Rede von
Lisa
Korspeter
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es liegen uns heute über den gleichen Fragenkomplex zwei verschiedene Anträge vor, der Antrag der Regierungskoalition und der Antrag der SPD, den ich im Auftrage meiner Fraktion zu begründen habe. Wir bedauern aufrichtig, daß es nicht, wie ursprünglich geplant, zu einem interfraktionellen Antrag gekommen ist. Wir sind der Meinung, daß ein solcher interfraktioneller Antrag unserem Wollen, von dem gesagt wurde — und Frau Kollegin Maxsein hat das eben wieder bestätigt —, daß es unser gemeinsames Wollen sei, besser und schneller gedient hätte, wenn, so wie wir es in unserem Antrag vorgeschlagen haben, alle Fraktionen ein dringendes Ersuchen an die Bundesregierung gerichtet hätten, sofort einen entsprechenden Gesetzentwurf vorzulegen.
Wir wollen, daß den ehemaligen politischen Häftlingen aus der sowjetisch besetzten Zone Hilfsmaßnahmen und vor allen Dingen eine Entschädigung für die erlittene Haft sowie eine Versorgung im Falle einer gesundheitlichen Schädigung durch die Haftzeit gewährt werden. Leider konnten Sie sich, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, nicht entschließen, unserem in dem Antrag festgelegten Vorschlag zuzustimmen, weil Sie glaubten, die Bundesregierung erst zur Prüfung der Frage auffordern zu sollen, welche Maßnahmen gesetzlicher oder verwaltungsmäßiger Art ergriffen werden müssen, um diesem Personenkreis Hilfe zuteil werden zu lassen.
Wir dagegen konnten uns nicht entschließen, Ihrem Antrag unsere Unterstützung zu geben, weil wir der Ansicht sind, daß Ihr Auftrag an die Bundesregierung, erst eine Prüfung notwendiger Maßnahmen vorzunehmen, die Sache nur verzögert. Darüber hinaus waren wir der Meinung, daß es nach all dem, was wir gehört und erfahren haben, völlig klar ist, was zu tun notwendig ist. Wir sollten keinen Tag länger zögern, einen entsprechenden Gesetzentwurf von der Bundesregierung zu fordern, um das bislang Versäumte so schnell wie möglich nachzuholen, der großen berechtigten Verbitterung bei den davon Betroffenen zu begegnen.
Die ehemaligen politischen Häftlinge kamen nach ihrer Haftentlassung zu uns in dem sicheren Gefühl, daß sie, nachdem sie für uns, für Gesamtdeutschland gelitten haben, nachdem sie jahrelang ihrer Freiheit um ihres Widerstandes willen beraubt waren, unserer Hilfe gewiß seien. Sie wurden in diesem Gedanken dadurch bestärkt — so hört man vielfach von ihnen —, daß sie bei ihrem Empfang in den Durchgangslagern auch von Vertretern der Bundesregierung weitgehende Versprechungen erhielten, von denen sie bald feststellen mußten, daß sie nicht eingehalten wurden. Sie erhielten zwar zum größten Teil eine Heimkehrerbescheinigung; sie erfuhren aber sehr bald, daß sie nicht in die Regelung nach dem Kriegsgefangenenentschädigungsgesetz einbezogen waren, daß ihre in der Haft erlittenen Gesundheitsschäden nicht durch das Gesetz über die Opfer des Krieges erfaßt wurden und daß man ihnen nicht, wie den entlassenen Kriegsgefangenen, eine 75%ige Fahrpreisermäßigung auf der Bundesbahn gewährte. Das hat ihre Verbitterung ausgelöst.
Wir sollten alles tun, um so schnell wie möglich zu einer gerechten Lösung zu kommen. Selbstverständlich müssen wir bei der Regelung der Frage, wer politischer Häftling ist — Frau Kollegin Maxsein hat das schon ausgeführt —, einen bestimmten Maßstab anlegen. Das muß sehr sorgfältig geprüft werden. Aber da sich die Ministerien schon seit längerer Zeit mit diesen Überlegungen beschäftigt haben, bedarf es unseres Erachtens nicht erst noch eines Auftrages an die Bundesregierung, in eine Prüfung notwendiger Maßnahmen einzutreten. Vielmehr sollten wir von der Bundesregierung die baldige Vorlage eines entsprechenden Gesetzentwurfs fordern. Dieses Ersuchen bringen wir in unserem Antrag zum Ausdruck. Wir meinen, daß in diesem Gesetzentwurf bestimmte Regelungen auf folgenden Gebieten getroffen werden sollten: Haftentschädigung, Versorgung der Witwen und Hinterbliebenen von den im KZ Umgekommenen, Versorgung bei durch die Haft eingetretenen Gesundheitsschäden, Erleichterung der beruflichen Ausbildung, Darlehen und Beihilfen zum Aufbau einer Existenz, zur Beschaffung von Wohnraum, zur Beschaffung von Hausrat, Berücksichtigung der Haftzeit in der Invaliden- und in der Angestelltenversicherung, Fahrpreisermäßigung durch die Bundesbahn.
Wir müssen uns darüber klar sein, daß wir nur durch eine gerechte, eine ordentliche und eine schnelle Lösung unsere gesamtdeutsche Verpflichtung erfüllen werden. Wir haben als Gesetzgeber - lassen Sie mich das bitte einmal sehr deutlich sagen — in dieser Frage etwas versäumt. Wir sollten alles tun, um dieses Versäumte so schnell wie möglich nachzuholen. Eine Enttäuschung der Menschen, die in ihrer Not zu uns kamen, die für uns ihre Freiheit, ihre Gesundheit, oft ihr Leben eingesetzt haben, würde nicht nur die Widerstandskraft dieser Menschen erlahmen lassen, sondern sich auch auf die weitere Entwicklung der Widerstandsbewegung in der Zone auswirken. Zur Unterstützung des Widerstandswillens ist aber eine großzügige und vor allen Dingen eine schnelle
Hilfe für die politischen Kämpfer notwendig. Wir können sie nicht als Spätheimkehrer zweiten Ranges behandeln, sondern wir müssen ihnen beweisen, welches Maß an Anerkennung wir ihnen für ihren Widerstand, den sie drüben geleistet haben, entgegenbringen.
Darum geht es uns in unserem Antrag. Wir wollen, daß schnell, ohne Verzögerung etwas geschieht. Frau Dr. Maxsein hat vorhin auf die Dringlichkeit der Lösung dieser Frage hingewiesen. Wir bitten um der Dringlichkeit dieser Frage willen, schon jetzt über unseren Antrag abzustimmen.