Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Soziale Haushalt verdient zweifellos im Bundestag eine besondere Aufmerksamkeit; denn der Haushalt des Arbeitsministeriums umfaßt zusammen mit dem hierhin gehörigen und später zu behandelnden Haushalt Soziale Kriegsfolgelasten rund ein Drittel des gesamten Bundeshaushalts. An diesen Milliardensummen hängt das Wohl und das Wehe großer Bevölkerungsschichten. Bei dem Haushalt des Arbeitsministeriums sprechen wir praktisch von dem Los der Alten und Invaliden, der Witwen und Waisen, dem Los der Kriegsopfer, der Unfallgeschädigten, der Kranken, der Gebrechlichen. Es sind, wie wir alle wissen, zusammen rund 12 Millionen Menschen, Rentner und Unterstützte, die an diesem Haushalt hängen. Dazu kommen über 16 Millionen Arbeitnehmer, die durch den Haushalt des Bundesarbeitsministers
betroffen werden. Diese Millionenzahlen von Menschen und ihre Angehörigen müssen wir hinter diesen Zahlen sehen. Die Not und die Sorgen, die dahinterstehen, liegen auf den Schultern eines Bundesarbeitsministers. Das ist die große und besondere Verantwortung, die ein Bundesarbeitsminister zu tragen hat.
Ich darf in diesem Zusammenhang eine Bemerkung machen, von der ich hoffe, daß auch die Sozialpolitiker der anderen Parteien ihr dem Grundzug nach zustimmen. Bei einem so bedeutungsvollen Haushalt hätte es vielleicht nahegelegen, ihn etwas mehr in den Vordergrund zu rücken und ihn nicht am letzten Tage, der leider das Haus schon etwas ermüdet zeigt, zu behandeln. Wenn das Bundesarbeitsministerium und der Bundesarbeitsminister auch nicht so im Vordergrund und im Scheinwerferlicht der Öffentlichkeit stehen, wie das beim Bundeswirtschaftsminister oder beim Bundesfinanzminister der Fall ist, so wissen doch diese Arbeitnehmer, diese Alten und Gebrechlichen sehr genau, daß ihr Schicksal zum großen Teil von der Fähigkeit des Arbeitsministers, von seiner politischen Kraft abhängt. Dieses Wissen haben alle die Betroffenen aus der Weimarer Zeit — denn es handelt sich meistens um Altere — mit übernommen, aus einer Zeit, wo Persönlichkeiten wie Dr. Heinrich Brauns, Rudolf Wissell und Adam Stegerwald an der Spitze des Reichsarbeitsministeriums standen, große Männer, die damals die Sozialpolitik in wahrhaftem Sinne vorangetrieben haben.
Ich glaube, wir sind berechtigt und auch verpflichtet, an solchen Vorbildern den Mann zu messen, der seit fünf Jahren an der Spitze des sozialpolitischen Ressorts steht. Angesichts der Größe der Aufgabe und angesichts des Gewichts der sozialen Fragen, die an diesem Ministerium hängen, müssen wir gestehen: wir sind enttäuscht. Ich glaube, diese Enttäuschung ist nicht nur in den Reihen der SPD zu finden. Wer vielmehr die Literatur und die Zeitungspresse der letzten Wochen gelesen hat, weiß, daß diese Enttäuschung bis in die Reihen der Koalitionsparteien hineingeht. Wir sind nicht etwa enttäuscht, das möchte ich ausdrücklich sagen, von dem guten Willen des Ministers Storch; der ist ohne Zweifel vorhanden. Aber enttäuscht sind wir von einem Denken, das pragmatisch von einem Fall zum andern Fall geht, einem Denken, das nicht von großen leitenden Ideen getragen ist, die besonders notwendig gewesen wären angesichts der Aufgabe, in der Zeit nach der Kapitulation eine einheitliche und der besonderen Situation angepaßte Nachkriegssozialpolitik zu konzipieren. Ich darf dahin zusammenfassen: es ist die Konzeptionslosigkeit, die nicht nur wir, sondern auch die Öffentlichkeit hinter dieser Sozialpolitik spürt, die dieses Unbehagen hervorgerufen hat.
