Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Nach eingehendem Studium des Gesetzentwurfs der CDU über die Gewährung von Kindergeld bzw. die Errichtung von Familienausgleichskassen muß meine Fraktion mit großem Bedauern feststellen, daß die CDU für die Organisation wiederum die Konzeption wie bei ihrem Gesetzentwurf in der ersten Legislaturperiode gewählt hat. Obwohl man doch seinerzeit in dem Unterausschuß für Kinderbeihilfen sehr eingehende Überlegungen darüber angestellt hatte, wie die Schwierigkeiten vermieden werden können, die ein System mit so vielen Ausgleichskassen — es sind ja 55 an der Zahl — infolge der unterschiedlichen Leistungsfähigkeit der Berufsgruppen mit sich bringt, sieht der CDU-Entwurf für die Durchführung des Gesetzes über die Kinderbeihilfen wiederum die Berufsgenossenschaften vor. Ich möchte daran erinnern, daß es die Vertreter von Berufsgenossenschaften selbst waren, die ihre Bedenken dagegen sehr deutlich ausgesprochen haben.
Der Grundfehler im CDU-Entwurf scheint mir zu sein, daß nicht vom Kinde und von der Familie ausgegangen wird, sondern daß nach einem unfallversicherungs-technischen System verfahren werden soll.
Die sozialpolitischen Notwendigkeiten sind gegenüber der Verwaltungstechnik völlig in den Hintergrund gedrängt.
Nach dem Gesetzentwurf der CDU/CSU-Fraktion soll außer den Familienausgleichskassen bei den Berufsgenossenschaften noch ein Gesamtverband aller Familienausgleichskassen insbesondere auch wohl für die Selbständigen geschaffen werden. Warum nun, möchte ich fragen, meine Herren und Damen, wiederum einen Unterschied machen zwischen den Arbeitnehmern und den Selbständigen?
Es handelt sich doch hierbei um die Betreuung der Kinder aller kinderreichen Familien!
— Schön! Wenn Sie das jetzt behaupten, müssen wir es in den Ausschußberatungen an Hand Ihres Entwurfs einmal nachprüfen.
Aus Erklärungen der Vertreter des Handwerks, des Handels und der Landwirtschaft ist doch auch Ihnen, genau wie uns, sehr wohl bekannt, daß diese Gruppen nicht in der Lage sind, aus eigener Kraft die erforderlichen Mittel aufzubringen. Vielmehr wurde dort immer sehr klar die Auffassung vertreten, daß die öffentliche Hand dazu herangezogen werden soll.
Nun haben Sie, Herr Kollege Winkelheide, und auch Sie, Herr Kollege Horn, hier behauptet, für die Errichtung der Familienausgleichskassen durch die Berufsgenossenschaften sei kein besonderer Verwaltungsapparat erforderlich. Meine Herren und Damen, das entspricht doch wirklich nicht den Tatsachen.
Vielmehr müssen die Berufsgenossenschaften ihren Verwaltungsapparat für die Durchführung dieser Aufgaben sehr wesentlich vergrößern.
Das wurde doch schon vor Jahren offenbar, als —
entschuldigen Sie, meine Herren und Damen von
der CDU, wenn ich das hier einmal offen ausspreche — erstmals diese komische Idee der Übertragung an die Berufsgenossenschaften bei Ihnen auftauchte. Es ist kein Geheimnis geblieben, daß man schon damals einigen Berufsgenossenschaften empfohlen hatte, bei Errichtung von neuen Verwaltungsgebäuden einige weitere Stockwerke für die Durchführung dieser Aufgaben zu reservieren.
Das kann ja auch gar nicht anders sein; denn irgendwo und irgendwie müssen die Unterlagen für die Kinderbeihilfen doch geführt werden.
— Nachdem Sie, Herr Kollege Winkelheide, nach Ihrem CDU-Entwurf sich nicht der Finanzämter, bei denen die notwendigen Unterlagen schon an Hand der Steuerkarten gegeben sind, bedienen wollen, müssen wir zu der von mir eben dargelegten Auffassung kommen.
