Meine Damen und Herren, darf ich um etwas Aufmerksamkeit für den Redner bitten.
Schneider (DP), Antragsteller: Mit der Beschlagnahme in Bremerhaven haben sich inzwischen alle Parteien und auch der Deutsche Gewerkschaftsbund befaßt. Diese Frage hat damit weit über die Grenzen unserer Stadt hinaus eine Bedeutung gewonnen, die so politisch ist, daß nun, nachdem alle anderen Versuche, diese Angelegenheit zu regeln, gescheitert sind, kein anderer Weg mehr blieb, als diese Sache vor den Bundestag zu bringen. Es ist besonders bedauerlich, daß wir uns hier kurz über die Frage unterhalten müssen, weil im gleichen Augenblick, in dem im Süden unseres Vaterlandes amerikanische Besatzungstruppen in so hervorragender Weise der Bevölkerung in ihrer Not und ihrem Elend ihre Unterstützung leihen, im Norden Deutschlands wegen der hier vorliegenden Angelegenheit gewisse Spannungen aufgetreten sind.
Es ist selbstverständlich, daß die Besatzungstruppen eines Landes stets zu Maßnahmen greifen werden, die der Bevölkerung dann und wann unbequem sein müssen. Ich muß allerdings zur Ehrenrettung der amerikanischen Streitkräfte hier erklären, daß im vorliegenden Falle die Schuld, wenn ich dieses Wort gebrauchen soll, weniger bei der amerikanischen Besatzungsmacht als vielmehr bei den zuständigen deutschen Behörden
des Bundes und des Landes liegt.
Gleichgültig, auf wessen Seite die Schuld liegt: wir halten es für untragbar, daß neun Jahre nach Kriegsende noch derartige Dinge vorkommen, daß man also praktisch jetzt noch beabsichtigt, die Bewohner aus ihren Häusern zu vertreiben und diese Häuser dem Erdboden gleichzumachen, um an derselben Stelle ein anderes Bauprojekt aufzuführen. Die Berufung auf das Besatzungsstatut kann dabei unseres Erachtens nicht Platz greifen, da nach einem völkerrechtlichen Gutachten von Herrn Professor Laun, das sich auf die Inanspruchnahme von Wohnungen zu militärischen Zwecken bezieht, bereits folgendes ausgeführt ist:
*) Siehe Anlage 1.
Die Besatzungstruppen stehen wie alle Truppen auf fremdem Staatsgebiet unter den Bedingungen des allgemeinen Völkerrechts. Dieses schützt nun zwar die Rechte der Bevölkerung des besetzten Gebietes, darunter das Privateigentum und daher auch die privaten Wohnrechte, gegen zu weitgehende Eingriffe der besetzenden Macht. Aber es gestattet dieser auch, militärische Notwendigkeiten über die vom Landesrecht geschützten Rechte der Bevölkerung zu stellen, wenn es sich um absolut zwingende Hindernisse der Beobachtung der Landesgesetze handelt.
Die deutschen Landesgesetze, welche in Betracht kämen, wären Art. 13 des Grundgesetzes und das Bürgerliche Gesetzbuch. Die Frage ist demnach, ob nach Völkerrecht eine solche militärische Notwendigkeit vorliegt, welche die Besatzungsbehörden zwingt, sich über die Wohnrechte der Bevölkerung hinwegzusetzen. Die gewaltsame Ausquartierung
— so fährt Professor Laun fort —
friedlicher Bevölkerung aus ihren Wohnungen zum Zwecke der gegenwärtigen Truppenverschiebungen ist also völkerrechtlich nicht gerechtfertigt.
Ich darf dabei darauf hinweisen, daß es sich im vorliegenden Falle gar nicht einmal darum handelt, Truppenverschiebungen oder Unterbringungsmöglichkeiten für Truppen zu schaffen, sondern daß es sich darum handelt, Familienangehörige unterzubringen. Deswegen sagt Professor Laun auch in seinem Rechtsgutachten:
Noch viel weniger kann sie gerechtfertigt sein, wenn sie gar nicht nur zum Zwecke der Unterbringung von Militärpersonen, sondern von deren Familien vorgenommen wird. Denn für einen solchen Zweck kann eine militärische Notwendigkeit im Sinne des allgemeinen Völkerrechts überhaupt nicht angenommen werden.
