Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Meine Fraktion steht der Tätigkeit der Verfassungsschutzämter sehr kritisch gegenüber. Wenn ich das hier an den Anfang meiner Ausführungen stelle, so möchte ich zugleich zum Ausdruck bringen, daß die Erklärung des Herrn Innenministers und die darin enthaltene sehr exakte Durchleuchtung der Methode dieser Arbeit durchaus zufriedenstellend ist, wenngleich die Erklärung nicht geeignet sein kann, die Problematik der Tätigkeit solcher Ämter und die Problematik der organisatorischen Bestimmungen im vollen Umfange auszuschöpfen. Ich lege bei meiner Kritik an den Methoden des Staatsschutzes in dieser Form darauf Wert, zum Ausdruck zu bringen, daß dies keine Kritik an den Beamten dieser Stellen ist, die wie alle anderen Beamten ihre Pflicht tun. Es besteht ebensowenig wie bezüglich jedes anderen Beamten ein Anlaß, diesen mit einer so schweren Tätigkeit betrauten Beamten in der Öffentlichkeit mit einem Mißtrauen zu begegnen.
Es kann kein Zweifel darüber bestehen, daß in einem Land wie der Bundesrepublik, das an der Grenze eines totalitären Systems liegt, welches Unterminierungsarbeit leistet, die notwendigen Schutzmaßnahmen getroffen werden müssen. Allerdings fragt man sich manchmal, ob die politische Bazillenjagd nicht unter Umständen eine Anstekkungsgefahr mit sich bringt, indem die Methoden des Spitzeltums, des Vigilantentums und des Denunziantentums übernommen werden. Das sind drei ganz verschiedene Dinge. Ich verstehe unter Spitzeln jene Schlüssellochgucker, die überall da sind, die das Leben der Menschen untereinander vergiften und eine Atmosphäre des Mißtrauens schaffen. Unter Vigilanten verstehe ich jene Wachsamkeitsorgane, die mit einem neugierigen Auge auf das Leben der Menschen sehen und die Atmosphäre menschlichen Vertrauens und der natürlichen Harmlosigkeit in Frage stellen. Unter Denunzianten verstehe ich diejenigen Elemente, die ungerufen kommen, um in diesem Dunkel das schmutzige Geschäft des Nachrichtenzutragens, selbst nicht mit der Feuerzange anzufassen, versehen.
Das Hohe Haus muß sich darüber klar sein, daß die Atmosphäre des Mißtrauens und des Vigilantentums — etwas, was uns durch einen Angriff von außen diktiert wird — eine letztlich fast noch größere Gefahr ist
als die Gefahren, die durch die dunkle Unterminierungsarbeit von der anderen Seite kommen; denn ein vergiftetes Gemeinschaftsleben ist das Ende eines anständigen Staates und seiner Widerstandskraft.
Aus diesen grundsätzlichen Erwägungen heraus ist die Frage zu stellen, wie nun im einzelnen die Organisation der Staatsnotwehr und des Staatsschutzes praktisch aufgebaut werden kann. Es wäre eine Platitude, hier zu sagen, daß der beste Staatsschutz natürlich in dem festen Willen der Bürger liege und in dem instinktiven klaren Bejahen der Staatsgrundlagen. Das ist natürlich die beste Abwehr. Man muß aber zugeben, daß, genau wie ein Arzt Krankheitsherde erkennen muß, hier auch irgendwie Einrichtungen geschaffen werden müssen, die die wirklichen Krankheitsherde erkennen. Aber
bitte, hier gibt es doch Grenzen! Ich möchte keine Verdächtigungen aussprechen, aber auf diesen Laufzetteln, auf denen dann eine Person durchleuchtet wird, steht doch oft ein solcher Unfug!
Zufälligerweise — ich könnte dem Herrn Innenminister eine genaue Auskunft geben — ist bei mir in meinem Hause eine Nachfrage erfolgt in Unkenntnis, wer das eigentlich war. Und das, was da gefragt worden ist, war höchst erheiternd, nämlich ob die Eltern verschuldet sind, ob dieses oder jenes — lauter private Dinge. Meine Damen und Herren, das Privatleben sollte in einer freiheitlichen Demokratie unangetastet bleiben.
