Rede von
Dr.
Ernst
Schellenberg
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es wurde heute vormittag hier sehr über die Frage gestritten: Durchführung durch Berufsgenossenschaften oder durch Finanzämter? Meine Fraktion sieht das nicht vom Verwaltungsstandpunkt, sondern ausschließlich unter sozialpolitischen Gesichtspunkten an. Wir haben gegen die Lösung mit den Berufsgenossenschaften deshalb starke Bedenken, weil nach Mitteilung der Sachverständigen im Ausschuß insbesondere von den Betrieben des Handels heute nur ein kleinerer Teil durch die Berufsgenossenschaften erfaßt wird.
Ich stütze mich auf das Material, das im Sozialpolitischen Ausschuß durch Vertreter des Herrn Bundesarbeitsministers vorgelegt worden ist. Danach sind bei den Berufsgenossenschaften heute 363 000 Einzelhandelsbetriebe versichert und er-
faßt. Nach Mitteilung der Sachverständigen gibt es aber über 800 000 derartige Betriebe.
Noch ein Zweites. Nach der Aufstellung des Bundesarbeitsministeriums sind im Rahmen der Berufsgenossenschaften von allen Handels-, Handwerks- und Industriebetrieben insgesamt rund 1 268 000 erfaßt. Aber nach der Berufsstatistik von 1950 gibt es rund 2 738 000 derartige Betriebe, so daß also eine Lücke für 1,5 Millionen Selbständige besteht. Da ist ein Grund für unser sozialpolitisches Bedenken gegen die Konzeption bezüglich der Berufsgenossenschaften.
Nun noch ein Wort zu der Frage der Finanzämter, gegen die sich Herr Kollege Winkelheide so stark gewandt hat. In Ihrem eigenen Gesetzentwurf, Herr Kollege Winkelheide, in § 21 Abs. 3, sehen auch Sie die Wahrnehmung von Verwaltungsaufgaben bezüglich der Kinderbeihilfen durch die Finanzämter vor, nämlich bei der Antragstellung für Selbständige. Also auch Sie sind offenbar der Auffassung, daß die Finanzämter bei der Durchführung der Kinderbeihilfen nützliche Dienste leisten können.
Sehr enttäuscht bin ich, das muß ich sagen, über das, was der Herr Kollege Horn und der Herr Kollege Winkelheide über die Fragen der Finanzierung gesagt haben, und zwar deshalb — ich darf in dieser Hinsicht ein offenes Wort sprechen —, weil ihre Ausführungen meines Erachtens nicht von dem Bemühen getragen waren, einen Weg zur Beschaffung der Mittel für Zahlung von Kinderbeihilfen vom zweiten Kinde an zu finden. Sie haben die verschiedenen Wege, die ich zur Diskussion gestellt habe, die Frage, ob eine Möglichkeit besteht, etwa bei der Finanzierung die Steuerklasse III zu berücksichtigen, überhaupt nicht erwähnt; sie haben die Anregung, für die Berufslosen einen Weg über eine gewisse Mitfinanzierung von Trägern der Sozialversicherung zu suchen, nicht erwähnt; sie haben andere Möglichkeiten, die in der Luft liegen, beispielsweise die Empfänger höherer Gehälter in irgendeiner Weise an der Mittelaufbringung zu beteiligen, nicht erwähnt; sie haben noch nicht einmal das erwähnt, was uns der Vertreter des Wirtschaftsministeriums im Sozialpolitischen Ausschuß erklärt hat, daß nämlich die Belastung des Etats, der Steuer, zu einem Teil durch eine Konsumsteigerung im Zusammenhang mit der Umsatzsteuer ausgeglichen werde.
Alle diese Momente, meine Damen und Herren von der CDU, haben Sie nicht erwähnt, sondern Ihre Ausführungen in bezug auf die Frage der Finanzierung waren, ich muß das sagen, vom Geiste der Verneinung getragen, vielleicht deshalb, weil Sie zu stark an Ihrer „klassischen" Konzeption vom dritten Kinde hängen.
— Herr Kollege Winkelheide, gerade darüber ein Wort! Sie sagen, die Lösung vom dritten Kinde sei klassisch, und Sie haben versucht, das damit zu begründen, daß die Mehrbelastungen bei einer Familie erst vom dritten Kinde an besonders in Erscheinung träten.
— Herr Kollege Winkelheide, das ist in keiner Weise von irgendeiner Stelle bewiesen worden;
Sie haben nur wiederholt, was Herr Höffner auch unbewiesen gesagt hat. Ebensogut kann man sich auf den Standpunkt stellen, daß mit dem ersten Kind in der Familie besondere Belastungen entstehen.
Ihre Argumentation, Herr Kollege Winkelheide, scheint mir in dieser Hinsicht weniger vom Grundsätzlichen als von der finanziellen Seite her getragen zu sein.
Sie haben sich hierzu, Herr Kollege Winkelheide, auch in einer Ausschußberatung am 12. Dezember 1952 geäußert. Es heißt im Protokoll:
Abg. Winkelheide betont, daß der Antrag . . . bereits im Ausschuß modifiziert werden müsse. Wegen der finanziellen Belastung könne jedoch erst eine Beihilfe vom dritten Kinde an in Frage kommen.
Das ist der entscheidende Gesichtspunkt bei Ihnen, und nicht die moralischen und volkswirtschaftlichen Zusammenhänge.
Nun noch ein letztes Wort! Meine Damen und Herren von den Regierungsparteien, ich möchte Ihnen einmal eine Stelle aus der Regierungserklärung des Herrn Bundeskanzlers vorlesen. Der Herr Bundeskanzler hat am 20. Oktober 1953 laut Protokoll wörtlich erklärt:
in welcher Weise den Familien durch Gewährung von Kinderbeihilfen ein gewisser Ausgleich für die besonderen finanziellen Lasten zu gewähren ist, die die Bildung und Vergrößerung der Familie mit sich bringt, ...
Da die Bildung der Familie aber in der Regel nicht erst beim dritten Kinde, sondern vor dem ersten Kinde beginnt, müßten Sie von der CDU eigentlich der Auffassung sein, daß der Herr Bundeskanzler in diesem Punkte stärker bei der SPD als bei Ihnen steht.