Rede von
Dr.
Heinrich
von
Brentano
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Auf die Frage, ob der Herr Kollege Ollenhauer die Börsenkurse liest, kann ich keine Antwort geben. Das muß er selbst tun.
Die erste Frage kann ich dahin beantworten, daß aus den Äußerungen des Herrn Kollegen Ollenhauer allerdings geschlossen werden mußte, daß er der Meinung sei, daß solche Kreise, die an der Rüstungskonjunktur mehr als an den politischen Entscheidungen interessiert sind, die politischen Entscheidungen hier maßgeblich bestimmten. Und dagegen verwahre ich mich.
Und ein Zweites habe ich in .diesem Zusammenhang tief bedauert: daß Herr Kollege Ollenhauer, als er von dem Verteidigungsbeitrag sprach, ausgerechnet hier an dieser Stelle und von uns die Loyalität gegenüber dem Vertrag verlangte und aussprach, daß ja mit einem Augenzwinkern bereits jetzt der Bruch des Vertrages angekündigt werde.
Meine Damen und Herren, wenn Herr Kollege Ollenhauer die Loyalität verlangt, die wir dem Vertrag entgegenbringen sollten, dann verlange ich von ihm so viel Loyalität, daß er nicht hier vor der Weltöffentlichkeit solche subversiven Unterstellungen ausdrückt.
Ich kann Ihnen heute schon sagen, Herr Kollege Ollenhauer, wo Sie Ihre Zustimmung finden werden: in der gesamten Ostpresse und in der „Humanité" in Paris.
Aber ich glaube, ich kann für die Mehrheit dieses Hauses und auch für die Bundesregierung sagen, daß wir allerdings beabsichtigen, die Verträge so einzuhalten, wie wir sie unterschreiben, und daß keiner von uns daran interessiert ist, auf ,dem Gebiete der Rüstung um einen Deut mehr zu tun, als die Lebensnotwendigkeit des deutschen Volkes es gebieterisch von uns verlangt.
Ich bedauere es, daß angesichts der lebensgefährlichen Bedrohung, die nun einmal ein hochgerüstetes totalitäres System darstellt, der Wille zur Selbsterhaltung, aber auch das Bekenntnis zur Freiheit als dem höchsten Wert einer jeden menschlichen Ordnung uns zwingen, an den Bemühungen der anderen freien Völker der Welt teilzunehmen, wenn wir nicht auf unsere Zukunft freiwillig verzichten wollen.
Mit voller Klarheit stellt der Londoner Vertrag auch fest, daß alle Vereinbarungen, die der Ausweitung des Brüsseler Paktes und der Einbeziehung Deutschlands in dieses Paktsystem und in die NATO gelten, ausschließlich defensiven Charakter haben. Ich begrüße es — und ich unterstreiche die Ausführungen des Herrn Kollegen Ollenhauer —, daß hierbei ausdrücklich Bezug genommen ist auf die Charta der Vereinten Nationen; denn wir — ich glaube, das gilt für alle hier — wären jederzeit und gerne bereit, auch in den Vereinten Nationen unseren aktiven Beitrag zu leisten. Bundestag und Bundesregierung können heute nur wiederholt den übereinstimmenden Willen bekunden, daß Deutschland nicht die Absicht hat und niemals die Absicht haben wird, Machtkämpfe auszutragen oder territoriale Fragen — auch nicht die der Wiedervereinigung unseres Vaterlands — unter Anwendung von Waffengewalt zu lösen.
Unsere Anstrengungen dienen ausschließlich dem Zweck, die Sicherheiten dafür zu schaffen, daß Freiheit und Frieden nicht gestört werden. Man sollte an der Aufrichtigkeit dieser Erklärung wirklich nicht zweifeln; denn es kann nicht oft genug gesagt werden, daß wohl kein Volk der Welt eine solche
Sehnsucht nach Frieden hat wie das deutsche und daß kein Volk die furchtbaren Folgen eines Krieges so klar zu übersehen vermag wie das deutsche. Wie ich glaube und hoffe, wird der Zusammenbruch im Jahre 1945 mit allen seinen furchtbaren Folgen doch noch auf Generationen dem deutschen Volk mahnend vor den Augen stehen.
Ich sehe darum auch in den freiwilligen Beschränkungen, die Deutschland im Rahmen dieses Vertrages auf sich genommen hat, keine Beeinträchtigung, im Gegenteil, einen Vorzug. Gerade der Verzicht auf die Herstellung von atomischen und chemischen Waffen und die Bereitschaft, auf die Erzeugung besonders schwerer Waffen zu verzichten, ist ein überzeugender Beweis für diese innere Haltung des deutschen Volkes und sollte in der ganzen Welt, auch drüben in der Sowjetunion, entsprechend erkannt werden.
