Rede von
Dr.
R. Martin
Schmidt
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Meine Damen und Herren, gestatten Sie mir vorweg eine Berichtigung. In Umdruck 33 muß es heißen:
In Kap. 1002 Tit. 615 ist der Ansatz von „10 000 000 DM" auf „40 000 000 DM" zu erhöhen.
Und drei Zeilen weiter:
5. Beihilfen zur Ausmerzung tbc-kranker Kühe 39 770 000 DM.
Meine Damen und Herren! Im bisherigen Tit. 615 waren nur Ausgaben für die Virusgewinnungsanlagen, für die Vorratshaltung von Impfstoffen und für Forschungsaufträge in Höhe von 230 000 DM vorgesehen. Keine Mittel, nicht eine einzige Mark, waren aber für die Bekämpfung der Tuberkulose als Tierseuche veranschlagt. Im Agrarprogramm des Bundeslandwirtschaftsministers Herrn Dr. Lübke nimmt die Qualitätsverbesserung, insbesondere der Milch einen breiten Raum ein. Wir erinnern uns an die Milchdebatte damals — ich glaube, es war im Dezember 1953 —, in der alle Redner darin übereinstimmten, daß das Milchproblem nur durch Mehrverbrauch gelöst werden kann. Dieser Mehrverbrauch ist abhängig von einer wesentlichen Qualitätssteigerung. Diese wiederum ist abhängig in erster Linie von einer Gesundung der Tierbestände.
Auf Grund dieser Erkenntnisse hat der Bundeslandwirtschaftsminister beantragt, 5 Millionen DM für diesen Zweck im Haushalt einzusetzen. Das war ein bescheidener Betrag. Wir wissen, daß das Kabinett die Bewilligung dieser Summe abgelehnt hat. Ich darf das ausdrücklich noch einmal feststellen und damit zum Ausdruck bringen, daß also dieser Teil des Programms des Herrn Lübke vom Kabinett anscheinend abgeschrieben ist.
Nun kann man natürlich verschiedene Einwände gegen Bundesbeiträge erheben. Man kann sagen, das sei Ländersache. Das haben wir genug gehört, auch auf anderen Gebieten. Aber ich mache darauf aufmerksam, daß die Länder bereits heute erhebliche Beträge aufbringen, und zwar schätzungsweise zwischen 10 und 15 Millionen DM. Davon bringt allein das reiche Land Nordrhein-Westfalen 8 Millionen DM aus Haushaltsmitteln auf. Praktisch heißt das, daß die armen Länder kaum Mittel für die Tbc-Bekämpfung aufbringen können. Die Posten, die dort aufgebracht werden, reichen bei weitem nicht aus, um dieses Problem zu lösen.
Man könnte einen anderen Einwand bringen. Man könnte sagen, die Landwirtschaft solle selber mit diesem Problem fertigwerden. Wir müssen zugeben und darüber hinaus sogar anerkennen, daß die Landwirtschaft in den letzten Jahren Erhebliches getan hat, um damit fertigzuwerden. Ich darf darüber hinaus aber auch feststellen, daß es kein Land in der ganzen Welt gibt, das es der Landwirtschaft selbst überlassen hätte, mit der Tbc fertigzuwerden. Überall sind Staatsmittel in einem größerem Umfang eingesetzt worden.
Der Kollege Frühwald hat bei den Beratungen im Haushaltsausschuß 10 Millionen DM beantragt. Diesem Antrag wurde zugestimmt. Nun kommen
*) Siehe Anlage 13 Seite 938. wir mit unserem Antrag, diesen Betrag von 10 auf 40 Millionen DM zu erhöhen. Wie steht es um den Wirkungsgrad dieser 10 Millionen DM? Es gibt im großen und ganzen drei Möglichkeiten, die Tbc-Bekämpfung durchzuführen. Die erste wäre, das gesamte Vermittlungsverfahren auf Staatskosten zu übernehmen, d. h. die Unkosten für die einzusetzenden Hilfstierärzte zu tragen, die Tuberkulinbeschaffung dem Staat und der allgemeinen Öffentlichkeit zu überlassen und auch die allgemeinen Untersuchungskosten zu übernehmen. Diese 10 Millionen DM reichen gerade aus, um eben diese allgemeinen Kosten zu decken. Das ist nicht viel; sie würden praktisch nicht dazu beitragen, daß die Tbc-kranken Kühe ausgemerzt werden. Diese Hilfsmaßnahmen waren bisher Aufgabe der Länder, und ich meine, das sollte auch Aufgabe der Länder bleiben.
