Rede von
Helmut
Schmidt
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die ausführliche, große Verkehrsdebatte vom Februar enthebt uns der Notwendigkeit, heute und an dieser Stelle abermals die Verkehrspolitik des Bundesverkehrsministeriums ausführlich zu würdigen. Ich darf aber vielleicht mit zwei oder drei Sätzen in die Erinnerung zurückrufen, daß damals die Opposition und die CDU/CSU-Fraktion sich in der Frage einig waren, was denn eigentlich das Ziel dieser Verkehrspolitik sei, und daß sie nicht nur in dieser besorgten Frage einig waren, sondern auch in der Beurteilung der bisherigen Verkehrspolitik der Bundesregierung. Denn wenn z. B. die Interpellation der CDU/CSU-Fraktion mit folgenden Worten anfing: „Welche Linie gedenkt die Bundesregierung einzuschlagen?", dann wurde daraus ja doch wohl deutlich, daß bisher eine Linie überhaupt nicht erkennbar gewesen sei.
Auch in der damals zum Ausdruck gekommenen Skepsis in bezug auf die zukünftige Verkehrspolitik war sich dieses Hohe Haus ziemlich einig, und auch die ganze deutsche Presse war, wie sich am folgenden Tage zeigte, mit uns darin einig. Ich brauche deswegen also auf Einzelheiten nicht mehr zurückzukommen.
Heute ist dem, was damals an Skepsis gegenüber der unzureichenden Verkehrspolitik zum Ausdruck kam, die Feststellung hinzuzufügen, daß auch der Verkehrshaushalt als solcher unzureichend ist. Ich gebe dem Herrn Kollegen Gengler, der hier gestern für die CDU/CSU darüber gesprochen hat, vollkommen recht: die in den Bundeshaushalt eingestellten Mittel für die Deutsche Bundesbahn und für den Straßenbau sind absolut unzureichend. Ich habe mit Schmerzen eben gehört, meine Herren von der Koalition, daß Sie den Antrag bezüglich der betriebsfremden Lasten der Eisenbahn ablehnen wollen, weil der Haushalt eine Deckung nicht zulasse. Ich lese nun immer in verklausulierten Andeutungen der Presse, die aus dem Hause des Herrn Bundesverkehrsministers stammen, daß das Kabinett sich. den Kopf darüber zerbricht, daß die betriebsfremden Lasten abgenommen werden müßten und daß das auch irgendwie in diesem Jahr geschehen müsse. Also gibt es doch offenbar irgendwelche Deckungsmöglichkeiten, über die man sich nur noch nicht recht klar ist.
Man zerbricht sich, scheint mir, den Kopf über diese Dinge ein wenig lange. Der Entwurf eines Verkehrsfinanzgesetzes, von dem wir lesen, den wir aber immer noch nicht kennen, scheint mir dafür zu sprechen, daß man endlich auch auf diesem Gebiet ernsthaft etwas tun will, wenngleich etwas reichlich spät.
Ich habe den Eindruck, daß die Debatte über diese Dinge fortgeführt werden sollte, wenn das Verkehrsfinanzgesetz und das Straßenentlastungsgesetz, von dem Herrn Minister Seebohm spricht, dem Hohen Hause vorgelegt werden; wir sollten heute vielleicht die Debatte nicht vertiefen. Allerdings, Herr Bundesverkehrsminister, habe ich den Eindruck, daß, während Sie in schwierigen Verhandlungen mit dem Kabinett und in noch schwierigeren Verhandlungen mit den Interessenten aus Verkehr und Wirtschaft stehen, bei Ihnen zu Hause die Bürokraten etwas auf dem Tische herumtanzen. Ich lese heute morgen in der Presse, daß im gesamten Bundesgebiet die Telefonapparate der Gendarmeriestationen an den Autobahnen von den direkten Autobahn-Fernsprechleitungen abgetrennt worden seien.
Hier beschwert sich ein Kommissar einer Verkehrspolizeistation und sagt: Die Gendarmerietelephone an der Autobahn können von den Unfallfernsprechern der Autobahn in Zukunft nicht mehr erreicht werden,
und er erklärt dann, daß irgendwelche Beamte in Ihrem Hause auf einen bisher gesetzwidrigen Zustand aufmerksam geworden seien und diese Abtrennung veranlaßt hätten.
