Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Fraktion des Gesamtdeutschen Blocks/BHE hat den Änderungsantrag Umdruck 61*) gestellt. Der in Kap. 0602 Tit. 605 für Zuschüsse für gemeinnützige Einrichtungen auf dem Gebiet des Auswanderungswesens eingesetzte Betrag von 207 000 DM soll gesperrt werden.
Gestatten Sie mir, daß ich namens meiner Fraktion zu diesem Antrag und zur Aussiedlungspolitik im allgemeinen folgendes bemerke. Wir sind im Prinzip gegen die staatlich geförderte Auswanderung; und zwar so lange, als nicht alle Möglichkeiten der innerdeutschen Eingliederung und, auf dem Sektor der Landwirtschaft, der innerdeutschen Kolonisation erschöpft sind. Wir geben in diesem Jahr 1954 einschließlich der im Einzelplan 40 eingesetzten Beträge rund 27 Millionen DM für Auswanderungszwecke aus. Wenn man diese Summe auf vier Jahre umrechnet — auch in den vorhergehenden Jahren ist ja für diesen Zweck Beträchtliches ausgegeben worden, und das wird auch im nächsten und übernächsten Jahr der Fall sein —, dann bedeutet das, daß wir in vier Jahren über 100 Millionen DM für die Auswanderung deutscher Menschen, für die Ansetzung deutscher Menschen im Ausland zur Verfügung stellen. Mit diesen Mitteln, die wir in vier Jahren etwa für diese Zwecke ausgeben, könnten wir innerhalb Westdeutschlands über 3000 landlose Bauernfamilien auf Bauernhöfen ansetzen. Ich darf in diesem Zusammenhang daran erinnern, daß der Herr Bundeskanzler in der Regierungserklärung im Oktober vorigen Jahres beim Kapitel „Landwirtschaft" erklärt hat, trotz Intensivierung, Modernisierung und Technisierung der deutschen Landwirtschaft sei es nur möglich, den deutschen Inlandsbedarf an Nahrungsmitteln zu zwei Dritteln aus eigener Produktion zu decken; ein Drittel müsse nach wie vor aus dem Ausland gegen Devisen bezogen werden. Auf der anderen Seite wird unbestritten behauptet, in Deutschland gebe es genügend Landreserven, nämlich zur Zeit — die Zahlen schwanken — zwischen 600 000 und 1,2 Millionen Hektar unbebauten oder unkultivierten Landes. Wir sind der Meinung, bevor man das Hauptaugenmerk bei der Ansiedlung landloser Bauern auf die Auswanderung, auf die Ansetzung im Ausland, in Übersee
*) Siehe Anlage 21 Seite 943 B. richtet, sollte man sich darüber im klaren sein, daß hier in Westdeutschland selber bei dieser Situation ein ausgesprochener Siedlungs- und zum Teil Ernährungsnotstand vorliegt.
Dabei handelt es sich nicht in erster Linie, wie das vielleicht hier und da dargestellt werden mag, um ein soziales Problem, das bei den heimatvertriebenen Bauern oder bei den Flüchtlingsbauern aus der Sowjetzone auftritt, sondern es handelt sich dabei in erster Linie um ein gesamtdeutsches, nationales Anliegen.
Bei der Auswanderung Deutscher in andere Länder müssen nicht nur die Mittel von uns aufgebracht werden, die im Bundeshaushalt dieses Jahres mit insgesamt 27 Millionen DM veranschlagt sind. Es ist errechnet worden, daß jeder voll Arbeitsfähige, der ins Ausland geht, den deutschen Staat und den deutschen Steuerzahler allein durch den Schulbesuch und seine Ausbildung mehrere tausend D-Mark gekostet hat. Das heißt, daß dieses arme Deutschland sozusagen die Ausbildungskosten für jene Menschen übernimmt, die wir bei einer intensiv betriebenen inneren Kolonisation hier ansetzen könnten. Das bedeutet weiter, daß wir die Kosten für die Ausbildung dieser Menschen übernehmen, damit sie uns von den anderen Ländern her nach Jahren vielleicht oder erst in anderen Generationen wirtschaftliche Konkurrenz machen.
Diese Erwägungen bestimmen uns, im Prinzip so lange gegen jede vom Staat geförderte Auswanderung eingestellt zu bleiben, als es noch Möglichkeiten der innerdeutschen Kolonisation und Eingliederung gibt. Wir wollen selbstverständlich dem einzelnen Menschen, der, weil er hier zu lange auf Eingliederung oder Ansetzung warten muß, weil er es nicht mehr aushalten kann, es vorzieht, sich für die Auswanderung zu melden, und sich an dieser Auswanderung beteiligt, keinen Vorwurf machen. Wir meinen aber, daß bei der staatlichen Hilfestellung für solche Vorhaben Vorsorge getroffen werden muß, daß diese Menschen nicht aus einem Elend in ein noch größeres Elend hineinrennen.
