Rede von
Reinhold
Rehs
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es kommt mir nicht darauf an, daß meine Worte der Geschichte erhalten werden, sondern daß sie heute an dieses Haus gelangen.
Der Einzelplan 26 ist nicht nur wegen seiner Größenordnung im Hinblick auf die Haushaltspläne der eigentlichen Fachressorts bemerkenswert. In dieser Hinsicht könnte sich, wer Zitate liebt, an das Gedicht Goethes über seinen Großherzog erinnert fühlen — man braucht ja die Assoziation nicht gleich auf den Herrn Vertriebenenminister persön-
lich auszudehnen —: „Klein ist unter den Fürsten Germaniens freilich der meine".
Das entscheidende Charakteristikum dieses Einzelplans ist die Diskrepanz zwischen den Vorstellungen der Bevölkerung, der betroffenen Personengruppen von dem hinter diesem Plan stehenden Ministerium und seiner sachlichen und materiellen Reichweite.
Seit dem 1. April darf sich das Ministerium laut Kabinettsbeschluß ,,Bundesministerium für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte" nennen. Damit ist der Eindruck geschaffen, als ob eine Kompetenzerweiterung eingetreten sei. Die Presse und die Korrespondenzen haben diesen Ausdruck verwandt. Erweiterung welcher Kompetenzen? Der Kompetenz wozu?
An der mit geringen Ausnahmen auf inspirative Aufgaben beschränkten Natur dieses Ministeriums hat sich nach dem bisher Ersichtlichen nichts geändert. Aus dem vorliegenden Haushaltsplan ist jedenfalls nicht zu ersehen, daß über diese Struktur hinaus die mit soviel Aufwand betriebene und publizierte Kompetenzerweiterung eine echte, effektive Zuständigkeitserweiterung bedeutet, wenn man darunter auch die Möglichkeit zur Durchführung der damit verbundenen sachlichen Aufgaben versteht, d. h. die tatsächliche Verfügungsberechtigung über die zur Durchführung erforderlichen Ausgaben. Bis auf die Tit. 304 und 305 — Unterstützung der Kriegsgefangenen- und Suchdienstaufgaben — enthält nämlich der Einzelplan 26 nach wie vor keine Mittel zur materiellen Behandlung der nach der anspruchsvollen Überschrift dieses Ministeriums nun erweitert aufgerufenen Probleme.
Das gilt sowohl für die Problemgruppe der Vertriebenen als auch der Flüchtlinge und der Kriegsgeschädigten. Das gilt für die von meinem Fraktionsfreund Reitzner bereits gestreifte Frage der ländlichen Siedlung wie die von Frau Kollegin Korspeter bereits eingehend behandelte Frage des Wohnungsbaues für die Sowjetzonenflüchtlinge. Das gilt ebenso für die Frage der Umsiedlung und der Lagerräumung wie für die Rückführung der Evakuierten. Es gilt insbesondere für die Frage der Voraussetzungen zur Lösung dieser den deutschen Westen sachlich auf das schwerste bedrükkenden, aber auch moralisch belastenden Komplexe. Fast in allen diesen Fragen werden ebenso wie früher die Mittel in anderen Ministerien verwaltet.
Meine Damen und Herren, der persönlich ehrenwerte frühere Bundesvertriebenenminister ist durch diesen Tatbestand, der seinen guten Willen zum Gefangenen fremder Entscheidungen machte — ein symptomatischer Ausdruck der Regierungspolitik —, zu einer tragischen Figur geworden. Dieser Vorgang ist aber auch das Symbol für die Tragik, die sich bei diesen deutschen Schicksals- und Nachkriegsproblemen aus der Diskrepanz zwischen Vorstellung und Realität ergeben hat, der Vorstellungen nämlich, die durch die Hoffnungen erweckende Einrichtung und den Namen dieses Ministeriums bei den betroffenen Menschen hervorgerufen worden sind, und der Realität der Zuständigkeiten für die Mittel und ihre Verwendung. Das offizielle Schweigen, das sich hierüber bereitet, ändert an diesem Tatbestand nichts.
