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ID0201601800

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    2. Deutscher Bundestag — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Februar 1954 517 16. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 25. Februar 1954. Geschäftliche Mitteilungen 517 C, 550 D Eintritt des Abg. Putzig in den Bundestag . 517 C Glückwünsche zu den Geburtstagen der Abg Arndgen und Kemper (Trier) 517 C Mitteilung über Beantwortung der Kleinen Anfragen 19, 21, 22, 26, 27, 28, 29, 30 (Drucksachen 172, 265; 175, 264; 191, 273; 229, 277; 230, 276; 231, 281; 232, 274; 233, 268) 517 D Entgegennahme einer Erklärung der Bundesregierung (Ergebnisse der Berliner Außenminister-Konferenz) und Aussprache über die Erklärung 518 A Dr. Adenauer, Bundeskanzler . . . 518 A Ollenhauer (SPD) 522 B Dr. von Brentano (CDU/CSU) . . . 528 B Dr. Dehler (FDP) 533 B Haasler (GB/BHE) 538 C Dr. von Merkatz (DP) 539 B Unterbrechung der Sitzung . . . 544 A Wehner (SPD) 544 A Lemmer (CDU/CSU) 546 D Seiboth (GB/BHE) 549 A D. Dr. Gerstenmaier (CDU/CSU) . . 550 A Präsident D. Dr. Ehlers 550 C Einstimmige Annahme der Entschließung Drucksache 286 550 B Nächste Sitzung 550 D Die Sitzung wird um 9 Uhr 3 Minuten durch den Präsidenten D. Dr. Ehlers eröffnet.
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    Rede von Herbert Wehner


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist nicht meine Absicht, in dieser Debatte, in der die Ansichten der großen Gruppen dieses Hauses einander gegenübergestellt worden sind, noch einmal den Versuch zu machen, eine Gesamtbewertung zu geben. Aber es ist die Ansicht meiner Fraktion, daß einige der Fragen, die in dieser Debatte zum Teil mit der direkten Adresse an uns gerichtet worden sind, einer Beantwortung unsererseits bedürfen.
    Lassen Sie mich mit einem ganz offenen Wort beginnen. So wie die Dinge heute liegen, kann weder die Opposition dieses Hauses noch die Regierungsmehrheit dieses Hauses sagen, daß sie sich in einer einfachen Lage befinde.

    (Unruhe.)

    — Ich habe erwartet, daß es in diesem Hause Mitglieder gibt, die darauf mit höhnischem Gelächter antworten. Ich habe das ja auch nur registriert. Dabei will ich mich nicht aufhalten. Nehmen Sie eine solche Feststellung so, wie sie gemeint ist, nämlich von der objektiven Lage unseres Volkes aus gesehen.

    (Beifall bei der SPD.)

    Ich sage, daß beide Seiten — mit Ausnahme einiger, die immer Grund haben, sich zu freuen, die sich auch jetzt noch freuen — keinen Grund haben, die Dinge einfach zu sehen. Ich möchte aber mich und Sie fragen, ob nicht am schwierigsten die Lage der Deutschen ist, die sich in der sowjetisch besetzten Zone befinden. Ich bin überzeugt, daß es darauf auf allen Seiten dieses Hauses nur eine bejahende Antwort geben kann.
    Vielleicht ist hier der Punkt, an dem wir uns ungeachtet unserer auch heute wieder, ich möchte sagen, sauber einander gegenübergestellten Meinungsverschiedenheiten treffen können, ja sogar müssen. Ich möchte damit nichts verwischt haben. Aber ich glaube, es muß noch einmal gesagt werden, daß wir in dem Ringen um die Herstellung des Gewichtes, das unser gespaltenes Land in der Auseinandersetzung der großen Mächte haben soll, hier den ruhenden Punkt und den Ort haben, dem wir gemeinsam verpflichtet sind: die Menschen in der sowjetisch besetzten Zone und in Berlin.
    Die Konferenz, über die hier heute gesprochen worden ist und über die noch viel gesprochen werden wird, die mit einer solchen Debatte — das liegt wohl in den Auffassungen aller — nicht zu den deutschen Akten gelegt werden kann und soll, stellt uns Aufgaben. Vielleicht, ich möchte sagen wahrscheinlich, eröffnet sie uns auch Möglichkeiten, die jede für sich und in ihrer Summe auch neue Schwierigkeiten für die deutsche Politik ergeben.
    Der Herr Bundeskanzler hat heute in seiner Rede gesagt, wenn ich ihn richtig verstanden habe: Deutschland hat ein vitales Interesse an der Entspannung des Ost-West-Konflikts, und ich möchte sagen, das ist ein Satz, hinter den ich mich voll und ganz stellen kann.

