Rede von
Dr.
Hans-Joachim
von
Merkatz
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(DP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Antragsteller: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte zunächst die Bitte aussprechen, daß ich die beiden Anträge, die meine Fraktion gestellt hat — den Antrag über den Amtssitz des Ministeriums für gesamtdeutsche Fragen und den Antrag über den Hauptamtssitz des Bundespräsidenten in Berlin —, da es sich um dieselben Grundlagen handelt, zusammen begründen darf.
Ich habe zunächst zu einer Frage Stellung zu nehmen, die etwas in den Bereich des politischen Taktes fällt. Bei der Erwägung, ob wir diese beiden Anträge in dieser Stunde begründen oder gar besprechen sollten, ist erstens die Frage aufgeworfen worden, ob es sich hierbei um eine Angelegenheit von besonderer Aktualität handelt, zweitens ob die Stunde geeignet ist, daß wir über solche Probleme sprechen; denn das liegt auf der Hand: bei der jetzigen Lage Deutschlands sind sehr viele Spannungsmomente zu ertragen. Das Mißtrauen gegen unser Land ist wieder wachgerufen worden. Wir befinden uns in den Geburtswehen eines neuen Staatensystems. Diese Wehen sind .schwer, und jedes Wort, das in dieser Zeit auch über Grundanliegen unserer Nation gesprochen wird, trägt ein hohes Maß an Verantwortung in sich. Aber gerade weil es so ist und weil ich zu meinem Bedauern die Beobachtung habe machen müssen, daß diese beiden Anträge meiner Fraktion in ihrer politischen Tragweite verkannt worden sind, fühle ich mich verpflichtet, die Anträge in dieser Stunde zu begründen.
Zunächst zur Frage der Aktualität. Ich glaube, Fragen, die den Komplex des deutschen Staates — worunter ich immer das Deutsche Reich verstehe — angehen, sind immer und in jeder Stunde aktuell. Das kann nicht bestritten werden. Meine politischen Freunde haben in ihrem Verhalten, in der Unterstützung der Außenpolitik der Bundesregierung stets die Beweise erbracht, daß wir eine Außenpolitik wünschen, die uns in eine Position bringt, aus der heraus wir wirksam für die Wiederherstellung der Einheit unseres Landes eintreten können. Wir haben dabei stets eine Linie verfolgt, die die Geltendmachung der unverzichtbaren nationalen Interessen in einer Form ermöglicht, die unserer gefährlichen Situation angemessen ist, d. h. die alle die Rücksichtnahmen in sich schließt, die die Weltlage gebietet. Ich bitte, auch in unseren beiden Anträgen dieses Anliegen zu würdigen und, um alle Mißverständnisse auszuschließen, hierin nicht etwa eine rein propagandistisch-deklaratorische Demonstration zu sehen, in Fortsetzung des Spiels, daß sich die einzelnen Fraktionen in Anerbieten für Berlin gegenseitig zu überbieten trachten. Das ist nicht der Zweck und der Sinn. Es ist auch nicht der Zweck und nicht der Sinn — und das soll man mir glauben —, hier einen Moment zu wählen, in dem schon viel Porzellan in der Welt zerschlagen worden ist, um nun auch von uns aus in besonderer Lautstärke nationale Grundanliegen zu betonen und so etwa den Gegnern Deutschlands wieder mehr Wind in die Segel zu blasen für die gefährliche Entwicklung, daß durch ihr eigenes Verhalten bei uns wieder eine nationalistische Unruhe entsteht. Hiergegen wende ich mich ausdrücklich. Ich bin mir auch bewußt, daß in diesen Fragen nationaler Grundanliegen in diesem Haus stets erwogen werden muß, ob eine solche Debatte den deutschen Belangen nützt oder schadet. Denn das ist ja der Sinn aller Debatten dieses Hauses, nicht nur in Fragen der Außenpolitik, sondern vor allem auch in Fragen der Innenpolitik ein Verhalten an den Tag zu legen, das den Grundanliegen und Bedürfnissen unseres Landes nützt und sie nicht schädigt.
Die beiden Anträge, die wir gestellt haben, gehören nicht in den Bereich der Außenpolitik, sondern sind Anträge, die ausschließlich auf den Bereich der Innenpolitik beschränkt bleiben und aus diesem Blickwinkel zu sehen sind.