Wir wollen daher nicht, daß sich das traurige Spiel von Hoffnung und Enttäuschung wiederholt. Wir wollen nicht, daß die praktisch substanzlose
Änderung der Überschrift des Ministeriums und dieses Einzelplans geflissentlich dazu benutzt wird, den Eindruck zu erzeugen, als ob das schon eine Änderung der Regierungspolitik bedeutete. Wir wollen uns auch nicht mitschuldig machen an den erneuten falschen Vorstellungen, Herr Minister Oberländer, die aus der eifrigen Verkündung aller möglichen Zwei- oder Mehrjahrespläne entstehen müssen, wenn Sie nicht gleichzeitig verbindlich, namens und im Auftrage der für die Mittel zuständigen Ressortminister, beim Wohnungsbau des Herrn Wohnungsbauministers, bei der Arbeitsplatzbeschaffung des Herrn Arbeitsministers und insonderheit des Herrn Finanzministers, erklären können, daß und wie die finanzielle Durchführung effektiv garantiert ist.
Die schwer getroffenen Menschen, . die hinter allen diesen Problemen stehen, verdienen es nicht, daß durch das Publikationsfeuer bloßer Pläne, Verlautbarungen und Reden erneut Hoffnungen entzündet werden, die von Ihnen, Herr Minister, mit Ihrem eigenen Haushalt nicht erfüllt werden können und die eitel Papier sind, solange die finanziellen Mittel von den tatsächlich dafür Zuständigen nicht bewilligt sind und nicht bereitstehen.
Es geht hierbei um den Wahrheitsgehalt politischer Erklärungen. Auf ihm beruht die Demokratie. Gewisse Methoden der Spekulation auf die Vergeßlichkeit sind schon in Wahlzeiten schlecht. Ministerworte oder -reden sollten sich nicht dem Verdacht preisgeben, mehr scheinen zu wollen oder geben zu können, als der Realität entspricht.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich die Situation in wenigen Sätzen nur an zwei Dingen deutlich machen. Nach den Ankündigungen des Herrn Bundesvertriebenenministers soll noch in diesem Jahre der sogenannte zweite Abschnitt des dritten Umsiedlungsprogramms und damit die Umsiedlung weiterer 150 000 Vertriebener und Flüchtlinge und die Rückführung von 15 000 Evakuierten aus den Ländern Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Bayern in die übrigen Bundesländer durchgeführt werden. Die Durchführung dieses Programmteiles erfordert aber nicht nur die Bereitstellung von 350 Millionen DM durch den Bund, sondern zugleich die Fertigstellung der mit diesen Mitteln zu bauenden und für die Unterbringung der Umsiedler benötigten rund 43 000 Wohnungen. Vom Zeitpunkt der Mittelbewilligung an gerechnet, werden mindestens sechs bis neun Monate für die Verplanung der Mittel, die Erteilung der Baubewilligungen und die Komplementierung der Mittel und mindestens weitere sechs bis neun Monate für die reine Bauzeit gebraucht werden. Das bedeutet, daß die besagten 350 Millionen DM spätestens im Herbst 1953 zur Verplanung durch die Länder hätten verfügbar sein müssen, wenn die Ankündigung des Herrn Bundesvertriebenenministers eine reale Grundlage hätte haben sollen.
Nichts von alledem! Nicht nur, daß die aus Wohnraumhilfemitteln 1954 und aus Bundeshaushaltsmitteln 1954 und 1955 für dieses Programm verfügbaren bzw. in Aussicht genommenen 150 Millionen DM den Aufnahmeländern bis heute noch nicht zugeteilt sind, ist über die Bereitstellung der restlichen 200 Millionen DM bis heute überhaupt noch nicht entschieden. Zumindest ist weder über die Auflegung der mit Beschluß des Bundestages schon vom 16. Mai 1952 in dieser Höhe verlangten Umsiedlungsanleihe noch über eine anderweitige Bereitstellung dieser Mittel etwas bekanntgeworden.
