Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es tut mir an sich leid, daß es sich so lange herausgezögert hat, bis diese Frage hier zur Behandlung gestellt worden ist. Ich hatte mich längst vorher dazu bereit erklärt, diese Große Anfrage zu beantworten. Wir haben aber in der letzten Zeit häufiger aus rein geschäftsordnungsmäßigen Gründen Verzögerungen erlebt, die der Sache nicht immer dienlich gewesen sind. Ich darf dem Hohen Hause sagen, daß ich in künftigen Fällen, in denen die Dringlichkeit besonders groß sein wird, von dem Recht Gebrauch machen werde, eine Regierungserklärung abzugeben, weil es gewisse Dinge von so großer Bedeutung gibt, daß wir sie nicht der geschäftsordnungsmäßigen Behandlung und ihren Risiken wochenlanger Verzögerung aussetzen können.
Zur Beantwortung dieser Großen Anfrage bin ich vielleicht deshalb am besten in der Lage, weil die Dinge weit über ein Jahr zurückliegen und nicht in meine Amtszeit fallen. Ich glaube, daß ich deswegen am ehesten dazu berufen bin, eine unbefangene Meinung zu vertreten.
Die Angelegenheit „Vulkan" ist, wie Herr Kollege Greve bei Begründung der Großen Anfrage ausgeführt hat, ein Komplex von Strafverfahren
gegen einen größeren Personenkreis, der der Mitwirkung in einem sowjetisch gesteuerten Spionagering beschuldigt wurde. Sie hat dadurch besonderes Aufsehen erregt, daß kurz nach Ostern 1953 38 Personen aus den verschiedensten Gesellschaftsschichten verhaftet und die Namen der Verhafteten auf einer amtlichen Pressekonferenz der Öffentlichkeit mitgeteilt wurden.
Dieses Vorgehen, meine sehr verehrten Damen und Herren, mag ungewöhnlich erscheinen, aber die Umstände, die es ausgelöst hatten, waren ebenfalls ungewöhnlich. Im März 1953 erfuhr das Bundesamt für Verfassungsschutz, daß sich der Abteilungsleiter Krauss des sogenannten Instituts für wirtschaftswissenschaftliche Forschung in Ost-Berlin in das Bundesgebiet absetzen würde. Dieses Institut stand schon seit längerer Zeit in dem Verdacht, im Bundesgebiet Tarnfirmen gegründet zu haben und darüber hinaus auch mit bestehenden Firmen laufend Beziehungen zu unterhalten, um geheimzuhaltende wirtschaftliche und politische Vorgänge in der Bundesrepublik zu erkunden.
Am 6. April 1953, dem zweiten Osterfeiertag, traf Krauss im Bundesgebiet ein. Er wurde durch das Bundesamt für Verfassungsschutz sofort dem Oberbundesanwalt, dem Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs und Beamten des Bundeskriminalamts zugeführt. Die sofortige erste Auswertung des umfangreichen, von Krauss mitgebrachten Materials ergab den Eindruck, daß man einem weitgespannten gefährlichen Spionageunternehmen gegenüberstand. Die Leitung des bereits im Jahre 1951 errichteten Instituts bestand danach aus bewährten Mitarbeitern des Zentralkomitees der SED, unter denen die Namen Ackermann und Heidenreich hervorstechen. Auch im übrigen sind im Institut nur besonders bewährte, politisch und nachrichtendienstlich geschulte Kräfte verwendet worden.
Die Aufgaben des Instituts sind in dem von Krauss mitgebrachten Programm dahin festgelegt — ich zitiere wörtlich —,
aus dem Nervenzentrum des Gegners politische, wirtschaftliche, technische, wissenschaftliche und militärische Nachrichten zu beschaffen, um der Führung der Partei der Arbeiterklasse und der Staatsführung Kenntnisse über die Lage im gegnerischen Lager, seine Pläne und Absichten sowie über die in seinem Lager herrschenden Gegensätze zu verschaffen.
