Rede von
Jakob
Altmaier
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Auftrage der sozialdemokratischen Fraktion, die dem vorliegenden Gesetzentwurf zustimmt, habe ich die Ehre, zu erklären:
Der von der Generalversammlung der Vereinten Nationen am 9. Dezember 1948 einstimmig angenommenen Konvention zur Verhütung und Bestrafung des Völkermords beizutreten, kann und darf uns Deutschen nicht allein eine gesetzgeberische Maßnahme sein. Dieser internationalen Vereinbarung sich anzuschließen, muß uns allen nicht nur ein Akt des Verstandes, sondern euch ein Anliegen des Herzens sein. Wir haben erfahren müssen, daß die Fortschritte des menschlichen Geistes, insbesondere die technischen Eroberungen, die das naturwissenschaftliche Denken zunächst mit solchem Stolz erfüllten, zu unserem Leidwesen auch Fortschritte zu Gefahren sind. Den Großtaten menschlicher Erfindungsgabe haben sich Untaten beigesellt, Verbrechen, die auszudenken einst nicht möglich erschien. Eine Blutspur zieht sich durch unsere neuere und neueste Geschichte seit jenem Massaker, durch die im Vorderen Orient die Armenier als Volksgruppe niedergemetzelt wurden. Damals waren es Deutsche, deren wir in dieser Stunde dankbar und ehrerbietig gedenken, weil sie die Aufmerksamkeit der gesitteten Welt auf jene unheilvollen Vorgänge lenkten. Ich nenne Johannes Lepsius, ich nenne meinen in der Emigration verstorbenen Freund Hellmuth von Gerlach und den aus Deutschland vertriebenen Dichter Franz Werfel, der die grausige Ausrottung der Armenier in seinem Buch über die 40 Tage des Musa Dagh als Mahnung dichterisch gestaltete.
Was wir zu beklagen haben, das ist, daß uns dieses Wirken eines Johannes Lepsius, eines Hellmut
von Gerlach, eines Franz Werfel und anderer Deutscher leider doch nicht davor bewahren konnte, daß Menschen aus unserem Volke zu Frevlern und Menschen aus unserem Volke zu Opfern inmitten von Geschehnissen wurden, die als Völkermord in die Geschichte eingegangen sind. Unter Mißbrauch des deutschen Namens sind um ihrer Abstammung, ihrer Nationalität und um ihres religiösen Bekenntnisses willen nicht nur Volksgruppen, sondern eine immer noch unvorstellbare Zahl von Menschen ermordet worden. Unrecht hat weiteres Unrecht erzeugt. Die Austreibung der Deutschen aus ihrer eigenen, in mehr als tausendjähriger Kultur durch Werke des Friedens ausgestalteten und unverlierbar gebliebenen Heimat war ein Völkermord. Wir schließen uns deshalb mit allen Menschen und Völkern zu dieser Konvention zusammen, denen, wie Fichte es ausdrückte, „die Freiheit und Gleichheit alles dessen, was Menschenantlitz trägt", das Leben erst lebenswert macht und die Menschwerdung des Menschen vollendet. In dieser Stunde legen wir das Gelöbnis ab, mit allen Kräften der Wiederkehr solchen Unheils zu widerstehen und unseren Beitrag zu leisten, daß eine für jedermann verbindliche und allgemeine Regel des Völkerrechts solche Untaten von vornherein und für alle Zukunft als Unrecht brandmarkt und mit den schwersten Strafen bedroht, die ein Gericht zu verhängen in der Lage ist. Für uns versteht es sich von selbst, daß die sittlichen und rechtlichen Grundsätze dieser Konvention allgemeingültig sein müssen. Sie können keine Bestätigung einseitiger Maßnahmen sein, die aus der Stimmung des Tages heraus ein Prinzip zum Gesetz erhoben hatten, daß die Gewalt die Gewalt erschlagen müsse und das Unrecht die Ungerechten.