Schon im 1. Bundestag haben wir darüber gesprochen und es beklagt, daß die Sozialpolitik sich im Grunde nur aus Flickwerk zusammengesetzt hat. Herr Minister Storch hat damals — ich denke an die letzte Haushaltsdebatte vor rund einem Dreivierteljahr — mit einem gewissen Recht gesagt, er habe zunächst Aufbauarbeit zu leisten gehabt.
Jetzt stehen wir am Beginn des 2. Bundestages, und am Anfang dieses Bundestages steht das Wort des Bundeskanzlers von der umfassenden Sozialreform.
Unterdessen ist nun ein halbes Jahr verstrichen, und ich muß wiederum sagen: es sind nicht nur die Sozialdemokraten, sondern weite Kreise innerhalb der deutschen sozialpolitischen Öffentlichkeit, die danach fragen, wo denn nun wenigstens die Vorarbeiten seien, die erkennen ließen, wohin diese umfassende Sozialreform ziele.
Ich möchte ausdrücklich bemerken, daß es mir heute nicht am Platze erscheint, hier eine Diskussion über die Sozialreform im einzelnen zu entfachen; jedenfalls haben wir nicht die Absicht. Sie wissen, daß wir eine Große Anfrage eingebracht haben, bei deren Besprechung die Gelegenheit sein wird, sich mit diesen Fragen im einzelnen auseinanderzusetzen. Ich nehme an, daß das nach Ostern der Fall sein wird, und ich hoffe nur, daß diese Aussprache nicht allzu lange hinausgezögert wird, etwa weil die Unterlagen im Ministerium noch nicht ganz zusammengestellt sein sollten.
Wenn ich von einer Konzeptionslosigkeit gesprochen habe, so haben diese nicht nur die Sozialdemokraten empfunden, sondern ich denke z. B. an den Artikel, der Anfang dieses Monats in der bekannten Zeitschrift „Der Arbeitgeber" erschienen ist, in dem dasselbe zum Ausdruck gebracht worden ist. Wir haben den Eindruck, daß die Führung der Sozialpolitik in einem gewissen, aber bedauerlichen Umfang vom Arbeitsministerium an das Finanzministerium übergegangen zu sein scheint. Ich hatte schon im vorigen Jahr Herrn Bundesfinanzminister Schäffer gefragt, ob er am Rechtsanspruch auf die Sozialleistungen festhalte. Herr Minister Schäffer hatte von dieser Stelle aus geantwortet: jawohl, für die Sozialversicherung halte er an dem Rechtsanspruch fest. Herr Bundesarbeitsminister Storch — das erkennen wir hoch an — hat auch noch andere Gelegenheiten benutzt, dieses zu bekräftigen.
Meine Damen und Herren, Sie haben aber ebenso wie wir im November vorigen Jahres in der „Welt" den Aufsatz eines führenden Referenten im Bundesfinanzministerium gelesen, der für die kommende Sozialpolitik die weitgehende Anwendung des Fürsorgegrundsatzes befürwortet; nicht etwa nur das allgemeine Ermessen, sondern den Fürsorgegrundsatz! Dieser Artikel ist nicht nur von der Sozialdemokratie als eine authentische Auslassung aus dem Bundesfinanzministerium angesehen worden, und von dorther ist eine gewisse Beunruhigung zu verstehen, die in soziapolitischen Kreisen über diese Auslassung entstanden ist. Auch hier möchte ich betonen, daß ich im Augenblick keine Debatte über Fürsorge- oder andere Prinzipien entfachen will. Ich gehe in diesem Zusammenhang nur auf diese Dinge ein, um daran deutlich zu machen, daß wir der Auffassung sind —und ich hoffe, Sie mit uns zusammen —, daß der sozialpolitische Kurs einer Bundesregierung vom Bundesarbeitsministerium zu vertreten ist und nicht vom Bundesfinanzministerium.