Das Institut gliedert sich nach dem gleichfalls vorgelegten Organisationsplan in vier Hauptabteilungen, nämlich je eine für politische und militärische Spionage, für Wirtschaftsspionage, für zentrale Auswertung aller Nachrichten und für allgemeine Verwaltung. Daneben bestehen zwei selbständige sogenannte „Operative Abteilungen" für Spionageabwehr und für Spionage auf dem Gebiet der Wissenschaft und Technik, ferner eine Kaderabteilung zur Werbung der hauptamtlichen Mitarbeiter sowie für Beobachtung und Beschattung. Nach den überbrachten Unterlagen unterhielt das Institut in der Bundesrepublik Agenten, Residenten und sonstige Informanten.
Das Institut führte Personalakten über alle Personen, die für nachrichtendienstliche Aufgaben angeworben wurden, und Objektsakten über alle den Nachrichtendienst interessierenden Behörden, Industriewerke, militärische Bauten und ähnliches. Die durch einen Agenten geleistete Arbeit wurde
in Arbeitsakten zusammengefaßt. Sperrkarten sollten sicherstellen, daß der darin Vermerkte nicht gleichzeitig durch verschiedene Abteilungen des Instituts oder andere östliche Nachrichtendienste zum Einsatz gelangte. Die Anlegung einer Sperrkarte zeigte, daß der Betreffende nach Abklärung zur Mitarbeit bereits ausgewählt war. Dies begründete und begründet auch heute noch den Verdacht, daß er sich schriftlich oder mündlich zur Mitarbeit bereit erklärt hatte und dem Institut hierfür geeignet erschien.
Als Quellen wurden nach den gleichen Unterlagen bevorzugt Personen benutzt, die auf Grund ihrer wirtschaftlichen Beziehungen zum Osten als besonders ansprechbar oder abhängig betrachtet wurden. Als Deckmantel für die Spionagetätigkeit wurden hauptsächlich Firmen benutzt, die im Rahmen des legalen oder illegalen Interzonenhandels tätig sind. Standen solche Firmen nicht zur Verfügung, so wurden sie durch Beauftragte des Instituts, zum Teil unter Einsatz ganz erheblicher Mittel, als Tarnfirmen besonders aufgebaut.
Die aus der sofortigen Durcharbeitung dieser Unterlagen gewonnenen Eindrücke bildeten eine Bestätigung von Erkenntnissen, die das Bundesamt für Verfassungsschutz und die Strafverfolgungsbehörden der Bundesrepublik in der Spionageabwehr aus anderen Fällen bereits gewonnen hatten. Ende 1950 hatte das Bundesamt Hinweise dafür erhalten, daß besonders unter dem Deckmantel des Handels zwischen dem Bundesgebiet, der Sowjetzone und den östlichen Satellitenstaaten Nachrichtenverbindungen aufgebaut wurden, um Spionage in der Bundesrepublik zu betreiben. Die Ergebnisse der Schritt für Schritt sich vortastenden Abwehrarbeit hatten am 15. April 1952 zur Verhaftung der früheren Schauspielerin Maria Knuth, der Hauptperson eines in der Bundesrepublik tätigen Spionageringes, geführt. Frau Knuth ist am 31. Januar 1953 wegen versuchten Landesverrats und anderer Delikte zu 4 Jahren Zuchthaus, ihr Mitarbeiter Westbeld wegen landesverräterischer Beziehungen zu zwei Jahren Zuchthaus verurteilt worden. Am 22. August 1952 war der Leiter des sowjetzonalen Büros für innerdeutschen Handel in Frankfurt am Main, Ludwig Weis, verhaftet worden. Er hatte seine Stellung dazu benutzt, um selber geheime Nachrichten über die wirtschaftliche, politische und militärische Situation im Bundesgebiet zu sammeln und um weitere Quellen, die sich bewußt oder gutgläubig ihm zur Verfügung stellten, für eine Spionagetätigkeit zu gewinnen. Weis ist inzwischen durch Urteil des Bundesgerichtshofs vom 4. März 1954 wegen versuchter Ausspähung von Staatsgeheimnissen zu 4 Jahren Zuchthaus verurteilt worden. Zwischen dem 24. und 26. Februar 1953 war eine im Bundesgebiet für den tschechischen Spionagedienst arbeitende Gruppe, die unter der Führung eines gewissen Woyde stand, verhaftet worden. Woyde und seine fünf Mitarbeiter sind inzwischen durch Urteil des Kammergerichts in Berlin vom 11. März 1954 wegen landesverräterischer Beziehungen zu Gefängnisstrafen verurteilt worden.
