Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Während der Debatte heute nachmittag konnte man manchmal vergessen, warum wir eigentlich hier zusammengekommen sind. Ich glaube, wir sollten uns doch daran noch einmal erinnern. Ich habe mit großem Interesse und mit großer Aufmerksamkeit die Begründung gehört, die die Kollegen Mellies und Dr. Menzel
für die Anträge ihrer Fraktion gegeben haben. Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, werden nicht erwarten, daß ich nun sage, ich sei mit allem einverstanden gewesen. Aber ich darf doch sagen, daß die ernste Sorge, die aus Ihren Worten sprach, von mir sehr wohl verstanden wurde. Ich möchte Ihnen sehr eindeutig sagen und versichern, das, was sich ereignet hat, was uns hier zusammengeführt hat, der Fall John und auch der Fall Schmidt-Wittmack, ist wirklich geeignet, uns alle unruhig zu stimmen und uns vor die Frage zu stellen, was wir gemeinsam tun können und was wir gemeinsam tun müssen, um dieses Gefühl der Unsicherheit zu bändigen, das sicherlich im deutschen Volke aufgekommen ist.
Es ist ein ungewöhnlicher Vorgang — und es wäre falsch und schlecht, ihn irgendwie zu bagatellisieren —, daß der Leiter eines Amtes für Verfassungsschutz in der Bundesrepublik und daß ein Abgeordneter dieses Hauses den Weg nach dem Osten finden. Die Tatsache, daß Herr Schmidt-Wittmack meiner Fraktion angehört hat, kann mich in keiner Weise veranlassen, dieses ernste Problem etwa zu bagatellisieren oder zu verkleinern. Im Gegenteil, es ist für mich sicherlich noch schwerer als für Sie, darüber zu sprechen.
Wir haben auch gehört, was an Kritik geäußert wurde über die Reaktion der Bundesregierung und des Bundesinnenministers Dr. Schröder, nachdem die Fälle passiert waren, insbesondere nachdem Herr Dr. John seine Zelte drüben in der sowjetisch besetzten Zone aufgeschlagen hatte. Mein Freund Kiesinger hat es schon ausgesprochen. Ich kann wiederholen, daß auch bei mir und meinen Freunden nicht zu jeder einzelnen Maßnahme und Verlautbarung etwa ungeteilte Zustimmung festzustellen war. Es hätte sicherlich manches — und das kann man und soll man diskutieren — auch anders gemacht werden können. Aber eines sollten wir doch nicht tun: wir sollten doch nun nicht Ursache und Wirkung verwechseln.
Das ist der Grund, weswegen wir — das darf ich vorwegnehmen — auch nicht in der Lage sind, etwa Ihrem Mißbilligungsantrag zuzustimmen. Wir halten es nicht für sehr glücklich und vielleicht auch nicht — erlauben Sie mir, das zu sagen — für sehr vernünftig, nun aus dem Fall John einen Fall Schröder zu machen. Ich halte es allerdings für noch unglücklicher und werde darauf zurückkommen, wenn sich ein Mitglied des Hauses die Mühe gibt, aus dem Fall John einen Fall Adenauer zu machen.
Die Vorgänge, die zu der Ernennung des Herrn John geführt haben, hat der Herr Bundesminister des Innern hier sehr klar geschildert. Wir widersprechen der Einsetzung des Ausschusses in keiner Weise. Es wird Sache des Ausschusses sein, auch diese Vorgänge noch zu klären. Aber wir sollten hier uns doch gegenseitig ehrlich zugeben, daß bis zu dem Tage, an dem Herr Dr. John in Berlin über die Grenze ging, auch der Innenminister Schröder von niemand gewarnt wurde, auch nicht von den vielen Illustrierten oder Nichtillustrierten, die nachträglich so vieles Interessante über Herrn Dr. John, sein Vorleben, seine Vergangenheit, seine subversive Tätigkeit, seine Beziehungen, seine Veranlagung und sonstwas zu sagen wußten.
— Genau.
— Vollkommen einig! Wobei ich so unbescheiden bin — ich muß es sein, obwohl mich jetzt Herr Schoettle anspricht —, immerhin zu sagen: Wenn ich mich recht erinnere, bin ich der einzige, der Herrn Dr. Lehr einen Brief geschrieben hat, als Herr Dr. John ernannt wurde, der einzige des ganzen Bundestages. Ich glaube, daß zu den Akten des Bundesministeriums auch von all den Journalisten, die nun die Artikel schreiben, keine Warnung erfolgt ist. Meine Warnung erfolgte, um das klarzustellen — denn ich unterstreiche jedes Wort, das mein Freund Kaiser hier gesagt hat —, nicht deswegen, weil ich einem Dr. John mißtraute oder ihn für ungeeignet hielt, weil er zu den Männern des 20. Juli gehörte.
