wieder hat man erlebt, daß sich bei solchen Konferenzen praktisch der sowjetische Standpunkt ganz oder zu einem erheblichen Teil durchgesetzt hat. Warum? Weil die westliche Welt nicht stark genug war, Widerpart zu bieten. Es würde auch jetzt bei einer neuen Konferenz nicht anders sein. Wie verhängnisvoll würde es sich auf die Stimmung, würde es sich in den Herzen der 'deutschen Bevölkerung des Ostens auswirken, wenn eine Konferenz in diesem Zeitpunkt aufs neue mit einem Mißerfolg endete! Sagen wir lieber den Menschen im Osten: Bitte, haltet noch durch, noch sind wir nicht so weit!

    (Zuruf von der SPD: Wie lange noch? — Weitere Zurufe von der SPD.)

    Sie verstehen diese Sprache; oft genug haben sie es uns gesagt. In diesem Zusammenhang fiel der Satz — ich glaube, auch der Herr Kollege Ollenhauer hat ihn ausgesprochen —, wir stellten unsere Politik darauf ab, daß die Spaltung der Welt und damit auch die Spaltung Deutschlands ins Unabsehbare hinein dauern werde. Nein, verehrter Herr Kollege Ollenhauer, das tun wir nicht. Aber wir begehen auch nicht den anderen Fehler, zu glauben, daß eine freundliche Unterhaltung mit Moskau in einem Augenblick wie dem jetzigen, wo noch nichts gefestigt ist, genügen könne, um die ungeheueren, für die beteiligten Mächte lebenswichtigen Probleme zu lösen. Wann der Kalte Krieg beendet werden kann, wann es zu einem globalen Ausgleich


    (Kiesinger)

    zwischen ,den großen Machtgruppen und damit auch zur Lösung der deutschen Frage kommt, davon weiß niemand von uns etwas Gewisses zu sagen. Gut, das sind also unsere verschiedenen Meinungen zu diesem Punkte. Jede ist respektabel; versuchen wir, jede respektabel zu vertreten. Wir werden nie aufhören, zu sagen, daß Ihre Meinung nach unserer Auffassung falsch ist und daß sie nach unserer Auffassung große Gefahren in sich birgt, daß sie uns dazu verurteilen würde, Objekt des Weltgeschehens zu bleiben, daß wir das hinzunehmen hätten, was die großen Mächte über uns verhängen. Ist es denn nicht so?
    Ihr Vergleich mit dem Saargebiet hat gehinkt, verehrter Herr Kollege Schmid. Dort handelt es sich doch nicht darum, endlich herzustellen, was fehlt, was die Völker in Europa so schmerzlich vermissen: die Verteidigungskraft Europas.

    (Abg. Heiland: Aber die Freiheit!)

    Wir haben uns über alle möglichen Lösungen zerstritten, und noch immer ist in diesem kontinentalen Europa keine Macht und keine Kraft da, die in der Lage wäre, den Russen jenen Respekt zu geben, der notwendig ist, damit sie sich zur Beendigung des Kalten Krieges entschließen.

    (Vizepräsident D r. Schneider übernimmt den Vorsitz.)

