Rede von
Dr.
Alfred
Gille
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(GB/BHE)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (GB/BHE)
Es ist heute schon mit Recht gesagt worden — vielleicht darf ich es noch einmal unterstreichen und etwas deutlicher formulieren —: Wenn der neue Bundesinnenminister im Laufe des letzten Jahres eines Tages aus Gründen, die er nicht ohne weiteres der Öffentlichkeit verständlich machen konnte und die etwa so lauteten: „Ich traue diesem Mann nicht mehr über den Weg, er muß mir da weg", den Entschluß gefaßt hätte, Herrn Dr. John abzubauen: ich hätte das Geschrei hören wollen von denjenigen,
die heute nicht bereit sind, die Grundfrage, die ich vorhin bereits formuliert habe, wirklich ohne jeden Vorbehalt zu bejahen.
Der Herr Bundesinnenminister hat eine Formulierung gebraucht; bei der möchte ich — —
— Ich habe etwas von Entnazifizierung gehört. Ich komme auf das Thema noch.
Dazu haben Sie mir das Stichwort ja vorhin schon zugeworfen.
Der Herr Bundesinnenminister hat in seinen Ausführungen davon gesprochen, daß bei der Einstellung des Herrn Dr. John eine Empfehlung — ich glaube, es waren Ihre Worte — von namhafter Seite vorgelegen habe. Meine Damen und Herren, wir sollten doch heute frei und offen reden, um den ganzen Nebel zu zerstreuen und um auch klare Antworten zu geben, wie sie heute von uns erwartet werden. In der deutschen Presse ist im Zusammenhang mit der Einstellung von Herrn Dr. John
wiederholt der Name des Herrn Bundesministers Jakob Kaiser gefallen.
Ich glaube, man sollte aus verschiedenen Gründen darüber nicht mit Stillschweigen hinweggehen, nicht zuletzt auch im Interesse des Herrn Jakob Kaiser. Es sollte doch von Herrn Jakob Kaiser eine Äußerung erbeten werden, ob er der Meinung ist, daß bei voller Kenntnis des Treibens des Herrn Dr. John vom Jahre 1944 bis zum Antritt seines Amtes tatsächlich eine Empfehlung für die Einnahme einer solch wichtigen Schlüsselstellung berechtigt gewesen ist.
Über die fachliche Eignung dieses Herrn ist heute verhältnismäßig wenig gesagt worden. Es kann sein, daß man sich damals darüber gar keine Kopfschmerzen gemacht hat. Irgend etwas aus seinem bisherigen beruflichen Wirken brachte er für diese doch sehr schwere Materie weiß Gott nicht mit. Nachdem das Kind in den Brunnen gefallen ist, wissen alle viel mehr als vorher. Ich habe gerade aus den Kreisen der Länderinnenministerien Stimmen gehört, die etwa so lauteten: Daß dieser Mann völlig fehl am Platze war, schon wegen seiner völlig fehlenden fachlichen Qualität, ist uns seit Jahr und Tag bekannt!
— Entschuldigen Sie, diese schlaue Äußerung habe ich erst hinterher zu hören bekommen.
— Entschuldigen Sie, ich sagte ja eben, diese Äußerungen kommen jetzt, nachdem das Kind in den Brunnen gefallen ist, von allen Seiten, und jeder weiß etwas hinzuzutragen. Dazu gehört auch die Behauptung der völlig fehlenden Eignung fachlicher Art.
— Ich habe Sie nicht verstanden.
— Ja, ganz genau.
— Ich weiß nicht.
Meine Damen und Herren, es ist auch schon mit Recht die Frage gestellt worden: Wenn schon im Jahre 1950 die Einstellung unter starker Einflußnahme der Besatzungsmächte erfolgt ist, mußte das wirklich vier Jahre so bleiben?
Ich darf Sie einmal an die Sitzung des Bundestags vom 8. Juli dieses Jahres erinnern, in der meine Fraktion einen persönlichen Vorwurf gegen Herrn Dr. John zu erheben gehabt hat. Zu unserer großen Freude hat sich damals der Herr Bundesinnenminister sofort erhoben und im Namen der Bundesregierung erklärt, daß diese unqualifizierbare Äußerung des Herrn Dr. John bedauert und mißbilligt wird. Es war meines Wissens das erstemal, daß in bezug auf einen Vorwurf gegen die Person des Präsidenten des Verfassungsschutzamtes eine
so erfreulich deutliche Äußerung von der Regierungsbank zu hören war. Ich vermißte von seiten der heute so heftigen Kritiker damals auch nur die Andeutung eines Beifalls zu dieser Erklärung des Herrn Bundesministers.
Gerade zu diesem letzten Fall darf ich hinzufügen, daß uns die Antwort des Herrn Bundesinnenministers seinerzeit deshalb so erfreulich klang, weil die Bemühungen, die Dinge in einem persönlichen Schreiben an das Bundeskanzleramt zu bereinigen, leider eine völlig unbefriedigende Antwort des Herrn Staatssekretärs Globke einbrachten. Ich habe das nur angeschnitten, weil es mir wichtig zu sein schien, auch einmal das Positive in der Behandlung dieser Materie durch den Herrn Bundesinnenminister hervorzuheben.