In dem von Krauss überbrachten Material fanden sich zahlreiche Namen von Inhabern und Angestellten westdeutscher Firmen sowie von anderen Personen, die zu Mitarbeitern des sogenannten Instituts für wirtschaftswissenschaftliche Forschung in der Bundesrepublik oder in der Sowjetzone Beziehungen unterhielten. Für einen
großen Teil dieser Personen wurden nach Aussagen des Krauss beim Institut Personal- und Arbeitsakten, zum Teil auch Sperrkarten geführt.
Dies war die Gesamtlage, vor die sich der Oberbundesanwalt und der Ermittlungsrichter nach der einige Tage erfordernden ersten Überprüfung des gesamten überbrachten Materials gestellt sahen. Schnellstes Handeln war erforderlich, weil mit dem Ablauf der Osterfeiertage die Entfernung des Angestellten im Ost-Berliner Institut bekannt und mit einer Warnung der im Bundesgebiet für das Institut tätigen Personen gerechnet werden mußte. Der Oberbundesanwalt entschloß sich daher, gegen 44 Personen, die er für dringend tatverdächtig hielt und bei denen er Fluchtverdacht oder Verdunkelungsgefahr annahm, Antrag auf Haft- und Durchsuchungsbefehl zu stellen. Der Ermittlungsrichter, der an der Vernehmung des Krauss und der Durchsicht des Materials beteiligt war, entsprach diesem Antrag.
Ich glaube, meine sehr verehrten Damen und Herren, daß unter den gegebenen Umständen weder gegen das Bundesamt für Verfassungsschutz, das das aus der Sowjetzone gebrachte Material sofort für die Strafverfolgungsbehörden zur Verfügung stellte, noch gegen den Oberbundesanwalt und den Ermittlungsrichter, die nach pflichtgemäßer Prüfung die Folgerungen aus dem Beweisstoff zogen, ein begründeter Vorwurf erhoben werden kann. Ich möchte bereits hier feststellen, daß in der Begründung zu den schon vorliegenden Urteilen des Bundesgerichtshofs der Zeuge Krauss als glaubwürdig und zuverlässig bezeichnet wird und daß er kein agent provocateur war. Pressenotizen, die ihn als einen Agenten oder sogar als einen agent provocateur des Bundesamtes für Verfassungschutz hingestellt haben, treffen nicht zu.
Mit dem Vollzug der Haftbefehle wurde im ganzen Bundesgebiet am 9. April 1953 begonnen. 38 Beschuldigte wurden in Haft genommen. Am 10. April wurde in dem damaligen Kabinett über die Aktion berichtet. Das Kabinett beschloß, die Öffentlichkeit über die . eingeleiteten Maßnahmen zu unterrichten. Um aufbauschenden Gerüchten entgegenzutreten,
entschloß es sich, der Öffentlichkeit auch Einzelheiten über die durchgeführte Aktion, darunter
auch die Namen der Verhafteten bekanntzugeben.
Die von den Strafverfolgungsbehörden im weiteren Verfahren gründlich und mit Umsicht durchgeführten Erhebungen ergaben, daß eine Reihe von Firmen ausschließlich für nachrichtendienstliche Zwecke gegründet war. In zahlreichen bereits bestehenden Firmen waren zumindest einzelne Personen für das Institut für wirtschaftswissenschaftliche Forschung nachrichtendienstlich tätig.