    Wer hat denn nach dem zweiten Weltkrieg den Kalten Krieg begonnen? Nicht der Westen, Rußland hat ihn begonnen! Wer hat damals, 1945, utopische Politik betrieben? Die amerikanischen Mütter, die gefordert haben: „Bring the boys home!" Schickt unsere Jungens nach Hause!, die glaubten, wie schon einmal nach dem ersten Weltkrieg, es sei nun die Zeit ewigen Friedens angebrochen! Und wie vieler Aggressionen Sowjetrußlands hat es bedurft, bis man sich in Washington endlich entschloß, die vollkommene Abrüstung zu beenden und langsam wieder einen Verteidigungsapparat der westlichen Welt aufzubauen, der diesen ewigen russischen Aggressionen ein Ende setzen sollte! Griechenland war die erste Station, Korea hat die endgültige Entscheidung gebracht, und in der Linie dieser Entwicklung befinden wir uns heute immer noch. Nach unserer Meinung ist es noch nicht so weit, daß man von jenem Gleichgewicht der Kräfte sprechen könnte, welches es erlauben würde, jetzt den globalen Ausgleich herbeizuführen.
    Damit ist auch das Notwendige über das tragische Thema der deutschen Wiedervereinigung gesagt. Wenn Sie selbst die Einsicht haben, verehrter Herr Kollege Schmid, daß diese deutsche Wiedervereinigung erst erreicht wird im Rahmen eines globalen Ausgleichs unter den Machtgruppen, dann müssen Sie doch auch die riesenhafte Schwierigkeit der Aufgabe sehen und müssen einkalkulieren, was alles noch notwendig sein wird, um der westlichen Welt jene Stärke und jene Stabilität zu geben, die sie zu einem gleichrangigen Partner Sowjetrußlands und Chinas machen werden.
    Das große Anliegen, das uns alle beschäftigt, ist die Sache des Friedens. Ich will auch dazu ein paar Sätze sagen, weil das, was dazu zu sagen ist, vielleicht nicht oft und nicht klar genug gesagt wird. Jeder Krieg — wir haben es oft genug gesagt —, wie immer er ausgehen würde — ich habe keinen Zweifel, daß er mit dem Siege der maritimen Mächte enden würde —, jeder Krieg würde
    das Ende Europas, zumindest des kontinentalen Europas bedeuten, ja wahrscheinlich darüber hinaus das Ende eines guten Teils der menschlichen Zivilisation überhaupt. Aber besonders wir Europäer sind von diesem Kriege bedroht. Sehen Sie, da will mir sehr häufig Ihre Argumentation, meine Damen und Herren von der Opposition, unlogisch erscheinen. Dieses Europa, wenn es sich vereinigt, wenn es seine militärischen Anstrengungen zusammenwirft, soll eine Bedrohung Sowjetrußlands bilden, und daher soll Sowjetrußland sich nicht entschlossen zeigen, einen Teil seiner Positionen aufzugeben? Sie argumentieren manchmal in einer Rede mit jenen 12 deutschen Divisionen und sagen: die 12 deutschen Divisionen sind ohnehin nicht zahlreich genug, um unseren Schutz zu verbürgen, und in derselben Rede sagen Sie uns: diese 12 deutschen Divisionen bilden eine Bedrohung des Sicherheitsgefühls Sowjetrußlands. Meine Damen und Herren, das sind Widersprüche, die bei außenpolitischen Diskussionen schwer wiegen. Nehmen wir einmal an, dieses Europa sei politisch, militärisch in einem viel engeren Sinne vereinigt, als es sich unsere besten Europäer in ihren kühnsten Vorstellungen je gedacht haben.

    (Abg. Dr. Greve: Der beste Europäer ist doch Dulles!)

    — Ich komme auf Dulles zurück, Herr Greve! — Was müßte dieses vereinigte Europa für eine Außenpolitik betreiben? Wenn es wahr ist, was wir alle immer sagen, daß jeder Krieg dieses Europa zerstören würde, dann kann der Kurs der europäischen Außenpolitik und gerade eines vereinigten Europas gar kein anderer Kurs sein als ein Friedenskurs.

    (Beifall in der Mitte.)

    Ich habe es nicht nötig, das nach Moskau hinüberzurufen. Die Herren in Moskau wissen es leider nur zu gut.

    (Sehr richtig! in der Mitte.)