Meine Damen und Herren! Im vorliegenden Falle — ich werde mich möglichst kurz fassen, da es nicht Sinn dieser Aussprache sein kann, Sie hier mit sämtlichen, auch den kleinsten Details vertraut zu machen; dazu können Sie die Verhältnisse auch zuwenig beurteilen — ist es so, daß die deutschen Behörden wirklich ein unrühmliches Blatt ihrer Geschichte zugefügt haben und daß man psychologisch in derart ungeschickter Weise vorgegangen ist, daß man sich nun nicht wundern kann, daß die Bevölkerung, jedenfalls die betroffene Bevölkerung, zu passiver Resistenz bereit ist und nicht daran denkt, die Auflage zu erfüllen, ihre Wohnungen und praktisch Haus und Hof zu verlassen.
Es haben — wenn ich das kurz aufreißen darf — in den vergangenen Monaten Verhandlungen zwischen den zuständigen deutschen Behörden des Landes und des Bundes sowie den amerikanischen Streitkräften stattgefunden. Diese Verhandlungen haben zu der Beschlagnahme des hier genannten Geländes am „Blink" geführt. Es kann hier nicht beurteilt werden, inwieweit die örtlichen Behörden in Bremerhaven wegen verschiedener Vorkommnisse im Verlaufe dieser Verhandlungen noch zur Rechenschaft zu ziehen sein werden. Wenn beispielsweise der Bremerhavener Oberbürgermeister einem der Betroffenen bei dessen Vorsprache erklärt, daß die deutschen Soldaten im letzten Kriege nicht anders gehandelt hätten oder daß er bereit sei, auch noch weitere Leute auf die Straße zu setzen, wenn die amerikanische Besatzungsmacht dies verlange, ist das eine Sache, die ich hier nur am Rande erwähnen kann; oder wenn die Bundesvermögensverwaltung entgegen den monatelang gepflogenen Verhandlungen plötzlich einen völlig überraschenden Vorschlag macht, ohne daß der Magistrat der Stadt Bremerhaven über diese Dinge überhaupt orientiert ist. Meine Damen und Herren, es ist doch üblich, daß jedem, ich möchte sagen, jedem Verbrecher die Anklageschrift ins Haus zugestellt wird, damit er sich gegebenenfalls verteidigen kann. Ich stelle fest, daß den Betroffenen in Bremerhaven, die jetzt von Haus und Hof verwiesen worden sind, von der ganzen Aktion nichts bekannt war, sondern daß sie überfallartig einen im Tone eines Kompaniebefehls abgefaßten Rundbrief bekommen haben, mit dem die Requisition bzw. Beschlagnahme ausgesprochen wurde.
Ich habe mich daraufhin sofort mit der Bundesfinanzverwaltung, Abteilung Besatzungskosten, in Bonn in Verbindung gesetzt, und der zuständige Ministerialreferent hat zugesagt, eine Kommission nach Bremerhaven zu entsenden, um die Dinge aufzuklären. Ich erkenne dankbar an, daß diese Kommission nach Bremerhaven gekommen ist, wenn ich auch stutzig wurde, als man mir sagte, daß es sich dabei um eine der üblichen Klagen handle, die man schon aus der Pfalz und aus anderen Teilen Deutschlands kenne, daß man also praktisch sagte, es handle sich um eine Routineangelegenheit. Es bedurfte einiger Überredungskünste, um den betreffenden Referenten selbst doch dazu zu bewegen, sich um die Angelegenheit zu kümmern.
Ein Komplex, der auch bis heute nicht aufgeklärt ist, ist die Tatsache, daß das Requisitions-schreiben mit den Worten beginnt, daß auf Vorschlag der deutschen Behörden die Requisition ausgesprochen werde. Die deutschen Behörden sind uns bisher die Antwort darauf schuldig geblieben, ob von ihrer Seite diese Vorschläge gemacht worden sind oder ob der Amerikaner von sich aus eine solche Forderung gestellt hat, wie überhaupt in der ganzen Angelegenheit zu beobachten ist, daß jetzt die Verantwortlichkeit zwischen den Amerikanern und den Deutschen praktisch hin- und hergeschoben wird. Die Amerikaner beziehen sich zweifellos mit Fug und Recht darauf, daß die deutschen Behörden das Vorschlagsrecht hätten und daß die Amerikaner sich ausschließlich mit den zuständigen 'deutschen Landes- bzw. Bundesstellen zu befassen hätten, die ihnen entsprechende Vorschläge zu machen hätten; die Deutschen hingegen erklären: Gewiß, diese Vorschläge werden gemacht, aber die Beschlagnahmen selbst werden vom Amerikaner ausgesprochen.
