Rede von
Dr.
Kurt Georg
Kiesinger
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die beiden Kollegen von der sozialdemokratischen Fraktion, die die Anträge
der sozialdemokratischen Fraktion hier zu begründen hatten, haben mit Recht im Zusammenhang mit dem Fall John von einer Vertrauenskrise gesprochen. Herr Kollege Mellies hat gesagt, man müsse nach den Gründen für diese Vertrauenskrise fragen, und ich habe aufgehorcht, als er sagte, dann müsse das Parlament zuerst bei sich anfangen. Ich habe deshalb aufgehorcht, weil ich hoffte, daß nun nicht wieder das alte Spiel beginnen würde, daß man, wenn man nach einer Gewissenserforschung des Parlaments ruft, doch nichts anderes tut, als die alten, uns wohlbekannten Vorwürfe der Minderheit gegen die Mehrheit vorzubringen.
Ja, der Fall John hat eine Vertrauenskrise in diesem Volke hervorgerufen. Aber ich glaube nicht, daß es jene ist, von der Herr Mellies, und auch nicht jene, von der Herr Menzel gesprochen hat. Es soll eine Krise des Vertrauens in die parlamentarische Demokratie hervorgerufen worden sein; es soll sich erneut die Labilität unseres parlamentarisch-demokratischen Systems erwiesen haben. Nun, meine Damen und Herren, erinnern wir uns einmal in aller Ruhe, was sich zugetragen hat und was für eine Krise daraufhin ausgebrochen ist.
Das deutsche Volk wurde eines Tages durch die Mitteilung überrascht, daß der Präsident des Bundesverfassungsschutzamtes verschwunden sei. Die Meldungen darauf ließen die Möglichkeit erkennen, daß er freiwillig in die Ostzone gegangen sei, daß er zu den Bolschewiken übergelaufen sei. Selbstverständlich wirkte es auf unser Volk wie ein Schock, daß es sich ereignen konnte, daß der Inhaber eines so hohen Amtes diese Fahnenflucht vollzog.
Dann kamen Schlag auf Schlag neue Nachrichten. Viele Menschen in diesem Volke hatten überhaupt nicht gewußt, daß es so etwas wie den Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz gibt. Viele hatten nicht gewußt, daß es einen Herrn John gibt. Es sind nicht alles Parlamentarier und sind nicht alles Leute, die irgendwann einmal durch ein Eingreifen des Bundesamtes betroffen worden waren. Nun erfuhren sie, daß dieser Leiter des Bundesamtes für Verfassungsschutz ein ehemaliger Emigrant war. Sie erfuhren dazu, daß er nicht nur ein Emigrant war, sondern daß er — ob das nun stimmte oder nicht, die Meldung wurde verbreitet — während des Krieges im englischen Dienst, ja sogar im englischen Geheimdienst beschäftigt gewesen sei. Sie erfuhren weiter, daß derselbe Herr John in den Jahren nach 1945 hier in Deutschland eine höchst eigentümliche Rolle gespielt habe, daß er nämlich in gewissen Prozessen in Nürnberg und in Hamburg, im Krupp-Prozeß und im Manstein-Prozeß, als Zeuge der alliierten Anklagebehörde gegen die deutschen Angeklagten aufgetreten sei. Es kam hinzu, daß man hörte, dieser Herr sei überdies ein Trunkenbold und ein Homosexueller und im ganzen eine ungemein zweifelhafte und problematische Persönlichkeit.
Meine Damen und Herren! Welcher Art war der Schock, den unser Volk bei diesen Nachrichten empfing? Sehr einfach. Der Schock war der, daß man sich fragte: Wie war es überhaupt möglich, daß eine solche Persönlichkeit in die Leitung eines so hohen Amtes gelangte? Daß man diese Frage stellte, ist mehr als selbstverständlich.
