Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei der Beratung des Haushalts des Bundesfinanzministeriums bin ich gezwungen, zu den Ausgaben Stellung zu nehmen, die der Herr Bundesfinanzminister für die Requisitionen auszuschütten gedenkt. Wir sind mit dem Ansatz nicht einverstanden. Wir wissen, daß die Besatzungsschäden nur ein Teil aus dem großen Zusammenhang der Kriegsschäden sind, und wir sind der Meinung, daß mit dem, was der Herr Bundesfinanzminister als Gesamtsumme angesetzt hat, einfach nichts anzufangen ist. Vor allen Dingen sehen wir in dem Besatzungsschäden- und Besatzungsfolgenproblem nicht nur ein finanztechnisches Problem, sondern ein Politikum, das man nicht ernst genug nehmen kann. In der politischen Frage stecken eine Fülle ungelöster juristischer Fragen, auch Fragen völkerrechtlicher Natur.
Der Bundesminister der Finanzen hat durch die Ersatzwohnungsbauprogramme für Besatzungsverdrängte Erleichterungen geschaffen. In der Gesamtwirkung für alle drei Zonen sind sie nicht ausreichend; denn die Mittel werden nicht planmäßig verteilt. Die Gelder dürfen nicht, wie es praktiziert wurde, schematisch verteilt, sondern sie müssen nach dem Bedarf ausgegeben werden, wie dieser gerade anfällt.
Das Statistische Bundesamt gibt die Zahl der beschlagnahmten Wohnungseinheiten mit rund 53 000
an, und ich will doch annehmen, daß der Statistiker des Herrn Bundesfinanzministers ein exakter Mathematiker war. Ein Restbestand von 43 000 Wohneinheiten, die erst auf Jahrzehnte verteilt zurückgegeben werden können, das ist einfach nicht tragbar.
Wir müssen endlich dahin kommen, daß bei Freigabe die Vorschläge der Verbände und vor allen Dingen der Gemeinden berücksichtigt werden. Ich habe mir aus einem großen Postanfall nur eine Karte herausgezogen. Da schreibt ein 82jähriger Mann:
Ich bitte Sie nochmals dringend, auch die Not der ganz alten 80- bis 90jährigen und von diesen doch wenigstens die schwersten Fälle bei Freigabe zu berücksichtigen.
Ich glaube, da ist jeder Kommentar überflüssig.
Aber die Zustände müßten nicht so sein und müssen nicht so bleiben. Man beruft sich doch bei uns und auch vom Finanzministerium aus bei Beratungen immer wieder auf Notwendigkeiten, denen man nicht begegnen könne. Ich möchte Ihnen sagen, daß die Alliierten unter sich einen Weg gefunden haben, wie man ihnen begegnen kann. Die NATO-Staaten haben einen Vertrag geschlossen, in dem sie die wechselseitigen Quartierleistungsverpflichtungen geregelt haben. Danach müssen sich fremde Truppen — und es sind nicht wenige auch in England, in Belgien und Frankreich — auf dem normalen Wege nach Quartier umsehen, niemand kann gezwungen werden, seine Wohnung aufzugeben; es müssen Mietverträge abgeschlossen werden, und es ist merkwürdig: auf diesem Wege kommen Mietverträge zustande. Warum macht man das bei uns nicht auch so? Ist die Wohnung eines Deutschen weniger heilig als die Wohnung eines Franzosen oder eines Engländers? Ist das Privateigentum eines Deutschen weniger Schutz wert als das eines Engländers, Franzosen oder Amerikaners? Wie mir bei Unterredungen im amerikanischen Hauptquartier gesagt wurde, warten noch einige tausend amerikanische Familien auf die Überfahrt nach Deutschland. Wie der Herr Bundesfinanzminister diese Wohnungen alle finanzieren will, ist mir einfach ein Rätsel. Auch wenn die Wohnungen aus dem Etat der Alliierten selbst bezahlt werden, fällt doch allein durch die Baulandbeschaffung für diese Wohnungen und für diese ganzen Viertel eine Unsumme an Kosten an.
