Herr Präsident! Meine Damen und Herren!
1. In der Öffentlichkeit ist in den letzten Monaten durch Nachrichten und Ausführungen über den Verfassungsschutz zunehmend eine gewisse Beunruhigung entstanden. Die Ausführungen wiesen zum Teil in sachlicher Art auf echte Probleme hin, die bei der Weiterentwicklung des Verfassungsschutzes noch der Lösung bedürfen. Ein großer Teil der Erörterungen hat aber leider die gerade hier gebotene Sachlichkeit vermissen lassen. Wenn z. B. behauptet wurde, daß in den Verfassungsschutzämtern sich ein Staat im Staate herausgebildet habe, der mächtiger sei als alle Grundrechte, wenn die Frage gestellt wurde, wer die Verfassung vor den Verfassungsschutzämtern schütze, wenn die Verfassungsschutzämter als eine neue Gestapo bezeichnet wurden, so sind dies Auffassungen, denen entgegengetreten werden muß, wenn die Sicherheit des demokratischen Staates
und, was ebenso wichtig ist, das Vertrauen des Staatsbürgers zum demokratischen Staat nicht Schaden leiden sollen. Die Bundesregierung hält es daher für ihre Pflicht, vor dem Hohen Haus und vor der deutschen Öffentlichkeit eine Erklärung zum Gesamtproblem des Verfassungsschutzes abzugeben.
2. Die Bundesregierung begrüßt diese Möglichkeit, einige grundsätzliche Feststellungen über folgende Punkte zu treffen: a) die Aufgaben des Verfassungsschutzes und die gesetzlichen Grundlagen für die Arbeit der Verfassungsschutzämter, b) die Methoden dieser Behörden bei der Durchführung ihrer Aufgaben und schließlich c) die bei der endgültigen Gestaltung des Verfassungsschutzes im Verhältnis zwischen Bund und Ländern noch zu lösenden Fragen.
3. Diesen Ausführungen darf ich eine grundsätzliche Bemerkung vorausschicken.
Der Verfassungsschutz ist, besonders bei der exponierten Lage der Bundesrepublik, ein wesentlicher Teil unserer gesamten staatlichen Sicherheitsvorkehrungen. Wir müssen auf diesem Gebiet zwei Forderungen aufstellen:
a) Die Verfassungsschutzbehörden müssen im Interesse aller Staatsbürger in dem gesetzlich gezogenen Rahmen sachlich so organisiert und personell so zusammengesetzt und geleitet sein, daß ihre Gesetzestreue und ihre demokratische Zuverlässigkeit nicht bezweifelt werden können. Das ist eine fundamentale Forderung, die für jede demokratische Staatsführung gilt. Ein Verfassungsschutz, dem es nicht gelingen würde, dieses Vertrauen zu erwerben, hätte seine Aufgabe verfehlt.
b) Die zweite Forderung richtet sich an alle: Das Gefühl für die Notwendigkeit und die Erfordernisse der Staatssicherheit muß gerade in einem demokratischen Staat in allen Schichten des Volkes eine Realität, ein gegebener Zustand sein und darf unter keinen Umständen einen öffentlichen Streitpunkt bilden. Daher müssen sich alle Kreise unseres Volkes, besonders auch die berufenen Vertreter der öffentlichen Meinung, der Notwendigkeit bewußt sein, daß im Interesse der Sicherheit aller die Fragen der Staatssicherheit nur in geeigneter Form und nur mit der gebotenen Zurückhaltung behandelt werden können.
Die beiden Forderungen, die damit gegenüber der Staatsführung und dem Verfassungsschutz auf der einen Seite und gegenüber der Öffentlichkeit auf der anderen Seite erhoben werden, sind in demokratisch gefestigten Staaten seit langem eine Selbstverständlichkeit. Die Bundesregierung möchte der dringenden Hoffnung Ausdruck geben, daß auch wir in absehbarer Zeit diesen Zustand erreichen.
4. Nach diesen grundsätzlichen Bemerkungen darf ich zunächst die Aufgaben des Verfassungsschutzes im allgemeinen und die gesetzlichen Grundlagen für die Arbeit der Verfassungsschutzbehörden darlegen. Aufgabe des Verfassungsschutzes ist die Sicherung des Staates gegen Angriffe, die besonders in der Form des Hochverrats, der Staatsgefährdung, des Landesverrats und der Ausspähung von Staatsgeheimnissen geführt werden.