Eine zweite Möglichkeit, hier einzugreifen, wäre die Form einer Milchstützung entweder durch Zahlung von einem halben Pfennig oder, wie es auch in einigen Ländern üblich ist, von einem Pfennig je Liter Milch aus Tbc-freien Beständen. Nun, meine Damen und Herren, lassen Sie mich einmal eine kurze Rechnung aufmachen, und zwar zuerst in der allgemeinen Finanzierung. Wir haben im Bundesgebiet zirka 111/2 Millionen Rinder, davon rund 6 Millionen Kühe. Von diesen 111/2 Millionen Rindern sind nach Schätzungen zirka 41/2 Millionen Tbc-krank, von den Kühen sind es zirka über 2 Millionen. Wir haben heute eine Produktion Tbc-freier Milch von zirka 21/2 Millionen Tonnen. Wenn Sie also nur einen Pfennig für die Tbc-freie Milch ausgeben würden, dann brauchten Sie im Jahre 25 Millionen DM. Bei steigender Freimachung von Tbc würden also diese Beträge weiterhin ansteigen. Bei einer Stützung von einem Pfennig je Liter Milch würden Sie aber keinen ausreichenden Anreiz schaffen, daß die Kühe auch wirklich ausgemerzt werden. Darüber sind wir uns wohl alle einig. Erst dann wäre ein Anreiz gegeben, wenn Sie z. B. je Liter Milch fünf Pfennig mehr zahlten. Aber dann würde der Betrag ja auf 125 Millionen DM steigen. Ich glaube, eine solche Ausgabe könnte kaum verantwortet werden.
Ich darf auch einmal eine kleine privatwirtschaftliche Rechnung aufmachen, weil sie nämlich zeigt, daß hier für den Bauern Verluste eintreten, die er kaum allein tragen kann. Nehmen wir einmal an, ein Bauer habe sechs Kühe, davon würden drei als Tbc-krank festgestellt. Wenn er seinen Stall vollkommen Tbc-frei machen würde d. h. er würde drei ausmerzen und drei neue dafür anschaffen —, dann bekäme er im Jahre bei einem Stützungspreis von einem Pfennig je Liter rund 150 DM mehr. Das ist also der effektive Gewinn. Auf der anderen Seite steht aber ein Barverlust von rund 1500 DM. Ich frage mich, ob er bei einem Stützungspreis von einem Pfennig freiwillig zur Ausmerzung seiner Tbc-kranken Tiere schritte. Ich glaube kaum. Wir stellen also fest, daß dieser eine Pfennig kein effektiver Anreiz ist.
Nach meiner Ansicht gibt es eine dritte, eine wirksame Möglichkeit, unsere Tierbestände gesund zu machen, und zwar in Form von Ausmerzungsbeihilfen. Es gibt zwei oder drei Länder in unserer Bundesrepublik, die bereits heute solche Zuschüsse von 50 bis 100 DM je Tier zahlen. Aber die Wirkung ist nicht die, die man dabei im allgemeinen erwartet. Wir müssen zu einer Entschädigung kommen, die mindestens die Hälfte des Barverlustes deckt. Das wäre, sagen wir, im Schnitt der Tiere 200 bis 250 DM. Ich glaube, diese Summe dürfte
wohl als richtig anzusehen sein. Mit den 10 Millionen DM, die jetzt im Haushalt stehen, könnte man also im Jahre 40- bis 50 000 Tbc-kranke Rinder ausmerzen. Das wären rund 2 % aller Tbc-Kühe. Wir brauchten also mindestens 20 bis 30 Jahre, um mit dem Problem fertigzuwerden.
Aus diesem Grunde, um schneller fertig zu werden, haben wir beantragt, den Ansatz auf 40 Millionen DM zu erhöhen, insbesondere zur direkten Ausmerzung. Wir würden also in der Lage sein, in jedem Jahr 160 000 bis 200 000 Tiere auszumerzen, und wir hätten die Gewähr, daß wir auf diese Art und Weise in acht bis zehn Jahren den Gesamtrindviehbestand Tbc-frei hätten. Der Einwand, daß man diese 160 000 bis 200 000 Tiere nicht ersetzen könne, sticht nicht. Umfragen haben ergeben, daß die Züchterverbände durchaus in der Lage wären, den Bestand auf die vorgesehene Zahl zu ergänzen.
Gestatten Sie mir zum Schluß noch einen Hinweis auf die Leistungen anderer Länder. Ich habe mir z. B. sagen lassen, daß das kleine Holland in .einem Fünfjahresprogramm 100 Millionen Gulden aufbringt. Entsprechend unserer Größe, der Zahl unserer Tiere und dem Verseuchungsgrad müßten wir doch mindestens das Fünffache des Betrages aufwenden. Ich glaube, unsere Forderung nach 40 Millionen DM ist außerordentlich bescheiden. Aus diesem Grunde und um der Wichtigkeit des Problems willen möchte ich Sie bitten, unserem Antrag zuzustimmen.