Rede von
Willy
Odenthal
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und meine Herren! Mit der Drucksache 587 legt die Fraktion der SPD dem Hause den Entwurf eines Gesetzes über eine bundeseinheitliche Regelung der Arbeitslosenfürsorge vor. Es gibt wenige, die sich über die Begriffe, über das Wesen und die Art der einheitlichen Versicherung vollkommen klar sind. Es gibt ganz wenige, die genau wissen, was versicherungsmäßige Arbeitslosenunterstützung ist, was Arbeitslosenfürsorge ist. Das sind die Begriffe, die amtlich mit Alu und Alfu bezeichnet werden. Nur derjenige, der in langfristiger Arbeitslosigkeit den Anspruch auf Arbeitslosenunterstützung, auf versicherungsmäßige Unterstützung verbraucht hat, dann ausgesteuert wurde und den Weg in die sogenannte Arbeitslosenfürsorge suchte, dort vielleicht nach engen Bestimmungen des einzelnen Landes abgewiesen wurde und den schweren Weg zur Wohlfahrt ging, um dann in die Mühle der Bedürftigkeitsprüfung zu geraten, weiß, welches Leid mit diesem Weg verbunden ist. Die anderen, die sich beruflich oder sonstwie mit diesen Fragen beschäftigen, wissen auch um dieses Leid. Sie wissen aber auch, daß dringend Abhilfe geboten ist und daß hier bald ein einheitliches Recht geschaffen werden muß. Also hier muß etwas geschehen.
Wir sind uns auch bewußt, daß dieser Neuregelung der Arbeitslosenfürsorge eine Novelle zum Gesetz über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung Voranzugehen hätte. Wir warten aber schon lange auf diese längst überfällige Neuordnung. Deshalb glauben wir, die einheitliche
Regelung der Arbeitslosenfürsorge schon jetzt unabhängig von dieser kommenden Novelle zum Gesetz über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung fordern zu müssen. Das gilt um so mehr, als bereits seit Jahren der Bund der Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung den Aufwand an Unterstützungen erstattet.
Das Gesetz über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung vom 16. Juli 1927 schuf für das damalige Reichsgebiet einheitliches Recht. Mit der Erschöpfung des Anspruchs auf versicherungsmäßige Unterstützung trat helfend die damalige Krisenfürsorge ein, die nach Umfang des Personenkreises und Höhe der Unterstützungen auf den allgemeinen Grundsätzen der öffentlichen Fürsorge aufbaute, deren Aufwand aber von den Ländern und Gemeinden getragen wurde. So war der Zustand bis zum Jahre 1945. Seit dem Zusammenbruch 1945 haben sich die beiden Unterstützungsarten in den verschiedenen Zonen und innerhalb der einzelnen Zonen in den Ländern ganz verschiedenartig entwickelt. Für die versicherungsmäßige Arbeitslosenunterstützung gab es 1945 kein einheitliches Recht mehr. Das Gesetz von 1927 wurde zwar als Anhalt genommen, um in den einzelnen Ländern durch Gesetze oder Rechtsverordnungen neues Recht zu schaffen. Aber hinsichtlich der Versicherungspflicht, der Versicherungsfreiheit, des Umfangs des Personenkreises der Pflichtigen usw. bestanden erhebliche Unterschiede. Einiges ist zwar inzwischen durch die Bundesgesetzgebung geändert worden, aber noch nicht alles. Wir warten deshalb darauf, daß die Novelle von der Bundesregierung vorgelegt wird, damit dieser Zustand endlich beseitigt wird.
Dahin gehört auch die Änderung des § 168, die wir in erster Lesung bereits behandelt haben. Diese Änderung ist nicht nur für Berlin wichtig, sondern sie kann morgen schon für die ganzen Grenzgebiete entlang der- Ostzone und auch für verschiedene Punkte an der Westgrenze Bedeutung haben.
Wir denken bei dieser Novelle, die kommen soll, nicht nur an den Personenkreis der Versicherungspflichtigen, der nach unserer Auffassung größer sein soll als früher, damit die guten Risiken ebenfalls erfaßt werden. Es soll nicht nur derjenige, der dauernd von der Not der Arbeitslosigkeit bedroht ist, Beiträge zahlen, sondern auch derjenige, der durch Dienstvertrag, durch gute Konjunktur und sonstige Verhältnisse weitestgehend gegen die Gefahr der Arbeitslosigkeit geschützt ist. Wir denken auch daran, daß die 1927 vielleicht richtigen Bestimmungen über Pflichtarbeit und Finanzierung von Notstandsarbeiten längst überholt sind und einer Neuregelung bedürfen. Wir denken vor allem daran, daß die Berufsberatung und Arbeitsvermittlung auf breiteste Grundlagen gestellt werden sollen, damit die Möglichkeiten der Arbeitsbeschaffung nicht nur auf dem öffentlichen Sektor, sondern auch in der privaten Wirtschaft in engste Verbindung mit Arbeitsvermittlung und Berufsberatung gebracht werden, damit die Arbeitsvermittlung und Berufsberatung nicht nur Papierarbeiten sind.