Nun, wir haben allen Grund — wir alle zusammen —, in diesem Zusammenhang eine Gewissenserforschung zu machen. Aber Sie, meine Herren von der sozialdemokratischen Partei, haben Sie es weniger als wir? Die Ausführungen, die Sie heute hier gehört haben, haben Ihnen in die Erinnerung gerufen, daß gerade jener Untersuchungsausschuß, an dem Sie maßgeblich beteiligt waren, es war, der dem Mann des Auswärtigen Amtes, der die Einstellung des Herrn John dort abgelehnt hatte, heftige Vorwürfe deswegen machte und ihm die Bescheinigung erteilte, daß er ein sehr mediokrer Geist sei.
— Nun ja, Herr Erler, aber in diesem Zusammenhang —
— Lieber Herr Erler, Sie können nicht aus weiß schwarz machen.
Dem betreffenden Mann wurde die Verweigerung der Einstellung Herrn Johns ausdrücklich zum Vorwurf gemacht.
— Ich gebe zu, daß auch Leute von uns dabei waren: ich mache Ihnen keinen einseitigen Vorwurf.
— Nein, darauf lief es bei Ihnen hinaus.
— Herr Schoettle, lassen Sie mich einmal in aller Ruhe ausreden! Ich versichere Ihnen, daß mir diese Stunde viel zu ernst ist, als daß ich nun den Stiel umkehren und auf ähnliche Weise argumentieren möchte, wie es vorhin in der Begründung der Anträge zum Teil geschehen ist.
Ich richte an Sie eine Gewissensfrage, meine Damen und Herren von der Sozialdemokratie — Sie haben gehört, daß der Innenminister mit Recht der Überzeugung war, daß Herr John für sein Amt aus vielen Gründen nicht taugte —: Was wäre wohl passiert, wenn der Innenminister bald nach Amtsantritt die Entlassung von Herrn John verfügt hätte?
Ich mache Ihnen keinen Vorwurf. Aber in Unkenntnis der wirklichen Persönlichkeit des Herrn John hätten sich doch viele auch in Ihren Reihen einfach an die Tatsache geklammert, daß hier ein Mann des Widerstandes und der Emigration entfernt worden sei, und daraus wären ganz sicher schwere Angriffe gegen den Bundesinnenminister erfolgt.
— Herr Mellies, Ihr Wort in Gottes Ohr! Das zeigt eben die außerordentliche Schwierigkeit, in der wir stehen.
Meine Damen und Herren, die Vertrauenskrise nach dem Fall John sah anders aus, als Herr Mellies und Herr Menzel sie dargestellt haben.
Diese Vertrauenskrise geht viel, viel tiefer, als diese beiden Herren angedeutet haben. Sie konnten in Gesprächen in diesem Lande nach dem Fall John vernehmen, daß jeder, der zu dem Fall Stellung nahm, den Akzent seiner Sorge und seines Vorwurfs anders setzte. Da gab es natürlich Leute, die sagten: Wie kann man überhaupt einen Mann des 20. Juli auf einen solchen Posten stellen! Ich brauche nicht zu versichern, wie sehr ich diesen Menschen unrecht gebe. Ich neige mich in Respekt vor den Männern des 20. Juli, ob sie nun ihr Leben lassen mußten oder ob sie heute noch unter uns sind. Da gab es wieder andere, die sagten: Ja, aber es ist ein Unterschied, ob es ein Mann des 20. Juli ist, der hier seinem Schicksal mutig ins Auge sah, oder ob es ein Mann ist, der draußen in der Emigration gearbeitet hat. Auch hier erkläre ich ganz klar, daß ich mich weigere, mich einer solchen Argumentation anzuschließen. Ich habe mich in diesen leidvollen vergangenen Jahren daran gewöhnt, den Mann zu sehen und seine Situation zu verstehen, aus der heraus er gehandelt hat, ob er nun hinausgegangen oder ob er zu Hause geblieben ist. Aber so sicher es großartige Persönlichkeiten gegeben hat, die in die Emigration gegangen sind — der Herr Bundeskanzler hat es ja in seiner Rundfunkerklärung mit so schönen Worten gesagt —, so sicher hat es auch fragwürdige Persönlichkeiten gegeben.