Für unser Verhältnis zur Sowjetunion gilt die Feststellung, daß es sicherlich nicht von Haßgefühlen bestimmt wird. Wir wissen, daß wir gemeinsame Grenzen mit den Teilen der Welt besitzen, die dem sowjetischen Herrschaftsbereich angehören. Aber es ist unser Recht und unsere Pflicht, uns gegen die Ausdehnung dieses art- und wesensfremden Systems auf unser Volk zu wehren.
Die Vorstellungswelt des Bolschewismus ist uns unbegreiflich und unerträglich. Wir lehnen sie ab und wir verlangen, daß wir unser Vaterland in den Lebensformen aufbauen dürfen, die uns gemäß sind. Nur ein Staat, in dem Menschenwürde und Freiheit den Schutz der staatlichen Ordnung genießen, nur eine Gemeinschaft, in der der einzelne denkende und handelnde Mensch im Zentrum des Geschehens steht und in voller Freiheit mitzuhandeln berechtigt ist, kann uns wesensgemäß sein. Diese Feststellungen sind nicht der Ausdruck einer aggressiven Gesinnung; sie sind nicht mehr und nicht weniger als die berechtigte Äußerung eines eigenständigen und eigenbewußten Gestaltungswillens.
Ich habe die Hoffnung, daß die Vereinbarungen von London, wie sie uns heute vorliegen, letztlich vielleicht doch noch die Zustimmung der Opposition finden werden. Einiges in den Erklärungen des Herrn Kollegen Ollenhauer war vielleicht dahin zu deuten. Es war ja die Opposition, die nach einem Sicherheitssystem verlangte, an dem Großbritannien und andere Staaten teilnehmen sollten.
Herr Kollege Ollenhauer hat selbst in einer Rede vom 19. März 1953 den Ministerrat als eine geeignete Instanz zur Zusammenfassung und Koordinierung bezeichnet, und die Mitarbeit in einem solchen europäischen Sicherheitssystem, dessen Verhältnis zur atlantischen Gemeinschaft noch bestimmt werden sollte, erschien dem Herrn Kollegen Ollenhauer denkbar und gut.
Die Bedenken, die bei der Beratung des Vertrages über die Verteidigungsgemeinschaft von ihm und beispielsweise von dem Herrn Kollegen Schmid geäußert wurden, als das Problem der NATO behandelt wurde, sind beseitigt. Es war der Herr Kollege Schmid, der bei der ersten Lesung des Vertrages die Frage stellte, warum man den
Deutschen nicht den Eintritt in das Atlantikpaktsystem gestatte. Die Entwicklung über die Verteidigungsgemeinschaft hätte unzweifelhaft auch zu diesem Ergebnis geführt. Aber es ist müßig, darüber zu sprechen, denn die Entscheidung von London nimmt uns eine solche Disskussion ab.
Meine Damen und Herren, der Londoner Vertrag schließt mit der Feststellung, daß die darin getroffenen Abmachungen einen bedeutsamen Beitrag zum Weltfrieden darstellen. Ich wiederhole, was auch der Herr Bundeskanzler aus diesem Vertrag sinngemäß zitiert hat:
Nunmehr ist ein Westeuropa im Entstehen, das auf der Grundlage der engen Assoziation des Vereinigten Königreichs mit dem Kontinent und der sich vertiefenden Freundschaft zwischen den Teilnehmerstaaten die Atlantische Gemeinschaft festigen wird. Das von der Konferenz ausgearbeitete System wird die Entwicklung der europäischen Einheit und Integration fördern.
Wenn wir uns diese Feststellungen zu eigen machen, dann können wir wohl sagen, daß die Londoner Konferenz vielleicht einmal ein entscheidender Markstein auf dem Wege zu einer dauernden und unverbrüchlichen Solidarität zwischen den freien Völkern der Welt sein wird. Darum glaube ich, daß es auch die Pflicht des Bundestages ist, dem Bundeskanzler für seine unausgesetzten und erfolgreichen Bemühungen zu danken,
in diesen Dank aber auch die anderen Staatsmänner einzuschließen, die an dem Entstehen der Londoner Vereinbarungen mitgewirkt haben.
Wenn die Bundesrepublik diese Vereinbarungen demnächst ratifizieren wird, dann wird sie es in dem Bewußtsein tun, damit einen Beitrag zur Erhaltung des Weltfriedens zu leisten. Sie wird es aber auch in dem Bewußtsein tun, damit dem Wohlergehen des deutschen Volkes, des ges a m -t e n deutschen Volkes, zu dienen und denjenigen Deutschen, die heute schon in der Freiheit leben dürfen, das Gefühl der Sicherheit, denjenigen, die auf diese Freiheit noch warten, die begründete Hoffnung auf eine gesicherte Freiheit zu vermitteln. Am Ende dieser Entwicklung soll dann, wie ich hoffe, ein mit der atlantischen freien Welt eng verbundenes, vereintes Europa stehen, an dessen Aufbau das ganze deutsche Volk mit seiner ganzen Kraft teilnehmen wird.