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ID0201601300

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    2. Deutscher Bundestag — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Februar 1954 517 16. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 25. Februar 1954. Geschäftliche Mitteilungen 517 C, 550 D Eintritt des Abg. Putzig in den Bundestag . 517 C Glückwünsche zu den Geburtstagen der Abg Arndgen und Kemper (Trier) 517 C Mitteilung über Beantwortung der Kleinen Anfragen 19, 21, 22, 26, 27, 28, 29, 30 (Drucksachen 172, 265; 175, 264; 191, 273; 229, 277; 230, 276; 231, 281; 232, 274; 233, 268) 517 D Entgegennahme einer Erklärung der Bundesregierung (Ergebnisse der Berliner Außenminister-Konferenz) und Aussprache über die Erklärung 518 A Dr. Adenauer, Bundeskanzler . . . 518 A Ollenhauer (SPD) 522 B Dr. von Brentano (CDU/CSU) . . . 528 B Dr. Dehler (FDP) 533 B Haasler (GB/BHE) 538 C Dr. von Merkatz (DP) 539 B Unterbrechung der Sitzung . . . 544 A Wehner (SPD) 544 A Lemmer (CDU/CSU) 546 D Seiboth (GB/BHE) 549 A D. Dr. Gerstenmaier (CDU/CSU) . . 550 A Präsident D. Dr. Ehlers 550 C Einstimmige Annahme der Entschließung Drucksache 286 550 B Nächste Sitzung 550 D Die Sitzung wird um 9 Uhr 3 Minuten durch den Präsidenten D. Dr. Ehlers eröffnet.
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    Rede von Horst Haasler


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (GB/BHE)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Bundeskanzler hat mit Recht den Außenministern der Westmächte für das unbeirrbare Bemühen gedankt, eine Tür zur Wiedervereinigung Deutschlands in Freiheit und Frieden aufzustoßen. Es mag aber, ohne das Verdienst der Westmächte um die Erhaltung der freien Welt schmälern zu wollen, in diesem Hohen Hause doch einmal recht deutlich gesagt werden, daß auch das deutsche Volk einen entscheidenden Beitrag zu der Festigkeit des Westens geleistet hat, ja, daß die Haltung des deutschen Volkes es überhaupt erst ermöglicht hat, Europa zu einer gemeinsamen Anstrengung für die Erhaltung unseres alten Kontinents und seiner demokratischen Lebensform aufzurufen. Die Geschichte wird, und das leider zu Recht, für die vor 1945 liegende Zeit manches harte Urteil über Handlungen deutscher Machthaber — hoffentlich nicht des deutschen Volkes — bereithalten. Aber nach 1945 — das müssen wir uns als ein heute noch nicht abschätzbares historisches Verdienst anrechnen — hat das deutsche Volk die ganze freie westliche Welt dadurch verpflichtet, daß es sich mit aller Deutlichkeit für die Freiheit entschieden hat, einer Deutlichkeit überdies, die manche vom Schicksal bevorzugte Nationen des Okzidents bisher noch nicht erreichen konnten. Wie würde es heute um die Welt stehen, wenn sich unser schwergeprüftes Volk, das nach den Theorien des Osten im Hinblick auf seine materielle Lage doch ganz besonders für diktatorische oder gewaltsame Lösungen anfällig sein müßte, nicht als ein so starkes Bollwerk gegen die Ideen der Unfreiheit erwiesen hätte! Wir würden heute über den Begriff eines freien Europas kaum mehr ernstlich zu diskutieren haben.

    (Abg. Dr. von Brentano: Sehr gut!)

    Es wurde dem deutschen Volke nicht leicht gemacht, und das Bekenntnis zur Freiheit war und ist durchaus nicht immer und überall für das deutsche Volk ungefährlich, — weniger gefährlich natürlich hier in der Bundesrepublik. Aber wir sollten es an dieser Stelle, in dem einzigen frei gewählten deutschen Parlament, doch einmal sehr laut und deutlich feststellen: Der gefährdetste Teil unseres Volkes hat bewiesen und beweist täglich, daß er bereit ist, für die Zugehörigkeit zu einer freien Welt jedes Opfer zu bringen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Ich habe keinen Zweifel daran, daß nicht nur unsere Brüder in der sowjetisch besetzten Zone, die das heute beweisen, sondern daß auch wir in der Bundesrepublik die Freiheit in unserem Vaterlande und für unser Vaterland über jede Gefährdung stellen werden, wenn solche Prüfungen eines Tages an uns herankommen sollten.
    Diese Tatsache gibt uns aber die Berechtigung, die Haltung der Außenminister des Westens nicht als einseitiges Geschenk zu empfinden. Für unser Volk und für den Westen scheint es richtiger, die Berliner Konferenz als den Beginn einer echten Partnerschaft zu betrachten, einer Partnerschaft, die der Überzeugung entspringt, daß die freie Welt nur in all ihren Völkern bestehen wird oder eines Tages in der Flut uns wesensfremder Ideen versinken muß.