Wir stehen am Vorabend der Wahl des Bundespräsidenten. Der Herr Präsident dieses Hauses hat sich entschlossen, die Bundesversammlung nach Berlin einzuberufen und damit eine der großen Tatsachen zu setzen, durch die aus diesem freien Raum jenseits des Eisernen Vorhangs heraus im
Sinne des unzerstörten Zusammenhalts der ganzen deutschen Nation ein Schritt auf dem Wege getan wird, der uns zur Wiederherstellung der Einheit unseres Landes in Freiheit führen möge. Bevor dieser Entschluß gefaßt worden ist, hatte meine Fraktion diese Anträge eingebracht. Darüber sind nun Mißverständnisse entstanden, und ich will mich bemühen, diese Mißverständnisse aufzuklären.
Ich glaube, daß wir uns immer wieder klarmachen müssen, welches eigentlich die Stellung unseres Staatswesens im Geltungsbereich des Grundgesetzes ist. Dazu sei folgendes gesagt. Schon bei den Herrenchiemseer Beschlüssen, bei den Vorbesprechungen, und dann bei den Verhandlungen im Parlamentarischen Rat ist über den Begriff des Deutschen Reiches als der Bezeichnung des deutschen Staates gesprochen worden. Als beraten wurde, welche Überschrift dem Grundgesetz zu geben sei, hat man sich über die Bezeichnung Gedanken gemacht und hat lediglich aus einem Grunde darauf verzichtet, den Namen des Reiches zu wählen, den unser deutscher Gesamtstaat seit dem Jahre 911 trägt: weil mit dieser Bezeichnung das Ressentiment besonderen Vormachtstrebens verbunden sei. Es war also eine gewisse politische Abstinenz, daß man auf die Wiedererwähnung des Namens unseres Gesamtstaates verzichtete, um Zurückhaltung gegenüber den Gefühlen einer wunden Welt zu üben.
Meine politischen Freunde waren von Anfang an mit dieser Methode nicht einverstanden, weil sie es für eine geschichtliche Unmöglichkeit hielten, auf den Begriff und den Namen unseres Landes, der tausend Jahre und länger bestanden hat, zu verzichten. Es gibt nationale Anliegen, meine Damen und Herren, zu denen muß man stehen, wie man zu seiner Geschichte stehen muß, in jedem Zeitpunkt und in dem vollen Bewußtsein, daß man Träger der Verantwortung für jede Vergangenheit ist.
In der Geschichte kann die philosophische Frage nach der Schuld wohl nicht gestellt werden. Die Haftung aber trifft jedes Volk, und an der Tatsache, daß jede Regierung in einem kontinuierlichen Staat die Konsequenzen einer Vergangenheit mit zu verantworten hat und mit ihr ein Volk, mit ihr eine Nation, führt nichts vorbei. Meine politischen Freunde haben sich damals auch im Parlamentarischen Rat zum Begriff des Deutschen Reiches bekannt mit den Vertretern auch anderer Fraktionen, die sich von denselben Erwägungen leiten ließen ungeachtet alles dessen, was man, auch verhärtet durch eine jahrzehntelange antideutsche Kriegspropaganda, gegen diesen Begriff vorgebracht hat. Wir haben uns ungeachtet all dieser Tatsachen zur Vergangenheit in der Gegenwart und damit auch zur Zukunft dieses Landes mitverantwortend bekannt.
Warum habe ich diese Einleitung gegeben? Weil es notwendig ist, sich immer wieder klarzumachen, daß das Deutsche Reich, nämlich der deutsche Staat, ungeachtet der Spaltung durch fremde Gewalt heute noch besteht. Noch heute besteht ungeachtet des Eisernen Vorhangs das Deutschland als Ganzes im Sinne des Deutschen Reiches. Alles, was de facto geschehen ist und was im Vordergrund steht, darf nicht darüber hinwegtäuschen, daß die ganze deutsche Nation heute noch besteht und daß es sich lediglich darum handelt, den staatsrechtlichen Aufbau und die Organisation
dieses Ganzen wiederherzustellen. Das ist die grundsätzliche Bedeutung auch dieses Antrags: wir und mit uns, glaube ich, alle in diesem Hause sind niemals bereit gewesen, anzuerkennen, daß etwa hier ein Deutsch-West-Reich im Geltungsbereich des Grundgesetzes entstanden sei. Das Deutsche Reich besteht heute noch als Ausdruck Deutschlands,
als völkerrechtliches Subjekt der ganzen deutschen Nation.