Die Fälle -des Staatsschutzes, d. h. die politische Bazillenjagd, sind im Strafgesetzbuch und auch nach gewissen Erörterungen unseres Ausschusses für Verfassungsschutz ziemlich genau und exakt umgrenzt. Es gibt ganz bestimmte Tatbestandskomplexe, die unter Umständen einer dauernden Beobachtung und Durchleuchtung bedürfen. Wir sind nun einmal in diese scheußliche Welt des 20. Jahrhunderts hineingeboren, mit der wir uns auseinandersetzen müssen und in der tatsächlich durch die Systematik und den Angriff der totalitären Systeme aller Arten — wir haben sie ja selbst durchgemacht — die menschlichen Beziehungen vergiftet werden. Als eine freiheitliche und rechtsstaatliche Demokratie haben wir hier die Aufgabe, eine Therapie zu treiben, die vor allem in dem exakten Erkennen dessen liegt, was denn hier überhaupt konkret Gegenstand des Staatsschutzes ist. Und dazu gehören nicht irgendwelche vagen denunziatorischen Verdachtsmomente,
abgesehen davon, daß sie auch immer in die Irre führen, enorme Mittel kosten und sehr viele Leute beschäftigen.
Ich weiß um die große Problematik und die hohe Aufgabe, die in der Auswertung von Informationen liegt. Kein Vorwurf gegen die Beamten, die das tun! Aber es erhebt sich dann immer die Frage: Kontrolle und Beobachten ist notwendig, gut! Wer aber kontrolliert die Kontrolleure?
Meine Damen und Herren! Damit komme ich zu dem zweiten Punkt, der uns hieran interessiert. Man hat gesagt — ich bitte um Auskunft, ob das zutrifft, und wenn die Antwort aus Gründen der Staatsräson nicht öffentlich gegeben werden kann, bin ich auch mit anderen Formen der Auskunft einverstanden —: Es gibt sogenannte Abwehrbeauftragte in den Ressorts. Es soll sie geben! Ich bin der Auffassung und mit mir meine politischen Freunde: Wenn wir überhaupt dieses Wort übernehmen wollen angesichts einer im letzten Kriege höchst unwirksamen Abwehr, wenn es um militärische Dinge und um wirkliche Spionagefälle ging; — man hat von Casablanca nichts gewußt, da waren die Alliierten schon da! Trotzdem hat man viel Geld dafür ausgegeben. — An dieser Abwehr hängt für mich deshalb immer ein klein wenig etwas Ridiküles; denn wenn man das so mechanisch und methodisch und bürokratisch auch nachher noch macht, kommt ziemlich viel Unfug dabei zutage. Aber das nur nebenbei.
— Nun, das pfeifen doch die Spatzen von den Dächern. — Ich meine, der geborene Abwehrbeauftragte in einem Ressort dürfte der Vorgesetzte sein, in allererster Linie der Minister selber. Ich muß sagen, daß eine zweite Kontroll- und Übersichtsorganisation neben den im Aufbau eines Ressorts gegebenen Vorgesetztenverhältnissen oder gar eine Überwachung der Vorgesetzten, ja, eine Überwachung der Minister und Staatssekretäre — so etwas soll vorgekommen sein, — eine Untersuchung von deren Vorleben usw., verfassungsmäßige Grundsätze über den Haufen wirft. Denn es ist nicht möglich, daß ein Minister, dem etwa das Amt des Innenministers zufällt, sozusagen die Personalaufsicht über die anderen Minister führt; das ist in der Verfassung nicht vorgesehen. Es sind also solche Untersuchungen nicht zulässig, wie sie über gewisse Zusammenhänge möglicherweise erfolgt sein sollen. Das ist ja das etwas Eigenartige, daß über dieses Gebiet immer im Konjunktiv gesprochen werden muß, genau so wie das Halbdunkel charakteristisch ist, das über den Verhältnissen liegt.
Niemals also und unter keinen Umständen darf eine Überwachung eines Ressorts die Vorgesetztenverhältnisse untergraben. Wenn Verdachtsmomente auftreten, muß der Vorgesetzte in der Lage sein, zu konfrontieren und dem Betreffenden sofort Gelegenheit zu geben, die Dinge aufzuklären. Das ist auch viel zweckmäßiger; denn dann kommt es klar heraus. Alles Halbdunkel — manchmal geht es nicht ohne ein solches — sollte man auf Fälle reiner Spionage- und Sabotagetätigkeit beschränken.