Meine Damen und Herren, wir sollten uns wirklich hüten — und ich bin meinem Freund Kaiser dankbar, daß er hier einiges dazu gesagt hat —, uns dazu verlocken zu lassen. Ich unterstreiche, was Herr Kollege Dr. Menzel gesagt hat. Gibt es denn nicht uns allen zu denken, daß solche Ratten wie Herr Diels wieder aus den Löchern kommen, daß solche Leute den traurigen Mut haben, anstatt zu schweigen und sich zu schämen, nun Artikel und Bücher zu veröffentlichen und uns die „Segnungen" des „Dritten Reichs" anzupreisen, Leute, die die Gestapo, die die Konzentrationslager aus der Taufe gehoben haben?!
Ich habe auch hier die Bitte an den Herrn Innenminister, in solchen Fällen doch zu prüfen, ob nicht der Zeitpunkt gekommen ist, wo man von der Sondervorschrift in dem Ausführungsgesetz zu Art. 131 Gebrauch macht.
Menschen, die eine solche Tätigkeit ausuben, Menschen, die in einer so hundsgemeinen und subversiven Weise die neue werdende Demokratie angreifen, haben weiß Gott kein Recht, sich auf Rechtsansprüche zu berufen und Pensionen von den Steuerzahlern zu beziehen, die mit ihren Groschen eine Demokratie bauen wollen.
Was vorgegangen ist, muß sicherlich geprüft werden. Es soll auch geprüft werden, ob aus der Tätigkeit des Herrn Dr. John noch irgendein Schaden entstehen konnte oder entstehen kann. Es wird hier vielleicht nötig sein, personelle Entscheidungen in dem Amt oder was sonst nachzuprüfen. Ich möchte den Einzelheiten nicht vorgreifen. Aber es scheint mir doch etwas zu primitiv, wenn sich ein Redner etwa hinstellt und sagt: Eines müssen wir feststellen: hier ist ein unerhörter personeller Mißgriff vorgekommen. Meine Damen und Herren, wenn man vom Rathaus kommt, ist man immer klüger. Aber der das gesagt hat — es war der Abgeordnete Reinhold Maier, der einen hochinteressanten Beitrag zu dieser Diskussion geleistet hat, was mich veranlaßt, einige Bemerkungen zu machen —, hat damals — er war ja seinerzeit noch im Bundesrat — auch zu diesem „unerhörten personellen Mißgriff" geschwiegen. Es macht keinen sehr überzeugenden Eindruck, wenn er sich nun hierherstellt und den Empörten spielt. Ich habe überhaupt — und ich muß es sagen trotz der beinahe dithyrambischen Anerkennung, die Herr Rehs Herrn Kollegen Reinhold Maier gezollt hat — nicht den Eindruck, daß diese Äußerungen des Abgeordneten Maier sehr glücklich waren. Ich persönlich darf Ihnen sagen, daß ich während dieser Rede ein peinliches Gefühl nicht loswurde.
— Ich darf Ihnen auch sagen, warum. Ich habe den Eindruck, daß uns diese Rede veranlassen sollte, den Herrn amtierenden Präsidenten zu bitten, in Zukunft die Verlesung wohlvorbereiteter Reden zu verhindern; denn wenn er diese Rede nicht wortwörtlich vorgelesen hätte, wäre uns vieles erspart geblieben.
Der Herr Abgeordnete Maier hat an einer Stelle seiner Rede gesagt: Wie kommt eigentlich diese böse CDU/CSU dazu, einen Fraktionsbeschluß zu fassen, in dem sie erklärt, daß der Innenminister Dr. Schröder ihr Vertrauen hat? Das ist eine Ungeheuerlichkeit, eine Sitzung so vorzubereiten; denn man muß doch hier erst in der Sitzung diese Entscheidung treffen. — Aber er kommt mit einem Manuskript von 30, 40 Seiten wohlvorbereitet, er hört nicht, was vorher gesagt wird, er geht nicht darauf ein, sondern er liest treuherzig ab mit all den kleinen Mätzchen und Aperçus.