    Weil sie es so gut wissen, deswegen handeln sie immer noch so, wie es tagtäglich geschieht. Wenn eine Krise entstehen würde, wenn die Waage des Geschicks zwischen Krieg und Frieden schwanken würde, dann müßte diese europäische Außenpolitik ihr ganzes Gewicht in die Waagschale des Friedens werfen.
    Was bedeutet das für die Sowjetunion? Das bedeutet, daß eine westeuropäische Vereinigung niemals eine Lebensbedrohung Sowjetrußlands darstellen kann, solange Sowjetrußland die Macht darstellt, die es heute ist und die es morgen bleiben wird. Insofern könnte, Herr von Merkatz, das vereinigte Europa so etwas wie eine Brücke bilden: eine Kraft, die es der Sowjetunion ganz klarmacht, daß sie niemals willens ist, ihre Freiheit durch ein bolschewistisches System bedrohen zu lassen, die aber zugleich entschlossen ist, für ihre Völker den Frieden zu wahren. Sollte das ein Gebilde sein, mit dem Moskau nicht wohl rechnen könnte und auf Grund dessen Moskau nicht bereit sein könnte, sich einem System kollektiver Sicherheit anzuschließen und damit endlich den Kalten Krieg zu beenden? Ich behaupte, es steht ausschließlich bei Moskau, daß dieser Kalte Krieg beendet wird, und wir warten auf diese Entscheidung Moskaus.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Es ist in dieser Debatte des öfteren darauf hingewiesen worden, die Bemühungen der westlichen


    (Kiesinger)

    Verteidigung hätten je und je dazu geführt, daß Moskau im letzten Augenblick mit einlenkenden Vorschlägen gekommen sei. Wieviel daran wahr ist, mag dahingestellt bleiben. Im großen und ganzen waren es doch nur Störungsmanöver, Ablenkungsmanöver, zu denen sich Sowjetrußland bis jetzt entschlossen hat. Was in dem neuen Abrüstungsvorschlag Moskaus steckt, kann noch niemand von uns mit Sicherheit sagen. Wir sollten ihn gewiß nicht mit leichter Hand beiseite schieben.
    Es ist klar — ich will es ungeschminkt aussprechen —: der Tag muß kommen, an dem der Kalte Krieg beendet wird. Der Tag des Ausgleichs zwischen den Machtblöcken, wenn vorher nicht ein Wunder geschieht, muß kommen, damit endlich die Angst und die Sorge aus den Herzen der Menschen gerissen werden. Denn ein hundertjähriger Zustand des Kalten Krieges würde eines Tages den wirklichen Krieg bedeuten können.
    Aber wiederum sei betont: gerade weil wir dies so klar und genau sehen, machen wir eine Politik, die sich nicht auf Illusionen einläßt, die sich vor allen Dingen nicht leichtfertig mit einem Partner einläßt, von dem wir bisher nur erfahren haben, daß er keine andere Alternative kennt, nicht einmal, Herr von Merkatz, die Alternative der Hegemonie, von der Sie vorhin gesprochen haben, als die: entweder bist du mein Satellit oder du bist mein Feind!

    (Sehr gut! in der Mitte.)

    Und das wird in der Rede Molotows, wenn Sie sie sorgfältig durchlesen, meine verehrten Damen und Herren dieses Hohen Hauses, wieder ganz klar. Von Seite zu Seite spricht hier ein Mann, der sich die Welt, wie er sich ausdrückt, „freiheits- und friedliebender demokratischer Völker" nicht anders vorstellen kann als in der gegenwärtigen Ordnung des Sowjetmachtsystems, d. h. in der gegenwärtigen Ordnung des Satellitensystems. Niemals werden wir uns dazu bereit finden!

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Ich bin der Meinung, meine Damen und Herren — und die Geschichte beweist es immer wieder —: Frieden, Frieden machen, Frieden bewahren ist — in den Ausführungen meines Kollegen von Merkatz klang es schon an — nicht nur eine Frage der Gesinnung und des Wohlverhaltens. Ich habe schon erwähnt, daß es die Utopisten sind, die schon so häufig großes Elend über die Menschheit gebracht haben. Frieden bewahren ist eine schwere und harte Kunst. Frieden bewahren heißt eine richtige, kraftvolle Politik machen. Und das alles versuchen wir, Menschen, die wir sind, und im Bewußtsein auch unserer eigenen Fehlermöglichkeiten nun all die Jahre her zu tun.
    Herr Ollenhauer hat — auch dazu noch einen Satz — als ganz wesentlichen Fehler des Londoner Abkommens beanstandet, daß keine Kündigungsklausel enthalten sei, und Professor Carlo Schmid hat dem zugestimmt. Nun, dazu möchte ich zwei Dinge sagen. Jedes Kündigungsrecht ist zweiseitig, und daher ist in jedem Kündigungsrecht ein gewaltiges Risiko enthalten.
    Meine Damen und Herren! Wenn schon heute immer wieder davon geredet worden ist, man müsse ein System finden, bei dem weder der Westen noch der Osten sich bedroht fühlen könnten, dann möchte ich doch die Aufmerksamkeit dieses Hohen Hauses einen kleinen Augenblick auf die Tatsache zurücklenken, daß es ja auch notwendig ist, ein System zu finden, bei dem wir, dieses Land und dieses Volk sich nicht mehr bedroht fühlen können.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Dr. Schmid [Frankfurt]: Genau das!)