Meine Fraktion hätte es vorgezogen, die strafrechtlichen Bestimmungen der Konvention der Form des Regierungsentwurfs anzupassen. Es kann sich nicht um nationale oder um rassische Gruppen handeln, sondern um Gruppen, die durch ihre Nationalität, ihre Abstammung, ihren Glauben oder ihr Volkstum bestimmt sind. Weil wir jedoch in der Sache einig sind, soll uns die Wahl der Worte nicht entzweien.
Was klarzustellen bleibt, ist die Tatsache, daß es in Deutschland kein Rassenproblem gegeben hat und nicht geben kann. Die Verschiedenheiten der Abstammung in unserem Volke sind keine Frage der Rasse; dieser von den nationalsozialistischen Machthabern mißbrauchte Begriff hat für das deutsche Volk weder Gestalt noch Sinn.
Wir halten es für notwendig, daß in unserem inneren Recht der Schutz dieser Gesetzgebung auch auf Volksgruppen ausgedehnt wird, die durch eine gemeinsame politische Überzeugung miteinander verbunden sind. Verfolgungen, denen freiheitlich und demokratisch gesinnte Menschen gegenwärtig und für eine noch nicht absehbare Zeit mitten in unserem Lande — wenn auch außerhalb des Geltungsbereiches des Grundgesetzes — ausgesetzt sind, verpflichten uns, den Schutz der durch politische Überzeugung verbundenen Menschengruppen unverbrüchlich zu gewährleisten.
Niemand aber sollte denken, unser geschichtlicher Auftrag könne lediglich durch ein Werk der Gesetzgebung oder durch Strafandrohungen erfüllt werden. Muß erst ein Urteil auf Grund von Strafbestimmungen gesprochen werden, so wird es in aller Regel zu spät sein. Ihren vollen Sinn kann deshalb diese Konvention erst dann erreichen,
wenn sie die Gewissen weckt und wir unserer Verpflichtung rechtzeitig gerecht werden, durch unser Gesamtverhalten vorzubeugen; wenn wir also in all unserem Tun und Lassen einander so begegnen, daß wir bereits die Keime einer Giftsaat vermeiden.
Noch haben wir nicht den Ungeist überwunden, der zu den Völkermorden führte, die unter Mißbrauch des deutschen Namens durch Deutsche oder unter ähnlichem Mißbrauch anderer Namen an Deutschen begangen wurden. In unerträglicher Weise werden in der deutschen Öffentlichkeit heute bereits wieder Stimmen laut, aus denen der Haß spricht oder die Verachtung des Mitmenschen, der um seiner Abstammung willen oder aus anderen Gründen nicht als gleichberechtigt anerkannt werden soll.
Wirksam wird der Buchstabe des Gesetzes, das wir heute als Konvention feierlich verbriefen wollen, nur dann, wenn unsere gesamte Öffentlichkeit sich in dem Bestreben einigt, hier gemeinsam eine Erziehungsarbeit zu leisten. Der Geist in allen Schulen muß Geist vom Geiste dieser Konvention sein. Nicht Gesetze allein schützen uns vor dem Sturz. Not tut das tägliche Beispiel, und not tut besonders im politischen Raum die politische Gesinnung. Nur eine Haltung, die gerade im Andersdenkenden den Mitmenschen erkennt, anerkennt, gelten läßt und ehrt, schafft im Grunde jenes geistige Klima, um das es hier geht. Fehlgriffe im Wort tragen bereits Gefahren in sich. Bevor einer den andern bezichtigt, er habe sich durch seine Meinung versündigt, sollte er sich prüfen, zu welchem Ende solches Verdammen führen kann. Allein eine Freiheit des Geistes, bei der sich die eigene Freiheit in der Freiheit des anderen bewährt, in der das Recht, nein zu sagen, das Vorrecht der Freien ist, sichert den menschlichen Raum, den unablässig zu bereiten und zu bewahren unser aller sittliche Pflicht sein muß.
In diesem Sinne hoffen wir, daß diese Konvention dem deutschen Volk und allen Völkern der Erde zum Segen gereicht.