    (Zuruf von der Mitte: Jedermann!)

    — Nun, man darf das wohl sagen. — Vor einigen Tagen hat er in einer andern Erklärung gesagt: Überall dort, wo etwas zur Entspannung des Weltkonflikts geschieht, da geschieht auch etwas für Deutschland. Ich nehme an: vorausgesetzt, daß wirklich etwas zur Entspannung des Weltkonflikts geschieht, und das ist ja eine gemeinsame Sorge. Deswegen haben wir heute unsere Aufgabe darin erblickt, als Quintessenz unserer Auffassung nach dem Ausgang dieser Konferenz herauszuarbeiten und Ihnen vorzutragen, daß wir meinen, es werde die Aufgabe der Bundesrepublik sein, in der deutschen Frage, die auf dieser Konferenz nicht gelöst worden ist, noch nicht gelöst werden konnte, die Verhandlungssituation offenzuhalten, soweit wir es können, diese deutsche Frage immer wieder ins Gespräch, ins Spiel zu bringen und — das war das zweite — den Versuch zu machen, Tendenzen zur Entspannung, die sich international andeuten, für innerdeutsche Verhältnisse nutzbar zu machen, wenn es möglich ist. Dafür sollten wir uns alle ernsthaft und unverdrossen anstrengen.
    Es ist, glaube ich, des Nachdenkens wert, ob wir, wenn es tatsächlich Tendenzen zur Entspannung des Ost-West-Konflikts gibt, unsere politischen Überlegungen hinsichtlich dessen, was nun geschehen wird und muß und was wir tun müssen, auf einer Vorstellung von einer unmittelbar uns drohenden Gefahr aufbauen können. Das ist nicht so einfach zu beantworten, aber das ist jedenfalls des Nachdenkens wert. Immerhin ist heute in dieser Debatte auch ein offensichtlich ernst gemeinter Satz gefallen, der etwa so lautete: Diese Konferenz habe nicht zur Entpannung der Gegensätze beigetragen. — Vielleicht kann uns erst eine größere Erfahrung lehren, was für einen Platz die Konferenz nun in der Kette der Ereignisse hat; aber wenn es in ihr eine Chance gibt, die zur Entspannung führt, dann, meine ich, sollten diese Überlegungen nicht ungenutzt bleiben, – das alles, ohne daß wir sorglos werden dürfen oder wollen.
    Hier ist in beredten Worten über die Gefahren des sowjetischen Totalitarismus gesprochen worden. Herr von Merkatz hat sich besonders stark dagegen verwahrt, daß in den Friedensvertragsvorschlägen Bedingungen enthalten sind, von denen er sagte, sie seien ein Mord an unserem inneren Leben. So ungefähr hat er sinngemäß gesagt. Nun, glauben Sie, die Sozialdemokratie und die Freie Sozialistische Arbeiterbewegung wüßte nicht, was für sie auf dem Spiele steht, daß ihre Existenz und ihre Entwicklungsmöglichkeit unverbrüchlich mit der Entwicklung der Demokratie verbunden und in sie eingebaut ist.

    (Beifall bei der SPD.)

    Was an den Plänen, die zusammen die Ausgangsposition der Sowjetmacht für die vor uns liegende Periode darstellen mögen, heute angeleuchtet wor-


    (Wehner)

    den ist, das ist, so möchte ich sagen, der sowjetische Versuch der Sicherung und zugleich der Expansion, was bei den Russen immer sehr ineinander fließt. Aber vergessen wir doch auch nicht, daß dies eine Hypothek ist, die uns von einem anderen Totalitarismus, von einem anderen totalitären System hinterlassen worden ist,

    (Lebhafter Beifall bei der SPD)

    und daß wir die furchtbare Aufgabe haben, diese Hypothek, soweit Menschen das können, mit unseren Kräften abzuwälzen und mit ihr fertig zu werden. Wir wissen — falls Sie erlauben, daß man noch in Ruhe dazu spricht, beantworte ich hiermit eine Frage, die heute hier ebenfalls gestellt worden ist —,

    (Zuruf von der SPD: Die wollen nicht gern erinnert sein!)