Wir haben von dieser Stelle aus schon sehr oft Kritik an den Besatzungsmächten in puncto Wohnungsansprüche geübt. Es ist festzustellen, daß das Finanzministerium es erreicht hat, daß die Wohneinheit, die über das Finanzministerium gebaut wird, nicht mehr auf 40- bis 60 000 DM kommt, sondern daß man heute z. B. im amerikanischen Sektor für 30 000 DM eine Wohneinheit bauen kann und daß diese 30 000 DM von den Amerikanern auch gebilligt werden. Die Bundesregierung führt solchen Erwägungen gegenüber oft ins Feld, die Verhältnisse bei uns in Deutschland lägen ganz anders wegen der großen Zahl der Soldaten und ihrer Familien, die hier untergebracht werden müssen. Meine Damen und Herren, als ob die Quantität ein Argument gegen das Recht wäre!
Die Lösung des gesamten Besatzungskosten- und Verdrängtenproblems liegt in der Freimachung aller beschlagnahmten Objekte. Schließlich kann man von den Besatzungsmächten verlangen, daß sie
sich auch innerhalb des Besatzungsregimes an die elementaren Grundsätze eines jeden Rechtsstaates halten, als da sind: Eingriffe in die Rechtssphäre eines Individuums nur auf Grund rechtmäßig zustande gekommener Gesetze;
Respekt vor der Verfassung des Landes und ihren Schutzvorschriften, auch im Verhältnis der Besatzungstruppen zu den Landeseinwohnern; Schutz des Privateigentums; keine Entziehung von Eigentum ohne angemessene Entschädigung. Wir haben durchaus Verständnis dafür, daß es in den ersten Zeiten der Besatzung — in den sogenannten wilden Zeiten — nicht ausschließlich rechtsstaatlich zugehen konnte; aber da war noch Krieg, und das Besetzen will schließlich auch gelernt sein. Ich gebe zu, daß in der Zwischenzeit einiges getan worden ist, um das Verhältnis von Besatzung und Einwohnern mehr im Sinne einer rechtsstaatlichen Ordnung zu gestalten.
Weitere Anliegen sind für uns die Mindestschadensvergütung, Benutzungsentschädigung, Schadensbehebung bei Freigabe, Entschädigung bei Möbelverlust und gewerblichen Schäden. Für die Zwischenzeit verlangen wir die Aufhebung des Verbots des Zusammenwohnens von Deutschen mit Besatzungsangehörigen und Reduzierung der Ansprüche der Besatzungsangehörigen auf ihren heimischen Standard. Dann wäre vieles leichter, sogar, glaube ich, auch für den Herrn Bundesfinanzminister. Entschuldigen Sie, wenn ich jetzt ein vielleicht etwas hartes Wort sage. Aber ich bin überzeugt, wenn wir dahin kämen, fänden die Bestimmungen für den deutschen sozialen Wohnungsbau auch auf einen Großteil der Angehörigen der Besatzungsmächte Anwendung.
Es hört sich doch seltsam an — wenigstens für mich —, wenn gesagt wird, daß wir alle gemeinsam in einem Schiff untergebracht sind und mit diesem Schiff gemeinsam fahren sollen; wir haben jedoch das Gefühl, daß wir allein das Zwischendeck bewohnen dürfen,
und die anderen dürfen die Luxuskabinen für sich in Anspruch nehmen.
Wir verlangen weiter, daß Häuser, bei denen Umbauten durchgeführt und die von oben nach unten umgekehrt wurden, ihrer Zweckbestimmung zugeführt werden, wenn dies der Eigentümer bei Übernahme seines Eigentums verlangt. Denn Einbauten, die das Haus so verändern, bringen doch für den Eigentümer eine Belastung mit sich und verursachen Mehrkosten für die Bewirtschaftung, und man kann nicht verlangen, daß sie der Eigentümer trägt.