    Im übrigen ist die Frage, wieweit eine Bindung, eine Hemmung der deutschen Wiedervereinigungspolitik dadurch bestehen könne, daß die Bundesrepublik ihrerseits gewisse Verpflichtungen ohne formelle Kündigungsklausel eingegangen sei, wahrhaftig nicht so schlimm, wie sie gesehen wird. Ich sehe die Dinge folgendermaßen an. Dieses vereinigte Europa im Rahmen der atlantischen Solidarität kann ja nur existieren auf Grund einer wahrhaften Interessengemeinschaft. Die Interessengemeinschaft dieser Völker wird die weitere Entwicklung beeinflussen. Im Rahmen dieser Solidarität der westlichen Welt spielt unser Volk, spielt unser Land eine bedeutende Rolle.
    Übrigens hat sich die westliche Welt — man kann nicht genug darauf hinweisen — feierlich verpflichtet, das ihre mit allen Kräften dazu beizutragen, die deutsche Wiedervereinigung in Freiheit und in Frieden herbeizuführen. Sehr verehrter Herr Kollege Ollenhauer, da steckt nun nach meiner Meinung wirklich alles drin. Ich brauche nicht auf die berühmten völkerrechtlichen Grundsätze der clausula rebus sic stantibus hinzuweisen. Es könnte mißverstanden werden. Man könnte uns vielleicht, so wie es heute schon einmal in anderer Hinsicht geschehen ist, sagen: Aha, ihr schielt schon wieder nach der Möglichkeit, euch von eingegangenen Verbindlichkeiten zu lösen! Nein, das erklären wir in diesem Hause und vor aller Welt: wir werden die kommenden Aufgaben nur gemeinschaftlich mit der freien Welt lösen. Und wenn wir eines Tages glauben sollten, daß die von der Bundesrepublik eingegangenen Verpflichtungen einer Wiedervereinigung Deutschlands wirklich entgegenstehen, dann werden wir die Bitte an unsere Freunde in der westlichen Welt richten, die Dinge neu zu betrachten und neu mit uns zu verhandeln. Glauben Sie, daß eine politische Kraft, wie es Deutschland immerhin ist, im Rahmen der westeuropäischen Friedenssolidarität nicht Gewicht genug hätte, in der westlichen Welt jede ernsthafte Erwägung für diese neue Situation zu erwirken? Wenn ich die Verhandlungen in London zu führen gehabt hätte, hätte ich gerade im Interesse der deutschen Wiedervereinigung, die ja ohne Freiheit und Frieden nicht betrachtet werden kann, mich selber einer beiderseitigen Kündigungsklausel widersetzt.
    Sie haben, verehrter Herr Kollege Schmid, noch ein paar andere Besorgnisse gehabt, auf die ich kurz eingehen will. Sie sagten, all das, was wir hier tun, ist bestenfalls eine provisorische Notlösung. Ja, es ist eine provisorische Notlösung im Hinblick auf das Ziel einer endgültigen Bereinigung des Konflikts, der Herbeiführung eines echten Friedenszustandes in dieser Welt. Niemand von uns hat je etwas anderes gedacht oder etwas anderes gesagt. Sie sagten, es sei bedenklich, daß der Status Gesamtdeutschlands wegen dieser Bindungen der Bundesrepublik offengeblieben sei.

    (Abg. Dr. Schmid [Frankfurt]: Nein, Nein!)