Wir wissen nicht, ob Herr John schon damals eine solche fragwürdige Persönlichkeit war. Noch heute liegt darüber der Schleier der Ungewißheit. Weiter gab es Menschen, die sagten: Wenn das alles nicht zählt, dann hätte man doch nie und nimmer einen Mann nehmen dürfen, der noch nach der Katastrophe den recht zweifelhaften Mut hatte, sich in Verfahren gegen Deutsche der alliierten Anklage zur Verfügung zu stellen. Ich will zu diesem Verhalten des Herrn John keine persönliche Stellung beziehen. Aber es kann kein Zweifel darüber sein, daß hier eine ganz echte und zu einem guten Teil auch sehr berechtigte Sorge in unserem Volke aufsteigt.
Was die übrigen Qualitäten des Herrn John anlangt, von denen man dann hörte, — nun ja. Aber das Allerschlimmste: Herr John, der behauptete, er sei hinübergegangen, weil er hier in diesem Lande ein Wiederauferstehen des Nationalsozialismus fürchte, hat diese Erklärung ohne jeden Zweifel wider besseres Wissen abgegeben;
denn gerade in seinem Amte hat er feststellen müssen, wo die wirkliche Gefahr unserer Zeit liegt.
Ich will nicht verschweigen, daß auch meine Freunde und mich mitunter Sorge erfüllt über die Unverbesserlichen, die nichts vergessen und nichts hinzugelernt haben. Wir kennen sie. Aber, meine Damen und Herren, es gibt auch Millionen in diesem Lande, die in der tragischen Situation der
Hitlerzeit eben nicht jene heroische Haltung der Widerstandskämpfer oder nicht jenen Entschluß zur Emigration finden konnten oder finden wollten und die trotzdem nach der Katastrophe echte und überzeugte Bürger dieses demokratischen Staatswesens geworden sind und sich in ehrlicher Bemühung mit ihm auseinandersetzen.
Diese Frauen und Männer fühlen sich natürlich immer wieder angesprochen, wenn solche Dinge passieren. Tatsache ist eben, daß in diesem Volke noch manches ungelöst ist, noch manche Spannungen da sind, die gelöst werden müssen, daß Wunden noch nicht vernarbt sind, die vernarben müssen.
Herr Menzel hat gesagt, wir müßten — das sei die Aufgabe des Parlaments —, wenn sich Gefahren für diesen Staat zeigten, den Finger auf die Wunde legen. Ja, wir müssen es in der Tat. Aber eine wichtige Aufgabe dieses Parlaments ist es auch, diese Wunden mit heilen zu helfen
und nicht bei jedem Anlaß die kaum vernarbten Wunden wieder aufzureißen.
Wir haben in den letzten Jahren viel über die europäische Integration gesprochen, und sie ist wahrhaftig nötig, wenn wir mit dem Leben davonkommen wollen. Aber es gibt auch eine innerdeutsche Integration. Wir dienen Europa nicht und wir dienen diesem Volke nicht, wenn wir nicht alles daransetzen, diesen Integrationsprozeß voranzutreiben und aus diesem immer noch gespaltenen und blutenden, unsicheren und verwirrten Volk endlich wieder ein gesundes Volk zu machen, das zu sich selbst und zu seinem zukünftigen Schicksal Zutrauen hat.
— Ich habe nichts dagegen, verehrter Herr Kollege Schmid, gar nichts. Wogegen ich mich wehre, ist doch lediglich dies: wir sollten in diesem Augenblick nicht klein genug sein, aus dieser Vertrauenskrise vielleicht ein bißchen parteipolitisches Kapital zu schlagen, sondern an das Ganze und seine Bedrohung denken.
Nun, das war der Vorgang.
Im Zusammenhang damit sind dem Bundesinnenminister eine Reihe von Vorwürfen gemacht worden. und im Zusammenhang damit ist auch dieser Mißbilligungsantrag der sozialdemokratischen Fraktion eingebracht worden. Meine Damen und Herren, weder ich noch viele meiner politischen Freunde haben alles, was der Bundesminister des Innern im Fall John getan, gesagt, erklärt hat, gutgeheißen oder immer geschickt gefunden. Wir alle sind Menschen, und jeder von uns kann Fehler machen. Ich muß sagen, ich bin froh, daß ich nicht in der Haut des Bundesinnenministers stak, als diese schwere Krise unseres Volkes ausbrach.