Ich hatte manchmal den Eindruck, in einem sehr billigen Kabarett zu sein, und ich frage auch den Herrn Kollegen Maier, ob er diese Dinge für sehr geschmackvoll hält. Er macht beispielsweise diesem Bundestag, er macht dieser Koalition, er macht diesem Kabinett den Vorwurf, die Innenpolitik nach „Methoden der Kindesaussetzung" zu behandeln. Nun, ich habe die Hoffnung, daß vielleicht die vier Minister, die seine Fraktion in dieses Kabinett entsandt hat, sich mit ihm über diese Kindesaussetzung unterhalten werden. Wenn man einer solchen Koalition angehört und hier im Bundestag jede Gelegenheit hat, die vermißte Initiative zu entfalten — ich vermisse sie bisher bei Ihnen, Herr Kollege Maier —, dann kann man sich nicht hier herstellen und sagen: Das, was hier geschehen ist, ist schlecht. Ach, Herr Maier, Sie hatten hier ebensoviel Gelegenheit, eine falsche Initiative zu entfalten, wie in Stuttgart auch!
Ich muß ein paar weitere Bemerkungen machen. Herr Kollege Maier hat dann sehr ernst und mit einer ungeheuer moralischen Miene gesagt — so ungefähr war es —: Was muß eigentlich in der Bundesrepublik passieren, bis was passiert? Nun, die Fragestellung ist an sich sehr schön, und wenn Herr Innenminister Schröder etwa die Flucht von Herrn John gedeckt hätte, dann müßte allerdings sehr viel geschehen. Wenn er eine Verantwortung hätte, wenn er gegen sein besseres Wissen Herrn John gehalten oder berufen hätte, auch dann müßte sehr viel geschehen. Aber hier ist etwas passiert, was nach meiner Meinung, nach unserer Meinung, die vielleicht von der des Herrn Kollegen Maier ab-
weicht, nicht in den Verantwortungsbereich unseres Freundes Schröder hineinfällt.
— Ich werde gern darauf eingehen, Herr Kollege.
— Aber ich darf vielleicht eine indiskrete Frage stellen: Was ist denn eigentlich alles in Stuttgart passiert, ohne daß etwas passierte, als Sie Ministerpräsident waren?
Meine Damen und Herren, es wäre wirklich verlockend, auf einzelne Dinge einzugehen.
Meine Damen und Herren, ich werde mich hier nicht auf Einzelheiten einlassen. Ich bin gern bereit, mit Ihnen darüber zu reden.
— Nun, ich darf an den Fall Maier/Meier, an den Fall Bürkle und an ähnliches mehr erinnern, was für Herrn Maier in keiner Weise Veranlassung war, daß mit ihm etwas passierte. Dazu mußten erst die Wähler kommen, daß ihm was passierte.
Es wäre noch einiges dazu zu sagen, und es wäre auch so einiges zu den mißglückten Aperçus unseres verehrten Kollegen Maier zu sagen,
der böse war, weil er in einer Erklärung des Herrn Bundeskanzlers das Wort vom „Übergang" des Herrn John fand. Er glaubte, das sei nicht so ganz richtig. Er zeigte dann, daß er klassisch gebildet sei. Er sprach von „transfuga" und davon, daß das „Überläufer" bedeute. Ja, meine Damen und Herren, wir wollen uns über diese Dinge nicht so intensiv unterhalten. Die SPD spricht in ihrem Antrag vom „Übertritt". Ob das die Übersetzung von „transfuga" ist, weiß ich auch nicht. Herr Maier hat dann selbst in seiner Rede von dem Tag der „Amtsaufgabe" des Herrn John gesprochen. Ist das die neue Übersetzung von „Überläufer"? Also wollen wir uns doch nicht so sehr an die Worte klammern! Lassen Sie mich das noch sagen: Ich hatte wirklich die Hoffnung, die aufrichtige Hoffnung gehabt, daß der gute Appell meines Freundes Kiesinger, den wir alle unterstützt haben, auch so begriffen und verstanden werde. Ich hatte auch den Eindruck, daß er zunächst so verstanden wurde.
Sehen Sie, meine Damen und Herren, wir können in diesem Parlament nicht die prästabilierte Harmonie schaffen, daß wir nun in allen Fragen einig sind. Wir haben auch sehr viel Verständnis für die berechtigte Kritik der Opposition an vielen Dingen, und wir haben sehr viel Verständnis für die Notwendigkeit einer solchen Kritik. Alles das soll nicht unterbleiben. Aber hier geht es doch wirklich — und das hat mein Freund Kiesinger ausgesprochen — um die Grundlagen dieses demokratischen Staates, und wir sollten uns gemeinsam bemühen, sie nicht zu erschüttern, sondern sie zu festigen. Wir sollten den Gründen der Vertrauenskrise nachgehen und sollten uns auch darüber, wenn wir verschiedener Meinung sind, offen und ehrlich die Meinung sagen, aber nicht, indem wir, wie es dann in dieser Rede des Herrn Maier geschah, von der ich schon sprach, unterdrückte Ressentiments loslassen, die wirklich mit diesem Fall gar nichts zu tun haben und für die die Öffentlichkeit in dieser Stunde kein Verständnis hat.