Hotels sind freizugeben mit Ausnahme derer, die dauernd voll belegt sind. Es ist ein Skandal, das Hotels beschlagnahmt sind — wir können Ihnen das bei Hunderten von Hotels nachweisen —, in denen höchstens einige Zimmer besetzt sind. Damit wird nicht nur notwendiger Hotelraum entzogen, sondern es entstehen der öffentlichen Hand Quartierleistungskosten, die vermeidbar wären.
Dieser ganze Fragenkomplex hätte über ein Bundesleistungsgesetz geregelt werden können. Darin wäre ein rechtsstaatlichen Gesichtspunkten entsprechendes Verfahren festzulegen, kurzer Rechtsweg, volle Entschädigung, rasche Erledigung.
Das Bundesfinanzministerium glaubt, durch das Besatzungsstatut gehandicapt zu sein, und verschanzt sich hinter das Gesetz Nr. 47. Nun, meine Herren und Damen, der US-Hochkommissar ist anderer Meinung. Hier sind Zwiespältigkeiten aufgekommen, und wir möchten gern wissen, an wen wir uns eigentlich zu halten haben. Der US-Hochkommissar schreibt unter dem 24. Juli 1953, das Gesetz Nr. 47 setze nur das Ausmaß der Schadensabgeltung fest, soweit sie auf Rechnung der Besatzungsstreitkräfte aus dem Bundesbesatzungskosten- und Auftragsausgabenhaushalt zu bezahlen ist. Das Gesetz Nr. 47 hindere die Bundesbehörden oder den Bundestag nicht daran, zusätzliche Entschädigungen auf Rechnung der Bundesrepublik aus anderen Etatmitteln zu gewähren.
Das klingt doch wesentlich anders als das, was wir vom Herrn Bundesfinanzminister hören. Die Bundesregierung hat es meiner Meinung nach nicht nötig, Genehmigungen abzuwarten. Wer hätte es ihr denn verwehren können, dem Bundestag ein Gesetz vorzulegen, das ihr die Möglichkeit gab, dort zu handeln, sich den Besatzungsmächten zu substituieren, wenn sie glaubte, daß es nicht mit Recht und Billigkeit zuginge und sie sich nicht entsprechend verhielten. Keine Macht hätte es wagen können, gegen ein vom Bundestag beschlossenes Gesetz ein Veto einzulegen. Das hätte aber vorausgesetzt, daß die Bundesregierung die sachliche Erledigung eines brennenden Problems vor die Bestrebungen der örtlichen Organe gestellt hätte, daß sie also bereit gewesen wäre, alle freundschaftlichen Überlegungen zurückzudrängen und zuerst einmal für die Durchsetzung des Rechts zu sorgen, das die deutschen Staatsbürger beanspruchen.
Weiteres Unrecht ist an den etwa 10 000 entlassenen Arbeitnehmern der IG-Farben wiedergutzumachen. Diese Entlassenen entbehrten jeglichen Rechtsschutzes, auch des arbeitsrechtlichen. Ich weiß nicht, was sich die Gewerkschaften bei den Beratungen im Entflechtungsausschuß gedacht haben, als sie dieses Unrecht zuließen.
Das traurigste Kapitel aber dürfte doch wohl das der Personenschäden sein. In der britischen und französischen Zone werden auch deutsche Richter zur Mitentscheidung herangezogen. In der amerikanischen Zone liegt die Entscheidung allein bei den zuständigen Heeresdienststellen. Beim Claims Office, das in München gastiert, werden nach unserem Rechtsempfinden oft unverständliche Urteile gefällt. Bis Auszahlungen von Entschädigungen genehmigt werden, entstehen oft solche zeitlichen Spannen, daß man nicht mehr von einer fairen und sauberen Regelung sprechen kann. Wir fordern genau die gleiche Regelung wie in der britischen und französischen Zone.