Mit dieser Tatsache mag auch in Zusammenhang stehen, daß die für den zweiten Abschnitt des dritten Umsiedlungsprogramms erforderliche Verordnung bis heute noch nicht erlassen ist. Dabei scheint es weder die Bundesregierung noch den Herrn Bundesvertriebenenminister zu stören, daß § 31 Abs. 2 des Bundesvertriebenengesetzes die Bundesregierung zum Erlaß einer entsprechenden Umsiedlungsverordnung bis zum 30. September 1953 verpflichtete. Aber selbst dann, wenn die für die Durchführung dieses Programms erforderlichen rund 350 Millionen DM heute für die Länder verfügbar sein würden, würde bei dem angegebenen Zeitbedarf mit der vom Herrn Bundesvertriebenenminister laut Bulletin vom 6. März 1954 — wörtlich — „für dieses Jahr vorgesehenen Umsiedlung" der insgesamt 165 000 im Laufe dieses Jahres noch nicht einmal begonnen werden können.
Wie bei einer solchen Sachlage der Wahrheitsgehalt der im Zweijahresplan des Herrn Bundesvertriebenenministers enthaltenen Ankündigung einer Umsiedlung von weiteren 300 000 Vertriebenen und Flüchtlingen gesehen werden soll, ist bei den dazu insgesamt erforderlichen Mitteln in Höhe von rund 650 Millionen DM allein an nachrangigen Wohnungsbaumitteln schlechterdings unerfindlich.
Ähnliche Betrachtungen wären anzustellen für das Problem der Rückführung der Evakuierten und hier insbesondere der Rückführung innerhalb der Länder. Frau Kollegin Strobel hat bereits auf den Kern dieses Problems hingewiesen. Sie hat darauf aufmerksam gemacht, daß es sich hierbei, insbesondere soweit die Evakuierten nicht kriegssachgeschädigt sind, um Menschen handelt, die meistens alt, einsam und hilflos in den Dörfern sitzen. Diese hatten ihre Hoffnungen auf das Evakuiertengesetz gestützt, das ihnen theoretisch den Anspruch auf Rückführung gibt. Auch hier wird dadurch, daß das Bundesvertriebenenministerium anders firmiert, der Eindruck erweckt, als sei damit schon eine intensivere Verwirklichung des Gesetzes gewährleistet.
Wir haben heute von dem Herrn Wohnungsbauminister selber hören müssen, daß für eine zusätzliche Förderung des Wohnungsbaus für die Evakuierten nur 20 Millionen DM aus dem Lastenausgleich genommen werden können. Auch in diesem Fall wird also Hilfe in einem vertretbaren Zeitraum nur wirksam werden, wenn der Bann durch die anderen Minister gebrochen wird und wenn die Voraussetzungen bei den Ministerien geschaffen werden, die für die Mittel zuständig sind.
Herr Bundesvertriebenenminister, Sie werden uns immer bereit finden, jede vernünftige Initiative und jede tragbare Maßnahme zu unterstützen, die geeignet ist, das Los der hinter all diesen Problemen stehenden Menschen zu erleichtern und zu verbessern. Denn wir haben immer das Schicksal und das Anliegen dieser Menschen als unser eigenes angesehen. Aber Popularisierung oder, wie die Amerikaner sagen, public relation eines Ministers, bedeutet noch nicht eine Lösung des sachlichen Problems. Wenden Sie Ihre Kraft nach innen, Herr Minister! Popularisieren Sie die Probleme beim Herrn Finanzminister und im Kabinett! Lassen Sie Ihre Ergebnisse und Leistungen sprechen, nicht Worte!