Aber eines wollen wir in diesem Augenblick doch
anerkennen: wir wollen anerkennen, daß es tatsächlich dieser Bundesminister des Innern war, der,
ohne etwas ahnen zu können von der fragwürdigen Persönlichkeit dieses Herrn John, aus ganz objektiven Gründen erkannt hatte, daß er nicht zu halten sei, und der entschlossen war, ihn von seinem Amte zu entfernen. Das, glaube ich, ist sehr viel wichtiger als vieles andere. Wenn dieselbe große Zeitung, die der Herr Bundesinnenminister heute schon angeführt hat, zugesteht: „Gerade die Erkenntnis des Bundesinnenministers, wie ungeeignet John für sein Amt war, war eine der Ursachen, die John zu seiner Fahnenflucht veranlaßten", dann, glaube ich, spricht das zugunsten des Bundesinnenministers.
Er hat uns erklärt, es sei ein Unterschied zwischen dem, was man in einem solchen Augenblick erkläre oder nicht erkläre, und dem, was man an notwendigen Maßnahmen ergreife. Ich glaube, auch darin muß man ihm recht geben. Es kann niemand behaupten, der Bundesminister des Innern habe das Geringste unterlassen, das notwendig war, um den Fall aufzuklären und die daraus drohenden Gefahren zu beseitigen. Was er vielleicht von vornherein nicht ganz erkannt hat, war die Natur der Beunruhigung, die in unserem Volk in diesem Zusammenhang entstand. Das mag gesagt sein. Aber das kann uns keinen Grund geben, dem Bundesminister des Innern in diesem Zusammenhang eine Mißbilligung auszusprechen.
Sie haben die Gelegenheit benutzt, um wieder einmal zu beklagen, daß unsere parlamentarische Demokratie im Volke nicht genug verwurzelt sei. Ja, sie ist es in der Tat nicht oder jedenfalls nicht genug. Immerhin: seit Jahr und Tag wählen die Massen unseres Volkes staatstragende und unbezweifelbar demokratische politische Parteien. Und jene Gespenster von rechts und links, die uns einmal in diesem Saal Unruhe und Unordnung machten, sind verschwunden und zerstoben.
Darüber hinaus: ist es wirklich das Verhalten der Regierung, das an einer solchen Krise der Demokratie schuld wäre? Was am 6. September des letzten Jahres geschah, war alles andere. als eine Krise unseres parlamentarisch-demokratischen Staatswesens, sondern es war — einschließlich der Wähler der Sozialdemokratischen Partei — ein Bekenntnis, ein überwältigendes Bekenntnis dieses Volkes zu diesem Staat und zu dieser Demokratie.
Muß man es denn immer wieder aussprechen, wie sehr es gerade die persönliche integrierende Wirkung des Bundeskanzlers war — alle Welt weiß es doch, und deswegen darf ich es auch sagen, ohne daß es als eine Schmeichelei aufgefaßt werden könnte —, wie sehr es die persönliche integrierende Wirkung dieses Mannes war, die unser Volk wieder zu einem echten Staatsbewußtsein gebracht hat?
Vielleicht wäre es, wenn das Schicksal anders entschieden und Ihren Dr. Kurt Schumacher an die Spitze des neuen Staates gestellt hätte, ähnlich gewesen. Ich weiß es nicht; das Schicksal hat anders
entschieden. Aber wir müssen doch solche Tatsachen anerkennen und solche Verdienste — Verdienste, die eine spätere Geschichtsschreibung erst einmal richtig herausstellen wird — unterstreichen.
Es ist etwas ganz anderes, was diese Labilität unserer Demokratie befördern könnte. Es ist das, was in den letzten Jahren in Deutschland so vielen Menschen Kummer gemacht hat: daß man den Eindruck hatte, daß es nicht gelingen will, ein politisches Klima zu schaffen, in dem sich als deutscher Staatsbürger wohl wohnen läßt. Und dieses Parlament hat oft genug Gelegenheit gegeben, dem deutschen Staatsbürger in diesem Zusammenhang Unbehagen zu schaffen.