    daß wir das nicht isoliert können, weder wir als Deutsche noch die Sozialdemokratie und die Menschen, die zu ihr stehen. Aber gerade deshalb haben wir ja versucht, unsere Auffassung von der Notwendigkeit der Verbindung unseres Strebens nach Erfüllung der vordringlichsten politischen Forderungen des ganzen deutschen Volkes mit dem nach Gemeinsamkeit mit den freien Nationen gegen die Verhärtung in eine Theorie vom stufenweisen Ablauf dieser Entwicklung zu verteidigen. Deswegen haben wir doch immer gesagt: Wir wollen nicht eine Reihenfolgetheorie. Herr von Brentano hat mich hier freundlicherweise aus dem September 1951 zitiert. Ich stehe nach wie vor zu dem, was ich im Jahre 1951 im Namen meiner Fraktion sagen durfte. Ich habe keinen Grund, davon ein Wort abzuhandeln. Wir könnten darüber reden — es ist heute hier versucht worden —, wann und wo man begonnen hat, sozusagen säuberlich eingeteilte Stufentheorien aufzustellen, daß erst die Integration und dann das andere kommen müsse; aber das führt wahrscheinlich zu nichts.
    Noch ein Wort zu der Frage, wie es denn mit unserer Stellung gegenüber Entspannungstendenzen sei. Hier ist eine sehr böse Äußerung gefallen, so als wollten wir uns an den sowjetischen Machtblock anpassen. Wer ernsthaft dieser Meinung sein sollte, nun, der müßte es erst einmal unter Beweis stellen. Er müßte zum andern offen sagen, daß es dann keine Gemeinsamkeit, auch nicht in dieser einen zentralen Frage der deutschen Politik mehr geben kann. Dann soll er es aber offen sagen.

    (Sehr richtig! und Sehr gut! bei der SPD.)

    Es ging aber noch weiter. Wir haben heute hören müssen, daß sich seinerzeit in Korea die Dinge in einer Weise entwickelt hätten, wie wir sie uns für hier wünschten.

    (Widerspruch bei den Regierungsparteien.)

    — Ungefähr gesagt, sehr hart gesagt. Ich wäre froh, wenn wir es im Protokoll nicht in dieser Schärfe fänden.

    (Abg. Hilbert: Auch nicht in dem Sinne!)

    Dort, wurde gesagt, seien die Verhältnisse vorher auch säuberlich geteilt worden. Was wir zu Korea zu sagen haben, haben wir während dieser ganzen Tragödie hier gesagt. Das hat auch unsere Stellung zur deutschen Politik wesentlich mitbestimmt und bestimmt sie nach wie vor. Es ist nicht so, daß man ein Drängen der Sozialdemokraten auf maximale Ausnutzung jeder sich eventuell bietenden Möglichkeit zur Entspannung im Ost-West-Konflikt in
    I der Richtung einer positiven Lösung der deutschen Frage abtun kann, indem man sich in die Zitate flüchtet. etwa in der Form von „Seid umschlungen, Millionen!". Auf dem Hintergrund nur so zu verstehender Äußerungen über die Enttäuschung, die unser Volk und besonders der Teil in der sowjetischen Zone über den Ausgang der Konferenz in der deutschen Frage empfindet, ist es einfach falsch, anzunehmen, der Versuch, zu dem wir raten, nämlich die deutsche Frage immer wieder ins Spiel, immer wieder ins Gespräch zu bringen, könne in irgendeiner Weise mit einer solchen, sozusagen lyrischen Haltung verniedlicht werden.
    Herr von Brentano hat hier gefragt: Warum sollten wir – er meinte die Regierungsparteien — die Politik aufgeben, die uns bis hierher geführt hat? Sie haben die Mehrheit und Sie haben selbst zu entscheiden, was Sie mit dieser Politik weiter machen wollen. Aber es ist das legitime Recht der Opposition, ihre Meinung zu den schwachen Seiten dieser Politik so, wie sie sie versteht, zu sagen, und selbst wenn Sie diese Meinung der Opposition verwerfen — Sie können es ja, weil Sie die Mehrheit haben —, werden Sie, glaube ich, bei genauerem Nachdenken über die Lage manches finden, was, auch wenn Sie jetzt bei dem Versuch eines großen Aufwaschens nicht wünschen, daß es sichtbar wird, Ihnen des weiteren Nachdenkens wert erscheint.
    Denn das Fortsetzen dieser Politik, meine Damen und Herren — und dabei kommt es ja hauptsächlich auf die Verträge an, um die hier so lange für und wider gestritten worden ist —, hängt doch zum allerwenigsten von Ihnen ab, so groß auch Ihre Mehrheit in diesem Hause ist. Das hängt doch von neuen Leistungen und von uns alle bedrückenden und Sorge bereitenden weiteren Vorleistungen ab, die man in anderen Ländern verlangt. Wir empfinden darüber keine Schadenfreude, daß nun auch noch über die Saar geredet werden soll; aber wir machen eben darauf aufmerksam. Von den Zusatzprotokollen ganz zu schweigen!