Die Durchführung der Strafverfahren in den 38 Haftfällen hat bisher folgende Ergebnisse gezeitigt. Rechtskräftig verurteilt sind zwei Beschuldigte wegen landesverräterischer Beziehungen zu einem Jahr neun Monaten und einem Jahr sechs Monaten Gefängnis. Zu dem verhältnismäßig geringen Strafmaß ist zu bemerken, daß trotz voller Erfüllung des Tatbestandes in der Person der Ver-
urteilten besondere Milderungsgründe, und zwar bei dem einen jugendliches Alter und besonders bedrängte familiäre und wirtschaftliche Verhältnisse, bei dem anderen langjährige Kz-Haft, gegeben waren. In dem ersten der beiden Urteile stellt der Bundesgerichtshof fest, daß das sogenannte Institut für wirtschaftswissenschaftliche Forschung die von dem Zeugen Krauss bekundete, von mir oben geschilderte Aufgabenstellung und Organisation hat. Das Gericht erklärt ausdrücklich, daß der Schwerpunkt der Arbeit des Instituts auf der Erkennung von Staatsgeheimnissen in der Bundesrepublik liegt. Das Institut ist also erwiesenermaßen eine östliche Spionagezentrale. In drei weiteren Fällen hat der Bundesgerichtshof auf die Anklage des Oberbundesanwalts das Hauptverfahren eröffnet. Weitere fünf Personen werden voraussichtlich demnächst unter Anklage gestellt werden. 14 weitere Beschuldigte waren so belastet, daß die Voruntersuchung gegen sie durchgeführt wurde. Gegen 3 von ihnen sind die Ermittlungen noch im Gange, 11 sind inzwischen außer Verfolgung gesetzt worden.
Welches Maß von Verdacht auf ihnen gelastet hat, sei an mehreren Beispielen gezeigt. Ich verwerte dabei ausschließlich Gesichtspunkte, die der Oberbundesanwalt in seinem Antrag auf Außerverfolgungsetzung zur Darlegung des immer noch bestehenden, wenn auch zum Hauptverfahren nicht ausreichenden Tatverdachts vorgebracht hat.
Im Falle 1 war der Angeschuldigte, der sich zur kommunistischen Ideologie bekennt,
in zwei sowjetzonalen Tarnfirmen im Bundesgebiet als Scheingesellschafter eingebaut.
Er unterhielt nachgewiesenermaßen Beziehungen zu Mitarbeitern des Spionageinstituts.
In den Fällen 2 und 3 erstatteten die Angeschuldigten fortlaufend Berichte an Angehörige eines sowjetzonalen Ministeriums, die an das Spionageinstitut weitergeleitet wurden. Sie beschafften ihnen nicht näher bekannten Personen der sowjetischen Besatzungszone, die Mitarbeiter des Instituts waren, Aufenthaltsgenehmigungen im Bundesgebiet. Für sie waren im Institut sämtliche Personalunterlagen vorhanden, die bei einer Zusammenarbeit angelegt wurden.
Im Falle 4 hat der Angeschuldigte, Mitglied der KPD seit 1932, Mitglied der VVN und Ehemann einer höheren KPD-Funktionärin,
wichtigen Mitarbeitern des Instituts für wirtschaftswissenschaftliche Forschung Laufend wertvolles wirtschaftsstatistisches Material aus .einem bedeutenden Betrieb geliefert. Die Mitarbeiter hat er auch in Ost-Berlinaufgesucht.
In allen diesen Fällen, meine sehr verehrten Damen Fund Herren, ist in gewissenhafter Anwendung rechtsstaatlicher Prinzipien Antrag auf Außerverfolgungsetzung gestellt worden, weil der subjektive Tatbestand trotz des erheblichen Verdachts nicht mit ausreichender Sicherheit nachgewiesen werden kann.
In 14 Haftfällen ist das Verfahren vom Oberbundesanwalt bereits ohne Antrag auf Einleitung der Voruntersuchung eingestellt worden. Aber auch hier lagen erhebliche Verdachtsmomente vor. Ich greife folgende Beispiele heraus.
Fall 1: Der Beschuldigte wird in Agentenberichten des Instituts für wirtschaftswissenschaftliche Forschung ,als sehr guter und zuverlässiger Mann geführt. Er war wiederholt in Ost-Berlin und in den Arbeitsplan des Spionageinstituts eingebaut, also zur Mitarbeit vorgesehen.
Fall 2: Der Beschuldigte gibt enge Beziehungen zu dem Büroleiter Weis zu. Er wird in den Akten des Spionageinstituts als für die DDR eingestellt bezeichnet, und zwar mit dem Hinweis darauf, daß sein Haus ein guter Stützpunkt sei.