Aber auch dazu ein Wort. Man hat den Eindruck, daß Deutschland sozusagen ein Paradies oder ein Jagdgrund von ich weiß nicht wievielen Nachrichtendiensten ist, die sich dann auch noch, wie das üblich ist, gegenseitig kräftig bekämpfen. Das geht gegeneinander, die gönnen einander die Nachrichten nicht und jagen sie sich gegenseitig ab. — Es wird, glaube ich, wirklich eine Aufgabe deutscher Politik sein, möglichst bald im Erringen der Souveränität und dem Inkrafttreten der Verträge diesem Chaos endlich einmal ein Ende zu machen und auch auf diesem Gebiet Ordnung und Sauberkeit zu schaffen. Es ist ein unmöglicher Zustand, daß ein Volk sozusagen das Objekt von 17 oder 18 Nachrichtendiensten ist. Und da habe ich eine konkrete Frage zu stellen.
— Die Sicherheitsvorbehalte: es gibt immer noch eine Praxis in der Auslegung der Gesetze. Sicherheitsvorbehalte jedenfalls in dem Sinne, daß deutschen Stellen zugemutet wird, zu kollaborieren und etwa Untersuchungen über deutsche Persönlichkeiten, gleichgültig welcher Art sie sind, aufzunehmen und an sogenannte alliierte Dienststellen abzugeben, ein System der Kollaboration auf diesem Gebiet würde von meiner Fraktion auf das entschiedenste abgelehnt werden,
und zwar auf die Gefahr hin, daß zwanzig Leute dabei durch die Maschen schlüpfen. Nach dem Prinzip der Sauberkeit ist es wirklich besser, daß zwanzig Leute, die ungerecht sind, nicht ereilt werden, als daß auch nur ein Fall schäbigen internationalen Denunziantentums vorkommt.
Zum Schluß ein Wort zu den Landesverfassungsschutzämtern. Gerade wenn man die Problematik solcher Tätigkeit, solcher Staatsnotwehr — darum handelt es sich ja — einsieht und wenn man erkennt, wie heikel und schwierig die Aufgabe der Auswertung dieser Dinge ist, dann weiß ich wirklich nicht, warum wir außer dem Bundesverfassungsschutzamt, das sich bei dieser Aufgabe schon sehr schwer tut, noch neun Landesverfassungsschutzämter mit wieder ganz anderen Auswertungsmethoden und Möglichkeiten und Gefahren haben, die damit verknüpft sind. Ich will hier nicht tiefer in dieses Problem eindringen.
— Mein lieber Herr Kollege, Föderalismus ist kein Selbstzweck; Föderalismus hat den einzigen Sinn, die Freiheit unter den Menschen zu verstärken,
und in dem Augenblick, wo das nicht der Fall ist, bin ich für eine klare Bundesregelung. Das sei in allen Dingen ein für allemal gesagt.
Ich bin der Auffassung, daß wir mit neun weiteren Untersuchungsärzten für Krankheitsherde auf politischem Gebiet die Gefahr neunmal nicht nur im Sinne der Multiplikation, sondern des Potenzierens vergrößern. Wir sind also der Auffassung, daß man mit diesen 9 Landesverfassungsschutzämtern Schluß machen sollte und dafür meinetwegen Dienststellen des Bundesamtes einrichten sollte.
Meine Damen und Herren! Zusammengefaßt sei eines gesagt: Wir wünschen nicht, daß die politische Bazillenjagd ein Zensorenamt entstehen läßt, das nachher die Information zur politischen Macht ummünzt und das dann, wie auch Ortega y Gasset einmal gesagt hat, dem ganzen Staatswesen sein Gesetz aufprägt. Wir haben einmal erlebt, wie das preußische Amt, das diese Aufgabe hatte, unter der kundigen Führung eines Mannes, dessen Name hier nicht nochmals wieder erwähnt werden soll, sich zu dem entwickelt hat, was man später Gestapo genannt hat. Natürlich, unsere kundigen Herren vom Verfassungsschutzamt stehen weit ab von dem Verdacht, irgendwie gestaporale Tendenzen oder Allüren zu haben. Aber es gibt verfluchte Dinge in dieser Welt, die vom Teufel besessen sind, und davor sollte man sich hüten.