Gerade in den letzten Wochen sind in der deutschen Presse vielfach Berichte und Nachrichten über das Versagen der Auswanderungspolitik erschienen, wie sie besonders von der Deutschen Gesellschaft für Siedlung im Ausland betrieben wird. Namhafte Zeitungen wie die „Frankfurter Allgemeine", die „Berliner Morgenpost", „Der Volkswirt", „Der Wiesbadener Kurier", selbstverständlich auch die Blätter der Heimatvertriebenen, der „Ost-West-Kurier", der „Wegweiser für Heimatvertriebene", haben in den letzten Wochen besonders auf den Fall La Serena hingewiesen. Ich habe vor wenigen Wochen Gelegenheit gehabt, mit einem der aus La Serena auf eigene Kosten zurückgekehrten Siedler zu sprechen. Dieser Siedler namens Knobel, der in Marburg an der Lahn wohnt, hat mir erzählt — er hat es im übrigen, soviel ich weiß, auch den Fraktionen des Bundestages schriftlich zugeleitet —, daß er vor etwa eineinhalb Jahren vom St. Raphaels-Verein — der hier wohl von der Degesa, wie diese Gesellschaft abgekürzt genannt wird, für die Anwerbung der Siedler für das Projekt La Serena in Chile mit eingeschaltet war — mit 19 anderen auswanderungslustigen Familien unter Versprechungen angeworben wurde, die, als diese Gruppe von
20 heimatvertriebenen Bauernfamilien drüben in Chile landete, in keiner Weise zu verwirklichen waren.
Wie mir zum Teil nachgewiesen worden ist, ist diesen Auswanderern damals hier in Deutschland erklärt worden, sie würden drüben in Chile bereits gepflügte Felder vorfinden, es würden fertige Häuser, Bewässerungsanlagen dasein, man würde ihnen Saatgut zur Verfügung stellen, und die im Gange befindliche Inflation in Chile würde sich für die Siedler sozusagen positiv und fördernd auswirken. Von den Siedlern, von denen ich in charakterlicher wie fachlicher Hinsicht einen tadellosen Eindruck gewonnen habe, ist erklärt worden, daß nicht eine dieser Zusagen eingetroffen sei. Statt gepflügter Felder seien ihnen verqueckte, versteinte Felder, zum Teil Steinwüsten zur Verfügung gestellt worden. Es seien keine fertigen Häuser dagewesen, und die Kühe, die ihnen versprochen wurden, hätten sie nicht bekommen. Die Fabrik in La Serena, von der es hieß, dort könnten ihre Frauen zusätzlich Geld verdienen, sei überhaupt noch nicht erbaut gewesen. Darüber hinaus wird von diesen Siedlern berichtet — ich behaupte nicht, daß es so sein mag, aber die Zeitungen berichten es, und die Siedler haben es mir gesagt —, daß drüben die Degesa, also die Deutsche Gesellschaft für Siedlung im Ausland, oder ihre Vertreter sich diesen Siedlern gegenüber in einer Art und Weise verhalten hätten, die vielleicht vor 100 Jahren in jenen Breitengraden, wo die Siedlungen angelegt wurden, bei der Behandlung von Menschen üblich war, aber nicht in diesem Jahrhundert und in Europa üblich ist. Mir ist berichtet worden, daß einem Chile-Deutschen, der seit vielen Jahren drüben ansässig ist und sich für diese Auswanderer in ihrer Not eingesetzt hat — den Brief dieses Mannes habe ich selbst gelesen —, von seiten der Degesa gedroht worden sei, er würde seine eigene Existenz gefährden, wenn er sich weiter um die deutschen Siedler kümmere.
Von den Siedlern ist weiter berichtet worden, daß der Vertreter der Degesa in La Serena einem der angesetzten Siedler beispielsweise eine Rechnung über sogenannte Traktorentagwerke vorgelegt habe, auf der 98 Tagwerke verrechnet worden seien, obwohl dieser Siedler, wie alle dort bezeugen wollen, nur 15 Tagewerke in Anspruch genommen habe. Als dieser Siedler sich geweigert habe, die Rechnung anzuerkennen, seien ihm die Unterstützungen solange gesperrt worden, bis er diese Rechnung anerkannte.
Einige dieser Siedler sind nun auf eigene Kosten, indem sie alles, was sie noch besaßen, in Chile verschleuderten, nach Deutschland zurückgekehrt. Die amtlichen oder mehr oder weniger amtlichen Berichte über das Verhalten der Siedler und die Zustände in La Serena besagen eigentlich, daß nicht die Degesa, sondern die Siedler und zum Teil die Inflation in Chile an diesen Zuständen schuld sein sollen.
Ich hatte vor etwa eineinhalb Stunden Gelegenheit, hier mit einem maßgebenden Herrn der Degesa zu sprechen. Ich habe ihm die Dinge genau so, wie ich es hier tue, vorgetragen, und es wurde mir von diesem Herrn eben diese schon in den amtlichen Berichten zum Ausdruck gekommene Gegendarstellung gegeben. Man behauptet dort, nicht die Degesa habe versagt, sondern die Siedler hätten versagt. Ich bin der Meinung: ich und wir können das ja von hier aus nicht beurteilen! Aber Tatsache ist doch eines: daß diese Siedler von der Degesa oder ihren Beauftragten in Deutschland für dieses Vorhaben in La Serena ausgesucht worden sind; und wenn man mir heute sagt, gerade dieser Herr Knobel, der sich an die Fraktionen des Bundestages gewandt hat, sei der Allerunfähigste, und er sei schon deshalb für die Siedlung und für das harte Leben der Neusiedler ungeeignet, weil seine Frau an Zuckerkrankheit leide, so kann ich dazu nur sagen: diese Zuckerkrankheit hätte doch vor anderthalb Jahren hier von den Vertretern der Degesa oder von den Ärzten festgestellt werden können.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir sind der Meinung, — —