Fall 3: Der Beschuldigte ist nach den Akten des Instituts von dem Büroleiter Weis als eine mögliche Verbindung für das Institut abgeklärt worden. Er hat seine Bereitschaft erklärt, für den Osten zu arbeiten und eine politische Umwälzung in der Bundesrepublik zu unterstützen.
Fall 4: Der Beschuldigte ist Inhaber einer Firma, die auf der westdeutschen Tarnfirmenliste des Spionageinstituts aufgeführt ist. Er ist zu mehreren in Ost-Berlin wohnhaften Exponenten des Instituts laufend in Verbindung getreten.
Fall 5: Berichte des Beschuldigten, der während der Untersuchungshaft bedauerlicherweise seinem Leben ein Ende gesetzt hat, befanden sich nach der Aussage des Zeugen Knauss in dem Nachrichtenmaterial des Spionageinstituts. Die Berichte bezogen sich zum Teil auch auf militärische Bauten.
Der Oberbundesanwalt hat in gewissenhafter Abwägung aller Umstände das Verfahren in 12 Fällen eingestellt, weil trotzerheblicher Verdachtsgründe sich ,ein zur Verurteilung ausreichender Beweis aus den Ermittlungen nicht ergeben hatte. Er hat es z. B. in verschiedenen Fällen nicht für hinreichend erwiesen angesehen, daß sich die Beschuldigten bei ihren festgestellten Beziehungen zu dem Institut für wirtschaftswissenschaftliche Forschung ides Charakters dieser Einrichtung als eines Spionageinstituts bewußt waren. In den zwei restlichen Fällen erfolgte Einstellung wegen Ablebens oder Flucht des Beschuldigten. Nur bei drei der 38 Verhafteten ist das Verfahren eingestellt worden, ich wiederhole: nur bei drei der 38 Verhafteten ist das Verfahren eingestellt worden, weil bei ihnen der ursprünglich gegebene Tatverdacht im Laufe der Ermittlungen entkräftet wurde. Die Fälle lagen folgendermaßen:
Fall 1. Der Zeuge Krauss hatte glaubwürdig angegeben, daß er auf dem Tisch eines Hauptabteilungsleiters des Spionageinstituts die Photokopien eines von dem Beschuldigten verfaßten Berichts mit einem Anschreiben gesehen habe. Krauss hielt den Bericht deshalb für wichtig, weil dieser unverzüglich an die Auswertungsabteilung des Instituts weitergeleitet worden ist. Der Oberbundesanwalt hatte bei dem, Beschuldigten als glaubhaft angenommen, daß es sich bei diesem Bericht um einen gedruckten, keine Staatsgeheimnisse enthaltenden Geschäftsbericht gehandelt habe, der ohne Zutun des Beschuldigten in den Besitz des Spionageinstituts gelangt sein konnte.
Fall 2. Der Beschuldigte war durch die Aussage eines anderen Zeugen dahin belastet worden, daß er einem Hauptagenten des Spionageinstituts Photokopien wichtiger Konstruktionspläne geliefert habe. Der Beschuldigte war mindestens bis 1951 Mitglied der KPD
und hatte diese Partei, wie er selbst zugab, bereits früher mit Photokopien dienstlichen Materials beliefert.
Der Oberbundesanwalt hat in diesem Fall lediglich deshalb eingestellt, weil auf jeden Fall nach Inkrafttreten des Strafrechtsänderungsgesetzes eine nach diesem Gesetz strafbare Tätigkeit nicht festzustellen war.
Fall 3. Der Beschuldigte war durch die im Fall 2 erwähnte Zeugenaussage dahin belastet, daß er für den dort genannten Hauptagenten des Spionageinstituts Pläne bereitgehalten habe, die photokopiert und sofort wieder an ihren Aufbewahrungsort zurückgebracht werden sollten. Der Oberbundesanwalt hat in ,diesem letztgenannten Fall die Möglichkeit einer Personenverwechslung seitens des Belastungszeugen nicht ausschließen können.
