Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte hier zunächst zwei Mißverständnisse ausräumen. Einmal: es gibt in diesem Hause wohl niemanden — jedenfalls gibt es ihn nicht in den Reihen der Opposition und nicht in den Reihen der Vertreter, die aus Berlin kommen —, der nicht wüßte, was die Leistung des Bundes, der westdeutschen Steuerzahler für Berlin bedeutet hat und bedeutet.
Wir bekennen uns stolz zu diesem Beitrag, diesem Friedensbeitrag, wenn ich so sagen darf, einer der großen Leistungen unseres Volkes nach dem Zusammenbruch.
Ein anderes: wir zollen der Arbeit des Herrn Bundesfinanzministers den schuldigen Respekt.
Wir verstehen seine Sorgen um den Ausgleich des Bundeshaushalts. Es liegt mir daran, zu sagen — ich hätte es ihm gerne selber gesagt —, daß ich etwas Rührendes darin sehe und vielleicht auch bei aller gelegentlicher Gegensätzlichkeit etwas Zukunftversprechendes, wie nahe sie doch trotz allem im Laufe dieser Jahre einander gekommen sind, der rauh-freundliche bayrische Schatzmeister des Bundes und die schnoddrig-freundlichen Menschen im ehemals preußischen Berlin, in der deutschen Hauptstadt Berlin.
Der Herr Bundesfinanzminister ist, daß hat er vorhin deutlich genug zu erkennen gegeben, un-
zufrieden mit den Antragstellern, für die noch einmal zu sprechen ich die Ehre habe. Es ist sein gutes Recht, mit uns unzufrieden zu sein. Aber er möge dabei nicht vergessen, daß nicht wir es waren, sondern Zeitungsorgane aus der Gefolgschaft des Herrn Bundeskanzlers, die kürzlich im Zusammenhang mit dem Herrn Bundesfinanzminister von einem Tiefschlag gegen Berlin gesprochen haben.
— Nicht hier, sondern dort, Herr Bucerius, ist dem Herrn Bundesfinanzminister die Mißachtung eines Kanzlerwortes vorgeworfen worden, an dessen Formulierung er selbst mitgearbeitet hatte.
Ich will auch nicht mehr, jedenfalls nicht länger, auf die törichte Propaganda gewisser Kreise eingehen, die den Berlinern einreden wollten, die Vertreter einer Kleinen Koalition würden in Bonn nur die offene Hand aufzuhalten brauchen, eine Propaganda, deren Rückzug neuerdings mit dem Vorwurf gedeckt werden soll, der verstorbene Ernst Reuter trage die Verantwortung dafür, daß sein Nachfolger in Bonn nicht mehr erreicht habe.
Was Ihre Bemerkung angeht, Herr Kollege Bucerius, so stimme ich ihr völlig zu. Es ist eine geschichtliche Tatsache, daß der verstorbene damalige Regierende Bürgermeister seiner eigenen und unserer gemeinsamen Überzeugung Ausdruck gegeben hat, als er bei Abschluß dieser schwierigen Verhandlungen um das Dritte Überleitungsgesetz den Herrn Bundesfinanzminister und allen daran Beteiligten ausdrücklich seinen und unseren Dank ausgesprochen hat. Dieses Dritte Überleitungsgesetz war ein gewaltiger Fortschritt. Aber, Herr Kollege Bucerius, wir schreiben jetzt das Jahr 1954. Wir schrieben damals 1951. Nichts in dieser Welt steht still, und die Zahlen verändern sich. Sehen Sie, verehrter Herr Bucerius, damals, als wir gemeinsam über das Dritte Überleitungsgesetz berieten, hatten wir es beim Notopfer mit einem Einnahme-Soll von 395 Millionen und einem Einnahme-Ist von 389 Millionen im Jahr zu tun. Berlin erhielt damals 1950 494 Millionen DM, also mehr als das Aufkommen aus dem Notopfer.