Der Bundesarbeitsminister sollte es sich energisch verbitten, daß ein Referent — und wenn auch im Ministeralratsrang — aus einem anderen Ministerium eine so eigenwillige und eigenartige Politik eigener Prägung verfolgt. Wenn wir an historische Vorbilder denken, etwa an das Verhältnis Bismarcks zu seinem damaligen, wie wir heute sagen würden, Ministerialrat Theodor Lohmann, so wissen wir, daß Bismarck, als hier Differenzen
auftraten, Theodor Lohmann zwar nicht entlassen, aber zur Seite gestellt hat. Das war das Schicksal damals. Wir fragen: Wie liegen diese Dinge heute?
Zu diesen eigenartigen Auffassungen gehört nun auch die Darstellung, die aus dem Bundesfinanzministerium zum Bundessozialhaushalt kommt. Zweifellos ist für diese Dinge der Bundesfinanzminister zuständig. Aber dem Bundesarbeitsminister kann doch diese Darstellung nicht gleichgültig sein. Denn nach der Höhe, in der der Sozialaufwand berechnet wird, ergibt sich für den Arbeitsminister der Spielraum, innerhalb dessen er Bewegungsfreiheit besitzt.
Die Tendenz, die aus dem Bundesfinanzministerium zum Sozialhaushalt kommt, ist aber nun völlig eindeutig. Sie geht dahin, den Sozialhaushalt so hoch wie nur möglich anzusetzen. Es ist vom Finanzministerium bereits erreicht worden, daß in der Öffentlichkeit ganz allgemein von Sozialausgaben in der Höhe von insgesamt über 20 Milliarden DM gesprochen wird. Ich möchte auch an dieser Stelle die Gelegenheit benutzen, um mit Nachdruck festzustellen, daß diese Zahl außerordentlich irreführend ist. Sie entsteht nämlich nur dadurch, daß Leistungen zum Sozialhaushalt gerechnet werden, die schlechterdings gar nicht hineingehören, z. B. die Leistungen an die 131er, seien es die Beamten oder die ehemaligen Wehrmachtangehörigen. Die echten Sozialleistungen, die sogenannten klassischen Sozialleistungen aus Sozialversicherung und Arbeitslosenversicherung, betragen, gemessen an dem Gesamtsozialprodukt, für 1954 zusammen 12 Milliarden DM. Davon tragen die Versicherten, die Arbeitnehmer und die Arbeitgeber, 9 Milliarden DM bei; der Bund steuert 3,2 Milliarden DM zu diesen echten Sozialleistungen bei. Dann kommen die Kriegsfolgeleistungen mit zusammen 3,8 Milliarden DM, die vom Steuerzahler, also vom Bund getragen werden. Das ergibt zusammen 15,8 Milliarden DM an Mitteln, die aus Steuern und Versichertenbeiträgen für echte soziale Leistungen und Kriegsfolgeleistungen gegeben werden. Meine Damen und Herren, das sind drei Viertel der Summe von 20 Milliarden DM, die das Bundesfinanzministerium immer und immer wieder in die Öffentlichkeit hinausgibt. Das möchte ich hier noch einmal gesagt haben.
Ein Gleiches beobachten wir, wenn vom Bundeshaushalt gesprochen wird. Der Bundesfinanzminister hat in seiner ersten Rede zum Haushalt einmal, das gebe ich zu, den Sozialhaushalt mit 8,75 Milliarden DM beziffert, nämlich nach Abzug der Leistungen aus dem Lastenausgleich. Aber im übrigen hat er stets von Leistungen von über 10 Milliarden DM gesprochen, und damit ist er über den sogenannten Verteidigungshaushalt hinausgekommen. Diese Summe von über 10 Milliarden DM ist nur dadurch zustande gekommen, daß vom Bundesfinanzministerium die Leistungen aus dem Lastenausgleich und an die sogenannten 131er mit einbezogen worden sind. Ich habe schon an anderer Stelle nachgewiesen, wie unrichtig und wie gefährlich eine solche Rechnung ist; denn die Leistungen an die 131er sind reine Arbeitgeberleistungen des Staatshaushalts. Wer diese Leistungen in die sogenannten Sozialleistungen einrechnet, muß doch erwarten und muß es sich gefallen lassen, daß die Rentner einen Vergleich ihrer Rente mit den Pensionen vornehmen; daß sie eine Invalidenrente, die, wie wir wissen, im Durchschnitt bei etwa 78 DM im Monat liegt, oder eine Angestelltenrente,
die mit etwas über 120 DM im Monat auch nicht viel höher liegt, mit Pensionen vergleichen, die für die 131er-Beamten im Durchschnitt 575 DM im Monat und für die ehemaligen Wehrmachtangehörigen 461 DM betragen, von den Ruhegehältern der Beamten ganz zu schweigen. Wir möchten nachdrücklich davor warnen, einen solchen Weg zu gehen.