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Aber nun muß ich noch ein Wort sagen zu der Schuldfrage, die heute hier angeklungen ist, soweit es sich um den Ausgang der Konferenz in der deutschen Frage handelt. Es ist ja ziemlich deutlich gesagt worden, in diesem Hause säßen diejenigen, die Schuld an diesem Ausgang hätten wegen der Verzögerung im Zustandekommen der Verträge. Darüber werden einmal andere urteilen müssen, darüber, was daran wahr ist und was daran verständliche Übertreibung und Entstellung im Eifer ist. Aber wenn man dann fortfährt und sagt, wir hätten ja viel Verständnis für Molotow gehabt und hätten wohl nun auch solches für die europafeindlichen Kräfte in Frankreich, so gehört das — entschuldigen Sie, Herr von Brentano — nicht mehr in die Kategorie von Meinungen, über die man wirklich sachlich und ernsthaft diskutieren muß.

    (Lebhafter Beifall von der SPD. — Abg. Kunze [Bethel]: Das sind doch Tatsachen!)

    — Das mag sein, daß Sie, Herr Kunze, das als Tatsachen empfinden. Wenn Sie sich über die Tatsachen informieren möchten, falls Sie dafür Zeit und Interesse haben, ich bin gern bereit, Ihnen unsere Verlautbarungen zu geben, die zu den Vorschlägen Molotows Punkt für Punkt ablehnend gewesen sind,

    (Abg. Dr. von Brentano: Das wissen wir!)



    (Wehner)

    die sich aber nicht damit begnügt haben, sondern die den Versuch gemacht haben, aus einer Verhandlungs- und Konferenzsituation heraus, wenn in dieser Konferenz in der deutschen Frage etwas Positives geschehen konnte, mit darauf einzuwirken, nichts anderes. Da können Sie heute noch jedes Wort so nehmen, wie es damals geschrieben worden ist.
    Herr Dr. Dehler hat hier gesagt, in der Außenpolitik gebe es am Ende nur einen Weg, und die Opposition habe, wenn sie ihren Standpunkt dargelegt habe, die verdammte Pflicht, sich einzuordnen.

    (Lachen bei der SPD.)

    In solchen Äußerungen liegt — ich will mich darüber gar nicht lustig machen — ein Symptom für eine Entwicklung in unserem gespaltenen Nachkriegsdeutschland, die niemanden ganz glücklich werden läßt, hoffentlich auch manchen in diesem Hause nicht.

    (Zuruf von der Mitte: Was soll das?)

    — Was das soll, das will ich Ihnen ganz offen sagen. In einem Land, das in einer Lage wie der unseren ist und das sich aus Trümmern und Schutt und Dreck herausarbeiten muß, hätte von Anfang an ernster und immer wieder versucht werden müssen, in den großen, den zentralen Fragen der großen Politik, soweit es geht, Gemeinsamkeiten zu erzielen.

    (Beifall bei der SPD. — Lebhafter Beifall und Lachen bei den Regierungsparteien.)

    Ich weiß, daß ich diesen Beifall sehr entgegengesetzten Motiven zu verdanken habe.

    (Zustimmung und Lachen bei den Regierungsparteien.)

    Aber ich möchte Ihnen — über den Lärm der Sekunde hinaus — sagen: hier ist ein Reflex einer
    tragischen Entwicklung in unserer Nachkriegszeit.

    (Beifall bei der SPD. — Erneute Zustimmung in der Mitte.)

    Es ist in Frage gestellt worden, ob meine Freunde und ich, die vom Vorstand der Sozialdemokratischen Partei beauftragt waren, während der Konferenz in Berlin zu sein, dazu legitimiert waren. Wir waren in Berlin, um — soweit das Deutschen möglich war — in Erfahrung zu bringen, was auf der Konferenz geschah, wie die Konferenz verlief, und um, wenn jemand unsere Meinung hören wollte, mit unserer Meinung zur Verfügung zu stehen. Die Sozialdemokratische Partei mußte
    — auch wenn Herr Dr. Dehler das nachträglich sozusagen verboten haben möchte — schon deshalb ganz einfach dort sein, weil sie sich mit den Opfern der Spaltung Deutschlands verbunden fühlt,

    (Beifall bei der SPD)

    mit denen wir in diesen Tagen, nachdem sie aus Bautzen und aus Brandenburg gekommen sind, in Berlin gesprochen haben.