Ich habe es auch nicht so scharf beurteilt wie mein verehrter Kollege Rehs, daß Herr Dr. Dehler als Fraktionsvorsitzender dann auf die Tribüne gegangen ist, aber nicht um Nebel abzulassen, sondern um den bedauerlicherweise nicht vollkommen gelungenen Versuch zu unternehmen, eine Atmosphäre zu entgiften, die durch den rhetorischen Beitrag unseres Kollegen Maier wirklich schlecht geworden war.
Aber dazu zu sprechen, ist hier nicht der Platz. Es gibt andere Möglichkeiten.
Meine Damen und Herren, die Notwendigkeit besteht, uns in diesen Fragen, die uns doch alle angehen, in der sachlichen Diskussion zu finden, uns gegenseitig anzuhören. Ich versichere Ihnen, meine Fraktion ist dazu bereit, in einer solchen Situation besonders bereit, jedes sachliche, ernste, kritische Wort, das hier gesprochen wird, anzunehmen; denn wir wissen — und davon befreit uns niemand —, daß wir in der Verantwortung stehen, auch wenn Fehler geschehen, und wir müssen diese Verantwortung dann auch tragen. Aber das sollte uns doch dazu bringen, uns zu verständigen. Ich möchte den Appell aufnehmen, den dankenswerterweise Herr Kollege von Merkatz wiederholt hat: Können wir nicht den Versuch unternehmen — bei allem, was uns trennt, und bei aller Schärfe der Kritik —, uns gegenseitig die Möglichkeit zu geben, diese Mißstände gemeinsam zu beseitigen? Meine Damen und Herren, es geht um den Staat, in dem wir alle leben. Dieser Staat ist kein Verein, von dem sich der eine distanzieren kann, und eine Regierung ist auch kein Vereinsvorstand. Es ist mehr, und es geht darum, Vertrauensgrundlagen wiederherzustellen, die — ich betone und wiederhole es und muß es anerkennen — durch die Vorgänge der jüngsten Vergangenheit erschüttert worden sind. Ich glaube, wir dienen diesem Vertrauen draußen nicht, wenn wir uns nun hier zanken, wenn wir uns gegenseitig den guten Willen absprechen, wenn wir das Wort des anderen so auslegen, wie es der Herr Kollege Rehs gegenüber meinem Freund Kiesinger getan hat.
In der Aufklärung dieses Tatbestandes, in dem Bemühen, die Wiederholung ähnlicher Ereignisse zu verhindern, in dem Bemühen, alles zu tun, um auch die möglichen Auswirkungen zu ergründen, in dem Bemühen, alle Vorgänge zu durchleuchten, um jede schädliche Auswirkung, soweit sie noch vorhanden sein könnte oder sich später zeigen könnte, auszuräumen, in diesem Bemühen werden Sie uns im Ausschuß und außerhalb des Ausschusses, im Untersuchungsausschuß und im Ausschuß für Verfassungsschutz auf Ihrer Seite haben. Sie werden uns auch auf Ihrer Seite haben in dem Bemühen, die Grundlagen der Arbeit der Verfassungsschutzämter — lassen Sie es mich sagen — in Bund und Ländern einer echten und gründlichen Revision zu unterziehen. Denn wir sind der Meinung — und ich unterstreiche, was mein Freund Kiesinger in der
Debatte gesagt hat, als hier das ganze Verfassungsschutzwesen seinerzeit einmal zur Diskussion stand —: Hier brauchen wir die rechtsstaatlichen Grundlagen, und wir brauchen die rechtsstaatlichen Garantien auch für den einzelnen. Ich widersetze mich genau wie Sie der Duldung einer Institution, die außerhalb dieser rechtsstaatlichen Ordnung Eingriffsmöglichkeiten besitzt.
Ich widersetze mich der Möglichkeit, als Staatsbürger dieses Landes etwa kontrolliert und beobachtet zu werden, ohne daß man mir die Möglichkeit gibt, gegen Verleumdungen Stellung zu nehmen. Alles das wird zu einer organischen Reform des Verfassungsschutzes gehören. Ich meine, wir sollten gemeinsam daran arbeiten. Die Grundlagen dafür sind in dieser Diskussion zumindest teilweise entstanden, und es ist mein Wunsch, daß sie in der Fortsetzung dieser Diskussion auch noch endgültig gelegt werden.