Ich weise namens meiner Freunde den Vorwurf zurück, der Bundeskanzler habe das Parlament mißachtet. Das war wirklich keine gute Formulierung.
Wir alle wissen, daß der Bundeskanzler eine Neigung zu einem starken persönlichen Regiment hat.
Auch uns in der Christlich-Demokratischen Union ist das nicht unbekannt geblieben.
Aber in diesen Jahren seit 1949 ist mir am deutschen Ruder eine Persönlichkeit mit dieser Neigung und diesem Willen tausendmal lieber als jene
schwachen Reichskanzler seit 1919, die niemals —
— Meine Damen und Herren, wenn zu viele auf einmal bei Ihnen sprechen, kann ich Sie nicht verstehen und Ihnen auch keine Antwort geben.
— Meine Damen und Herren, ich habe vollen Respekt für die Anstrengungen der Reichskanzler nach 1919.
Ich kannte einige von ihnen. Aber das ändert nichts daran, daß sie eben nicht die Kraft aufbrachten, jenen Integrationsprozeß zu vollenden, der notwendig gewesen wäre, um die nationalsozialistische Flut abzuwehren.
— Meine Damen und Herren, Sie reden zuviel auf einmal; ich kann Sie nicht verstehen.
Meine Damen und Herren, Sie haben auch Ihre Erinnerungen. Ich bin überzeugt, wenn Ihr verehrter Dr. Kurt Schumacher Bundeskanzler geworden wäre, hätten Sie auch manchmal gesagt, er führe ein etwas zu hartes persönliches Regiment.
Ich bin auch überzeugt, daß manche von Ihnen in ihrem geheimsten Herzenskämmerlein ganz zufrieden sind, daß wir nicht einen schwachen Bundeskanzler haben.
Nun zu uns, zum Parlament! Ich bekenne, ich begrüße als einen der glücklichsten Einfälle des Parlamentarischen Rats die verfassungsjuristische Festigung der Position des Bundeskanzlers. Kommt dann noch ein Mann hinzu, der willens ist, diese Position auch auszunutzen, so haben wir das, was wir wollen, was wir auf beiden Seiten wollten, als wir noch nicht wußten, wer Bundeskanzler sein würde.
Aber das gebe ich zu: das Parlament muß gerade in einem solchen Fall auf seiner Kompetenz und seiner Würde nachdrücklich bestehen.
Aber, meine Damen und Herren, Kompetenz und Würde eines Parlaments bestehen doch nicht in Lärmszenen in diesem Hause, in Randalieren oder in Anklagen, wie sie in einer verhängnisvollen Nacht in diesem Hause gegen den Chef dieser Regierung geschleudert worden sind.
Die Verfassung gibt uns alles in die Hand, was wir brauchen, um gegenüber einer starken Regierung eine starke Legislative darzustellen. Haben wir den Mut, davon Gebrauch zu machen!
Die Tatsache, daß wir in den letzten Jahren mit dem Herrn Bundeskanzler so weitgehend einig waren, beruht ja nicht darauf, daß wir wie sanft blökende Lämmlein hinter seinem Hirtenruf einhertrabten, sondern darauf, daß wir erkannten, daß er recht hat, und weil wir wollten, daß sich das, was recht und richtig ist, auch durchsetzt.
Ich weiß nicht, ob sich nicht einmal in diesem Parlament eine Situation ergeben wird, wo wir mit ihm verschiedener Meinung sein werden. Wenn es so sein sollte, dann versichere ich Ihnen, Herr Bundeskanzler, werden wir dies klar und deutlich hier aussprechen.
Nun, meine Damen und Herren, ziehen wir doch die Lehren aus den Vorgängen, versuchen wir doch, diese Unruhe in unserm Volk, diesen bei vielen geringen Glauben in dieses demokratische Staatswesen zu erkennen und das Nötige zu tun; und das Nötige heißt in diesem Falle ganz einfach: zusammenrücken!