    (Zuruf von der Mitte.)

    — Ich hoffe, Herr Dr. Bucerius, daß Sie nicht auch noch dieses Interesse in Frage stellen wollen, das Interesse an denen, denen es in unserem Volke am schlimmsten geht und die dort zum Tode und zu 25jährigen Freiheitsstrafen verurteilt sitzen. Es ist Ihnen unangenehm, Herr Dr. Bucerius, daß man
    darüber spricht; das gehört aber zu den Realitäten und zur Legitimation auch unseres Auftretens bei dieser Gelegenheit.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD.)

    Wir haben in Berlin den Pressevertretern, die Interesse für unseren Standpunkt hatten, z. B. eine solche Schrift wie „Unser Weg zur Einheit Deutschlands" — sie steht jedem zur Einsicht offen — gegeben, in der die völlige Übereinstimmung der Sozialdemokratischen Partei und ihres Kampfes mit dem, was der Bundestag, seitdem er besteht, in diesen Fragen beschlossen hat, nachgewiesen ist. Zweitens haben wir etwas gemacht, von dem ich gewünscht hätte, andere hätten es mit den ihnen in viel stärkerem Maße zur Verfügung stehenden Mitteln ebenfalls gemacht. Wir haben „Die Sowjetzone im Zahlenspiegel" Hunderten und aber Hunderten ausländischer Journalisten gegeben, um einmal das wirtschaftliche und soziale Elend der Menschen, die 'am meisten unter der Teilung zu leiden haben, zu kennzeichnen und zugleich auch die wirtschaftlichen Aspekte bei dem Prozeß der Wiedervereinigung und Verschmelzung aufzuzeigen.
    Die Auseinandersetzung darüber, was unserem Volk not tut und was ihm gut tut, wird mit dieser Debatte ja nicht zu Ende sein. Ich möchte aber noch einmal auf das zurückkommen, was ich mir eingangs meiner Bemerkungen zu sagen erlaubte, daß die Lage für keinen Teil einfach ist und daß keiner hingehen und behaupten kann, er habe dort sozusagen einen Triumph davongetragen.

    (Zustimmung in der Mitte.)

    Es gibt auch solche, und ich freue mich, daß Sie sich von solchen jetzt distanzieren. Ich hoffe, daß wir in dem Bestreben

    (Zuruf von der Mitte)

    — das kann man ja schriftlich sehen, wenn es Sie interessiert; das brauche ich Ihnen jetzt wohl nicht noch vorzulegen — um die zwei zentralen Punkte, die wir für die nächste deutsche Politik sehen, die Verhandlungssituation offenzuhalten und, soweit es in unseren Kräften steht, natürlich auch mit Hilfe der Besatzungsmächte, innerdeutsche Erleichterungen der Auswirkung der Spaltung zu erwirken, zu größerer Übereinstimmung und Gemeinsamkeit gelangen, als es bisher scheinen mag.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD.)



Rede von Dr. Hermann Ehlers
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Das Wort hat der Abgeordnete Lemmer.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Ernst Lemmer


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, daß niemand in diesem Hause ist, der nicht mit der Bemerkung des Herrn Kollegen Wehner übereinstimmt, daß sich unser Volk insbesondere nach dem Ausgang der Berliner Konferenz in einer sehr ernsten Lage befindet. Auch in anderer Hinsicht gibt es, glaube ich, keine unterschiedliche Auffassung, daß nämlich — Herr Kollege Wehner hat es angedeutet — jetzt unsere deutschen Mitbürger in Thüringen, Sachsen, Brandenburg, Mecklenburg allein noch Träger der tragischen Konsequenzen sind, die sich aus der großen deutschen Katastrophe unter Hitler ergeben haben.

    (Abg. Dr. von Brentano: Sehr gut!)

    Wir leben in relativer Sicherheit und absoluter
    Freiheit. Wenn die Bewohner der sowjetischen


    (Lemmer)

    Zone den Verlauf dieser Debatte vernehmen, werden sie uns um die Freiheit ,des Gewissens und der Überzeugung beneiden, die auch in den Auseinandersetzungen dieses Tages spürbar geworden sind.

    (Abg. Dr. von Brentano: Sehr gut!)