Ich habe vorhin einen Referenten des Bundesfinanzministeriums kritisiert. Aber derselbe Referent hat — und das begrüße ich — im Bulletin Nr. 9 von 1954 von sich aus ausdrücklich die Leistungen an die 131er mit der Bemerkung vom gesamten Sozialhaushalt abgesetzt, es handle sich weitgehend um beamtenrechtliche Ansprüche. Ich freue mich, hier die Übereinstimmung des Finanzministeriums mit den Auffassungen, die ich eben vorgetragen habe, feststellen zu können. Aber dann sollte man in gleicher Weise auch bei den Leistungen im Rahmen des Lastenausgleichs verfahren.
— Jawohl, Herr Atzenroth, des Lastenausgleichs. In den Allgemeinen Vorbemerkungen auf Seite 169 sind die Leistungen des Lastenausgleichs nicht unter den sozialen Kriegsfolgeleistungen aufgeführt, und ich halte es für richtig, daß sie nicht dort erscheinen, sondern unter den durchlaufenden Mitteln. Dahin gehören sie, und die dort verwirklichte Einsicht sollte systematisch realisiert werden.
Meine Damen und Herren! Sie könnten sagen: Das sind theoretische Erwägungen, die ein Professor hier vorbringt, weil er eben einmal die Gelegenheit hat. Aber ich möchte Ihnen sagen, daß hinter diesen angeblich theoretischen Erwägungen außerordentlich einschneidende Folgen für die Volkswirtschaft und auch für die hohe Politik stehen; denn mit den klassischen Sozialleistungen aus dem Bundeshaushalt von, wie ich sagte, 3,2 Milliarden und den Kriegsfolgeleistungen von 3,8 Milliarden, zusammen also 7 Milliarden, kommt das Bundesfinanzministerium nicht wie mit seinen 10 Milliarden, die sonst immer angegeben werden, über den fälschlich Verteidigungshaushalt genannten Posten von 9,3 Milliarden hinaus. Ich sage: fälschlich Verteidigungshaushalt genannt, weil in diesem Posten zunächst noch Besatzungskosten enthalten sind. Wir sollten uns, meine Damen und Herren, aber endlich einmal darüber einig werden, daß der soziale und der sogenannte Verteidigungshaushalt zusammen gesehen werden müssen und daß der soziale Haushalt an politischem Gewicht immer schwerer wiegen muß als jeder sogenannte Verteidigungshaushalt; denn was etwa an sozialer Sicherung durch den sozialen Haushalt gewonnen wird, das ist mindestens im Kalten Kriege ebenso wirksam wie irgendein militärisches Kontingent.
In diesem Sinne vermissen wir in diesem sozialen Haushalt aber jeden Ansatzpunkt für eine Verbesserung der Sozialrenten oder der Kriegsopferrenten oder etwa zugunsten der Neurentner, die unter der Geldentwertung bzw. der Teuerung zweifellos auch leiden. Wir vermissen Ansätze für die älteren Witwen, die bekanntlich immer noch darauf warten, mit den sogenannten jüngeren Witwen gleichgestellt zu werden, und für den Ausgleich von vielen anderen Ungerechtigkeiten, die, wie wir alle wissen, noch in der gegenwärtigen Versicherung und Versorgung stecken.