Ich nehme an, Sie bringen das sehr schnell wieder in Ordnung; denn Sie wollen j a mit den Maßnahmen Ihres Hauses den Autobahnmördern keinen Vorschub leisten,
sondern die sollen ja schnell ergriffen werden, und wenn Unfälle geschehen, dann ist das Telephon ja dazu da, den Unfallwagen und die Polizei schnell herbeizurufen. Ich erwähne das alles nur, weil ich das Gefühl habe, daß es in Ihrem Hause im Augenblick etwas drunter und drüber geht.
Aber neben den Fragen des Binnenverkehrs, Herr Minister Seebohm, des Straßen-, des Eisenbahn- und des Binnenschiffsverkehrs, ressortieren in Ihrem Hause ja auch die Seeschiffahrt und die Luftfahrt. Sie haben hier gestern Ausführungen über die Weiterführung des Wiederaufbaus der Seeschiffahrt und ihre Finanzierung gemacht, die sicherlich an der Küste mit Aufmerksamkeit registriert worden sind. Ich möchte mich darauf beschränken, zu sagen: Wir haben diese Ausführungen zur Kenntnis genommen. Wir behalten uns vor, darauf sehr ausführlich zurückzukommen, wenn im Zusammenhang mit der Steuerreform die Frage der Schiffahrtfinanzierung, aufgehängt an dem § 7 d, hier entschieden werden muß.
Worüber in dieser ganzen Verkehrsdebatte im Sinne einer Vertiefung der Probleme wenig gesprochen worden ist, das ist das letzte Gebiet, das in Ihrem Hause behandelt wird, nämlich die Luftfahrt. Hier haben zwar einige Kollegen außerordentlich sachverständig anmutende Bemerkungen über die luftfahrtpolitischen Probleme gemacht; aber ich habe nicht den Eindruck, daß wir dabei an den Kern der gegenwärtig vorliegenden Probleme vorgedrungen sind.
Ich darf vorweg sagen: wir sind grundsätzlich der Auffassung, daß der Wiederaufbau der deutschen Zivilluftfahrt notwendig ist, und Sie wissen, Herr Minister, wie stark ich persönlich an diesen Dingen Interesse genommen habe. Ich habe aber den Eindruck, daß der Wiederaufbau der Zivilluftfahrt in den letzten Monaten, sagen wir, in eine in gewisser Weise zwielichtige Situation geraten ist. Sie haben die große Schwierigkeit, daß Sie immer noch keine Freigabe für die deutsche Zivilluftfahrt erreicht haben oder erreichen wollten — das kann ich nicht übersehen — und daß auf der andern Seite nunmehr die Flugzeuge zur Ablieferung gelangen, die — wie ich glaube — mit Recht von Ihnen frühzeitig in den USA bestellt worden sind. Es ist nun die Frage, was geschehen soll.
Sie haben im Zusammenhang mit diesem Problem jüngst einen Auslandsbesuch gemacht, um Verhandlungen zu führen, die diese Frage betreffen. Ich lese da in einem Pressedienst, der sich „Briefe zur Verkehrspolitik" nennt und der Ihnen offenbar außerordentlich nahesteht, über Ihre englischen Verhandlungen, Herr Minister, folgende Bemerkung — ich darf wohl einen einzigen Satz zitieren, Herr Präsident —:
Der Englandbesuch des Bundesverkehrsministers gehört zu den erfolgreichsten Auslandsreisen, die von einem Bonner Kabinettsmitglied bisher durchgeführt wurden.
Da möchte ich fragen, ob das der Führer weiß!
Aber ich will mir gar kein persönliches Urteil über die Bedeutung dieser Auslandsreise und dieser Verhandlungen anmaßen, und ich habe natürlich auch ein gewisses psychologisches Verständnis dafür, daß jemand, der wegen seiner Binnenverkehrspolitik innerhalb Deutschlands in diesem Hause und in der Presse eine solche Kette von Prestigeverlusten hinnehmen mußte, dafür im Ausland Kompensationsobjekte suchen möchte.
Was ich aber gern wissen möchte, ist, was dort eigentlich verhandelt worden ist. In dem genannten Pressedienst heißt es nämlich weiter, es sei eine Reihe sehr konstruktiver Absprachen getroffen worden. Nun, ich habe auch einen zweiten Pressedienst darüber gelesen, der Ihnen, Herr Minister, etwas weniger nahezustehen scheint. In diesem Pressedienst — ich darf wohl auch das vorlesen, Herr Präsident — ist die Rede davon, daß Sie bei Ihrer Anwesenheit in London auf einem Essen der Royal Air Force eine Rede gehalten hätten.