    (Haasler)

    Der Weg zur inneren und äußeren Freiheit des ganzen Deutschlands wird noch sehr schwer sein. Er ist nicht immer übersichtlich und auch keineswegs bequem. Man mag der Meinung sein, daß er in diesem oder jenem Abschnitt etwas anders in Art und Richtung gewählt werden müßte. Meine Damen und Herren, wer getraut sich denn, in jeder Situation die genaue Richtung und ihre Ergebnisse unfehlbar vorherzusehen? Von diesem Gesichtspunkt aus klingt manches ansprechend, was uns der Sprecher der Opposition heute als seine Wegrichtung vorgetragen hat. In der Theorie ließen sich darüber hinaus vielleicht noch viel schönere Lösungen finden. Aber es geht j a nicht um die Theorie, es geht um eine Wirklichkeit, und die ist viel härter und erfordert exaktere Entscheidungen.

    (Abg. Dr. von Brentano: Ja!)

    Die Alternative zu Freiheit ist nicht etwa Neutralität, das hat auch der Führer der Opposition anerkannt. Sie ist aber auch nicht Zögern und nicht Streiten um den Weg und nicht Beharren auf Illusionen oder etwa auf Eigensinn. Die Alternative zu Freiheit ist Unfreiheit. Um sie von uns und unseren Brüdern im Osten abzuwenden, haben wir Wege zu gehen, die praktisch gangbar sind. Eine Möglichkeit für einen solchen Weg scheint uns nach den bisherigen Ergebnissen die europäische Integration zu sein. Diese Integration wird in Europa unter den freien Völkern ein Gemeinschaftsgefühl bilden oder vorhandene Ansätze stärken. Dieser Weg scheint uns auch deshalb besonders gut und gangbar, weil er wohl derjenige ist, der die größte Garantie für eine friedliche Endlösung einschließt.
    Meine Freunde haben zu Kanzler und Kabinett das Vertrauen, daß der einmal eingeschlagene Weg, der bisher schon Erfolge, wenn vielleicht auch nicht in dem erwarteten Maße, gezeitigt hat, der aber die Möglichkeit von entscheidenden Erfolgen in greifbare Nähe rückt, weiter eingehalten wird. Man darf jedoch auf dem langen Weg, der vor uns liegt, keine Möglichkeit außer acht lassen, unseren Brüdern ostwärts der Elbe auch praktisch zu helfen und nicht nur gute Worte zu sagen.

    (Abg. Dr. von Brentano: Richtig!)

    Seien wir uns darüber klar, daß die ganze Welt nicht nur auf die Bundesrepublik, sondern auch auf das Gebiet sieht, das heute unter sowjetischer Verwaltung steht. Wir müssen alles tun, um den Freiheitswillen dort drüben zu stärken, und alles fördern, was unseren Brüdern die Überzeugung gibt, daß sie in ihrem Kampf um die Freiheit nicht allein stehen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)



Rede von Dr. Carlo Schmid
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Das Wort hat der Abgeordnete von Merkatz.

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    Rede von Dr. Hans-Joachim von Merkatz