Nun zu den ersten Reaktionen in Bonn. Herr Bundesinnenminister, ich bin für vieles, was damals von Ihnen persönlich geschehen und auch von Ihnen zu verantworten ist, nicht in der Lage, Ihnen den Beifall meiner politischen Freunde zu zollen. Es ist insoweit so vieles an Einzelheiten gesagt worden, daß ich es mir wohl ersparen kann, es zu wiederholen.
Ich darf in diesem Zusammenhang gleich zu der Frage Stellung nehmen, wie meine Fraktion zu dem Mißbilligungsantrag der Opposition stimmen wird. Zweifellos ist etwas Berechtigtes an der Äußerung, die, glaube ich, Herr Maier im Namen seiner Fraktion getan hat: Die ganzen Zusammenhänge, in deren Rahmen auch nur die Vorgänge unmittelbar nach dem Überlaufen Johns richtig zu beurteilen sind, sind im Augenblick in keiner Weise so geklärt, daß man das Verhalten des Bundesinnenministers in seiner Gesamtheit beurteilen könnte. Aber das ist nicht der wichtigste Grund, weshalb wir dem Mißbilligungsantrag nicht zustimmen können. Der eigentliche Grund ist der: wir möchten uns durch eine Zustimmung zu diesem Antrag die Begründungen, die heute von der Opposition vorgetragen worden sind, keineswegs zu eigen machen. Sie gehen in vielen Fällen am Ziel vorbei und finden nicht unsere Zustimmung.
Im Laufe der Debatte sind die verschiedensten Differenzierungen von Bevölkerungsgruppen gemacht worden. Wir haben von „echten" Widerstandskämpfern, von „unechten" Widerstandskämpfern, von Nazis, von „alten" Nazis, von „unverbesserlichen" und von solchen, die sich „gebessert" hätten, gehört. Wir haben heute gehört, daß man auch von „Vollblutdemokraten" sprechen könne. Vielleicht kann man auch — wenn ich diese Differenzierung noch weitertreiben darf — von jungen, von alten und von uralten Demokraten sprechen. Aus all diesem geht doch wohl das eine mit erschreckender Deutlichkeit hervor: daß wir in unserem Volke vor der traurigen, der tieftraurigen Situation stehen, daß immer wieder mit Pauschalurteilen versucht wird, uns auseinanderzubringen, uns auseinanderzureden, anstatt uns zusammenzufügen.
In diesem Zusammenhang komme ich auch auf die angebliche Nazigefahr, ein Stichwort, das ja bezeichnenderweise Herr Dr. John in seinem ersten Interview in Pankow hier zu uns herübergerufen hat. Dieses Stichwort ist leider von einigen mit besonderer Freude aufgenommen und auch heute in der Diskussion breitgetreten worden. Herr Mellies hat es dabei für notwendig befunden, einen
meiner Parteifreunde besonders zu apostrophieren. Wir sind es ja in der letzten Zeit gewohnt, daß die SPD keine Gelegenheit vorübergehen läßt, derartige Vorwürfe auszusprechen. Ich verstehe nicht, daß nicht langsam das Empfinden überhandnimmt, daß man damit doch eigentlich die Arbeit deutschfeindlicher Kräfte des Auslands tut.
Es scheint doch nötig zu sein, diese Überlegung endlich einmal ernstlich anzustellen.
Meine Damen und Herren, ich will Ihnen auch noch mehr dazu sagen. Ein Mann wie mein Parteifreund Waldemar Kraft, der in seinem ganzen Leben, und zwar unter Umständen, die wesentlich schwieriger gewesen sind, als die Mehrzahl von uns sie haben erleben dürfen, nämlich im polnischen Ausland, führend in der deutschen Volksgruppe tätig war, hat sich in dieser seiner jahrzehntelangen Tätigkeit, was Sie bei einiger Nachprüfung unschwer hätten feststellen können, nicht nur das Vertrauen der deutschen Volksgruppe, sondern, was noch wertvoller war, in hohem Maße auch das Vertrauen des polnischen Volkes erwerben können. Ich habe keine Veranlassung, mich über diese Tatsachen, die der Öffentlichkeit nicht erst seit gestern und heute bekannt sind, weiter zu verbreiten. Aber man hat beinahe so den Eindruck — wenn Sie gerade im Zusammenhang mit Dr. John auch heute hier in aller Breite von dieser angeblichen Nazigefahr sprechen —, als ob Herr Dr. John zu Himmler übergelaufen wäre. Davon kann doch keine Rede sein. Herr Dr. John ist doch nicht etwa zu Himmler, sondern zu einem System übergelaufen — und nun lassen Sie mich etwas deutlich antworten —, in dem einzelne Ihrer Freunde jahrelang eine politische Erziehung genossen haben. Es ist mehr als dreist, meine Damen und Herrn, bei der Erörterung eines solchen Themas nun die Dinge auf den Kopf zu stellen und so zu tun, als ob Sie es gerade in diesem Augenblick notwendig hätten, hier von einer Nazigefahr zu sprechen.
— John ist nicht mein Kronzeuge, sondern Ihrer! Denn Sie, Herr Menzel, oder vielmehr einzelne Ihrer Parteifreunde, haben dieses Stichwort mit Wonne in der Begründung aufgegriffen.