In unserm Volk und in diesem Parlament wird sehr viel von Gefahren von rechts und links geredet. Diese Gefahren sind da. Aber — darf ich es einmal hier aussprechen — wenn ich in diesem lieben deutschen Vaterlande landauf, landab reise und so viele Menschen höre, oft in der Bahn, an Stamm-
tischen, aber auch ganz zynisch und offen ins Gesicht hinein gesagt, dann finde ich, daß es eine Gefahr in diesem Lande gibt, die vielleicht die größte ist, daß es eine Gruppe gibt, die vielleicht die gefährlichste ist: das ist die Gruppe der Gesinnungslosen, die nie in ihrem Leben zu einer Gesinnung kommen konnten, die immer obenauf schwimmen und letzten Endes kein anderes Interesse haben als zu leben und zu verdienen und den Staat Staat sein zu lassen.
— Nein, deuten Sie nicht, verehrte Frau Kollegin, deuten Sie nicht! Diese Gesinnungslosen sitzen in allen Lagern
und geben ihre Stimme allen Parteien nur so gerade, wie es ihnen ins Konzept paßt. Passen wir alle gemeinsam auf sie auf; denn sie sind unser aller gemeinsamer Feind.
Und das bedeutet sehr viel in einer Zeit, in der eine fanatisierte Masse von Millionen — denn alle diese jungen Menschen in dem 800-Millionen-Verband, der an unserer Grenze steht, sind ja eine solche fanatisierte Masse — drüben steht. Wem von uns ist nicht schon einmal die Gänsehaut den Rücken hinuntergelaufen, wenn er an diesen Gegensatz der Fanatiker dort drüben und der Spießer aller Lager hier in diesem Volke dachte?
Das ist doch die wirkliche Gefahr; das ist doch die wirkliche Krise!
Ich sehe in Ihren Reihen so manchen, mit dem ich unter vier Augen Sorgen ausgetauscht habe. Wir waren uns so herrlich einig; wir wußten, daß wir zusammenstehen müßten. Nun, tragen wir doch etwas von dem auch in die öffentlichen Sitzungen dieses Parlaments hinein!
Lassen wir doch nicht immer den Schematismus
abrollen, den dieses Volk seit Jahren gewohnt ist!
Zeigen wir, daß wir gemeinsame höchste Güter haben, ja daß das Gemeinsame, das wir haben, viel, viel größer ist als das, was uns trennt, und bringen wir das auch in einem Ton menschlicher Herzlichkeit zum Ausdruck, der diesem Parlament ja wahrhaftig nur zu gut täte!
— Ich sage es, Herr Mellies, zu allen Bänken, zu diesen , zu diesen (zu den Regierungsparteien) und zu dieser (zur Regierungsbank), damit Sie zufriedengestellt sind.
Was soll nun geschehen? Meine Damen und Herren, es ist einiges in dieser Diskussion bös durcheinandergemischt worden. Bevor der Fall John kam, hatten wir hier eine Debatte über das Bundesamt für Verfassungsschutz, bei der es hauptsächlich darum ging, daß dieses Bundesamt seine Befugnisse übertreiben könnte, in einer rechts-
staatlich nicht zu billigenden Weise ausnutzen könnte. Insbesondere ging es um die Frage, wo in der Erforschungs- und Auswertungstätigkeit dieses Amtes die Grenze zu ziehen ist. Ich muß schon sagen, ich habe nicht verstehen können, Herr Kollege Menzel, wie Sie die Fälle John und Schmidt-Wittmack mit diesem ersten Problem verkoppeln konnten; denn Sie konnten doch höchstens sagen: Der Fall John ist deswegen bedauerlich, weil es dem Bundesamt für Verfassungsschutz oder den sonstigen Aufklärungsinstitutionen nicht früher gelungen ist, die zweifelhafte Persönlichkeit des Herrn John aufzudecken. Sie konnten ebensogut nur sagen: Es ist bedauerlich, daß es dem Bundesamt für Verfassungsschutz nicht gelungen ist, die Tätigkeit des Herrn Schmidt-Wittmack früher aufzudecken.