    Ich habe eine Hemmung, mich nun etwa gefühlsbetont, pathetisch, mit billigen Worten von diesem Pult aus an die Menschen im sowjetischen Besatzungsbereich zu wenden. Gerade weil wir in ihnen allerdings — nicht nur in den noch bedauernswerteren Menschen in Waldheim und Bautzen — die Opfer der Spaltung unseres Landes sehen, sind wir es ihnen schuldig, ihnen nicht mit Worten, sondern mit Handlungen zu begegnen. Wir in der Bundesrepublik müssen uns darüber im klaren sein: der Genuß unserer Freiheit und Sicherheit bedingt Opfer; das tragische Gefälle im Lebensstandard zwischen der Bundesrepublik und Mitteldeutschland ist eine Verpflichtung für uns, noch größere Opfer für Berlin und die Sowjetzone zu bringen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien und bei der SPD.)

    Die Opfer, die wir den Bewohnern der Sowjetzone unmittelbar zu bringen vermögen, sind minimal. Aber mittelbar können wir ihnen noch mehr Opfer bringen, indem wir die Bastion unserer Gesinnung, die Bastion unserer Überzeugung, die immer noch krisenhafte Stadt Berlin, die das Symbol für die Menschen der Sowjetzone und die Hoffnung auf eine Wende ihrer Trostlosigkeit von heute ist, so unterstützen, daß die Berliner ihren Kampf fortzusetzen in der Lage sind.

    (Beifall bei den Regierungsparteien und bei der SPD.)

    Und das andere Opfer. Das andere Opfer: daß wir uns bei aller Kontroverse, die wir uns im Zeichen einer freien Demokratie über Lebensfragen unseres Volkes in diesem Hause leisten dürfen, dessen bewußt sein müssen, meine Freunde, daß die Hörer in Dresden, Leipzig und Schwerin heute abend für eines kein Verständnis haben werden, bewußt oder unbewußt dargeboten: für irgendeine parteipolitische Rechthaberei.

    (Sehr gut! bei der CDU/CSU.)

    Sie erwarten von uns ein hohes Niveau nationaler Moral, gerade unter der erschütternden Wirkung der Ergebnislosigkeit der Berliner Konferenz.

    (Beifall in der Mitte und rechts sowie bei einigen Abgeordneten der SPD.)

    Diese Ergebnislosigkeit zu beschönigen, lehne ich ab. Die Konferenz hat sich eigentlich mehr deklamatorisch als ernsthaft und konkret mit der Lösung der deutschen Frage beschäftigt. Ich wünschte, man hätte die deutsche Frage mit derselben Bereitwilligkeit, zu Ergebnissen zu kommen, behandelt wie etwa das Korea-Problem oder die Fragen der Atomkontrolle und der Abrüstung. Soweit es geheime Gespräche auf der Berliner Konferenz gab, bezogen sie sich nicht auf die deutsche Frage. Und wenn in einigen Monaten die Mächte ihre Gespräche in Genf fortsetzen, dann müssen wir mit Bedauern vermerken, daß die deutsche Frage vorläufig nicht auf die Tagesordnung der internaionalen Gespräche gesetzt ist.
    Wenn man nun aus dem, was aus dem Lager des Regierungsblocks, zu dessen Politik ich mich bekenne, und dem, was von den Sprechern der Opposition gesagt worden ist, das Fazit zieht, dann erlaube ich mir die Feststellung, ohne hier beschwichtigen zu wollen, daß, abgesehen von zwei Fragen und abgesehen von gewissen rhetorischen Temperamenten, zwischen beiden Seiten dieses Hauses eine sehr weitgehende Übereinstimmung vernehmbar geworden ist. Lassen Sie mich einige wenige Punkte herausgreifen; ich habe begonnen, Statistik zu führen, aber die Zahl wuchs an, und ich hörte wieder auf.
    Der Herr Bundeskanzler und der Führer der Opposition zeigten sich trotz der Konstatierung der Ergebnislosigkeit der Berliner Konferenz in bemerkenswerter Übereinstimmung als Optimisten. Beide versicherten, sie seien Optimisten. Ich war es nicht ganz bis heute vormittag. Nachdem aber der Optimismus des Bundeskanzlers durch den Führer der Opposition kontrolliert und bestätigt worden ist, bin ich nun auch Optimist geworden, meine Damen und Herren!

    (Heiterkeit und Beifall.)

    Schließlich gebe ich zu: wenn man nicht trotz aller Bedrückung einen Rest von Optimismus hat, dann würde einem wohl der Mut genommen werden und die seelische Spannkraft, angesichts der unerhörten Komplikation unserer nationalen Lage überhaupt noch schöpferisch handeln zu können.

    (Sehr gut! bei der CDU/CSU.)

