Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen 'und Herren! Heute steht ein Problem an, das für die gesamte Wirtschaft, ich darf wohl sagen, für die gesamte Volkswirtschaft von entscheidender Bedeutung ist. Bei den vorliegenden Paritätsgesetzentwürfen wird :sich zeigen, ob es der Regierung und ,den politischen Parteien ernst ist mit den vielfach auch in diesem Hause gegebenen Versprechungen und mit der Bekundung des Willens zur Stärkung und Erhaltung eines gesunden Bauerntums oder ob es platonische Erklärungen waren, die angesichts kommender Wahlen gegeben worden sind. Diesmal kommt es hier im Hause zum Schwur.
Niemand wird ernsthaft die Sonderstellung der deutschen Landwirtschaft oder gar ihre schwierige Lage bestreiten. Sie ist so offensichtlich, daß uns schon seit Jahren in zunehmendem Maße die Menschen vom Lande weggelaufen sind, weil es sich einfach nicht mehr lohnte.
Die Disparität in der Frage der Entlohnung für alle in der Landwirtschaft tätigen Personen und das Mißverhältnis der landwirtschaftlichen Preise zu den Preisen der übrigen Wirtschaft gehen aus allen diesbezüglichen Veröffentlichungen so klar hervor, daß es darüber in diesem Haus wohl keine Meinungsverschiedenheiten geben wird.
Tatsache ist, daß noch heute — das hat mein Kollege Mauk bereits zum Ausdruck gebracht — trotz der Marktgesetze, trotz sozialer Marktwirtschaft ein großer Teil der landwirtschaftlichen Erzeugnisse wie Getreide, Zuckerrüben und Milch preispolitisch gebunden sind. Wir wissen, daß das nicht weniger ,als 45 % aller Einnahmen der Landwirtschaft ausmacht. Tatsache ist auch, daß trotz fortschreitender Mechanisierung und Technisierung auf allen Gebieten der Landwirtschaft Erfolge nicht erzielt werden konnten, weil dafür die Voraussetzungen nicht gegeben waren. Das hat mit Rückständigkeit, Nicht-Wollen oder Nicht-Können gar nichts zu tun; das ist einfach durch die Eigenart dieses Wirtschaftszweiges bedingt gewesen, der durch Boden und Klima bestimmt wird. Es ist ferner bedingt gewesen durch das Vorherrschen der großen Zahl kleiner und mittlerer bäuerlicher Betriebe.
In der Leistung kann sich weiß Gott die deutsche Landwirtschaft mit den Leistungen der übrigen Landwirtschaften in Europa messen. Sie steht heute mit der Flächenleistung bereits wieder an dritter Stelle in Europa. Sie braucht sich aber auch nicht ihrer Arbeitsproduktivität zu schämen, denn diese beträgt heute je Arbeitskraft, verglichen mit dem Jahr 1936, in der Landwirtschaft 128, in der Industrie 106 und bei Kohle und Bergbau 70. Insofern braucht sich also unsere deutsche Landwirtschaft wirklich nicht zu verkriechen.
Aber was nützt das alles, wenn trotz all dieser Anstrengungen die Disparität von Jahr zu Jahr größer geworden ist und eine Verschuldung Platz gegriffen hat, die im letzten Jahr nicht, wie Herr Kollege Lücker sagte, 500 bis 700 Millionen DM betragen, sondern zusätzlich fast die Eine-Milliarde-Grenze erreicht hat. Einer solchen Entwicklung kann keine Regierung und kann kein verantwortungsbewußtes Parlament tatenlos zusehen. Die soziale Frage liegt heute auch schon lange nicht mehr beim Industriearbeiter, sondern sie ist längst verlagert. Man braucht sich nur einmal, den Lebensstandard einer kleinbäuerlichen Familie oder eines Siedlers auf Moorboden anzusehen, oder man braucht sich nur einmal die stark einseitigen Grünlandbezirke der Marsch anzusehen, die fast ausschließlich auf die Einnahmen aus dem Verkauf von Veredelungsprodukten, Rindvieh- und Milcherzeugnissen angewiesen sind, um festzustellen, daß 'hier seit Jahrzehnten, insbesondere aber in den letzten Jahren ein offensichtlicher Rückgang zu verzeichnen ist und einst fruchtbare Gebiete zunehmend zu Notstandsgebieten werden. Mit
kleinlichen Pflästerchen, wie wir das in der Vergangenheit gemacht haben, ist hier nun einmal nicht mehr zu helfen, sondern hier muß grundsätzlich entschieden werden, ob wir einer solchen Entwicklung weiter tatenlos zusehen wollen oder ob das Parlament :gewillt ist, der deutschen Landwirtschaft wirklich zu helfen.