Es hat, als diese Bonner Kommission in Bremerhaven war, auch nicht zur Beruhigung der Gemüter beigetragen, daß dort praktisch nur ein Befehlsempfang der Behördenvertreter untereinander stattfand, daß man also die Betroffenen mehr oder minder nicht gehört hat, ja daß man sich sogar geweigert hat, den Betroffenen die vorgesehenen Baupläne zu zeigen, und zwar unter Hinweis darauf, daß es sich um ein Amtsgeheimnis handle, was zu dem bisher unwiderlegten Gerücht Anlaß gegeben hat, daß das jetzt vorgesehene Projekt wahrscheinlich noch eine weitere Ausdehnung 'erfahren wird und daß damit wahrscheinlich noch weitere Verstimmungen aufkommen werden.
Bei dem vorgesehenen Baugelände handelt es sich um ein Gebiet, das praktisch mitten in der Stadt liegt und das wie von einer eisernen Klammer von allen Seiten von Hauptstraßen umfaßt wird, so daß die große Gefahr besteht, daß bei weiterem Bedarf der amerikanischen Besatzungsm icht weiteres bebautes Gebiet in Anspruch genommen werden muß. Der zuständige Bonner Ministerialreferent, der die Verhandlungen in Bremerhaven geführt hat, hat anläßlich dieser Verhandlungen die Maßnahmen der deutschen Dienststellen des Landes bzw. des Bundes vollauf gebilligt. Dabei müssen Sie, meine sehr geehrten Damen und Herren, aber wissen, daß, bevor die Requisition erfolgte, d. h. bevor den Betroffenen die Schreiben zugestellt wurden, bereits Bohrtrupps im Auftrage von irgendwelchen Firmen ohne jede Erlaubnis über die Gärten und Felder der Leute gegangen sind und dort Bohrungen vorgenommen und Erdproben entnommen haben. Dieses Vorgehen ist mit dem Grundgesetz überhaupt nicht in Einklang zu bringen. Ein Teil der Betroffenen hat diese Maßnahmen aus dem bekannten Obrigkeitskomplex heraus über sich ergehen lassen, während ein anderer Teil diese Bohrtrupps mit Recht seiner Grundstücke verwiesen hat. Aber wenn schon so etwas vorkommen kann, dann mögen Sie, meine Damen und Herren, daraus ersehen, daß man hier in äußerst ungeschickter, ja in unzulässiger Weise vorgegangen ist, und es ist der Bremerhavener Bevölkerung absolut unverständlich, wie die zuständigen Bonner Dienststellen bei einer Besprechung in Bremerhaven die Maßnahmen der Landesbehörden ausdrücklich haben billigen können. Solche Dinge können einfach nicht gebilligt werden.
Ich will gar nicht darauf verweisen, daß es sich in dem betroffenen Gelände darum handelt, daß man speziell solchen Leuten, die ein Leben lang gearbeitet haben, um sich dort ein Häuschen zu bauen, jetzt auf ihre alten Tage ,dieses Haus wegnehmen will. Ich will auch nicht darauf hinweisen, daß sich die Stadt Bremerhaven nicht in der Lage sieht, die evakuierten Personen angemessen unterzubringen, wie es von der Bundesfinanzverwaltung bzw. dem Oberbürgermeister der Stadt Bremerhaven behauptet wurde; es steht fest, daß keine ausreichende Unterbringungsmöglichkeit besteht. Im übrigen glauben meine politischen Freunde und ich — und ich glaube, da bin ich mit Ihnen, meine sehr geehrten Damen und Herren, einer Meinung —, daß nach Art. 13 des Grundgesetzes die Unverletzlichkeit der Wohnung gewährleistet ist, so naß keine Handhabe besteht, Häuser abzureißen und die Leute auf die Straße zu setzen.