5. In diese Aufgabe der Wahrung der Staatssicherheit teilen sich die Verfassungsschutzbehör-
den und die Strafverfolgungsbehörden. Hier darf ich etwas hervorheben, was augenfällig zeigt, wie unbegründet der Vorwurf eines Wiederauflebens der Gestapo ist. Die Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder sind nach dem Gesetz vom 27. September 1950 lediglich berechtigt, Nachrichten und sonstige Unterlagen über verfassungsfeindliche Bestrebungen zu sammeln, sie auszuwerten und sodann an die Regierungen zu deren Unterrichtung oder an die Strafverfolgungsbehörden als Beweismaterial für die strafrechtliche Behandlung weiterzuleiten.
6. Die Verfassungsschutzbehörden haben also nicht die geringsten Exekutivbefugnisse. Sie sind weder zu Verhaftungen noch zur Durchsuchung von Personen oder von Räumen noch zur Ausübung einer Postzensur noch zum Abhören von Ferngesprächen befugt. Sie haben solche Handlungen auch niemals vorgenommen. Die Feststellung, die ich hiermit treffe, gilt ebenso für die von einem Mitglied der SPD-Fraktion völlig zu Unrecht erhobene Behauptung, die Räume des RheinRuhr-Klubs seien durchsucht worden, wie für die Behauptung des stellvertretenden nordrhein-westfälischen Landesvorsitzenden der „Deutschen Jungdemokraten", daß seit einigen Wochen führende Angehörige der Jungdemokraten in Nordrhein-Westfalen durch Telefonüberwachung bespitzelt würden. Der für den technischen Teil des Fernmeldewesens verantwortliche Herr Bundespostminister hat mich zu der ausdrücklichen Feststellung ermächtigt, daß von deutscher Seite keine, aber auch gar keine Überwachung des Telefonverkehrs durchgeführt wird.
Jede exekutive Handlung eines Beamten oder Angestellten der Verfassungsschutzbehörden wäre eine Amtsanmaßung im Sinne des § 132 des Strafgesetzbuchs, die ihn nicht nur disziplinärer, sondern auch strafrechtlicher Ahndung aussetzen würde.
7. Der § 3 des Verfassungsschutzgesetzes enthält noch eine weitere, nicht minder wichtige Begrenzung der Aufgaben der Verfassungsschutzämter. Sie haben lediglich Nachrichten über verfassungsfeindliche Bestrebungen zu sammeln und auszuwerten. Sie sind daher ausschließlich Instrumente der Staatssicherheit und damit der Staatspolitik, niemals aber Hilfsorgan einer Parteioder Koalitionspolitik. Objekt der Tätigkeit der Verfassungsschutzbehörden ist niemals der demokratisch loyale und legal kämpfende politische Gegner der Regierung, sondern stets nur der Staatsfeind, der die Sicherheit des Staates als solchen und damit seine verfassungsmäßige Ordnung untergräbt.
8. In der öffentlichen Kritik am Verfassungsschutz spielen eine besondere Rolle die Methoden, mit denen die Verfassungsschutzbehörden tatsächlich oder vermeintlich arbeiten.
Aufgabe der Verfassungsschutzbehörden ist zunächst das Sammeln von Nachrichten über verfassungsfeindliche Bestrebungen. Da die Staatsfeinde ihre Tätigkeit in der Regel auf das sorgfältigste tarnen und die Nachrichten, die den Staatssicherheitsbehörden ohne eigenes Zutun zugehen, nur die Ausnahme darstellen, ist jede Sicherheitsbehörde — dies ist in allen Staaten der Welt so — darauf angewiesen, sich solche Nachrichten zu beschaffen. Auch die deutschen Verfassungsschutzämter müssen daher eine sogenannte
Beschaffungsabteilung unterhalten. Die von den Außenorganen dieser Abteilung zu leistende Tätigkeit erfordert Intelligenz, in manchen Fällen auch die Bereitschaft, sich persönlichen Gefahren auszusetzen. Am wichtigsten scheint es mir aber zu sein, daß nur Personen verwendet werden, die in ihrer Tätigkeit die rechtsstaatlichen Prinzipien und die Gebote des menschlichen Anstandes beachten. Alle zuständigen Stellen müssen diesem Problem dauernd ihre Aufmerksamkeit widmen.