Wenn man am Vorabend der Wahl eines Staatsoberhauptes — des Bundespräsidenten — für einen Teil des Deutschen Reiches, im Geltungsbereich des Grundgesetzes, steht, so muß man sich darüber klar sein, daß alle Gewalt, die in diesem Bereich ausgeübt wird, immer treuhänderisch für das Ganze ausgeübt wird und nur so ausgeübt werden kann. Sie findet darin ihre geschichtliche Legitimation, daß sie Treuhandschaft für eine Staatsgewalt des Ganzen ist. Mit der Beseitigung einer Staatsgewalt durch fremde Gewalt werden die natürlichen Grundrechte einer Nation nicht beseitigt.
Es gibt nur eine deutsche Souveränität, die einheitlich und unteilbar ist, und soweit auf diesem Gebiet Rechte der Souveränität ausgeübt werden müssen und können, werden sie in Treuhandschaft und mit der Zielsetzung der Wiederherstellung der Einheit dieses Landes ausgeübt werden müssen. Wir sind der Auffassung, daß diese Einheit des Landes nur erzielt werden kann, nur Bestand und Freiheit haben kann im Zusammenhang mit einem völlig neugeordneten Staatensystem, einem System der Zusammenarbeit aller freien Völker, der Zusammenarbeit Europas. Aber bis dieser abschließende Zustand erreicht sein wird, ist alles, was hier in dem freien Teil Deutschlands geschieht, da, wo Staatsgewalt mit echter Legitimation auf demokratischem Wege ausgeübt werden kann, immer Treuhandschaft für das Ganze, gewinnt daraus seine Legitimation, gewinnt daraus seinen Sinngehalt und geschichtlichen Auftrag. Insofern ist auch nach unserer Auffassung der Herr Bundespräsident Treuhänder der Rechte eines deutschen Staatsoberhauptes schlechthin.
Wenn auch die Weimarer Verfassung durch diktatoriales Unrecht im eigenen Land und durch die Zerstörung der Struktur unseres verfassungsmäßigen Zusammenhaltes durch fremde Gewalt, durch die Übernahme der obersten Gewalt seitens der Sieger, untergegangen ist, so besteht dennoch - wenn auch ungeschrieben — heute und in Zukunft und als der Ansatzpunkt für die Wiederherstellung der Einheit eine gesamtdeutsche Verfassung. Verfassungen von Staaten müssen nicht immer geschrieben sein; sie müssen nicht Ausdruck eines urkundlich nachweisbaren Rechtsaktes sein. Es gibt ungeschriebene Verfassungssätze, an denen festzuhalten uns ein Anliegen der Erhaltung der gesamten Nation ist.
Zu diesen ungeschriebenen Verfassungssätzen gehört, daß Berlin die Reichshauptstadt war, ist und bleiben wird.
Das ist so, obwohl die Weimarer Verfassung über die Reichshauptstadt und über den Sitz des Staatsoberhauptes keine Aussage gemacht hat. Es ist ein ungeschriebener Verfassungssatz, daß dieses Land, das durch fremde Gewalt geteilt ist, in
seinem Gesamtzusammenhang heute noch besteht, heute noch seine Reichshauptstadt und auch heute noch sein Staatsoberhaupt als Institution hat. Deshalb bedeutet unser Antrag, der feststellt, daß der Hauptamtssitz des Bundespräsidenten Berlin ist, nicht etwa, daß dieses Hohe Haus durch einen Beschluß konstitutiv feststellen soll, daß der Sitz nach Berlin verlegt werden muß, sondern er bedeutet nichts anderes als die staatsrechtliche Feststellung, daß der Amtssitz Berlin ist, so wie Berlin die Reichshauptstadt ist und so wie überhaupt eine gesamtdeutsche Verfassung als Grundlage der völkerrechtlichen Subjektivität des ganzen deutschen Volkes nach außen auch heute noch besteht.
Ich glaube, daß die Frage der Souveränität und ihrer Ausübung durchaus einmal des Durchdenkens bedarf, vor allen Dingen im Hinblick auf den Tatbestand, daß die Administration in Pankow, die von der dortigen Besatzungsmacht eingesetzt und am Leben erhalten worden ist, auch seitens dieser Besatzungsmacht mit Rechten ausgestattet worden ist, die den Rechtsschein der Souveränität in sich schließen.
Souveränitätsrechte, die auf dem Boden dieses Landes ausgeübt werden, sind Rechte in der Treuhandschaft für die Souveränität des Ganzen. Der Augenblick der Wahl des Staatsoberhauptes soll wieder bewußt werden lassen, daß es der Treuhänder für die Repräsentation dieses ganzen und einheitlichen und aus sich staatsrechtlich ungeteilt gebliebenen Volkes ist.