Seitens der Bundesfinanzverwaltung wird nun behauptet, daß die Aufschließungskosten für das andere, von der Stadt Bremerhaven angeborene Gelände, auf dem keine Baulichkeiten zu beseitigen wären, insgesamt 13 Millionen DM betragen würden und daß weder die amerikanische Streitmacht noch die deutschen Behörden sich bereit finden könnten, einen solchen Betrag aufzubringen. Ich nehme an, daß zu diesen Dingen noch ein Vertreter des Bundesfinanzministeriums Stellung nehmen wird. Ich möchte aber gleich folgendes sagen. Beide Gelände, sowohl das jetzt beschlagnahmte, um das es hier geht, wie auch das von der Stadt angebotene, das wir lieber bebaut sehen möchten, können deswegen nicht miteinander verglichen werden, weil das eine doppelt so groß ist wie das andere. Die Entschädigungen, die für die abgerissenen Häuser, die Bäume und Sträucher, die Zäune usw. gezahlt werden müssen, betragen einige Millionen. Wir glauben nach Rücksprache mit Baufachleuten, daß es bei besserem Willen der Bundesfinanzverwaltung, als er bisher gezeigt worden ist, durchaus möglich gewesen wäre, das andere Projekt anzubieten, bei dem es, wie gesagt, nicht notwendig gewesen wäre, die Familien aus ihren Häusern zu verdrängen. Die Tatsache, daß sowohl die Landes- wie die Bundesbehörden den Betroffenen angeboten haben, sie angemessen zu entschädigen, interessiert diese nicht.
Ich habe schon eingangs meiner Ausführungen gesagt, daß auch die ganze Frage sehr stark zu einer politischen Frage geworden ist und man nicht übersehen darf, daß das freundschaftliche Verhältnis, das wir Gott sei Dank inzwischen mit den Alliierten und besonders auch mit den Amerikanern pflegen, durch diese Maßnahmen einer großen Belastung ausgesetzt ist. Darüber hinaus werden selbstverständlich auch die Kommunisten versuchen, hier im Trüben zu fischen und irgendwelche Maßnahmen zu ergreifen. Allerdings wird man den Herrschaften entsprechend auf die Finger klopfen.
Die Betroffenen lehnen es also ab, eine angemessene Entschädigung entgegenzunehmen. Sie verlangen nichts anderes als ihr Recht, nämlich das Recht auf ihr Eigentum und das Recht, in Haus und Hof bleiben zu können. Sinn unseres Antrages, den wir Ihnen vorgelegt haben, muß es sein, nicht etwa ihn irgendeinem Ausschuß zu überweisen, der sowieso nicht beschließen könnte, da wir bekanntlich in die Ferien gehen, sondern einen Beschluß zu fassen, der es ermöglicht, daß die zuständigen Stellen der Bundesregierung unverzüglich noch einmal mit den amerikanischen Stellen verhandeln, um wenigstens einen vorläufigen Aufschub der Durchführung des ganzen Projekts zu erzielen und damit zu erreichen, daß das letzten Endes von der Stadt Bremerhaven angebotene andere Gelände, dessen Bebauung keine derartigen Mißhelligkeiten hervorrufen würde, von den Amerikanern akzeptiert wird.
Mit diesen kurzen Ausführungen möchte ich die Angelegenheit beschließen. Ich glaube, die Tatsache, daß sämtliche Fraktionen sich bereit erklärt haben, hier heute morgen die Angelegenheit zu verhandeln, begründet ausreichend deren Wichtigkeit und Dringlichkeit. Im übrigen geht es hier nicht etwa um irgendein parteipolitisches Prestige, sondern es geht ausschließlich um das Recht, um das Recht unserer Staatsbürger und um den Schutz des Staatsbürgers vor der Staatsallmacht. Denn hier ist ein Fall, in dem die Staatsbürger in die Bürokratie hineingeraten sind, aus der sie nicht herauskommen, wenn nicht letzten Endes dieses Haus noch durch 'entsprechende Maßnahmen Abhilfe schafft.