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (DP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, die heutige Regierungserklärung bedeutet in ihrer besonderen Klarheit politisch den ersten Schritt, der nach der Konferenz deutscherseits zu erfolgen hatte. Diese Klarheit, die in der Darstellung der Entwicklung und der Analyse der Vorgänge auf der Konferenz in Berlin geschaffen worden ist, wird die Überzeugungen nicht nur im deutschen Volk, in dem sie schon weithin geprägt sind, sondern in der ganzen Welt in dem Sinne beeinflussen, den wir wünschen, d. h. sie wird ein Beitrag dazu sein, auf welchem praktischen Wege die Wiederherstellung der Einheit
    unseres Vaterlandes vollzogen werden kann. Deshalb begrüße ich diese Erklärung der Regierung. Ich habe ihrem Inhalt seitens meiner politischen Freunde nichts weiter hinzuzufügen. Es sind die Überzeugungen, die uns seit Jahren getragen haben.
    Zu den Vorgängen auf der Konferenz der vier Mächte möchte ich aber doch einige Bemerkungen machen. Die Wiedervereinigung Deutschlands ist auf der Konferenz gescheitert. Die Konferenz blieb aber nicht ohne Ergebnisse, und das sollte der Ausgangspunkt für unsere weiteren Überlegungen sein. Es ist mit dieser Konferenz eine Phase zu Ende gegangen, es sind Klarstellungen erfolgt, und ich glaube, es steht uns nicht an, diesen Ausgang der Konferenz und seine Folgen zu dramatisieren. Der Westfälische Friede von Münster und Osnabrück hat acht Jahre Vorbereitungen in einer Zeit gebraucht, in der bei weitem nicht so schwierige Probleme zu lösen waren wie in dieser durch zwei Weltkriege zerstörten Welt. Wir müssen erkennen — und ich begrüße es sehr lebhaft, daß auch die Außenminister der Westmächte diese Erkenntnis zur Grundlage ihrer Darstellungen gemacht haben —, daß der Versailler Vertrag und die Pariser Vorortverträge die Grundlage für die Zerstörung der europäischen Ordnung abgegeben haben und daß man bei der Wiederherstellung der Friedensordnung nach diesem Krieg jenen verhängnisvollen Weg nicht wieder zu gehen beabsichtigt. Demgegenüber bleibt die Sowjetunion — das geht aus jedem Wort von Herrn Molotow hervor — auf einer nationalistisch-imperialistischen Machtpolitik der Rache und der Eroberung und der Unterdrückung des Besiegten bestehen, — ein Geist, der haargenau jenem Geist der Rache und der Unterdrückung entspricht, der mit dem sogenannten Versailler Vertrag und den Vorortverträgen zum Unglück Europas geführt hat.
    Was nach den vielen Zerstörungen wieder in Ordnung zu bringen ist, ist allerdings so schwierig und so bedeutungsvoll, daß wir gut beraten wären, wenn wir den Faktor Geduld in Rechnung stellten. Die Worte reichen nicht aus, um zu erklären, was unseren Menschen in der sowjetisch besetzten Zone auferlegt ist. Es stockt mir fast das Wort im Mund, wenn ich zu unseren Brüdern und Schwestern hinüberrufe: Euer Beitrag für die Freiheit, Sicherheit und den Frieden Deutschlands, für das Wiederzusammenkommen wird es sein, daß ihr jetzt durchhaltet, daß ihr euch nicht durch die Enttäuschung in eurer seelischen und eurer willensmäßigen Widerstandskraft beeinträchtigen laßt! Wenn wir das hinüberrufen und die herzliche Bitte aussprechen. daß auch drüben die Dinge im rechten Licht gesehen werden und daß die seelische Widerstandskraft und der Wille, durchzuhalten, bestehen bleibt, dann legt das allerdings uns, die wir im Bereich einer Sicherheit leben, die größten Pflichten auf. Deshalb begrüße ich es, daß in der Regierungserklärung zum Ausdruck gekommen ist, daß in der Politik der Bundesrepublik hinsichtlich ihrer inneren Struktur und hinsichtlich ihrer Wirksamkeit für die Wiederherstellung der Einheit unseres Vaterlandes eine Straffung und Opferbereitschaft auch gegenüber den Menschen drüben einzutreten hat. Denn nur so erhalten wir die Grundlage, um den geduldigen Prozeß des Werdens einer schließlich stabilen Friedensordnung in Europa durchzuhalten, die uns auch die Einheit unseres Landes in Freiheit und Frieden bringen wird.


    (Dr. von Merkatz)

    Wenn man die sowjetrussischen Ziele, die der Außenminister der Sowjetunion in Berlin vorgetragen hat, zusammenfaßt, lassen sich ganz klar drei Punkte herausschälen: Ein neutralisiertes, dem Zugriff der Sowjetunion offenliegendes, durch die Vorbehalte weitgehender Interventionsrechte bedrohtes und innerlich in seiner Geselischafts-
    und Wirtschaftsordnung sowjetisiertes Deutschland soll in einem neutralisierten, unter der Hegemonie der Sowjetunion stehenden Europa existieren, dessen gesamte Bündnissysteme, soweit sie eine effektive Verteidigung sicherstellen, vorher zerschlagen werden sollen, einem neutralisierten Europa, in dem der Ostblock, der ja intakt bleiben soll, allein zu befehlen hat. Drittens soll dieses neutralisierte Europa in einer Welt existieren, die statt vom Sicherheitsrat der UNO von der Pentarchie der großen Fünf unter Einschluß der Chinesischen Volksrepublik beherrscht werden soll. Diese Pentarchie bedeutet auch die Voraussetzung für eine Hegemonie der Sowjetunion und des Ostblocks über die Welt. Denn nicht zuletzt sind die Bemühungen der Sowjetunion gegenüber Frankreich auch dahingehend zu verstehen, daß in dieser Pentarchie der Ostblock über zwei Stimmen und möglicherweise noch über einen Verbündeten aus dem Westen verfügen sollte, womit dann die Vorherrschaft über die gesamte Welt, gelenkt von Moskau aus, sichergestellt wäre.
    Diese drei Grundziele bedeuten in ihrer negativen Gestalt, daß keine europäische Verteidigung und kein politischer Zusammenschluß zustande kommen soll, daß der einzige wirksame Schutz, den Europa augenblicklich durch die Kraft der Vereinigten Staaten hat, ausgeschaltet werden soll, indem die Amerikaner aus Europa und ihren Stützpunkten in der ganzen Welt hinauskomplimentiert werden sollen, bis dieser arme, geschlagene, in sich zerrissene Kontinent vor Moskau liegt und dann mit dem Spiel der inneren Kräfte solche Umgestaltungen vor sich gehen, daß dieser Kontinent nicht nur unter die Hegemonie der Sowjetunion fällt, sondern tatsächlich ein Bestandteil des sowjetischen Blocks wird, womit die Vorherrschaft des Bolschewismus in der ganzen Welt erlangt wäre.
    Die Wiederherstellung der Einheit unseres Landes ist nicht am starren Festhalten etwa an einer Integrationspolitik, an einer europäischen Einigungspolitik, sondern daran gescheitert, daß die Sowjetunion in der härtesten Weise den Willen gezeigt hat, an ihren Eroberungen festzuhalten. So ist die Lage. Wenn man hier ein Urteil fällen will — da reichen wiederum die Worte nicht aus —, so ist das, was hinsichtlich eines Friedensvertrages für Deutschland als Methode und Weg für die deutsche Wiedervereinigung angeboten worden ist, eine Verhöhnung des deutschen Volkes und seines Lebensrechts.