Eine zusammenfassende Würdigung des in den „Vulkan"-Fall verstrickten Personenkreises ergibt, daß folgende Gruppen zu unterscheiden sind:
1. Eine Gruppe von Personen, ,die bereits verurteilt sind oder der Durchführung der Hauptverhandlung entgegensehen.
2. Eine Gruppe von Personen, die unter dem begründeten Verdacht stand, landesverräterische Beziehungen gepflogen zu haben, bei der aber der Tatbestand trotz des erheblichen Verdachts nicht mit ausreichender Sicherheit nachgewiesen werden konnte.
3. Eine kleine Gruppe von drei Personen, bei der der Tatverdacht zunächst gleichfalls gegeben erschien, sich jedoch im Fortgang des Verfahrens als nicht begründet erwiesen hat.
In der Öffentlichkeit sind bei der Erörterung der „Vulkan"-Angelegenheit zum Teil Vorwürfe gegen die mit der Behandlung des Falles befaßten Dienststellen erhoben worden, weil ein erheblicher Teil der Verhafteten aus der Untersuchungshaft wieder entlassen werden mußte und die Verfahren geigen sie eingestellt wurden. Bei dieser Kritik, meine verehrten Damen und Herren, wird übersehen, daß das ganze Spionageunternehmen bei dem durch die Flucht des Abteilungsleiters Krauss ausgelösten Zugriff der Bundesbehörden noch im Aufbau begriffen war und verschiedene Fälle noch nicht zur vollen Entfaltung gekommen waren. Dies hat sich natürlich auf ,das prozessuale Ergebnis ausgewirkt. Andererseits ist der wichtige Erfolg erzielt worden, daß ein gefährlicher Spionagering bereits im Entstehen zerschlagen worden ist.
Ich muß aber noch auf einen anderen, und zwar grundsätzlichen Gesichtspunkt mit allem Nachdruck hinweisen. Bei der Aufdeckung eines von einem fremden Nachrichtendienst organisierten landesverräterischen Unternehmens begründet jede irgendwie geartete Verbindung zu ,diesem Nachrichtendienst und seinen Organen zunächst den Anschein der Beteiligung an diesem Unternehmen und damit den untersuchungsbedürftigen Verdacht einer strafbaren Handlung. Der endgültige Nachweis des objektiven und subjektiven Tatbestands einer strafbaren Handlung bleibt selbstverständlich der Entscheidung des Gerichts vorbehalten, und hier gilt ebenso selbstverständlich der Grundsatz: „In dubio pro reo". Im Vorverfahren aber muß es jeder, der den Anschein der Beteiligung durch einen Kontakt mit Organen des fremden Nachrich-
tendienstes hervorgerufen hat, hinnehmen, daß, wenn dies zur Aufklärung des landesverräterischen Unternehmens nötig ist, mit den in der Strafprozeßordnung vorgesehenen Maßnahmen gegen ihn vorgegangen wird.
Wenn es sich um einen größeren Täterkreis handelt und schnelles Zugreifen erforderlich ist, kann es auch bei Anwendung größtmöglicher Sorgfalt in einzelnen Fällen vorkommen, daß sich der ursprünglich erweckte Anschein nachträglich als unbegründet erweist
und der Verdacht wieder entfällt. Auch Namensverwechslungen sind hierbei, wie die Erfahrungen der Polizeien in allen Staaten beweisen, nicht ganz ausgeschlossen.
Solche Fälle müssen zu gegebener Zeit durch eine Ehrenerklärung und allenfalls durch eine Schadensersatzleistung bereinigt werden.
Bei der zusammenfassenden objektiven Würdigung des gesamten „Vulkan"-Komplexes erscheinen mir folgende Punkte als wesentlich.
Erstens. Ein wohlorganisierter sowjetzonaler Nachrichtendienst hat unter Anwendung raffinierter Methoden das Bundesgebiet in seiner ganzen Ausdehnung mit einem Netz von Tarnfirmen und Agenten überzogen, um Staatsgeheimnisse auszuspähen.
Zweitens. — Und ich bitte Sie, meine verehrten Herren von der Opposition, die Sie diese Große Anfrage gestellt haben, doch einmal besonders hinzuhören.
— Nein, Herr Greve, diese Tatsachen, die ich jetzt vortrage, kennen Sie nicht, und deswegen wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie meinen Ausführungen zuhören würden.
