Damit ist die Fragestunde erledigt.
Ich komme zu Punkt 2 der Tagesordnung:
Beratung der Großen Anfrage der Fraktion der SPD betreffend Besatzungsschäden auf dem deutschen Wohnungsmarkt .
Zur Begründung Herr Abgeordneter Paul.
Paul , Anfragender: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Am 29. Oktober des vergangenen Jahres hat der Sprecher des amerikanischen Repräsentantenhauses, Mr. Martin, von dieser Stelle aus an die Abgeordneten des Deutschen Bundestages freundliche Worte gerichtet. Der Deutsche Bundestag in allen seinen Teilen und sicher auch das deutsche Volk haben die Versicherungen dieses hervorragenden Vertreters des amerikanischen Volkes, daß die Vereinigten Staaten — ich zitiere — „nur Freundschaft und guten Willen für das deutsche Volk empfinden", mit Befriedigung vernommen.
Ich möchte diese Bemerkung vorausschicken, weil wir mit Bedauern feststellen müssen, daß diese schönen und zweifellos ernsthaft gemeinten Gedanken sich leider in der rauhen Wirklichkeit nicht immer bestätigt finden. Wir haben in unserer Großen Anfrage nachgewiesen, daß vor einiger Zeit Verfügungen der Besatzungsmacht ergangen sind, die beweisen, daß der alte Besatzungsgeist noch immer nicht überwunden ist. Fast neun Jahre nach Beendigung des Krieges, in einer Zeit, da die offizielle Politik der Vereinigten Staaten das deutsche Volk zu einem militärischen Beitrag zur Verteidigung des Westens ermuntert, sind Erlasse erschienen, die erkennen lassen, daß die Besatzungsmacht einen Teil des deutschen Volkes immer noch als Menschen minderen Rechts betrachtet. Wir haben Beispiele, die unsere Behauptung belegen.
Am 15. September 1953 erging ein Erlaß des Kommandos der amerikanischen Streitkräfte an alle Deutschen, die Mitbewohner beschlagnahmter Häuser sind, mit der Mitteilung, daß dieses Wohnen unberechtigt sei. Die betreffenden Personen wurden obendrein aufgefordert, sich bei den Wohnungsämtern um die Zuweisung anderer Wohnungen zu bemühen und die Dienststellen der Besatzungsmacht zu verständigen, wann die von diesen Deutschen innegehabten Wohnungen geräumt werden können.
Diese Verfügung haben auch jene deutschen Hausbesitzer erhalten, die bisher noch in ihren eigenen Häusern, meistens sehr eingeschränkt in Dachkammern oder in Kellerräumen, wohnen durften. Vor mir liegt ein solches Dokument, das ein Hausbesitzer in Eßlingen am Neckar erhalten hat, der mit seiner Tochter in ganz kümmerlichen Verhältnissen im Dachgeschoß wohnen darf und der nun in seinem eigenen Haus angehalten werden soll, auch noch diese Räume zur Verfügung zu stellen.
Es ist begreiflich, daß sich der betroffenen Deutschen eine starke Erregung bemächtigt hat. Diese Hauseigentümer warten ohnedies schon über Gebühr lange auf die Stunde, da sie in ihren eigenen Häusern wieder menschenwürdig wohnen dürfen. Sie empfinden auch Bitterkeit darüber, daß die beschlagnahmten Wohnungen vielfach nicht hinreichend ausgenützt werden, während sie selber zu primitivstem Wohnen veranlaßt sind. Anstatt daß sie ihre Häuser endlich zurückerhalten, werden sie nun aufgefordert, sich an die Wohnungsämter zu wenden. Abgesehen davon, daß eine solche Weisung unbillig ist und eine unzumutbare Härte darstellt, bedeutet sie auch noch eine zusätzliche Belastung des Wohnungsmarktes, die gegenwärtig völlig unerträglich ist. Die Wohnungsämter sind unter den jetzigen Umständen sowieso fast jeder Handlungsfreiheit beraubt und meist nicht einmal in der Lage, in den ärgsten Härtefällen einen Ausweg zu finden.
Nicht minder bedenklich ist eine andere Verfügung, auf die wir in unserer Großen Anfrage hingewiesen haben. Von amerikanischen Dienststellen ist zahlreichen Besatzungsverdrängten mitgeteilt worden, daß eine erneute Aufnahme des in den Wohnungen vorhandenen Inventars den Verlust vieler Gegenstände ergeben habe. Da deswegen der Nutzwert des beschlagnahmten Mobiliars geringer sei als bei der ersten Bestandsaufnahme, werde der Betrag der gezahlten Jahresvergütung entsprechend herabgesetzt. — Ich kenne einen Fall, der sich in Ludwigsburg ereignet hat, wo die Jahresvergütung von bisher 1153,— DM auf 368,69 DM herabgesetzt wurde,
also auf kaum ein Drittel. In solchen Fällen kann es sich doch nur entweder um einen vorzeitigen Verschleiß des Mobiliars durch nicht pflegliche Behandlung handeln oder darum, daß von nichtdeutscher Seite Mobiliar weggebracht worden ist. Es ergibt sich also der groteske Zustand, daß ein solcher Besitzer nicht nur einen Verlust seines Eigentums erleidet, sondern obendrein noch eine Einbuße in der Nutzungsvergütung.