Der verwaltungstechnische Apparat nach dem CDU-Gesetzentwurf wird aber außerdem noch dadurch beträchtlich vergrößert, daß bei einem Arbeitsplatzwechsel nicht nur die An- und Abmeldungen erforderlich sind, sondern darüber hinaus auch eine andere als die bisherige Berufsgenossenschaft in Frage kommen kann. Die Karteien sind dann also laufend zu ergänzen. Dabei werden sicherlich Überschneidungen gar nicht zu vermeiden sein, ganz abgesehen von dem umständlichen Verfahren.
Zweifellos erfordert also das System der Kassen für Familienausgleich über die Berufsgenossenschaften größere Verwaltungskosten. Dafür jedoch hat, des dürfen Sie sicher sein — wenigstens ich bin es —, die breite Öffentlichkeit kein Verständnis, zumal wenn sie weiß, daß es einen kostensparenden Weg gibt, nämlich ähnlich wie bei den Rentenzahlungen, so wie es im SPD-Gesetzentwurf vorgesehen ist, das heißt, die Anmeldung über die Gemeindebehörden und der Beitragseinzug sowie die Leistungsregelung über die Finanzämter.
Warum wollen Sie denn diesen klaren und kostensparenden Weg nicht mit uns gehen, der doch von weiten Kreisen in der Öffentlichkeit sowohl als auch in den früheren Ausschußberatungen des ersten Bundestages als der gegebene und einfache Weg anerkannt worden ist? Mir scheint, meine Herren und Damen von der CDU/CSU, bei Ihrem Gesetzentwurf hat immer wieder einmal der eine Gedanke Pate gestanden: Warum es denn einfach machen, wenn's auch kompliziert geht?
Gestatten Sie mir noch ein Wort vorweg zur Frage der Gewährung von Kinderbeihilfen an die Landwirtschaft. Was die Einbeziehung dieser Kinder in dieses Gesetzeswerk betrifft, so gehen wir mit Ihnen voll und ganz einig. Wir sind auch damit einverstanden, daß nur ein Teil der erforderlichen Beträge für die Kinder in der Landwirtschaft von dieser selbst aufzubringen ist. Die SPD-Fraktion hat jedoch ernste Bedenken gegen die in § 9 Ihres Gesetzentwurfs vorgesehene Regelung, wonach die Aufbringung der restlichen Mittel auf andere Betriebe einschließlich der Kleinhandwerker und Kleinhandelsbetriebe abgewälzt werden soll. Wir erkennen gleich Ihnen die Tatsache an, daß bei der Landwirtschaft, wie bereits dargelegt, schwierigere
Verhältnisse vorhanden sind. Wir Sozialdemokraten sind aber der Auffassung, daß die dort fehlenden Mittel durch den Bund aufgebracht werden müssen, so wie es im SPD-Gesetzentwurf für die Landwirtschaft und alle anderen Gewerbetreibenden, für die Handwerker und die freien Berufe ohne Zweifel richtiger und günstiger geregelt ist; mein Kollege Schellenberg hat das bereits ausführlich vorgetragen.
Ich möchte in diesem Zusammenhang einmal daran erinnern, daß der Herr Bundeskanzler selbst es war, der in seiner Regierungserklärung nach dem 6. September vorigen Jahres unter anderem sagte, daß er die Kaufkraft der unteren Einkommensschichten erhöhen wolle. Nun, es gibt sehr wesentliche Gruppen in unserer Bevölkerung, deren Kaufkraft dringend einer Erhöhung bedarf. Es handelt sich vor allen Dingen um jene Familien, deren Einkommen eben nicht für vier Köpfe ausreicht, auch wenn der Herr Abgeordnete Horn erklärt hat, daß die Tarifverträge auf diese Kopfzahl einer Familie abgestellt seien.