— Ich lüge hier nicht, ich zitiere nur aus dem Pressedienst; er nennt sich „Luftfahrt-Pressedienst", wird herausgegeben von einem Ihnen sehr gut bekannten Herrn Jenkiewicz und ist sehr angesehen als Fachpressedienst auf diesem Gebiet. Aber ich bin begierig, zu hören, daß es sich anders verhalten hat, als der Mann hier schreibt. Ich zitiere zunächst einmal: Sie hätten eine Rede gehalten, und der „Daily Express" habe über diese Rede am nächsten Tag berichtet, daß die deutsche Zivilluftfahrt unter der Leitung der Engländer ihren Start und Beginn nehmen werde. Daran knüpft dieser durchaus sachverständig anmutende Bericht einen längeren Kommentar, und er endet mit der Feststellung, es sei wohl weniger der Inhalt des Abkommens selbst als seine geheimnisvolle Behandlung und der Zeitpunkt seines Abschlusses, die hier fragwürdig seien; die Fragen müßten rasch, offen und gründlich beantwortet werden, um das in der ganzen Welt der neuen deutschen Lufthansa entgegengebrachte Goodwill nicht zu verletzen. Diesen letzten Satz möchte ich persönlich sehr deutlich unterstreichen.
Ich möchte fragen: was ist dort nun eigentlich verhandelt worden? Ich könnte mir denken, Herr Minister, daß es zweckmäßig wäre, dieses Problem nicht in aller Deutlichkeit hier im Plenum im Augenblick zu vertiefen. Aber ich möchte dann doch erwarten, daß nun wirklich einmal in Bälde und in Gründlichkeit im Verkehrsausschuß oder an anderer geeigneter Stelle uns eindeutiger Aufschluß gegeben wird über die letzte Entwicklung auf dem Gebiet der Luftverkehrspolitik. So sehr ich mit meinen Herren Vorrednern der Meinung bin, daß der Besuch in Zürich eine nützliche und lehrreiche Sache war, so sehr, meine Herren Kollegen, muß ich doch darauf hinweisen, daß dort die eigentlich aktuellen Probleme der deutschen Luftverkehrspolitik nicht berührt worden sind, und Sie geben sich Täuschungen hin, wenn Sie glauben, nunmehr einen Überblick über das zu haben, was los ist und was heute notwendig ist.
Nach diesem kleinen Abstecher in die Luft darf ich zum Schluß kommen.
— Herr Schmidt-Wittmack, es haben so viele Ihrer Herren Kollegen gleichzeitig gesprochen, ich habe Sie nicht verstehen können; wenn Sie noch einmal wiederholen könnten, was Sie gesagt haben, will ich darauf antworten.
— Eine Luftblase, das glaube ich auch, und zwar diese englische Reise des Herrn Verkehrsministers war eine Luftblase.
Meine Damen und Herren, wir hoffen, daß die Aschenbrödelrolle, die die Verkehrspolitik seit Jahr und Tag im Bundeskabinett gespielt hat, langsam zu Ende geht, und wir hoffen, daß sich das Kabinett der drängenden verkehrspolitischen Probleme sorgfältiger und eingehender annimmt, als das in den vergangenen Jahren der Fall war. Wir glauben, für eine solche positive Entwicklung sogar gewisse Anzeichen erkennen zu können. Es geschehen also Zeichen, wenngleich sicherlich keine Wunder.
An dieser Stelle möchte ich einfügen, daß mir der Herr Bundesverkehrsminister vor wenigen
Tagen als Antwort auf einen Artikel, den ich irgendwo geschrieben hatte, telegraphisch mitgeteilt hat, er sei kein Chinese — ich habe das übrigens auch nicht angenommen —
und er habe sein Gesicht weder zu behalten noch zu verlieren — darüber will ich nicht streiten —,
sondern er trage es stets mit demselben Gleichmut durchs Leben. Nun, ich hoffe, daß Sie sich selber nie Lügen strafen, was den Gleichmut angeht, Herr Minister Seebohm.
Aber ich muß jetzt leider doch annehmen, daß Sie in Ihrem Gleichmut nicht erschüttert werden, wenn ich Ihnen namens meiner Fraktion abermals mitteilen muß, daß wir Ihrer Verkehrspolitik insgesamt mit den größten Sorgen entgegensehen und daß wir abermals leider keine Möglichkeit erblikken, Ihrem Verkehrshaushalt zuzustimmen.