Schlimmer noch als in der Arbeitslosenversicherung sieht es heute in der Arbeitslosenfürsorge aus. Sie ist nach dem Kriege an die Stelle der früheren Krisenfürsorge getreten. Nach dem Zusammenbruch haben die Länder in den einzelnen Zonen die Fürsorge gesetzlich neu geregelt. Sie
sind dabei nicht immer von ihrer Finanzkraft aus-, aber mit der notwendigen, oft überbetonten Sparsamkeit vorgegangen. Sie haben sich manchmal auf die Finanzkraft anderer Länder verlassen, die durch den Finanzausgleich aushelfen. So entstand der Wirrwarr, der nach einer Neuordnung geradezu schreit. Früher wurden — und das scheint mir sehr wichtig zu sein — nur Arbeitnehmer, die aus der Arbeitslosenunterstützung ausgesteuert waren, in die Fürsorge aufgenommen. Bedingt durch die Umschichtungen in der Bevölkerung, durch den Zuzug von Heimatvertriebenen, durch die Wanderung aus der Selbständigkeit in die Unselbständigkeit erscheinen aber nach dem Kriege neue Schichten, die früher selbständig waren, als Arbeitssuchende erstmalig auf dem Arbeitsmarkt. Man kommt nicht daran vorbei, auch Angehörige dieser Schichten in die Arbeitslosenfürsorge aufzunehmen, selbst wenn sie die Voraussetzungen für die Erfüllung der Anwartschaft auf die Arbeitslosenversicherung nicht erfüllt und keine versicherungsmäßige Unterstützung bezogen haben. Einige Länder haben dieser Notwendigkeit Rechnung getragen; andere haben es nicht getan.
Auch die Anrechnungsbestimmungen sind sehr verschieden, so daß besonders dort, wo die Grenzen flüssig sind, bei den Betroffenen ein Unbehagen entsteht. Es kommt vor, daß in dem einen Land vom Einkommen unterhaltspflichtiger Angehöriger, die mit im Haushalt leben, sechs Mark angerechnet werden, in einem anderen Land neun Mark. Das vermindert die Unterstützung so sehr, daß in die Hände des Arbeitslosen nur ein Bruchteil dessen gelangt, was ihm an sich zustünde. Manche Länder haben Zusatzunterstützungen gewährt, andere wieder nicht. Einige haben die Unterstützung seitens der öffentlichen Fürsorge nur zum Anlaß genommen, sie auf die allgemeine Arbeitslosenfürsorge zu übertragen. Was die Arbeitslosenversicherung angeht, so liegen heute selbst in Süddeutschland die Fürsorgeunterstützungssätze vielfach höher als die Arbeitslosenunterstützungssätze, auf die der Arbeitnehmer mit der Leistung eines eigenen Beitrags einen Anspruch erworben hat. Das alles hat zu unerträglichen Zuständen geführt.
Dabei darf ich noch erwähnen, daß in manchen Ländern zur Unterstützung ein Mietzuschlag gewährt wird, wenn der Arbeitslose die Miete nicht selber tragen kann. Anderswo wird neben der Arbeitslosen- oder Arbeitslosenfürsorgeunterstützung eine Sonderbeihilfe gewährt, wenn ein Notstand vorliegt und der Unterstützte nicht auf die Hilfe des Wohlfahrtsamts verwiesen werden soll.
Soweit und solange die Länder diese Ausgaben selber bestimmten und trugen, war an eine einheitliche Regelung nicht zu denken. Da nun seit Jahren die Ausgaben der Arbeitslosenfürsorge nicht mehr von den Ländern, sondern vom Bund getragen werden, fordern wir eine Einheitlichkeit. Die Länder, die beim Erlaß der einschlägigen Bestimmungen sparsam sein zu müssen glaubten, müssen sich überlegen, ob sie damals richtig handelten. In einigen Ländern werden von den Fürsorgeverbänden Millionen an Arbeitslose in der öffentlichen Fürsorge gezahlt. Allein in Bayern werden auf diese Weise im Jahr 40 Millionen DM an Menschen gegeben, die arbeitsfähig und -willig sind
und nicht zum Wohlfahrtsamt, sondern zum Arbeitsamt gehören.
Diesen Umstand sollten wir bedenken.
Man könnte mir entgegenhalten, daß die Länder selber daran schuld seien; sie hätten großzügiger sein können, da sie zum Erlaß der Bestimmungen berechtigt gewesen seien. Dieses Argument sollte man aber nicht vorbringen, weil sich fast alles aus den Verhältnissen nach dem Zusammenbruch erklären läßt. Seitdem ist aber manches bundeseinheitlich geregelt worden oder es muß noch geschehen. Auch in diesem Fall, der uns jetzt beschäftigt, kommen wir an einer Neuregelung der Arbeitslosenfürsorgeunterstützung nicht vorbei. Ich weiß, daß sie unabhängig von der Neuregelung der versicherungsmäßigen Arbeitslosenunterstützung schwierig ist. Unser Anliegen ist aber so dringend, daß auf diesem Gebiet die schnellste Regelung erfolgen muß.
Ich bitte deshalb darum, unseren Gesetzentwurf dem Ausschuß für Arbeit zu überweisen. Dabei darf ich die Erwartung aussprechen, daß die längst fällige Novelle zu dem Gesetz über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung von der Bundesregierung dem Hause ohne Verzug zugeleitet wird, damit sie zusammen mit unserem Gesetzentwurf beraten werden kann.