    Und ein anderes. Der Sprecher der Regierung, der Herr Bundeskanzler, und der Sprecher der Opposition, Herr Abgeordneter Ollenhauer, haben beide ihrem Wunsch nach Entspannung in dem großen weltpolitischen Gegensatz, den wir kennen, Ausdruck gegeben, und von ihnen beiden ist darauf hingewiesen worden, daß eine Lösung der deutschen Frage nicht isoliert zu erwarten sei, sondern daß sie schließlich nur im Zuge einer internationalen Entspannung — womit nicht die Neutralisierung gemeint sei, auch das wurde von beiden Seiten übereinstimmend gesagt — möglich wäre.
    Meine Damen und Herren, ich halte diese Übereinstimmung für entscheidend. Denn sie bestätigt die realistische Auffassung, daß es mit einer gefühlsbetonten Politik nach menschlichem Ermessen nicht gelingen kann, die Sowjetunion zum endlichen Verlassen des deutschen Okkupationsgebietes zu bringen. Dieser Hinweis auf die Entspannung und der Hinweis darauf, daß die deutsche Frage nicht isoliert zu lösen sei, enthält zweifellos die Meinung, daß die Sowjetunion für das deutsche Schicksal leider, leider eine furchtbare Realität geworden ist. Sie steht als Besatzungsmacht tief im deutschen Land. Es ist vielleicht auch angebracht, allgemein einmal zu sagen, daß im Ergebnis des zweiten Weltkriegs, in dem die Sowjetunion der einzige Gewinner gewesen ist, die Macht der Sowjetunion vom Oberlauf des Dnjepr, der früheren russisch-polnischen Grenze, bis in das Gebiet der Werra — das sind über tausend Kilometer — nach Westen hin ausgedehnt worden ist.

    (Sehr wahr! bei der CDU/CSU.)

    Wenn der Herr Bundeskanzler und der Sprecher der Opposition, also hier im Grunde unser Volk, ermahnen, die Gegebenheiten realistisch und ohne Illusionen zu sehen, dann, glaube ich, auch noch aus einem anderen Grunde. Es ist wohl angebracht, die Nebenbemerkung zu machen, daß die deutsche Bundesrepublik, in der wir heute den alleinigen


    (Lemmer)

    deutschen Staat in Freiheit und Würde und Unabhängigkeit zu erblicken vermögen, mit einem Gebietsumfang von 260 000 Quadratkilometern nicht einmal die Hälfte vom Flächenraum des ehemaligen Deutschen Reiches des Jahres 1914 mit 540 000 Quadratkilometern ausmacht. Die ganze Tragödie der deutschen Geschichte dieser Jahrzehnte kommt meines Erachtens nicht zuletzt in diesen Zahlen erschütternd zum Ausdruck.
    Und nun ein Wort über die beiden Punkte — die einzigen, die ich sehe —, in denen zwischen uns im Regierungslager und der Opposition keine Übereinstimmung besteht. Das eine entnahm ich der Bemerkung des Herrn Kollegen Ollenhauer zur Erklärung des französischen Außenministers Bidault auf der Berliner Konferenz, der, um Herrn Molotow mit seinen fadenscheinigen Gründen zu beschwichtigen, darauf hinwies, daß ja doch die Sowjetunion vor einem militärisch aufgerüsteten Deutschland keine Angst zu haben brauche, weil dieses Deutschland militärisch und schließlich auch politisch durch die EVG gebunden sei. Herr Kollege Ollenhauer meinte, das wäre für ihn ein Grund mehr, seine Ablehnung des EVG-Vertrags zu bekunden. Meine Damen und Herren, ich bin anderer Meinung.

    (Abg. Dr. von Brentano: Sehr gut!)

    Ich bin der Meinung, daß die Bindung der Bundesrepublik über den EVG-Vertrag erstens keine Diskriminierung bedeutet, weil dieser gleichen Bindung jeder andere Vertragspartner ausgesetzt ist.

    (Zustimmung bei den Regierungsparteien.)