Es ist keineswegs nur das Privileg einer bestimmten Besatzungsmacht, solche unerträgliche Zustände geschaffen zu haben. Seit dem Zeitpunkt, da wir unsere Große Anfrage eingebracht haben, sind uns eine Fülle neuer Fälle bekanntgeworden,
die geradezu unerträgliche Zustände aufweisen. Ich kann diese Fälle hier nicht alle im einzelnen behandeln, möchte aber doch noch auf einen besonders hinweisen. In der britischen Zone, in Munster in Niedersachsen, stehen, wie aus einer Zuschrift, die wir erhalten haben, hervorgeht, 11 Privathäuser und 60 bundeseigene Wohnungen seit fünf Monaten leer. Die Besitzer dieser Häuser, meistens kleine Leute, die das Ergebnis der Arbeit eines ganzen Lebens in diese Objekte investiert haben, können einfach nicht verstehen, daß sie nicht in ihre leerstehenden Häuser einziehen dürfen. Ich gestehe, auch mir fehlt das Verständnis für solche Zustände.
Aus der amerikanisch besetzten Zone wurden uns Fälle mitgeteilt, in denen bei Schäden an persönlichem Eigentum, die im Zusammenhang mit der Beschlagnahme entstanden sind, und bei Grundstücken, die vom 1. Juli 1947 bis zum 30. September 1952 zurückgegeben wurden, die Entschädigung im Verhältnis von 10 : 1 festgesetzt wurde. Erst nach dem 30. September 1952 gilt das Verhältnis 1 : 1. Die Betroffenen der ersten Kategorie können nicht begreifen, daß die Besatzungsmacht einen anderen Stichtag festgesetzt hat als den Tag der deutschen Währungsreform. Es wäre zu wünschen gewesen, daß sich das Bundesfinanzministerium bei solchen Entschädigungen um die Anwendung deutscher Grundsätze bemüht hätte.
Wir dürfen schließlich nicht vergessen, daß die Besatzungskosten, aus denen solche Entschädigungen gezahlt werden, den Leistungen der deutschen Steuerzahler entnommen werden.
Diese Zustände sind unhaltbar. Sie bedürfen einer Revision, und zwar sowohl im Interesse der betroffenen Deutschen als auch im Interesse, so sollte man meinen, der Besatzungsmächte, deren Ansehen schließlich durch solche Vorgänge in den Augen der deutschen Bevölkerung geschädigt wird.
Wir wollen nicht mißverstanden werden. Solange Besatzungstruppen in der Bundesrepublik stationiert sind, wünschen wir, daß ein korrektes Verhältnis zwischen ihnen und dem deutschen Volke besteht. Wir registrieren mit Befriedigung, daß wir bisher in unserem Bereiche keine Triester Situation erlebt haben. Das mag ein Verdienst beider Parteien sein, auch des deutschen Volkes. Wir wünschen auch ein Verhältnis der Freundschaft und des guten Willens — da sind wir mit Mr. Martin einig — zu dem amerikanischen Volk und zu den anderen Völkern, deren Vertreter hier bei uns sind.
Es sind viele Versuche unternommen worden, das gegenseitige Verhältnis zwischen den früheren Kriegsgegnern und dem deutschen Volke zu verbessern. In den Amerika-Häusern ist sehr viel nützliche Aufklärungsarbeit über die Verhältnisse in den Vereinigten Staaten geleistet worden. Vor einiger Zeit konnten wir lesen, daß im Rahmen des amerikanischen Austauschprogramms der zehntausendste deutsche Gast nach den Vereinigten Staaten geflogen ist. Auch nach England sind viele solche deutsche Gäste eingeladen worden. Aber, was solche Besuche an Gutem aufbauen, was durch AmerikaHäuser und ähnliche Einrichtungen an Verständnis geschaffen wird, das kann durch eine einzige unüberlegte Maßnahme der Besatzungsmacht zerstört werden.
Die Politik der Freundschaft darf nicht nur in der Theorie vertreten werden; die Praxis muß mit dieser Theorie übereinstimmen. Die Besatzungsmächte — ich darf daran erinnern — haben sich bemüht, das deutsche Volk — auch solche Deutsche, die es nicht nötig hatten — nach dem letzten Kriege demokratisch umzuerziehen. Vielleicht dürfen wir guten Demokraten alten Schlages uns mit einem kleinen Vorschlag revanchieren. Ich möchte vorschlagen, daß die Besatzungsmächte in das ausgedehnte Schulungsprogramm ihrer Armeen auch einen kurzen Lehrgang über Besatzungspsychologie aufnehmen, damit in Zukunft solche Mißgriffe nicht mehr vorkommen.
Wir wünschen, daß die deutsche Bundesregierung diesen Vorgängen in erhöhtem Maße ihr Augenmerk zuwendet. Dies ist der Zweck unserer Großen Anfrage. Wir fragen die Bundesregierung:
1. Sind der Bundesregierung diese Maßnahmen der Besatzungsmacht bekannt?
2. Was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um
a) das Wohnrecht aller Deutschen gegenüber erneuten Ansprüchen der Besatzungsmacht zu sichern und neue Belastungen des deutschen Wohnungsmarktes zu verhindern?
b) den Besatzungsgeschädigten, denen im Hinblick auf den von ihnen nicht verschuldeten Teilverlust des beschlagnahmten Mobiliars nur noch eine geringere Nutzungsvergütung gezahlt wird, zu einer Entschädigung für das in Verlust geratene Mobiliar zu verhelfen?
Wir wünschen darüber hinaus, daß die Bundesregierung gemeinsam mit dem zuständigen Ausschuß des Bundestages nach Wegen sucht, die zu dem Ziel führen, eine weitere Benachteiligung und Bedrückung des deutschen Volkes zu vermeiden.