    Diese Frage ist geklärt. Sie haben aber, glaube ich,
    noch ein anderes Bedenken gehabt, die Formulierung betreffend, daß die Regierung der deutschen


    (Kiesinger)

    Bundesrepublik berechtigt sei, in internationalen Angelegenheiten für Gesamtdeutschland. zu sprechen.

    (Abg. Dr. Schmid [Frankfurt] : Ich habe gesagt, warum; wegen des Zitats in der ,,Neuen Zürcher Zeitung"!)

    Sie wissen ja, daß das nichts Neues ist. In Wahrheit liegt ja der Akzent bei diesem Passus darauf, daß uns die westliche Welt erklärt: Für uns gibt es keine „Deutsche Demokratische Republik" als Vertreterin irgendeines Teiles des deutschen Volkes, sondern für uns gibt es nur die deutsche Bundesrepublik als Sprecherin ganz Deutschlands.

    (Abg. Dr. Schmid [Frankfurt]: Ja, so ist es!)

    Ich bin zwar bereit, der Sache politisch eine etwas weitere Interpretation zu geben, indem ich das der kommenden Entwicklung anvertraue. Ich sehe einen Wachstumsprozeß darin, daß wir immer mehr in die Rolle des Treuhänders für das gesamte deutsche Volk hineinwachsen.
    So glaubte ich, ein paar der heute hier angesprochenen Gesichtspunkte noch einmal klarstellen zu müssen. Aber sagen Sie nicht, verehrter Herr Kollege Ollenhauer, daß damit — denn der Prozeß der europäischen Integration, der kontinentaleuropäischen Integration wird ja weitergehen — eine neue Spaltung Europas drohe! Das ist in Wirklichkeit nie der Fall gewesen. Es gab gewisse englische Interessen im Zusammenhang mit jener Position Englands, die ich bereits zu zeichnen versucht habe, der Politik der balance of power und dergleichen. Aber die Engländer haben ja auch inzwischen eingesehen — es fiel ihnen schwer; es war ja auch nicht leicht, aus einer vielhundertjährigen politischen Tradition plötzlich herauszuspringen —, daß es geradezu ein Lebensrecht Kontinentaleuropas ist, sich enger zusammenzuschließen. Wo die Grenzen dessen liegen, was man England auf die Dauer zumuten kann, das ist eine Frage, die wir getrost der Zukunft und dem gemeinsamen Vertrauen der europäischen Partner und Großbritanniens selber überlassen wollen.
    Wir haben allen Grund, den Punkt, den wir heute in der Entwicklung erreicht haben, zu begrüßen, wenn auch nicht mit großem Jubilieren. Wer könnte dies angesichts der Lage unseres Volkes, angesichts der noch immer ungelösten Verteidigungsprobleme der westlichen Welt? Aber wir glauben sagen zu dürfen, daß trotz des Rückschlags in einer Etappe, der EVG, das in London Erreichte, soweit eine vorläufige Prüfung dieses Urteil schon zuläßt, Anlaß zur Genugtuung gibt. Es ist heute schon von verschiedenen Seiten — auch der Bundeskanzler hat es getan — der Dank an jene Völker und jene Politiker ausgesprochen worden, die auf diesem Wege mitgegangen sind. Wir haben jetzt jedenfalls das vorläufige Ergebnis einer echten europäischen Einigung vorbehaltlich der endgültigen Zustimmung aller Partner. Es beginnt sich die Möglichkeit eines endlichen deutschfranzösischen Ausgleichs abzuzeichnen. Wir haben Großbritannien auf dem Festland verpflichtet.
    Wir sehen, daß auch die Vereinigten Staaten von Nordamerika Genugtuung über das Erreichte haben. Ich kann diesen Augenblick nicht vorübergehen lassen, ohne einmal über die üblichen Versicherungen hinaus an die Adresse der Vereinigten Staaten von Nordamerika ein besonderes Dankeswort zu richten. Bis jetzt herrschte in der Geschichte der Völker leider Gottes jenes trübselige Einerlei, daß eine stärkere Macht ihr Verhältnis zu anderen Mächten meist nur dadurch glaubte regeln zu können, daß sie das unheilvolle Prinzip des „divide et impera", des „Teile und herrsche" anwandte. Die Vereinigten Staaten von Nordamerika haben das keinen Augenblick lang uns Europäern gegenüber getan; und das ist keine Kleinigkeit. Sie haben es nicht nur hinsichtlich der 150 Millionen Europäer nicht getan, die schließlich bereit waren, sich in der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft wie auch in der Politischen Gemeinschaft zusammenzufinden; sie haben es gegenüber ganz Europa nicht getan, als gegenüber einer Zahl von Völkern, gegenüber einer Millionenzahl von Menschen, die die Einwohnerzahl der Vereinigten Staaten von Nordamerika um ein sehr Erhebliches übertrifft, gegenüber einer in Zukunft möglichen Mächtekombination, die auch an Wirtschaftskraft den Vereinigten Staaten ebenbürtig oder nahezu ebenbürtig ist. Das festzustellen, ist einfache Pflicht der Anerkennung und des Dankes. Ich nenne dieses Verhalten der Amerikaner in den letzten Jahren großartig, segensreich und zukunftsträchtig.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Ich darf und will die Gelegenheit nicht vorübergehen lassen, ohne auch all jenen zu danken, die uns außerhalb der Gespräche der Sechs, der Sieben, der Acht oder der Neun auf unserem Wege ermutigt haben. Viele, die nie in Straßburg gesessen haben, die nie an diesen europäischen Verhandlungen beteiligt gewesen sind, haben uns durch ihren Zuspruch und ihren Rat den Entschluß leicht gemacht.
    Ich nehme die Gelegenheit gerne wahr, anläßlich des Besuchs des türkischen Ministerpräsidenten und des türkischen Außenministers in Bonn des großen, uns befreundeten türkischen Volkes in Dankbarkeit zu gedenken und ihnen und ihrem Volke zu versichern, daß wir in Deutschland ihrem Volke gegenüber die Gefühle engster Verbundenheit und Freundschaft hegen,