    Das andere, das ich zu dieser Gegensätzlichkeit
    zum Ausdruck bringen möchte, ist, daß ich gerade
    in dieser, wie der zeitgemäße Ausdruck lautet,
    supranationalen Bindung einen großen Gewinn
    und einen gewaltigen politischen Fortschritt gegenüber dem durch Nationalismen zerrissenen und vernichteten Europa der Vergangenheit sehe.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Der zweite Punkt, in dem wir nicht übereinstimmen: Wir sind uns nicht einig in der Auffassung, daß der Verzicht auf die EVG als Voraussetzung für eine deutsche Wiedervereinigung notwendig sei. Ich habe nach dem sorgfältigen Studium dieser teilweise aus nächster Nähe erlebten Berliner Konferenz den Eindruck, daß diese Voraussetzung sozialdemokratischer Politik dank dem Verhalten des sowjetischen Außenministers Molotow nunmehr irreal geworden ist,

    (Zustimmung bei den Regierungsparteien)

    weil — das wurde schon von anderen Rednern, auch dem Sprecher der SPD, gesagt — ja doch Herr Molotow auf dieser Konferenz wahrscheinlich zum Erstaunen vieler Leute die erwartete Alternative: EVG oder echte Wiedervereinigung, schuldig geblieben ist.

    (Abg. Dr. von Brentano: Richtig!)

    Herr Molotow hat durch seinen Verzicht auf diese Alternative nicht nur der Haltung der sozialdemokratischen Opposition zu diesen Verträgen, sondern auch manchen anderen, die ernste Überlegungen über den Ausweg aus dem Dilemma: EVG und Wiedervereinigung, anstellten — ich meine nicht Herrn Joseph Wirth —,

    (Heiterkeit)

    einen schweren Stoß versetzt.

    (Zuruf von der SPD: Ebenso die anderen Minister!)

    Man möchte beinahe — so habe ich es einem Freunde gesagt — etwas ironisch meinen, daß Herr Molotow den erbitterten Kampf des alten Kommunisten gegen den demokratischen Sozialismus auch bei dieser Gelegenheit fortgesetzt hat, als ob es sein Wunsch war, die sozialdemokratische Opposition zu schwächen, weil sie angesichts dieser Haltung des sowjetischen Außenministers — es ist wirklich meine Meinung — politisch unhaltbar geworden ist.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Dafür aber hat Herr Molotow uns vor die große Wahlentscheidung gestellt. Er hat uns die Volksabstimmung verheißen, die in seinem sowjetischen Bereich zweifellos in den nächsten Wochen durchgeführt werden dürfte, nämlich wir sollen uns entscheiden, ob EVG oder Friedensvertrag. Diese Entscheidung mutet mich an wie die Aufforderung, zu wählen zwischen Hose und Jacke,

    (Heiterkeit)

    wobei die Sicherheit die Hose und der Friedensvertrag die Jacke wäre.

    (Erneute Heiterkeit.)

    Mit anderen Worten gesagt, ich kann zur Not ohne Jacke, aber nicht ohne Hose herumlaufen.

    (Große Heiterkeit und Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Ich würde Herrn Molotow und Herrn Ulbricht eine ganz andere Entscheidung vorschlagen, und ich bin überzeugt, daß dieses Haus in absoluter Einmütigkeit diese Fragestellung akzeptieren würde: Wenn schon jetzt keine gesamtdeutschen Wahlen möglich sind und die ostzonale Regierung unbedingt eine Volksabstimmung in allen Teilen Deutschlands veranstalten möchte, dann soll man in geheimer Wahl die deutschen Menschen zwischen Oder und Neiße und den westlichen Grenzen der Bundesrepublik fragen, ob sie sich zu den Prinzipien und der Lebensauffassung der Deutschen Demokratischen Republik oder der Bundesrepublik bekennen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Diese Abstimmung freilich hieße beinahe Eulen nach Athen tragen. Es bedurfte nicht des 17. Juni, um volle Klarheit darüber zu schaffen, daß sich zwar viele Demarkationslinien tief in das deutsche Leben eingegraben haben, daß aber der geistige, der seelische und der politische Zusammenhalt aller Deutschen — und das ist ein großes Aktivum — gewahrt werden konnte.
    Allerdings brennt die Lösung der deutschen Frage nicht in erster Linie uns, aber den Menschen in sowjetisch-politischem Gewahrsam auf den Nägeln. Darum bin ich fest davon überzeugt, daß der Herr Bundeskanzler und seine Regierung beharrlich wie bisher nicht nur ihre Forderung nach nationaler und demokratischer Selbstbestimmung des deutschen Volkes aufrechterhalten, sondern daß sie auch keinen Zweifel darüber lassen, daß unser Volk unter dem Eindruck des Ausgangs der Berliner Konferenz von einer heiligen Unruhe beseelt ist, und daß auch unsere Freunde in der Welt sich nicht darüber täuschen dürfen, daß wir immer fanatischer und entschiedener unsere Forderung nach Wiedervereinigung und Freiheit stellen werden.

    (Anhaltender lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)