9. Was in der Nachrichtenbeschaffung der Verfassungsschutzämter vornehmlich zu verbessern ist, liegt auf folgendem Gebiet. Zunächst einmal muß das vielfache Neben-, ja Gegeneinanderarbeiten der Nachrichtendienste beseitigt werden. Die Vielzahl der hier konkurrierenden Einzelpersonen und Organisationen ist auf die Dauer unerträglich. In dieser Beurteilung ist sich die Bundesregierung mit den Landesregierungen einig. Sie wird mit ihnen prüfen, welche gesetzlichen Handhaben wir brauchen, um hier Abhilfe zu schaffen.
Stärker als bisher ist ferner zu beachten, daß jede Auskunft, die durch die ordentliche Polizei beschafft werden kann, durch diese und nicht durch Organe der Verfassungsschutzbehörden eingeholt wird.
Auch das Verfahren zur Überprüfung von Bewerbern für den öffentlichen Dienst kann mehr als bisher aus der Sphäre der Verfassungsschutzbehörden herausgelöst werden. Daß auf Posten, die mit geheimem oder vertraulichem Material zu arbeiten haben, nur Personen berufen werden, die auf ihre Zuverlässigkeit geprüft sind, ist notwendig. Wir können den öffentlichen Dienst nicht von Staatsfeinden durchsetzen lassen. Bei den oft nicht einfach zu klärenden Verhältnissen sind die Mitarbeit und die Erfahrungen der Verfassungsschutzbehörden nicht zu entbehren. Ihre Einschaltung muß aber auf das unbedingt notwendige Maß beschränkt werden.
10. Noch wichtiger und verantwortungsvoller als die Nachrichtenbeschaffung ist die Nachrichtenauswertung. Jede Verfassungsschutzbehörde hat daher in Übereinstimmung mit der internationalen Praxis eine besondere Auswertungsabteilung. Die Schlüsse, die diese Abteilung aus den ihr zugeleiteten Unterlagen zieht, berühren entscheidend die Interessen derer, über die Nachrichten eingegangen sind. Hier muß daher neben dem selbstverständlichen Verlangen auf gewissenhafte Prüfung des Materials auf seine Zuverlässigkeit die Forderung streng rechtsstaatlichen Vorgehens mit besonderem Nachdruck erhoben werden. Das zu sichern ist Aufgabe geschulter Juristen.
Ihnen obliegt beim Bundesamt für Verfassungsschutz und bei den Landesverfassungsschutzämtern die weitere wichtige Aufgabe, zu prüfen, welches Material genügend erhärtet ist, um es an die Strafverfolgungsbehörden, weiterzuleiten oder in einem Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht zu verwerten. Die letzte Klärung des objektiven und subjektiven Tatbestands einer strafbaren Handlung bleibt der Würdigung durch die Staatsanwaltschaft und der völlig unabhängigen Entscheidung der Gerichte vorbehalten.
11. Was nach dieser Sichtung in der Auswertungsabteilung an beschafftem Material übrigbleibt, muß mit besonderer Sorgfalt und Rücksichtnahme
auf den betroffenen Staatsbürger behandelt werden. Der Leiter der Auswertungsabteilung oder der Behördenleiter hat zu entscheiden, ob solches Material abgelegt wird oder ob es zur Unterrichtung der Regierung verwendet werden soll. Wenn es sich um Material gegen einen politisch unbescholtenen Staatsbürger handelt, kommt eine Verwendung grundsätzlich nicht in Frage, solange die Zuverlässigkeit des Materials nicht einwandfrei feststeht. Glaubt der Leiter des Verfassungsschutzamtes, wegen der Wichtigkeit des Materials von diesem Grundsatz abweichen zu müssen, so hat er den zuständigen Minister zu unterrichten.
12. Völlige Diskretion hinsichtlich aller Erkenntnisse, die nicht zu strafgerichlichem oder verfassungsgerichtlichem Verfahren führen, muß der oberste Grundsatz jeder Verfassungsschutzarbeit sein.