Aus dieser Grundlehre von der Fortexistenz des Deutschen Reiches ergeben sich viele Konsequenzen, vor allen Dingen aber die eine Konsequenz — und das gehört mit zur Tragweite auch unseres Antrages —, daß alle Fragen, die sich bei der Ausübung von Souveränitätsrechten im Inneren dieses Landes ergeben, eine ausschließlich d e u t sch e staatsrechtliche Angelegenheit sind. Mit Rücksicht auf die Existenz des Ganzen als völkerrechtliches Subjekt kann mit der Anerkennung des einen oder anderen Bereiches niemals eine Anerkennung der Spaltung verbunden sein. Die Frage, wie im Zustand unter fremder Gewalt, der nun einmal mit dem Ausgang dieses Krieges verbunden ist, das deutsche staatsrechtliche Leben sich ordnet, muß eine Frage des deutschen Staatsrechtes sein und bleiben, letzthin im Kern eine Frage der Auseinandersetzung ausschließlich unter Deutschen sein.
Dabei ist es — und das wiederhole ich an dieser Stelle nochmals — eine Notwendigkeit und ein Anliegen, daß hier eine Politik nach außen getrieben wird, die diesem einzigen Bereich in Deutschland, der sich nach demokratischen Grundsätzen organisieren konnte und der damit eine für das Ganze gültige Struktur erhalten hat, die Position einräumt, um wirksam für die Wiederherstellung der Einheit unseres Landes arbeiten zu können. Dieser Prozeß der Wiederherstellung der Einheit unseres Landes muß in die sich wandelnde Weltlage eingebettet werden. Wir müssen bei der Herstellung des neuen Staatensystems der Zusammenarbeit und der Einheit unter den freien Völkern mitgestalten, mitverantworten und mitwirken können. Das allein wird geeignet sein, den Frieden in Europa wiederherzustellen. Nachdem im ost- und mitteleuropäischen Raum die Staatenordnungen zerstört sind, können nur aus der Staatsordnung des freien Westens heraus die Elemente der Freiheit und des Friedens wieder gesichert werden.
Das ist der Sinn: eine deklaratorische, keine konstitutive Bedeutung; aber deklaratorisch im Sinne des Juristischen, nicht im Sinne der Propaganda gemeint. Es gibt bekanntlich die Feststellung _eines bestehenden Rechts. Diese ist von deklaratorischer Bedeutung. Dann gibt es einen rechtlichen Akt, der konstitutiv ist, etwas Neues setzt. In diesem Falle soll jedoch nichts Neues gesetzt werden, sondern wieder ein Tatbestand staatsrechtlich bestimmt werden, so wie er geschichtlich geworden ist, als Ausdruck der Grundtatsache unserer staatlichen Existenz, daß das Ganze noch besteht und daß, um organisatorisch das Ganze wiederherzustellen, hier die Treuhandschaft für das Ganze ausgeübt wird.
Man kann dagegen einwenden, daß diese im staatsrechtlichen Raum bestehenden Unterscheidungen den Mann auf der Straße nicht erreichten und damit mehr Verwirrung gestiftet als politische Substanz gewonnen würde. Die Fragen der staatsrechtlichen Grundlagen eines Landes und des Kurses, der darauf nicht nur juristisch, sondern auch geschichtlich aufgebaut wird, sind sehr stark gestaltende Elemente. Es wäre eine völlig falsche Unterstellung, daß die deutschen Menschen in West und Ost infolge der De-facto-Verhältnisse die letzthin von fremder Gewalt vollzogene, über unser Land verhängte Teilung jemals in ihren Herzen anerkannt hätten.
Es gibt Standpunkte, die man klarmachen muß, weil sie gewissermaßen das Fundament sind für alle weiteren Gedanken und praktischen Maßnahmen. Es wäre ein sehr blutleerer Positivismus, wenn man den rechtlichen Grundlagen der Existenz eines Volkes nur jene Qualität einer bloßen deklaratorischen Bedeutung zuerkennen wollte, die den Mann auf der Straße, d. h. das Herz des Volkes nicht mehr erreichte. Ich habe eine andere Rechtsauffassung. Ich bin der Ansicht, daß gewisse, gerade im Raume der Verfassungsgesetzgebung vorhandene Institutionen und Akte von symbolischer Bedeutung sind und einen sehr tiefen, gestaltenden Einfluß haben. Man muß konsequent an dem festhalten, was noch ist und nicht zerstört werden darf, an jener nach außen und innen noch existierenden deutschen Einheit.