1951, als ab 1. April das Dritte Überleitungsgesetz in Kraft getreten war, hatten wir es beim Notopfer mit einem Einnahme-Soll von 625 Millionen, mit einem Einnahme-Ist von 644 Millionen und mit einem Bundeszuschuß von 550 Millionen zu tun. Also auch hier bestand zum Einnahme-Soll nur eine Differenz von 75 Millionen, aber nicht eine Differenz in der Höhe, wie sie sich seitdem ergeben hat. .
Aber ich möchte zunächst noch eine politische Bemerkung machen. Es geht mir und es geht uns hier wirklich nicht um Koalition oder Opposition. Es geht uns um Berlin und um ein gemeinsames deutsches Anliegen.
— Um so besser, verehrte Frau Kollegin Weber!
Als wir vorgestern die gemeinsame Erklärung angenommen hatten, in der wir sagten, daß wir uns niemals mit dem Zustand der willkürlichen Spaltung unseres Landes abfinden wollten, haben sich manche von uns — nicht nur auf unserer, sondern genau so gut auf Ihrer Seite — gefragt:
Aber was können wir und was sollen wir tun? Uns mag angesichts solcher Fragen manchmal ein Gefühl nicht nur der Sorge, sondern auch der Ohnmacht überkommen, wenn wir an einen vielleicht längeren Weg zur Wiedervereinigung dessen denken, was zusammengehört. Aber hier haben wir es doch nun heute mit einer Aufgabe zu tun, die zu lösen uns in jedem Falle aufgegeben ist. Berlin muß gesichert bleiben, es muß krisenfest gemacht werden, koste es, was es wolle!
Den Kampf des Herrn Bundesfinanzministers um die Stabilität der Währung in allen Ehren, — dem Kampf um die Stabilität des Staates und um seine freiheitlichen Grundlagen gebührt mindestens die gleiche Aufmerksamkeit und Entschlossenheit.
Der Berliner Haushalt ist nicht weniger wichtig als ein Haushalt der Verteidigung.
Der Herr Bundesfinanzminister ist in seiner Etatfreiheit gegenüber Berlin nicht mehr beschränkt als bei den wichtigsten internationalen Verhandlungen. Gerade weil uns in so vieler Hinsicht die Hände gebunden sind, müssen wir am Berliner Beispiel und in dieser Situation im April 1954 zeigen, wie wir auf die durch die Maßnahmen der östlichen Machthaber heraufbeschworene verschärfte Spaltung Deutschlands zu reagieren gedenken.
Hier ist uns die Möglichkeit des zeitentsprechenden Handelns gegeben, und hier müssen wir beweisen, daß wir die Zeichen der Zeit verstanden haben.
Nun zum Einzelplan 45 selbst. Ich habe drei Feststellungen dazu zu treffen. Erstens: Nach dem Dritten Überleitungsgesetz soll der Bundeszuschuß so bemessen sein, daß Berlin die durch seine besondere Lage bedingten Aufgaben erfüllen kann.
Zweitens: Der Herr Finanzminister und der Berliner Senat haben den Fehlbetrag, den Fehlbetrag des Berliner Haushalts auf 800 Millionen DM heruntergerechnet. Von diesem Betrag haben wir auszugehen, so bedenklich es erscheinen mag — und da stimme ich mit dem Herrn Vorredner des BHE überein —, das Defizit aus dem Jahre 1952 noch einmal vor sich herzuschieben.
Drittens: Der Herr Bundesfinanzminister sagt, Berlin kommt auch mit 710 Millionen DM als Barzuschuß zu Rande, den 15 Millionen DM für Bauvorhaben, die aber, wie schon betont wurde, den Haushalt nicht unmittelbar entlasten, und außerdem der vom Bund garantierten Anleihe in Höhe von 75 Millionen DM. Gerade dieser Anleiheweg ist aber, wie wir glauben, im Berliner Fall ein unsicherer und gefahrvoller Weg.
Verehrter Herr Kollege Bucerius, hier lasse ich den Vergleich mit anderen Bundesländern nicht gelten.
Nach dem, was in der letzten Zeit, in den letzten paar Wochen passiert ist, fürchte ich, daß wir die Kräfte der Freiheit in Berlin neu zu mobilisieren haben, und, Herr Kollege Bucerius, auf Anleihekrücken werden wir nicht vor das Brandenburger Tor treten dürfen!