13. In der Öffentlichkeit ist mehrfach der Gedanke angeklungen, ob dem Staatsbürger, der sich durch eine ungünstige Auskunft der Verfassungsschutzbehörden benachteiligt fühlt, z. B. weil ihm eine bestimmte von ihm angestrebte Stelle nicht übertragen worden ist, ein Rechtsweg gegen die Beurteilung durch die Verfassungsschutzbehörden eröffnet werden sollte. Der Weg zu den ordentlichen Gerichten steht dem Staatsbürger, der glaubt, durch eine Pflichtverletzung der Verfassungsschutzbehörden geschädigt worden zu sein, nach Art. 19 des Grundgesetzes offen. Darüber hinaus etwa auch die Verwaltungsgerichte einzuschalten, wäre abwegig. Die Verfassungsschutzbehörden setzen keine Verwaltungsakte, die angefochten werden können. Ihre Tätigkeit besteht vielmehr ausschließlich in der pflichtgemäßen Abwägung von Unterlagen und eignet sich ihrem Wesen nach nicht für eine verwaltungsgerichtliche Nachprüfung. Jeder Staatsbürger, der sich durch die Arbeit der Verfassungsschutzämter benachteiligt fühlt, hat jedoch immer die Möglichkeit, durch eine Dienstaufsichtsbeschwerde an den vorgesetzten Minister eine Überprüfung der Behandlung seines Falles herbeizuführen.
14. Schließlich, meine Damen und Herren, bleibt ein Wort darüber zu sagen, wie die Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern auf dem Gebiete des Verfassungsschutzes noch wirksamer als bisher gestaltet werden kann. Bundestag und Bundesregierung sind in manchen Pressestimmen dafür getadelt worden, daß neben dem Bundesamt für Verfassungsschutz noch die Landesämter für Verfassungsschutz bestehen und daß an deren Stelle nicht schon längst Zweigstellen des Bundesamtes in den Ländern geschaffen worden seien. Diese Kritiker übersehen, daß das Grundgesetz in seinem Art. 73 Nr. 10 dem Bund nur die gesetzgeberische Zuständigkeit dafür eingeräumt hat, die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder auf dem Gebiet des Verfassungsschutzes zu regeln. Allerdings, meine Damen und Herren, ist die Bundesrepublik, soweit ich feststellen kann, der einzige Staat, der die Wahrung der Staatssicherheit nicht zentral organisiert hat. Selbst die Vereinigten Staaten von Amerika haben sich bei aller Betonung der Länderzuständigkeit auf dem Gebiet der Polizei im Federal Bureau of Investigation ein zentrales Instrument zur Bekämpfung staatsfeindlicher Umtriebe geschaffen.
Wenn auch bei uns die Verfassungslage eine andere ist, so werden die Landesregierungen letztlich nicht verkennen, daß der Angriff der Staatsfeinde in aller Regel nicht regional begrenzt erfolgt, sondern die ganze Bundesrepublik zum Ziel und meist auch das ganze Bundesgebiet zum Schauplatz hat. Die Bundesregierung wird daher eine wichtige Aufgabe der nächsten Zeit darin sehen, die Bemühungen von Bund und Ländern auf dem Gebiet der Staatssicherheit noch mehr als bisher zu koordinieren.
15. Im komme zum Schluß meiner Ausführungen. Ich glaube, meine Damen und Herren, so offen gesprochen zu haben, wie es die schwierige und empfindliche Materie verträgt. Es war mein Bestreben, die Problematik des Gegenstandes sachlich zu beleuchten. Dies berechtigt mich, nun noch eine dringende Bitte vorzutragen.
Ich habe einleitend die überscharfe Kritik gekennzeichnet, der der Verfassungsschutz in den letzten Monaten vielfach begegnet ist. Natürlich müssen die Verfassungsschutzbehörden wie alle demokratischen Einrichtungen sich jede berechtigte Kritik gefallen lassen. Man darf sie aber nicht für Fälle zur Rechenschaft ziehen wollen, in denen sie überhaupt keine Verantwortung trifft. Eine nicht gerechtfertigte Kritik müßte auf die Dauer die Verantwortungsfreudigkeit und den Arbeitseifer des Personals der Verfassungsschutzbehörden untergraben.
Dieses Personal verdient für die pflichtgemäße Ausführung seiner dienstlichen Obliegenheiten in gleichem Maße den Schutz seiner Vorgesetzten und die Anerkennung durch die Öffentlichkeit wie alle anderen Staatsdiener.
Von einer nicht gerechtfertigten Kritik, meine Damen und Herren, hätte den Schaden auf weite Sicht allein unser demokratischer Staat.
Er würde in der Staatssicherheit und damit in seinem empfindlichsten Nerv getroffen.
Die Bundesregierung richtet daher an die gesamte Öffentlichkeit die Bitte, durch eine maßvolle Kritik und dort, wo es am Platze ist, auch einmal durch ein Wort der Anerkennung die Verfassungsschutzbehörden bei der Erfüllung ihrer schweren und verantwortungsvollen Aufgabe zu unterstützen.