Sie wissen sehr wohl, meine Herren und Damen, daß in vielen Familien das Einkommen einfach nicht für vier Köpfe reicht, und gerade für diese Familien muß doch die Kaufkraft erhöht werden. Wenn Sie also hier immer wieder betonen, daß Sie familienfreundliche Politik machen wollen, dann sollten Sie dies gerade jenen Familien gegenüber durch die Tat beweisen, deren Einkommen bei einem nur allzu bescheidenen Durchschnitt liegt und bei denen, zumal wenn die Mutter nicht mitverdienen kann, die Not am größten ist. Ganz natürlicherweise ist auch hier der Bedarf am größten, und diese finanzpolitische Seite sollten wir bei diesem Gesetzeswerk mit bedenken; denn die diesen Familien gewährten Kinderbeihilfen fließen restlos in den Konsum zurück, wodurch wiederum das Steueraufkommen erhöht wird.
Meine Herren und Damen, Sie sollten sich aber bei diesem Gesetz noch eine andere sehr wichtige Frage überlegen: Lohnt es sich überhaupt, ein Gesetz, das in den Ausschüssen sicherlich wieder monatelang beraten werden muß, nur für rund 14 % aller Kinder zu machen?
So wenige kommen bei der Gesamtzahl der Kinder in unserer Bundesrepublik in Frage; denn wenn wir, wie es Ihr Gesetzentwurf vorsieht, vom dritten Kind ausgehen,
so würden von insgesamt 12 1/2 Millionen Kindern nur 1,9 Millionen berücksichtigt werden.
Wenn Sie, Herr Kollege Lücke, sagen: „Um diese Kinder geht es",
dann möchte ich noch einmal an das erinnern, was
der Herr Bundeskanzler gesagt hat: daß er für
bestimmte Schichten die Kaufkraft erhöhen wolle,
und wenn Sie dabei berücksichtigen, daß wir Hunderttausende von Familien haben, die nur ein
bescheidenes Durchschnittseinkommen haben, dann
werden Sie doch wohl nicht sagen wollen, Herr Abgeordneter Lücke, daß es nur um 1,9 Millionen Kinder geht.
— Gewiß, auch uns geht es um die kinderreiche Familie!
- Auch uns geht es um die kinderreiche Familie,
aber es geht uns ebenso darum, daß auch jene Familien, die vielleicht nur zwei Kinder haben, in den Genuß von Kinderbeihilfen kommen, weil bei ihnen das bescheidene Einkommen von rund 260 DM einfach nicht für vier Köpfe ausreicht. Oder wollen Sie mir das vielleicht anders vorrechnen?
Ich meine immer, wenn man schon ein solches großes sozialpolitisches Gesetzeswerk schafft, soll man nicht ein derartiges Flickwerk machen, wie es Ihr Gesetzentwurf darstellt.
- Dazu muß ich ihnen etwas vorhalten, Herr Ab-
geordneter Schütz; es gilt gleichzeitig auch für die Ausführungen der Herren Abgeordneten Horn und I Winkelheide, die auf der gleichen Linie lagen, indem sie sagten: „Wer schnell gibt, gibt doppelt". Dreieinhalb Jahre hatte der 1. Bundestag die Gesetzesvorlagen in seinen Ausschüssen sehr eingehend beraten. Da war es doch der Sprecher der CDU/CSU-Fraktion, der im Namen der Regierungsparteien am Schlusse der Beratungen erklärte, daß sie nicht bereit seien, auf der Grundlage des inzwischen im Ausschuß gemeinsam erarbeiteten Kompromisses über die Kinderbeihilfen noch zu einem Abschluß zu kommen.