Daraus können fruchtbare Gedanken kommen für die praktische Politik, die dieses so schwere Werk der Wiederherstellung der Einheit eines so zerstörten Landes, wie wir es sind, vollziehen muß. Die Ausübung deutscher Staatsgewalt von Berlin aus wird von fremder Gewalt verhindert, Berlin ist zu einer Insel gemacht worden, die allerdings ihre ganz große Bedeutung für den Zusammenhalt unseres Landes hat. Man darf deswegen Fragen Berlins und Fragen Deutschlands — auch der sowjetisch besetzten Zone — nicht in einen systematischen Gegensatz zueinander bringen. Berlin, das freie Berlin, ist die letzte Nahtstelle, aus der heraus wirkungsvoll der Zusammenhang mit der sowjetischen besetzten Zone, jenem unfreien Teil Deutschlands, noch gehalten wird. Es geht hier um Deutschland. Ich bin mir sehr bewußt, daß vielleicht gerade in diesem Augenblick, da so viel Mißtrauen und Schwierigkeiten in der Welt vorhanden sind, eine Überbetonung nationaler Interessen sehr schädlich sein könnte. Aber diese Feststellung, die wir zu diesem Zeitpunkt zu treffen uns verpflichtet fühlen in dem Auftrag, den wir als Abgeordnete haben, diese Feststellung der Grundlagen unserer Existenz als ganzer Nation sollte man nicht schamhaft verschweigen. Wir wenden uns durchaus
gegen eine Politik, die sich in Deklamationen, in dem Feststellen abstrakter Tatbestände erschöpft. Ich glaube aber, daß eine Phase kommen muß, in der die Kontakte in der Praxis, d. h. im gegenseitigen Besuch, auf wissenschaftlichem und kulturellem Gebiete, enger gestaltet werden und daß dieser konkrete Kontakt immer mehr vertieft werden muß, weit praktischer, als das durch deklamatorische Akte erfolgen kann. Aber der Sinngehalt einer praktischen Politik muß auch ein völlig klares Fundament haben, das für uns die heute noch bestehende Existenz des ganzen Staates ist. Damit wird festgestellt, daß der eigentliche Dienstsitz des Repräsentanten, der den obersten Rang hat, der das Ganze darstellt, Berlin ist.
Ich bin mir über die verfassungsrechtlichen Grenzen im klaren, darüber, daß dieses Haus kein Recht hat, in die Organisationsgewalt der Regierung, der Exekutive, einzugreifen. Das ist damit auch nicht beabsichtigt. Durch die Zustände, die fremde Gewalt geschaffen hat, ist das Führen der Geschäfte aus dem freien Teil Berlins heraus tatsächlich sehr erschwert. Aber ich glaube, wir sollten den Teil Deutschlands, der die Treuhänderschaft für das Ganze hat, doch etwas stärker drüben in der alten und auch heute noch gegebenen Reichshauptstadt repräsentiert sehen. Wir haben dort einen Bevollmächtigten. Es ist nicht ein Bevollmächtigter im Sinne eines Botschafters, gewiß nicht, das ist nicht der Sinn. Aber es sieht so aus, als unterhielten wir am Platz der alten Reichshauptstadt so eine Art von Vertretung, eine Vertretung eines in seinem Wesen andersgearteten Staatswesens. Meine Damen und Herren, die Bundesrepublik Deutschland ist mit dem Deutschen Reich identisch, zwar nicht im Sinne der Ausdehnung ihrer Gewalt, ihrer Möglichkeit, Hoheit auszuüben, aber sie ist im Sinne der Kontinuität, der politischen und rechtlichen Existenz des Deutschen Reiches mit dem deutschen Gesamtstaat identisch. Sie hat infolgedessen in der Reichshauptstadt keine auch nur wie eine Vertretung aussehende Repräsentation. Man sollte diese Dinge verstärken, wobei ich nicht in die Organisationsgewalt, in die letzte Verantwortung der Regierung in diesem Punkte eingreifen möchte. Das ist Sache der Regierung.