    (Bravo! bei der DP.)

    Man muß dieses scharfe Wort gebrauchen. Es bedeutet eine Verhöhnung eines Volkes, daß man ihm — neun Jahre nach Eintritt der Waffenruhe — seine natürlichsten Lebensrechte, nämlich die Einheit seines Staates vorenthält. Wenn überhaupt irgendeine Ordnung des Friedens und das Klima friedliebender Nationen Wirklichkeit werden kann, dann sollte dieses primitivste Grundrecht eines Volkes, nämlich in der Einheit seines Staates, in innerer und äußerer Freiheit leben zu können, an den Anfang aller Überiegungen gestellt werden
    und hieraus die Mäßstäbe für das Verhalten der
    einen oder der anderen Seite entnommen werden.
    In den Vorschlägen des sowjetischen Außenministers ist die Vorstellung enthalten, daß der Abhaltung der sogenannten freien Wahlen nach einer demokratischen Qualifikation — was Herr Molotow unter demokratisch versteht! — gewisse gesellschaftliche und wirtschaftspolitische Umgestaltungen vorauszugehen hätten. Ich möchte hier feststellen, daß der Grundgedanke des Potsdamer Abkommens, der diese Eingriffe in die innere Substanz eines Volkes als Recht des Siegers stipulierte, einen der schwersten Verstöße gegen die Grundrechte eines Volkes bedeutet. Kein anderes Volk, keine andere Nation hat ein Recht, im Innern eines Landes zu sagen: Du sollst in deiner Gesellschaft so oder so aufgebaut sein, du sollst in deinem Glauben so oder so dich verhalten, du sollst so oder so dein Brot verdienen. Es hat in der Welt noch keinen Friedensvertrag gegeben, in dem die Rechte aus der Eroberung bis zu diesem Mord am inneren Leben eines Volkes ausgedehnt worden sind. Die Ungeheuerlichkeit des Gedankens einer solchen Interventionspolitik und der Zumutung, daß man hier vor irgendwelchen Wahlen durch eine von außen auferlegte Revolution eine demokratische Qualifikation erreichen wollte, muß unterstrichen und daran einmal sichtbar gemacht werden, wie unmöglich im Sinne einer echten freiheitlichen völkerrechtlichen Ordnung des Friedens die sogenannten Grundlagen des Potsdamer Abkommens gewesen sind. Das, was hier neun Jahre nach Waffenruhe noch als Erfüllung von Potsdam gefordert wird, die Zwangsrevolutionierung des deutschen Volkes, ist nichts anderes als die geistige Verirrung von Jalta, in der man sogar so weit ging, ganze Bevölkerungsteile aus dem angestammten Staatsgebiet eines Volkes auszutreiben.
    Die Konferenz hat im Grundsätzlichen noch nichts zur Entspannung beigetragen, und ich erinnere an das, was ich vor einiger Zeit einmal von dieser Stelle aus gesagt habe, an die Gefahr, die dann entsteht, wenn eine solche Konferenz im Grundsätzlichen Verschärfungen bringt. Bei aller realpolitischen Notwendigkeit einer Entspannung sollten wir uns heute tatsächlich bemühen, in voller Klarheit die Dinge so zu betrachten, wie sie sind, und Recht und Unrecht, Böse und Gut wieder klar und deutlich zu unterscheiden und unbeeinträchtigt von jeder taktischen Selbstüberredung so zu werten, wie sie es verdienen.
    Was bedeutet denn die Bedingung, die man uns im Friedensvertrag auferlegen will? Ein Koalitionsverbot, ein Verbot, uns mit den Mächten, die uns nach Kultur, Geschichte und nach dem inneren politischen Wesen verwandt sind, zu verbinden? Das bedeutet auch hier nichts anderes als die Verletzung eines der Grundrechte eines Volkes. Auch das bedeutet eine künstliche machtpolitische Gestaltung, die man uns aufzwingen will und die von uns abgelehnt werden muß. Wir müssen uns völlig darüber klar sein, es gibt nur eine Möglichkeit des Friedens, der Freiheit und der Sicherheit: wenn an die Stelle der untergegangenen nationalstaatlichen Ordnung des 19. und des beginnenden 20. Jahrhunderts ein neues Staatensystem gesetzt wird, das nicht nur auf den Prinzipien der Souveränität, der nationalen Egoismen und der Rivalitäten aufgebaut ist, sondern das eine Ordnung enthält, in der die Berührungspunkte und die Gemeinsamkeiten der Völker in gemeinschaftlicher Aktion zur Förderung ihres wirtschaftlichen