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— Die Tatsachen, die ich jetzt vortrage, kennen Sie nicht. Nun hören Sie doch, bis sie kommen!
Zweitens. Unter den 38 verhafteten Personen sind nicht weniger als 21 Mitglieder der KPD oder ihrer Jugendorganisationen,
haben KPD-Mitglieder als engste Verwandte, waren früher auf Antifa-Schulen gewesen oder erwiesen sich als Gesinnungsmitläufer des östlichen Systems.
Drittens. Die Abwehr eines so gefährlichen Angriffs konnte nicht zurückgestellt werden, bis in jedem einzelnen Fall völlige Klarheit erzielt war. Bei dem Umfang eines solchen Verfahrens ist es leider nicht immer zu vermeiden, daß einzelne Personen wegen eines Tatverdachts, der sich im Lauf der Nachprüfung als unbegründet erweist, in Mitleidenschaft gezogen werden.
Viertens. Allein ausschlaggebend ist, daß die Grundsätze rechtsstaatlichen Denkens auch bei der Abwehr eines so schweren staatsgefährdenden Angriffs in vollem Umfang gewahrt worden sind.
Diese Forderung ist dadurch erfüllt worden, daß Verhaftungen ausschließlich auf Grund richterlichen Befehls durchgeführt wurden.
Jedem Verhafteten standen die Rechtsbehelfe des Haftprüfungsverfahrens zur Verfügung. 18 Haftbefehle sind bereits nach kurzer Zeit aufgehoben worden. Der Oberbundesanwalt und der erkennende Senat haben in strenger Objektivität das Verfahren gegen zahlreiche Beschuldigte durch Einstellung oder Außerverfolgungsetzung abgeschlossen.
Unter Hinweis auf alle diese Gesichtspunkte beantworte ich namens der Bundesregierung die Große Anfrage der Fraktion der SPD zum „Vulkan"-Fall wie folgt.
— Ich denke, meine Damen und Herren, Sie werden daran interessiert sein, nun wenigstens in Ruhe die Antwort im einzelnen zu hören.
Zu Ziffer 1. Wie die derzeitige Bundesregierung bereits durch die Presseverlautbarung vom 29. Januar 1954 zum Ausdruck gebracht hat, hat der Stellvertreter des Herrn Bundeskanzlers in der Pressekonferenz am 10. April 1953 durch seine Erklärungen einen Auftrag des damaligen Kabinetts ausgeführt, um die Öffentlichkeit über die von den amtlichen Stellen eingeleiteten Maßnahmen zu unterrichten und aufbauschenden Gerüchten entgegenzutreten.
Zu Ziffer 2. Die Verlautbarung in der Pressekonferenz vom 10. April 1953 enthielt den ausdrücklichen Hinweis, daß nur von dem Verdacht einer strafbaren Handlung, nicht aber von einer Schuldfeststellung gesprochen werde. Die Verlautbarung enthielt daher weder einen Eingriff in ein schwebendes Verfahren, noch wurde, wie sich erwiesen hat, einer Schuldfeststellung der unabhängigen Gerichte vorgeriffen. Im übrigen kann nach Auffassung der Bundesregierung eine weitgehende Unterrichtung der Öffentlichkeit erforderlich sein, wenn überwiegende Staatsinteressen auf dem Spiele stehen.
Zu Ziffer 3. Die Bundesregierung wird eine Ehrenerklärung zugunsten der Beteiligten, deren Schuldlosigkeit sich herausgestellt hat, abgeben. Die Ehrenerklärung kann jedoch erst ,dann erwartet werden, wenn der gesamte Komplex der Verfahren „Vulkan" abgeschlossen ist, da erst dann wegen des Zusammenhangs der einzelnen Fälle eine restlose Klärung der Frage der Schuldlosigkeit möglich ist.
Zu Ziffer 4. Die Bundesregierung wird nach Abschluß aller Strafverfahren in der Angelegenheit „Vulkan" die Frage des Schadensersatzes prüfen und gegebenenfalls entsprechend den gesetzlichen Bestimmungen Ersatz des Schadens leisten. Eine Prüfung einzelner Schadensersatzansprüche ist bereits eingeleitet worden.