Der Komplex der Sozialleistungen muß eben zusammen gesehen werden. Der Bundesfinanzminister
hat in seiner Eröffnungsrede im März ausgeführt, der Haushaltsplan 1954 solle den Ausgangspunkt für die erwartete Sozialreform abgeben. Äußerungen in der damaligen Debatte sowie Veröffentlichungen aus dem Bundesfinanzministerium lassen aber befürchten, daß unter einer solchen Sozialreform, auf die ich hier sonst nicht weiter eingehen will, lediglich eine Verlagerung von Sozialleistungen der einen Art auf einen Posten anderer Art verstanden wird. Wenn man aber von einem Haufen auf den andern verlagern will, dann muß ein Haufen kleiner werden. In diesem Sinne möchte ich auch fragen: Wo gedenkt denn die Bundesregierung etwa, wenn von Verlagerungen die Rede ist, soziale Leistungen zu kürzen, wenn sie für Mehrleistungen in ihrem Etat jetzt keinen einzigen Pfennig eingesetzt hat? Wir werden uns erlauben, zu diesen Dingen im Nachtrag zu der Großen Anfrage weitere Anträge zu stellen.
Aber gerade in diesem Zusammenhang muß ich nun endlich noch eingehen auf die Zwangsanleihe, die der Bundesfinanzminister in der bekannten Höhe von 512 Millionen DM der Arbeitslosenversicherung und der Rentenversicherung auferlegen will. Es hat den Anschein, als ob die Verhandlungen mit beiden Institutionen unterdessen so weit gediehen sind, daß die Arbeitslosenversicherung 262 und die Rentenversicherungsträger 250 Millionen DM in Bundesschuldverschreibungen erhalten sollen. Soweit diese Institutionen sich damit durch ihre Selbstverwaltungskörperschaften einverstanden erklärt haben, mögen sie das mit den Versicherten selber ausmachen. Ich weise nur darauf hin, daß der Deutsche Gewerkschaftsbund in einer Verlautbarung, die gestern herausgekommen ist, sich hinsichtlich der Bundesanstalt mit Nachdruck gegen eine solche Entwicklung gewehrt und verwahrt hat.
Aber hier möchte ich einmal auf die rechtliche und politische Seite dieses Vorganges hinweisen. Wie steht es denn rechtlich? Rechtlich ist der Bundesfinanzminister nach § 13 Abs. 3 des Haushaltsgesetzes, wenn dieser Absatz angenommen ist — erst dann! —, in der Lage, Verhandlungen über diese Aktionen zu führen. Dieser Paragraph ist noch nicht angenommen. Politisch ist es aber nun ungemein interessant, daß der Bundesfinanzminister nicht nur bereits verhandelt hat, bevor er vom Parlament überhaupt erst ermächtigt worden wäre, sondern daß er diesen Abzug bereits diktieren wollte, ehe das Parlament gesprochen hat. Mir liegt hier ein Schreiben des Bundesfinanzministers vom 5. März vor — da war von dieser Haushaltsdebatte keine Rede —; dort hat das Bundesfinanzministerium von Forderungen der Bundesanstalt und der Rentenversicherungsträger an die Bundesregierung gesprochen. Das stimmt ja gar nicht! Es handelt sich bei weitem nicht um Forderungen, sondern es handelt sich um Verpflichtungen des Bundesfinanzministers für die Vorleistungen, die aus der Bundesanstalt für die Arbeitslosenfürsorgeunterstützung gegeben worden sind, und es handelt sich um gesetzliche, nach dem Rentenzulagengesetz vom Bund zu tragende Leistungen, die dieses Parlament beschlossen hat. Der Bundesfinanzminister verfügte aber am 5. März, daß der Bundesanstalt monatlich 21 Millionen DM und den Rentenversicherungsträgern monatlich 22 Millionen DM nicht in bar, sondern in Schuldverschreibungen — Anfang März, bereits vor diesen Verhandlungen gegeben werden sollten,
ohne daß irgendwie darüber verhandelt worden wäre. Das war selbst dem Bundesarbeitsministerium zu bunt,
und das Bundesarbeitsministerium hat am 6. März' dem Bundesfinanzminister geschrieben, daß für ein solches Verfahren jegliche Rechtsgrundlage fehle, ja daß sogar, so schreibt das Bundesarbeitsministerium, der Verband der Rentenversicherungsträger nicht einmal davon unterrichtet worden sei, was ihm hier angedroht wird.