Nun zu dem Einwand, dieser Haushalt vertrage nicht die Belastung mit weiteren 90 Millionen DM, wie sie sich aus der Annahme unseres Antrags ergeben würde. Lassen Sie mich dazu zweierlei feststellen: Die Einnahmen aus dem Notopfer sind auch diesmal vom Bundesfinanzministerium recht . niedrig angesetzt. Im vorigen Jahr hat der Bund nach meinen Zahlen 165 Millionen DM, nach den Zahlen, die Herr Schäffer vorhin genannt hat, 100 Millionen DM mehr, und im Jahr zuvor 85 Millionen DM mehr eingenommen, als es dem Soll im Haushaltsplan entsprach. In diesem Jahr wird der Bund nicht nur 925 Millionen DM, sondern wahrscheinlich 100 Millionen DM darüber hinaus einnehmen. Darum erscheint es uns unbedenklich, 90 Millionen DM bei den Einnahmen aus der Abgabe Notopfer Berlin mehr einzusetzen, falls der Herr Bundesfinanzminister diese Deckung für erforderlich hält.
Zum anderen: Das Bundesfinanzministerium, die Mitarbeiter des Herrn Bundesfinanzministers haben die Tendenz, nicht nur die Einnahmen aus dem Notopfer zu unterschätzen, sondern auch die Ausgaben des Bundes in Berlin zu überschätzen.
Wenn ich eine solche Behauptung aufstelle, muß ich auch versuchen, sie zu beweisen.
In der Übersicht mit Datum vom 29. März, die der Herr Bundesfinanzminister den Mitgliedern des Haushaltsausschusses am 31. März übergeben hat, hat das Ministerium bei der Kriegsopferversorgung in Berlin für 1953 ein Soll von 161,9 Millionen, für 1954 ein solches Soll von 180,2 Millionen eingesetzt. Das Ist für 1953 betrug aber nicht 161,9 Millionen, sondern 133 Millionen.
Das Bundesfinanzministerium hatte für das vergangene Jahr fast 30 Millionen und es hat für das neue Haushaltsjahr wahrscheinlich 40 Millionen zuviel eingesetzt.
Bei der Arbeitslosenhilfe in Berlin registrierte die Übersicht des Bundesfinanzministeriums vom 29. März für 1953 ein Ausgabesoll von 174,2 Millionen, für 1954 ein solches von 170,0 Millionen. Das Ist für 1953 betrug jedoch nicht 174,2 Millionen, sondern 155 Millionen. Das Finanzministerium hatte demnach im vorigen Jahr 20 Millionen und es hat im neuen Jahr wahrscheinlich 30 Millionen zuviel eingesetzt. 40 plus 30 macht 70 plus 100 macht 170. Aber ich will nicht mehr beweisen, als für die Begründung unseres Antrages zu beweisen erforderlich ist.
Nur noch eins. Bei aller Wertschätzung der Arbeit des Herrn Bundesfinanzministers und seines gewachsenen echten Interesses für die Auseinandersetzung in und um Berlin: Die Aufstellungen seines Ministeriums über die Leistungen für Berlin fordern unseren Widerspruch heraus. Er hat auch heute wieder gesagt: Wenn ich alles zusammenrechne, dann gebe ich — oder der westdeutsche Steuerzahler oder der Bund, vertreten durch den Bundesfinanzminister — einige hundert Millionen im Jahre mehr aus, als ich durch das Notopfer hereinbekomme. Schade, daß der Herr Bundesfinanzminister nicht mehr da ist, sonst hätte ich ihm gesagt: Manche Ihrer Herren, die Ihnen diese Aufrechnungen machen, bedienen sich auch heute noch der Methode, Appel und Beern zu addieren. Könnten wir uns nicht im Interesse künftiger Auseinandersetzungen zu diesem Thema auf eine säuberliche Trennung zweier unterschiedlicher Probleme verständigen?
Auf der einen Seite stehen die finanziellen Leistungen des Bundes in Berlin, wie sie sich aus der Gleichstellung des Landes Berlin mit den anderen Bundesländern ergeben.