Das aber hätte doch in der Logik die Folge gehabt, daß Sie fordern mußten, daß man dem Bundesamt für Verfassungsschutz erheblich mehr Kompetenzen, vielleicht sogar Exekutivkompetenzen zusprechen mußte. Es hat aber gewiß nichts damit zu tun, daß das Bundesamt für Verfassungsschutz seine Kompetenzen in anderer Richtung, etwa in der Beobachtung von einwandfreien demokratischen politischen Persönlichkeiten der Bundesrepublik überdehnte. Wir wollen doch die Komplexe fein säuberlich getrennt lassen. Ich kann zu diesem Komplex nur dasselbe wiederholen, was ich jüngst sagte. Herr Menzel, ich meinte damals, Sie hätten zu schwarz gemalt. Habe ich mich getäuscht? Haben nicht die Ereignisse gerade jetzt gezeigt, daß die Gefahr ganz woanders lag, daß offenbare Feinde dieses Staates und dieser Demokratie nicht entdeckt worden sind, daß man also statt des Guten zuviel des Guten zuwenig getan hat?
— Verehrter Herr Mellies, ob der Herr John staatstreu oder nicht staatstreu war, konnte vor seinem Überlaufen in die Region des Bolschewismus niemand sagen. Wir alle wußten nicht genug.
— Nun, Herr Schoettle, Spitzenkandidat war er nicht.
— Wir wissen genau, was Herr Schmidt-Wittmack war. Er war gewiß keine Null. Nebenbei: Sie alle wissen, meine Damen und Herren, daß dieses Wort so nicht gefallen ist.
Aber da nun einmal das Wort Null in der Luft stand, war es selbstverständlich ein willkommener Anlaß für alle Feinde dieses Parlaments, zu fragen: Aha, in diesem Parlament sitzen also Nullen, oder gar lauter Nullen?
Daß es eine unglückliche Bemerkung in jedem Fall
war, ist klar. Aber der sie gemacht hat — das muß
ich wirklich zu seiner Verteidigung sagen — hat sie in völlig anderem Zusammenhang und in völlig anderer Bedeutung gemacht.
Meine Damen und Herren, viel besser ist es, dieses Parlament beweist durch seine ganze Existenz und durch sein ganzes Tun dem Volke, daß in ihm vertrauenswürdige und hochqualifizierte Vertreter des Volkes sitzen.
Das gehört wieder zu jenem Integrationsprozeß, von dem ich sprach und an dem auch dieses Parlament mitzuwirken hat.
Sie sagten: Niemand konnte wissen, daß ein Mann wie Schmidt-Wittmack ein Agent der Bolschewisten sei. Verehrter Herr Schoettle! Niemand kann wissen, wieviele Agenten jener gefährlichen Macht in diesem verwirrten und verstörten Volke, von dem ich sprach, heute noch an irgendwelchen Stellen sitzen.
Lassen Sie mich ein paar ernste Sätze dazu sagen. Hier in Deutschland — wir alle freuen uns darüber — ist im Gegensatz zu einem Teil unserer westlichen Nachbarn die Kommunistische Partei weder im Parlament mehr vertreten noch verfügt sie über starke und gefährliche Hilfstruppen wie in anderen Ländern. Das ist eine für die Geschichte Europas vielleicht entscheidende Tatsache. Aber weil der Bolschewismus erkannt hat, daß er mit diesen Mitteln in diesem Lande nicht kämpfen kann, hat er an anderen Stellen, an anderen Punkten angesetzt, und es ist vielleicht bisher unser aller Schuld gewesen, daß wir, weil in den letzten Jahren keine größeren Katastrophen passiert sind, uns in ein Gefühl der Sicherheit gewiegt haben, daß wir den Kampfeswillen und die Kampfmethoden dieses Gegners unterschätzt haben und daß wir daher alle die nötige Wachsamkeit vergessen haben. Holen wir es überall nach und passen wir nicht nur gegenseitig aufeinander auf, sondern versuchen wir, jeder bei sich, alles in Ordnung zu bringen!