    (lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien)

    so wie auch die Türkei in den vergangenen Jahren unwandelbar an unserer Seite gestanden hat.
    Wir haben über die formulierten Verträge und Vertragsentwürfe hinaus sehr viel mehr erreicht, als viele Menschen in Europa wissen. Es ist ja leider so, daß unsere Publizistik meistens nur über ganz konkrete Erfolge oder Mißerfolge zu berichten weiß. Wir aber, die wir in ständiger Berührung mit den europäischen und den überseeischen Nachbarn stehen, die wir die große Freude haben, mit vielen, mit Hunderten von bedeutenden Politikern Europas und der übrigen Welt in immer engerer Zusammenarbeit und in freundschaftlichstem Kontakt zu stehen, wissen, daß Europa schon sehr, sehr viel weiter ist, als viele wissen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Wir alle wissen aus der Geschichte der Einigung der Nationalstaaten, daß dies die wichtigste Voraussetzung der Integration ist und nicht der in die Luft geworfene Entwurf utopischer Verfassungen: der Integrationswille der Gehirne und der Herzen der Menschen und der Völker, die zusammenkommen wollen. Dieser Integrationswille lebt. Auch der kontinentale Integrationswille ist nicht erloschen. Wir werden in voller Loyalität gegenüber den eingegangenen Verpflichtungen daran weiterarbeiten.


    (Kiesinger)

    Wir werden, davon bin ich überzeugt, allen Schwierigkeiten zum Trotz auch mit unserem französischen Nachbarvolk immer enger zusammenarbeiten. Und es wird der Tag kommen, und wir werden ihn erleben, meine Damen und Herren, wo die Fahnen des Sieges der europäischen Einigung über unseren Häuptern flattern werden.

    (Lachen bei der SPD.)

    Der Tag wird kommen, und Sie, meine Damen und Herren von der Sozialdemokratie, werden dann hoffentlich die Größe des Herzens haben, mit in die Hymnen des Sieges einzustimmen.

    (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU und der DP. — Lachen bei der SPD. — Zurufe von der SPD: Heil! Heil!)