Dann der Sitz des Ministeriums für gesamtdeutsche Fragen. Wir sind uns bewußt, daß unsere deutschen Regierungsorgane durch fremde Gewalt hier in Bonn gewissermaßen im Exil sitzen müssen. Sie müssen hier sitzen. Aber es ist doch die Aufgabe dieses Ministeriums, aus dem freien Teil Berlins heraus in die sowjetisch besetzte Zone zu wirken. Ich glaube, auch hier ohne den administrativen und organisatorischen Maßnahmen im einzelnen vorgreifen zu wollen — das steht mir nicht zu —, daß ein gewisser Umbau unserer gegenwärtigen Regierungsgewalt in Deutschland im freien Teil Berlins erforderlich ist. Wie das im einzelnen durchgeführt werden muß, bedarf natürlich der praktischen Überlegung. Ich hätte es jedenfalls für viel günstiger angesehen, wenn beispielsweise, da der Minister in den Kabinettssitzungen sein muß, die hier abgehalten werden müssen, weil sie nicht gewissermaßen unter einer Viermächteherrschaft abgehalten werden können, wenigstens ein Staatssekretär mit einem Behördenapparat in Berlin säße.
— Es ist mir bekannt, daß eine Hauptabteilung dieses Ministeriums bereits in Berlin sitzt,
— aber ohne Haupt, darauf kommt es mir an.
Das sind organisatorische Fragen, bei denen ich die Regierung in nichts präjudizieren möchte. Aber das, worauf es uns ankommt, sei deutlich und klar herausgestellt: daß die Existenz der deutschen treuhänderischen Regierungsgewalt in der alten Reichshauptstadt ihre nicht nur deklamatorische, sondern äußerst praktische Bedeutung hat und daß hier in einer weiteren Entwicklung unserer Politik zur Wiederherstellung der deutschen Einheit ein Übriges getan werden muß. Dazu kommen viele andere praktische Fragen, die hier zu entwickeln mir die Zeit mangelt.
Meine Damen und Herren, so betrachtet sollten diese beiden Anträge einen staatsrechtlichen Tatbestand nochmals und zu diesem Zeitpunkt im Sinne des Ausgangspunkts überhaupt der Politik zur Wiederherstellung der Einheit unseres Landes zum Ausdruck bringen, sollten sie ein Ausdruck sein unseres Wollens, daß aus dem freien Raum Deutschlands heraus immer nur in Treuhandschaft für das Ganze gearbeitet werden kann, darf und gearbeitet worden ist und daß diesem Ganzen und seiner Repräsentation in der Reichshauptstadt Rechnung getragen werden muß. Unsere Anträge sollen dazu dienen, diese Überlegungen wieder in Gang zu bringen und von dem Begriff der einheitlichen und unteilbaren deutschen Souveränität aus die weitere Zukunft auch gedanklich, wenn Sie wollen konstruktiv zu begründen.
Die staatsrechtlichen, politischen und praktischorganisatorischen Fragen, die mit der Feststellung verbunden sind, daß der Hauptamtssitz des Bundespräsidenten in Berlin als Treuhänder der Rechte des Staatsoberhauptes des ganzen Volkes ist und daß der eigentliche Sitz deutscher Staatsgewalt, nur verhindert durch fremde Gewalt, eben Berlin ist, bilden einen sehr großen Komplex. Er bedarf der wirklich unvoreingenommenen, gründlichen Überprüfung und Analyse. Da zu dieser Frage nicht improvisiert Stellung genommen werden kann, weil solche Improvisationen Mißverständnisse zeugen wie die Mäuse
— ja, weiße, wenn Sie wollen —, beantrage ich, da es sich im Schwerpunkt um politische Fragen handelt, Überweisung der beiden Anträge an den Ausschuß für Gesamtdeutsche und Berliner Fragen, der federführend sein soll. Außerdem sind, wie wir überzeugt sind, äußerst wichtige staatsrechtliche Probleme neu zu durchdenken. Infolgedessen beantrage ich, die Anträge auch an den Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht zu überweisen.
Ich weiß, daß ich in manchem Dinge zum Ausdruck gebracht habe, die vielleicht nicht die ungeteilte Zustimmung aller finden werden. Aber eine ruhige Abwägung der Frage, die hier auf dem Spiele steht, scheint mir geboten zu sein. Ich weiß nicht, ob es tunlich ist, nun an den Grundfragen unserer deutschen Existenz etwa im Sinne einer Polemik herumzurätseln. Ich sah mich aber verpflichtet und veranlaßt, auf der Begründung unserer Anträge zu bestehen, um ihren Sinngehalt und ihre Tragweite vor dem Hohen Haus und vor der Öffentlichkeit darzulegen und zu unterstreichen. Ich bitte, unseren Anträgen gemäß zu beschließen.