Wir haben hier schon im Verlauf oder Zusammenhang mit der gestrigen Debatte von demokratischen Methoden sprechen müssen, — zu unserem Bedauern. Ich frage: Ist es eine demokratische Methode, wenn ein Bundesfinanzministerium in dieser Weise verfährt, ohne vom Parlament dazu berechtigt worden zu sein, so zu verfahren?
Das Arbeitsministerium hat im übrigen in dem gleichen Schreiben darauf hingewiesen, daß damit — ich zitiere wörtlich —„die Sicherstellung der für die Rentenzahlungen unerläßlichen Betriebsmittelbereitstellungen ernsthaft in Frage gestellt" sei. Ich und mit mir die Sozialdemokratie kann das nur unterstreichen. Aber wir fragen, warum der Bundesarbeitsminister, der Herr Kollege Storch, nicht die gleichen Bedenken, die hier in seinem Ministerium geäußert worden sind, schon gegenüber jener Zwangsanleihe von 512 Millionen DM mit Erfolg im Kabinett durchgesetzt hat, warum er sich im Kabinett mit diesen Dingen einverstanden erklärt hat? Und warum der Arbeitsminister diese Gefahren nicht sieht, wenn er jetzt für die zweifellos erforderliche Altrentenerhöhung zwischen 700 und 800 Millionen DM aus eben jenen Betriebsmitteln entnehmen will, die eine Abteilung seines Hauses als nicht antastbar erklärt hat? Hier haben wir eben den Bundesarbeitsminister in jener Schwäche im Faktischen, die wir an ihm beklagen. Deshalb fühlen wir als Sozialdemokraten von uns aus die Verpflichtung, die Versicherung von eben jener Zwangsanleihe zu befreien. Das ist der Inhalt unseres Antrags, der als Umdruck 41 verteilt worden ist und in dem gefordert wird, daß in verschiedenen Positionen insgesamt diese 512 Millionen DM gestrichen werden.
Wir haben dies aber nicht nur aus den eben genannten grundsätzlichen Erwägungen beantragt, sondern auch deshalb, weil wir glauben, daß Gelder aus der Bundesanstalt besser verwendet würden, wenn sie für die Beschaffung dauernder Arbeitsplätze oder für eine Verbesserung der Arbeitslosenunterstützung ausgegeben würden. Wir werden solche Anträge stellen, und man darf uns dann nicht antworten, man habe kein Geld für diese Dinge. Denn wenn man zunächst 512 Millionen und jetzt 262 Millionen DM aus der Bundesanstalt herausziehen will, dann darf man nicht hinterher sagen, man habe kein Geld für die Erhöhung der Arbeitslosenunterstützung. Ich erwähne das deshalb, weil zweifellos zur Arbeitslosenunterstützung dann die Arbeitslosenfürsorgeunterstützung hinzukommt. Wir wollen ankündigen, daß wir zum geeigneten Zeitpunkt entsprechende Anträge stellen werden.
Angesichts dieser starken Bedenken, die wir gegen die Politik des Bundesarbeitsministers, besser noch: gegen seine Politik der vagen Versprechungen und mangelnden sozialpolitischen Konzeption haben, haben wir erneut geprüft, ob wir den Haushalt des Bundesarbeitsministeriums nicht ablehnen sollten.
Wir sind zu dem Entschluß gekommen, uns wie im Vorjahre der Stimme zu enthalten, und zwar deshalb
— nicht aha, Herr Arndgen! —, weil wir Rücksicht nehmen auf die Leistungen, die aus diesem Haushalt an die Rentner, an die Arbeitslosen und an zahlreiche sozialpolitische Institutionen gehen.
Unsere Haltung entspringt dem Gefühl der Verbundenheit mit jenen Menschen, die in Not sind. Aber gleichzeitig — da gibt es nichts zu lachen, Herr Winkelheide —
kann kein Zweifel darüber bestehen, daß die Sozialdemokratie die Politik des Bundesarbeitsministers Storch als solche ablehnt.