Die Schreiben, die vorn Bundesfinanzminister an den Fünfer-Ausschuß gehen, sind nicht immer objektiv. Wir haben ein Schreiben unter dem 26. Januar bekommen, worin sich der Herr Finanzminister auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe versteift. Ich möchte dazu sagen, daß sich der Herr Finanzminister in seiner Annahme irrt. Der sogenannte Aufopferungsanspruch und damit auch der Anspruch gegenüber der Bundesrepublik wird als Moralgesetz in allen Kulturstaaten anerkannt. Wir können hier das Gutachten von Professor Grewe, der für Sie kein unbekannter Mann sein dürfte, und viele andere Gutachten hervorheben, um Ihnen klarzumachen, daß in dieser Angelegenheit genau unsere Meinung vertreten wird. Sobald ein Schadensanspruch angemeldet
wird, wird er in den Staaten, die sich Rechtsstaat nennen, auch geprüft. Das ist bei uns nicht der Fall.
Im dritten Abschnitt Ihres Schreibens, Herr Bundesminister, befinden Sie sich, wie ich glaube, auch mit der Auffassung eines Teils Ihrer Fraktionsmitglieder in Widerspruch. Sie schreiben dort:
Ein Anspruch könnte auch nicht auf die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze über den Aufopferungsanspruch gestützt werden, da ein solcher Anspruch dann nicht gegeben ist, wenn das Opfer nicht von dem eigenen Staat gefordert und nicht zu dessen Gunsten erbracht wird, sondern von der Besatzungsmacht verlangt wird und ihren Interessen dient.
Der Herr Bundesfinanzminister verweist auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Lassen Sie mich dazu folgendes sagen. Die Opfer sind zwar nicht vom eigenen Staat gefordert, aber doch ganz zweifelsfrei zu seinen Gunsten erbracht. Der Staat hat die Aufgabe, die Besatzungsstreitkräfte unterzubringen und zu versorgen. Wegen seines Unvermögens, diese Aufgabe zu erfüllen, muß ein bestimmter Kreis betroffener Bürger aus ihrem Privateigentum Vorleistungen erbringen für diese Staatsaufgabe, eine Aufgabe der Allgemeinheit. Deshalb hat der Staat die Pflicht, diese Vorleistungen zu ersetzen.
Noch handgreiflicher wird diese Tatsache durch die schriftliche Erklärung wiederum der Amerikaner von 1951, „daß die Inanspruchnahme von Privateigentum zum Zwecke der Unterbringung und Versorgung der von der Bundesregierung ausdrücklich gewünschten verstärkten Verteidigungsstreitkräfte des Bundes, also für die Landesverteidigung geschehe". Wie kommt der Herr Bundesfinanzminister da zu der Behauptung, die Opfer der Betroffenen würden nicht zugunsten des eigenen Staates erbracht? — Wir würden gern noch einige Fragen zu diesem Schreiben des Herrn Bundesfinanzministers stellen; aber wir werden das im Fünfer-Ausschuß tun.
Ich möchte zum Schluß nur sagen: Wir wissen, daß es der Herr Bundesfinanzminister schwer hat; denn die von mir aufgeworfenen Fragen sind doch zum großen Teil Fragen, die nur sein Kollege, der Herr Außenminister, behandeln und erledigen kann.
Es mag für den Herrn Bundesminister der Finanzen schwer sein, mit einem Ministerkollegen zu rechten, wenn dieser gleichzeitig der Chef des Ganzen ist. Die Fragen dürften nicht zuletzt auch schon deshalb den deutschen Außenminister angehen, weil es darauf ankommt, wie er das Verhältnis zu unseren Mitintegrierten gestaltet und wie er unsere Integrierer von der anderen Seite des großen Teiches davon zu überzeugen vermag, daß Grundrechte nicht verletzt werden dürfen, auch wenn sie unbequem sind.
Wir nehmen für alle Bürger die Charta der Menschenrechte in Anspruch und verlangen für alle Bürger die Rechtssicherheit, die das Grundgesetz garantiert.