Daher unser ein Grundgesetz für die Landwirtschaft darstellender Gesetzentwurf, der im übrigen nichts Außergewähnliches bringt. Sie haben bereits aus den Ausführungen meiner Vorredner gehört, daß in Amerika und in anderen Staaten seit Jahren ein solches Gesetz besteht. Wenn wir uns einmal einen Einblick in die Etats anderer Staaten verschaffen, meinetwegen in den Haushaltsplan der Vereinigten Staaten, eines Landes, in dem die Landwirtschaft zu etwa 7,2 % an der Gesamtproduktion beteiligt ist, dann stellen wir fest, daß in diesem Lande 10 % des gesamten Haushalts für die Förderung der Landwirtschaft eingesetzt sind. In der Bundesrepublik, wo die Landwirtschaft immerhin noch mit 12,5 % an der jährlichen Gesamtproduktion beteiligt ist, stehen nur 2 5 an Aufwendungen für die Landwirtschaft im Haushalt. Darüber hinaus haben andere Länder, so die USA, Großbritannien, die Schweiz und Schweden, schon längst ein solches Paritätsgesetz. Wer sich etwas mit den Dingen beschäftigt hat, wird zugeben müssen, daß das nicht rein theoretische Berechnungen oder Verordnungen sind, sondern daß man mit derartigen Gesetzen wirklich etwas anfangen kann.
Bei uns stellt die Produktion der Landwirtschaft einen Wert von 15,8 Milliarden DM dar. Eben hat ein Vorredner gesagt, daß Kohle und Eisen insgesamt einen Produktionswert von 14,8 Milliarden DM aufzuweisen haben. In der Öffentlichkeit ist jeder davon überzeugt, daß für Kohle und Eisen parlamentarisch alles geschehen muß, und es ist auch von Staats wegen in der Vergangenheit das Bestmögliche geschehen. Wenn aber in der breiten Öffentlichkeit von der Wirtschaft gesprochen wird, denkt man an die Landwirtschaft schlechthin schon gar nicht mehr. Sie wird schon gar nicht mehr zur Wirtschaft gerechnet. Schon in dieser Optik zeigt sich die verschiedenartige Wertung der deutschen Landarbeit gegenüber der Arbeit in den übrigen Wirtschaftszweigen. Man kennt die deutsche Landwirtschaft nur in Krisenzeiten, wenn das deutsche Volk satt gemacht werden muß; sonst aber sieht man in der Landwirtschaft nur einen lästigen Beruf, der immer dann seine Stimme erhebt und unangenehm wird, wenn seitens der Regierung eine ihm nicht genehme Wirtschaftspolitik betrieben wird, die, wie es in der Vergangenheit ganz offensichtlich gewesen ist, den Schwerpunkt einseitig auf den Export von Industrieerzeugnissen legt und auf der andern Seite der Landwirtschaft bei zwangsläufiger Einführung von Nahrungsmitteln nicht den notwendigen Schutz angedeihen läßt. Man vergißt dabei allerdings, daß die deutsche Landwirtschaft auf dem gewerblichen Sektor immerhin noch für 8 Milliarden DM Waren gekauft hat.
Wir von der FDP sind keineswegs so vermessen, anzunehmen oder zu verlangen, daß vom Parlament ein Gesetz verabschiedet werden soll, das nur auf die Landwirtschaft zugeschnitten ist. Wir wissen ganz genau, daß die Landwirtschaft nur ein Teil der Gesamtwirtschaft ist und daß die Probleme der Landwirtschaft nur im Rahmen der Probleme der Gesamtwirtschaft gesehen werden können. Wir
haben aber kein Verständnis dafür, daß der deutschen Landwirtschaft nicht dasselbe Lebensrecht zugestanden wird, das man den übrigen Zweigen der Wirtschaft auch in den letzten Jahren als ganz selbstverständlich zugestanden hat. Wir haben vor allen Dingen kein Verständnis dafür, daß die in der Landwirtschaft tätigen Personen bei allem Fleiß und aller Tüchtigkeit schlechter bezahlt werden sollen als die übrigen Gruppen, wo die gute Bezahlung als selbstverständlich angesehen wird.
Wir sind uns klar darüber, daß das von uns vorgelegte Gesetz nur ein Grundgesetz ist und daß ihm andere Gesetze folgen müssen. Wir wünschen aber, daß etwas geschieht, und zwar sofort und nicht erst in ein oder zwei Jahren. Es ist uns auch nicht damit gedient, daß nach einem Agrarprogramm vielleicht in fünf oder zehn Jahren günstige Auswirkungen für die Landwirtschaft erhofft werden können.
Wir wollen, daß das bestehende Mißverhältnis sofort beseitigt wird. Wenn Mißstände offenkundig werden, soll die Regierung nach dem Gesetz gezwungen sein, für Abhilfe zu sorgen. Die nachträgliche Feststellung eines krankhaften, wenn nicht gar tödlichen Zustandes nützt nicht viel. Auf Besserung ist auch dann nur wenig Hoffnung, wenn vom Staat Haushaltsmittel von nur wenigen Millionen eingesetzt werden, wie wir das in der Vergangenheit erlebt haben, z. B. bei der Verbilligung von Dieselkraftstoff oder der Subventionierung von Flachs und Hanf usw. Wie soll bei nachträglicher Feststellung einer Disparität in Höhe von 1,5 Milliarden DM hier im Parlament eine solche berechtigte Forderung der Landwirtschaft durchgedrückt werden können? Wir lehnen es ab, daß der deutschen Landwirtschaft auf dem Wege über die Subventionierung geholfen werden soll. Wir wollen nicht, daß sie zum Almosenempfänger wird. Sie kann verlangen, für ihre ehrliche und fleißige Arbeit genau so entlohnt zu werden wie die übrige Wirtschaft, der man das auch ohne weiteres zugesteht. Bei gutem Willen lassen sich Wege finden.