Alles, was ich bis jetzt gesagt habe, meine Damen und Herren, zeigt uns, was zu tun ist, und wenn in diesem Lande und in diesem Parlament nur guter Wille vorhanden ist, müssen wir es tun. Wir müssen diese Stunde dazu benutzen, es zu tun. Millionen in diesem Volke warten darauf, daß endlich eine Sitzung dieses Parlaments stattfindet, in der der gemeinsame Wille des Parlaments zur Verteidigung der gemeinsamen Güter deutlich wird.
Es ist mir bitter, bitter aufgefallen, wie vorhin bei den Worten des Bundesinnenministers über die Einigkeit der Deutschen, auf die wir alle hoffen, ein zynisches Hahaha aus den Reihen da hinten ertönte. Wenn wir einander nicht mehr zutrauen
— ich traue es Ihnen zu —, daß wir dazu fähig sind, trotz aller leidigen Gegensätze, die uns trennen, — wohin mit diesem Staat?
Nun, was soll im einzelnen geschehen? Ich komme zurück auf die Frage des rechtsstaatlichen Schutzes. Herr Menzel hat eine Reihe von Ausführungen gemacht, zu denen ich in vielem ja sagen
1 kann. Ich will jetzt kein Programm des rechtsstaatlichen Schutzes entwickeln. Auch wir sind der Überzeugung, daß es gelingen muß, eine klare Grenze für die Erforschungs- und Auswertungstätigkeit des Verfassungsschutzes zu finden. Auch wir sind der Überzeugung, daß der Verfassungsschutz nicht dazu dienen kann, einwandfreie Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens zu beobachten oder gar in einseitiger parteipolitischer Richtung Erforschungen anzustellen. Darüber darf es unter uns gar keine geteilte Meinung geben. Die Frage ist nun, wie man diesen Entschluß juristisch festigen kann. Ich sagte schon letztes Mal: wir haben in unserer Rechtsordnung ein ausgebautes rechtsstaatliches System, das vor allem durch die Gewährung von Rechtsmitteln hilft, gegen etwaige Fehler und Mißgriffe des Staates einzugreifen. Ich bedauere, es ist mir — und wohl auch Ihnen — bis jetzt ein solches Mittel gegenüber der Erforschungstätigkeit und auch der Auswertungstätigkeit des Verfassungsschutzes nicht eingefallen.
— So ist es. Es wird also darauf ankommen, daß man in diese Ämter nur Persönlichkeiten beruft, die von einwandfreier, unzweifelhafter und erprobter rechtsstaatlicher Gesinnung sind. Herr Kollege Menzel, Sie können sich darauf verlassen, daß meine politischen Freunde alles tun werden, um diese Garantie nach menschlichen Kräften für die Zukunft zu geben, und zwar gern im Zusammenwirken mit Ihnen.
Ich bedauere, daß es vorhin bei den Äußerungen des Bundesministers des Innern zu wenig schönen Szenen gekommen ist, als er über den Ausschuß zum Schutze der Verfassung sprach. Sie wissen, daß ich mich selbst um diesen Ausschuß gekümmert habe, daß ich von meiner Fraktion als stellvertretender Vorsitzender benannt wurde. Es war damals eine Zeit, zu der uns die Dinge noch nicht so auf den Nägeln brannten wie jetzt — oder nicht so zu brennen schienen. Ich fürchtete aber damals schon, daß der Ausschuß in seiner parlamentarischen Position nicht genug Kompetenz hätte. Ich stehe nicht von vornherein einer Erweiterung der Kompetenzen des Ausschusses zum Schutze der Verfassung ablehnend gegenüber. Ich glaube, auch der Bundesminister des Innern tut es nach den Unterhaltungen, die ich mit ihm gehabt habe, nicht. Das einzige, was ich zu bedenken gehe, ist natürlich, daß auf der andern Seite die Grenze da zu ziehen ist, wo es unbedingt notwendig ist, Staatsgeheimnisse zu sichern. Daß im Ausschuß unliebsame Dinge vorgekommen sind, läßt sich nun einmal nicht leugnen.
— Ja, ja! Ich behaupte ja nicht, daß ein — —