    (Dr. von Merkatz)

    Daseins, ihrer Sicherheit und auch der geistigen Grundlagen, die letztlich eine menschliche Gemeinschaft tragen, gepflegt werden.
    Ich möchte bereits an dieser Stelle auf das Problem eingehen, das so oft zweifelnd und auch zweideutig im Zusammenhang mit Art. 7 Abs. 3 des Deutschland-Vertrages diskutiert worden ist. Dabei möchte ich von der Grundvorstellung ausgehen, daß nur eine Ordnung Europas auf der Grundlage einer dauerhaften Organisation der Zusammenarbeit und nicht auf der Grundlage von vergänglichen Bündnissen das Gleichgewicht und den Frieden in der Welt herzustellen vermag. Das ist eine objektive Erkenntnis. Wenn die Sowjetunion sagt „Nein, das wollen wir nicht", so kann der Wille der Sowjetunion nicht der Maßstab für unsere eigene Erkenntnis sein.

    (Abg. Dr. von Brentano: Sehr gut!)

    Hier dürfte doch eigentlich, wenn man dieses politische System als Voraussetzung nimmt, die Tragweite dieses so oft umstrittenen Artikels, zu dem ich seinerzeit auch im Europarat in Straßburg Stellung nehmen mußte — Herr von Brentano, wir haben das damals zusammen getan —, völlig klar sein. Mit juristisch-theoretischen Spekulationen hat man noch niemals eine völkerrechtlich-politische Ordnung gestalten können; die Wirksamkeit eines juristischen Instruments ergibt sich vielmehr aus der konkreten Gestaltung, aus dem Substrat der Ordnung, die in einer Rechtsnorm Ausdruck gefunden hat. Daraus folgt sehr einfach und klar: wenn zwischen Ost und West eines Tages der Ausgleich gelingt — das ist die Voraussetzung für einen dauerhaften Frieden —, dann ergibt sich mit der Wiederherstellung der Einheit unseres Landes aus dem Kompromiß und Ausgleich irgendwie eine neue Ordnung,

    (Sehr richtig! rechts)

    und damit ergeben sich bestimmte Abwandlungen, die vollzogen werden müssen, die aber nur dann vollzogen werden können, wenn man das in den Verträgen von Bonn und Paris vorausgesetzte Staatensystem der Zusammenarbeit, auf dessen Grundlage dann die Einheit des Landes hergestellt wird, annimmt. Daß die Verträge dann so, wie sie sind, nicht mehr auf den Zustand eines größeren Europas passen, daß es notwendig ist, Abwandlungen vorzunehmen, und daß zu diesen Abwandlungen und ihrer Form die betreffende Regierung, die diese Abwandlungen verpflichtend eingeht, ja oder nein sagen kann und muß, das dürfte eigentlich aus der Natur der Sache hervorgehen.

    (Abg. Dr. von Brentano: Ja!)