Die Behauptung ist nicht richtig, daß unser Entwurf nicht realisiert werden könnte. Es trifft auch nicht zu, daß zwangsläufig eine Erhöhung der Preise für die Verbraucher eintritt. Jedenfals habe ich einen solchen Entwurf nicht gelesen. Wir meinen mit unserem Entwurf etwas ganz anderes, und wir haben geglaubt, herausstellen zu müssen, daß beide Wege beschritten werden müssen, einmal der Weg der Preiskorrektur, zum anderen der der Kostensenkung. Darüber hinaus wollen wir die Regierung zum Abschluß vernünftiger Handelsverträge verpflichten, die nicht wie in der Vergangenheit einseitig vom Standpunkt des Exports industrieller Erzeugnisse gesehen werden dürfen. Wir haben auch kein Verständnis dafür, daß landwirtschaftliche Produkte eingeführt werden, wie es in den letzten Jahren geschehen ist, von denen wir selber genügend haben. Wir verstehen auch nicht, daß hier Wege beschritten werden, die jeder Privatmann ohne weiteres und von sich aus ablehnt.
Warum gibt man der Landwirtschaft beim Export ihrer Erzeugnisse nicht dieselben Vergünstigungen wie dem industriellen und gewerblichen Sektor? Warum gibt man ihr nicht das, was der Minister Lübke als Forderung herausgestellt hat, nämlich dieselbe steuerliche Abschreibungsmöglichkeit wie der Industrie? Wir sind fest davon überzeugt, daß die deutsche Landwirtschaft willens und bereit
wäre, sich auf diesem Wege aus eigener Kraft weitgehend zu helfen.
Weiter sind wir der Meinung, daß die Umsatzsteuer, die im Endergebnis nur die Landwirtschaft und den Verbraucher belastet, keineswegs eine unbedingte Notwendigkeit ist. Wir haben bereits bei anderer Gelegenheit die Abschaffung der Umsatzsteuer bei den milchwirtschaftlichen Erzeugnissen verlangt. Wir gehen sogar so weit, zu behaupten, daß die ganze Umsatzsteuerveranlagung für die landwirtschaftlichen Nahrungsmittel im Endergebnis nur zu einer Verteuerung für den Verbraucher und zu einer Belastung der Erzeuger führt.
Ich komme nunmehr zum Schluß. Ich möchte ganz eindeutig zum Ausdruck bringen, daß unser Gesetzentwurf nach unserer Auffassung der Landwirtschaft in der Tat sofort eine Hilfe bringt. Wir lehnen es ab, hier etwa Gesetze zu beschließen, die vielleicht günstigstenfalls nach einigen Jahren Anwendung finden können. Wir haben auch gar kein Verständnis dafür, wenn man glaubt, daß das wirklich gute Zahlenmaterial, das uns das Statistische Bundesamt bereits seit Jahren zur Verfügung stellt, oder die Buchführungsergebnisse der DLG oder der Landwirtschaftskammern, die diese uns seit Jahren gegeben haben, nun mit einemmal keine Gültigkeit mehr hätten, oder nicht vertrauenswürdig genug seien, wenn es sich um die Gleichberechtigung der Landwirtschaft handelt. Man hat dieses Zahlenmaterial bisher jedesmal ganz selbstverständlich als glaubwürdig herausgestellt, wenn es gegen die Landwirtschaft ausgelegt werden sollte. Das hat ja auch Herr Kriedemann zum Ausdruck gebracht. Jetzt mit einemmal, wo wir doch der Landwirtschaft helfen wollen, sollen diese Zahlen nicht mehr herangezogen werden, sondern jetzt glaubt man erst neues Zahlenmaterial ausarbeiten oder neue Testbetriebe aussuchen zu müssen, um dann nach zwei oder drei Jahren festzustellen, daß die Landwirtschaft tatsächlich krank ist, was heute jeder, der nur etwas mit der Landwirtschaft zu tun hat, ohne weiteres weiß. Ich glaube daher schon, daß es an der Zeit ist, jetzt hier zu handeln. Worte sind genug gesprochen worden.
Wir möchten die Landwirtschaft auch nicht enttäuschen.
Ich habe nur den einen Wunsch, daß wir bei der Verabschiedung dieses Gesetzentwurfs wirklich — jeder an seinem Platz — hier Farbe bekennen und daß jeder sagt, ob er der Landwirtschaft helfen oder nur Erklärungen abgeben will.