Wie schon von meinem Kollegen Schellenberg ,ausgeführt wurde, halten wir es aus den vielen Gründen, die ich nicht noch einmal wiederholen möchte, für notwendig, daß Kinderbeihilfen mindestens vom zweiten Kinde an gewährt werden. Gerade ihn Hinblick auf die Familien mit den bescheidenen Familieneinkommen ist es doch das mindeste, ein Gesetz für Kinderbeihilfen auf der Grundlage, wie es der SPD-Entwurf vorsieht, zu machen. Nachdem die Sprecherinnen der FDP-Fraktion und der GB/ BHE- Fraktion kürzlich bei der Beratung der steuerlichen Behandlung von Leistungen im Rahmen des Familienausgleichs erfreulicherweise in Übereinstimmung mit uns -nicht zuletzt auch um des unehelichen Kindes willen — für die Gleichheit vom ersten Kinde an eingetreten sind, darf ich doch wohl berechtigterweise die Hoffnung aussprechen, daß wir bei diesem großen sozialpolitischen Gesetzeswerk, das wir gemeinsam hoffentlich sehr rasch schaffen wollen, mindestens vom zweiten Kind ausgehen.
Ich muß aber noch einige andere Fragen aufwerfen. Wenn einen Familienernährer das Unglück trifft, längere Zeit krank zu sein, als der Lohn weitergezahlt wird, von wem bekommt er dann die Kinderbeihilfe? Ich hoffe, daß wir darüber bei den Beratungen im Ausschuß Aufklärung bekommen. Und was geschieht mit einem Kleinhandwerker, der von Berufsunfähigkeit oder von Konkurs usw. betroffen wird, von welcher Stelle bekommt er dann die Kinderbeihilfen, auf die seine Familie nun so bitter notwendig 'angewiesen ist?
Unsere größte Sorge gilt aber den Arbeitslosen, da Ihr Gesetzentwurf, meine Herren und Damen von der CDU/CSU, nichts darüber enthält, wer im Falle der Arbeitslosigkeit, der Aussperrung oder auch bei einem Streik die Familienbeihilfen für die Kinder bezahlt, nämlich an jene Familienernährer, die .dann zusammen mit ihren Kindern durch einen solchen Schicksalsschlag bei der niedrigen Arbeitslosenunterstützung sowieso am härtesten betroffen sind. Wir werden uns .diese Frage bei den Beratungen im Ausschuß sehr eingehend überlegen müssen, da es wohl niemand in diesem Hohen Hause verantworten kann, daß der Lebensstandard einer solchen Familie gegebenenfalls plötzlich wegen des Fortfallens der bislang gewährten Kinderbeihilfen absinkt.
Die SPD-Fraktion muß es auch ablehnen, die Auszahlung durch die Arbeitgeber und über die Betriebe vornehmen zu lassen.
— Wir haben hierfür manche triftigen Gründe, Herr Kollege Winkelheide. Einmal sehen wir darin eine gewisse Verknüpfung mit dem Lohn oder dem Gehalt, zum andern können wir aber in Ihrem Gesetzentwurf keine Garantie dagegen erblicken, daß indirekt eine Anrechnung auf das Erwerbseinkommen erfolgt Zudem besteht die große Gefahr — und das vermag niemand mit Sicherheit von der Hand zu weisen —, daß unter Umständen in Krisenzeiten, ob mit oder ohne Absicht, Väter oder auch Mütter kinderreicher Familien zuerst aus den Betrieben ausscheiden müßten bzw. zuletzt eingestellt würden.
— Der Anspruch richtet sich wohl an die Familienausgleichskasse. Aber dann brauchten Sie hierfür wieder einen neuen Apparat zur Auszahlung an diese Gruppen.
Ich habe nicht die geringste Befürchtung, daß, wenn wir uns zu einem Gesetz über allgemeine Kinderbeihilfen zusammenfänden, die über die Finanzämter durch die Post zur Auszahlung kämen, die Empfänger diese Kinderbeihilfen etwa als ein Almosen vom Staat empfinden würden. Vielmehr wird man dann sicherlich draußen die Auffassung der Sozialdemokratischen Partei sehr wohl verstehen und in weiten Kreisen teilen, daß ein finanzieller Ausgleich für die Familien mit Kindern aus guten Gründen der Zweckmäßigkeit, um des einfachen und klaren Systems willen und vor allem zur Kostenersparnis nur über die Volksgesamtheit vorgenommen werden kann und soll:
Denn damit erfüllt die Allgemeinheit ja nur ihre sittliche Pflicht gegenüber dem Kind und der Familie.