    Insofern müssen tatsächlich, wenn an die Stelle des gegenwärtigen Zustandes das Staatensystem eines wahrhaft befriedeten, geeinten Europas gesetzt wird, dessen Kernpunkt die Einheit unseres Landes ist, selbstverständlich erhebliche Abwandlungen vorgenommen werden, um dieses System neu zu gestalten. Eine gesamtdeutsche Regierung hat dann zu diesen Abwandlungen ihr Ja oder Nein zu sagen. Das ist die reale juristische Tragweite der Handlungsfreiheit. Aber wenn ich hier zugleich und in erster Linie politisch spreche, so kann ich für meine politischen Freunde — und ich glaube, für alle — sagen: die Grundlage unseres politischen Wollens ist die europäische Zusammenarbeit, ist das, was mit diesen Verträgen überhaupt erst begonnen worden ist.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Wer hier die Zweideutigkeit hereinträgt, das Ja oder Nein einer gesamtdeutschen Regierung könne sich nicht nur auf Modalitäten beziehen, sondern könne in der Grundlage ein neutralisiertes Deutschland, ein zerstückeltes Europa schaffen, der irrt sich im Ausgangspunkt. Ich wüßte nicht, wie man jemals politische Verträge auszulegen imstande war, ohne Rücksicht zu nehmen auf die Prinzipien des Systems, die den Verträgen zugrunde liegen.
    Ich habe mir heute vorgenommen, dieses heikle Problem anzusprechen, und zwar nicht als Advokat, der irgendeinen Prozeß vor einem imaginären Schiedsgericht zu führen hat, sondern als Politiker, der die Voraussetzungen und die Tragweite eines Vertrages und des Staatensystems, das ihm zugrunde liegt, als die grundsätzliche Auslegungsregel in Anspruch nimmt. Alle, die an dem deutschen Willen zu dieser Politik des vereinigten Europas zweifeln, die an der deutschen Zuverlässigkeit zweifeln, in diesem Punkt einer Grundkonzeption treu zu bleiben, besonders auch dann, wenn diese Grundkonzeption zur Einheit unseres Vaterlandes führt — und nur sie kann überhaupt zu Einheit und Freiheit und Frieden unseres Vaterlandes führen —, wer an diesem getreulichen Festhalten an einer Politik der europäischen Einheit zweifelt, der versündigt sich nicht nur an unserem Land, sondern letztlich am Schicksal ganz Europas. Jetzt kommt es darauf an, die Konsequenzen aus der Viererkonferenz zu ziehen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Das vielleicht Überraschende für uns war, daß die bolschewistischen Forderungen, die wir ja aus der Note vom 10. März 1952 kannten — und die wiederholt, zum Schluß noch einmal im Herbst 1953 vorgetragen worden sind —, ganz erheblich verschärft worden sind.

    (Sehr richtig! rechts.)

    Das ist eine Tatsache, an der wir Deutschen nicht vorbeigehen können. Worin liegt die Verschärfung? Vor allen Dingen darin, daß das neutralisierte Deutschland geteilt bleiben soll, bis es sowjetisiert ist, und zweitens darin, daß auch noch danach der Vorbehalt von Interventionsrechten, vor allen Dingen des Rechtes auf jederzeitigen Einmarsch stipuliert werden soll. Was bedeutet denn ein solches Einmarschrecht? Das heißt, daß auf dieser Grundlage der dritte Weltkrieg auf unserem Boden begonnen werden kann und daß die Truppen der Vereinigten Staaten Tausende von Kilometern fortgedrängt sind, so daß nachher nur noch der Leichnam Europas befreit werden müßte. Wer also glaubt, zu entspannen, indem er auf diese listigen Wünsche eingeht, oder rauch nur mit dem Gedanken spielt, daß ein neutralisiertes oder sonstwie unter den Machteinfluß der Sowjetunion geratenes Deutschland entstehen könnte, der dient damit nicht dem Gedanken des Friedens, sondern er schafft die Voraussetzung für die dritte Katastrophe, die wir mit allen Kräften verhindern müssen, die wir aber nur verhindern können auf der Grundlage der Realität einer europäischen Gemeinschaft.

    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

    Ein zweiter Punkt. Ich habe gesagt, die Konferenz ist hinsichtlich der Wiedervereinigung unseres Landes gescheitert. Sie ist aber nicht ohne Ergebnis geblieben. Die ostasiatische Frage — die Bundesregierung hat diese Frage mehrfach angesprochen — ist von großer Wichtigkeit und, ich glaube,


    (Dr. von Merkatz)

    sogar eine Schlüsselfrage für die weitere Entwicklung. Sie läßt erkennen, daß sich auf diesem Gebiet doch gewisse Kompromisse andeuten. Man darf vor allem die Hoffnung haben, die wir besonders mit dem französischen Volk teilen, daß nach dem Korea-Krieg auch der Indochina-Krieg sein Ende findet.
    Immerhin liegt hierin ein Faktor, der weitere Überlegungen möglich macht, so daß wir uns wahrhaft fragen müssen, was nun in einer deutschen Politik zu geschehen hat. Ich möchte hier nicht im eigentlichen Sinne polemisieren, aber ich bin erschreckt von dem, was der Herr Kollege Ollenhauer als Fazit dieser Vier-Mächte-Konferenz zu sagen hatte. Ich habe nie behauptet, daß etwa die SPD eine Neutralisierung Deutschlands wünsche. Das hat sie klar abgelehnt, und ihr Wort gilt, und das wird hingenommen.

    (Abg. Kunze [Bethel]: Na?)