Diesen Leistungen stehen die Einnahmen des Bundes in Berlin gegenüber. Solche Aufrechnungen pflegt man übrigens für andere Länder nicht zu machen, auch für den Freistaat Bayern nicht. Wenn man aber eine solche Aufrechnung macht und vom Soll ausgeht, ergibt sich für 1953 eine Mehrleistung des Bundes von 401,5 Millionen. Das wahrscheinliche Ist für 1953 beträgt 328,8 Millionen. Für 1954 würde die entsprechende Summe 312 Millionen betragen, wenn meine Bemerkung über die zu hoch angesetzten 70 Millionen zutrifft. Auf der anderen Seite haben wir den Bundeszuschuß zum Landeshaushalt in Höhe von 710 Millionen oder, wie wir möchten, 800 Millionen. Hinzu käme nun noch die Umsatzsteuer-Rückvergütung in Höhe von 75 Millionen im laufenden Rechnungsjahr. Dem stehen die Einnahmen aus dem Notopfer in Höhe von 925 Millionen DM oder, wie ich glaube, von 1025 Millionen DM gegenüber. Bei dieser Gegenüberstellung, die wir in Zukunft aus politischen und haushaltssystematischen Gründen auch im Einzelplan 45 zum Ausdruck gebracht sehen möchten, ergibt sich ein Überschuß von 240 Millionen DM oder, wenn Sie unseren Antrag annehmen, von 150 Millionen DM.
Noch ein Wort zum Notopfer. Wir haben früher betont — auch in der Rede unseres Fraktionsvorsitzenden Ende Februar ist das geschehen —, daß der Mehrertrag des Notopfers Berlin über den Bundeszuschuß hinaus in Zukunft allein dazu verwendet werden sollte, die wirtschaftliche und soziale Position Berlins zu stärken. Diesen Grundsatz wollten wir mit unserer Entschließung unterstreichen, um dann bei kommenden Beratungen Folgerungen daraus zu ziehen.
Wir haben — das ist wahr — mit Hilfe der westdeutschen Steuerzahler und mit Hilfe der Vereinigten Staaten von Amerika beträchtliche Erfolge in Berlin erzielt.
Wir können uns aber mit dem Erreichten nicht zufrieden geben. Berlin ist noch heute ein Paria, verglichen mit dem deutschen Westen. Wir brauchen nicht kleine steuerliche Trostpflästerchen,
wir brauchen keine Maßnahmen, die mit der Gefahr verbunden sind, daß die Mittel zerrinnen, anstatt auf das Wesentliche konzentriert zu werden. Wir brauchen eine Konzentration zusätzlicher Mittel auf das A und O dessen, worauf es in Berlin ankommt, nämlich: neue Arbeitsplätze zu schaffen.
Das ist allein der Weg, um das ganze Wirtschaftsleben zu fördern. Keine kleinen, verzettelten Maßnahmen sollten uns von dieser einen großen Pflicht ablenken.
Meine Damen und Herren, ich bedaure außerordentlich, daß ich mit diesen Ausführungen in
der Aussprache Ihre Geduld auf eine so harte Probe stellen mußte. Ich hoffe, Sie überzeugt zu haben, daß es uns um etwas ganz anderes geht als um ein Sonderanliegen der Opposition. Keiner der Vertreter aus Berlin, aus welcher Fraktion er auch kommen mag, kann sich hierher stellen und behaupten, ich hätte in der Sache nicht ein gemeinsames Anliegen vorgetragen. Lassen Sie uns den Antrag gemeinsam in der Erwartung annehmen, daß sich auch der Herr Bundesfinanzminister mal vergewaltigen läßt!
— Einmal muß das anfangen, gnädige Frau.
Sorgen wir gemeinsam dafür, daß das Wort von Berlin als der freiheitlichen Klammer des gespaltenen Deutschland immer wieder bekräftigt wird! Geben wir diesem Wort seine Bestätigung hier und heute!
Ich beantrage namens der sozialdemokratischen Fraktion namentliche Abstimmung über unseren Antrag.