    Aber ich möchte doch sagen, daß sich die deutsche Opposition in die Reihen derer begeben hat, die in ganz Europa und in der Welt, und zwar gegen Deutschland gerichtet, eine Verzögerungspolitik hinsichtlich der konstruktiven Grundlagen eines werdenden Sicherheitssystems betreiben. Daß die Opposition durch ihre Prozesse in Karlsruhe, durch ihre wechselnden und zweideutigen Stellungnahmen, die sehr oft die Klarheit vermissen ließen, wesentlich diesen Verzögerungsprozeß gefördert hat, trifft uns nicht unerheblich. Ich möchte hier nicht sagen, daß die Opposition ihre Meinung im Sinne eines absoluten Konformismus ändern solle. Das kann man nicht von ihr verlangen; sie hat ihr Recht auf ihre Meinung. Es wäre aber im Interesse Deutschlands gut. wir könnten uns näherkommen. Das eine ist wohl sicher, auch wenn ich die Rolle der Opposition bei einem solchen außenpolitischen Vorgang anerkenne: die Verzögerung hinsichtlich der Basis unserer nationalen Existenz und das Unmöglichmachen, daß wir über die Grundlagen unserer nationalen Existenz ein einheitliches Bild und eine einheitliche Überzeugung entwickeln, sind doch eine schwere Hypothek auf dem deutschen Nachkriegsschicksal. Mit allen taktischen und sonstigen Mitteln ist von der Opposition planmäßig eine Verzögerungspolitik unterstützt worden, die uns jetzt auf dieser Konferenz mit leeren Händen hat dastehen lassen.

    (Beifall rechts.)

    Man wird mir daraufhin sagen, daß es, wenn man schon früher, im Jahre 1952, ratifiziert hätte, wie es meine politischen Freunde eindeutig gewollt haben, gar nicht zu einer Konferenz hätte kommen können.

    (Sehr gut! rechts.)

    Wer die Entwicklung, wie es zu dieser Vier-
    Mächte-Konferenz gekommen ist, verfolgt hat, der kann genau feststellen, daß in dem Augenblick, in dem eine Aktivität und Solidarität des Westens gezeigt worden ist, die Sowjetunion sofort die Absicht verfolgt hat, diese Aktivität wieder zu zersplittern und zu verzögern und eine Verhandlungsbereitschaft vorzutäuschen, um dann, wenn sich darauf eine Schwäche im Westen zeigte, mit harten Forderungen aufzutreten. Vielleicht ist das ein überraschendes Ergebnis der Vier-Mächte-Konferenz, daß der ungewöhnlichen Härte der sowjetrussischen Forderungen die Voraussetzung zugrunde gelegen hat, der Westen sei bereits durch die Verzögerungstaktik der Sowjetunion hinreichend zermürbt. Die Überraschung und für uns die Bestätigung, daß wir von unserer Verantwortung einen richtigen Gebrauch gemacht haben, ist, daß der Westen solidarisch gestanden und damit eines der wichtigsten Fakten für einen künftigen Ausgleich, für einen künftigen Frieden, für eine künftige Entspannung gesetzt hat.
    Wenn die Opposition ein Klima der Entspannung fordert und verlangt, daß alles unterlassen wird, was irgendwie eine Einigung und diese Entspannung gefährden könnte, dann kann ich nur sagen: dieses Klima der Entspannung wird dadurch gefördert, daß wir nicht eine Politik betreiben, die sich willenlos dem Eroberungs- und Machtwillen des Ostblocks fügt.

    (Beifall rechts.)

    Die Verzögerungspolitiker tragen so eine Art von geistigem Neutralismus in sich. Ich meine damit nicht die Neutralisierungspolitik, aber es gibt auch so eine Art von geistigem Neutralismus bei Leuten, die eine Sache allzu verstandesmäßig abwägen und dann zum Schluß gar keinen rechten Weg mehr sehen und die auch eine Illusion unter keinen Umständen fahren lassen, die ein politisches Gebäude irgendwie als Luftschloß aufbauen. Manchmal hat man das Gefühl, daß dieser Neutralismus aus Intellektualität und aus Entschlußlosigkeit an der Schwelle jener Verzögerungspolitik gestanden hat. Ich glaube, wenn wir ein Fazit aus dieser Konferenz ziehen wollen, dann muß ein Ende gemacht werden mit dieser geistigen Haltung des Sowohlals-auch, des Suchens nach Alternativen. Strenge Analyse ist notwendig. Sie darf aber nicht zur Entschlußlosigkeit und zu einem demütigenden Brükkenbau zu einem unerbittlichen Gegner hinüberführen.

    (Beifall rechts.)

    Das verstehe ich unter anderem auch darunter, was unter Punkt 2 der Regierungserklärung gesagt worden ist: daß die Politik der Bundesrepublik gestrafft werden muß.
    Da gibt es für uns, für meine politischen Freunde gar kein Schwanken. Es muß jetzt, wenn Europa und unser Land überleben sollen, die Politik der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft zu einem Erfolg gebracht werden. Ich weiß, daß diese Politik Schwierigkeiten macht, ich weiß, welch einen weiten Weg voller menschlicher und psychologischer Schwierigkeiten die Verwirklichung des neuen Gedankens bedeutet, daß die Nationen über ihren nationalen Egoismus hinauswachsen und erkennen, daß sie etwas Gemeinsames haben, was sie auch gemeinsam erledigen müssen. Die Vergangenheit muß begraben werden, und ich möchte an dieser Stelle wieder betonen, weich großes Anliegen uns gerade von der konservativen Seite dieses Hauses her die Verständigung mit Frankreich ist. Wir wissen, das französische Volk ist ein gesundes Volk, eine Ergänzung des europäischen Geistes, ein Begriff europäischer Freiheit und europäischen Maßes, auf das einfach nicht verzichtet werden kann. Durch Jahrhunderte hindurch ist der Gegensatz zwischen Deutschland und Frankreich als sogenannte Erbfeindschaft betrachtet worden. Meine Damen und Herren, der Gegensatz zwischen Frankreich und England hat noch viel mehr Jahrhunderte gedauert. Er bestand seit dem Hundertjährigen Kriege, und dennoch ist es dem französischen Staatsmann Talleyrand gelungen, endgültig die französisch-englische Erbfeindschaft aus der Welt zu schaffen. In dieser dauerhaften englisch-franzö-


    (Dr. von Merkatz)

    sischen Zusammenarbeit ist eine unverzichtbare politische Grundlage für Europa zustande gekommen. Dasselbe ist zwischen Deutschland und Frankreich nötig, oder wir werden unter den Ruinen unserer alten Städte begraben werden.

    (Sehr richtig! rechts.)

    Europa müßte zu einem Totenland werden, wenn diese Verständigung nicht gelingt. Es muß deshalb daran gearbeitet werden, und hier glaube ich, daß wir in Europa nicht auf die Rolle Englands verzichten können. In dieser ernsten Stunde, da einem die Bedingungen unseres europäischen Daseins und die schwere Lage unseres Volkes in geteiltem Zustand so ganz bewußt werden, geht der Blick und der Gedanke hinüber nach England. Es ist nun einmal so, daß dieses Europa nur leben kann, wenn alle Energien, alle Elemente und Fakten dieses Kontinents mobilisiert werden. Ich darf nur darauf hinweisen, von Magdeburg und von der sowjetisch besetzten Zone aus kann man auf die englische Insel mit Ferngeschossen schießen und die ganze Insel in Schutt und Asche legen. Unsere Sicherheit und die Sicherheit Englands dürften ein völlig identisches Interesse sein. Deshalb glaube ich, daß, wenn vielleicht nicht in allen Punkten der Weg direkt nach Paris gehen kann, der Weg nach Paris über London unter allen Umständen ein guter Weg sein müßte. Es ist nun einmal notwendig, daß sich kein Faktor, kein Element Europas der großen gemeinsamen Aufgabe entzieht, die Freiheit, die Sicherheit und den Frieden zu verwirklichen und damit die Fakten zu setzen, die den Ostblock nötigen, von seinem unerbittlich starren Standpunkt abzugehen und einzulenken, um für sich selbst und die Welt die Katastrophe zu vermeiden.
    Es ist ganz gewiß notwendig, ein Sicherheitssystem aufzubauen. Alles, was in der nach Europa gerichteten Politik geschieht, ist eine Grundlage, um ein Weltsicherheitssystem aufzubauen, das es in wirksamer Weise vorerst in der UNO noch nicht gibt. Natürlich soll dieses europäische Sicherheitssystem, dieses System kollektiver Sicherheit in den größeren Rahmen der Vereinten Nationen eingebaut werden, ich möchte sagen: Dieses System soll die Vereinten Nationen in ihrer weltweiten Bedeutung zur Entspannung überhaupt erst wirksam machen. Wenn heute die Sowjetunion sagt: wir fühlen uns von eurem Block bedroht, wir wünschen keine Welt, die in zwei Blöcke aufgespalten wird, dann muß ich allerdings feststellen: Alle diese Probleme würden sich gar nicht gestellt haben, wenn die Sowjetunion bereit wäre, auf ihren Block zu verzichten, d. h. die Satellitenstaaten Osteuropas, die sie in Unfreiheit gesetzt hat, aus ihrem Herrschaftsverhältnis zu entlassen. Dann allerdings könnte man möglicherweise an ein anderes System kollektiver Sicherheit denken und ein solches System aufbauen. Aber nach den Fakten, die die Sowjetunion selbst gesetzt hat und die sie um keinen Preis ändern will — kein Verzicht auf den Ostblock —, ist keine andere Möglichkeit gegeben, als mit adäquaten Mitteln und auf dieser Grundlage im Rahmen der UNO dann die Entspannung herbeizuführen.
    Natürlich kann ein kollektives Sicherheitssystem nie so aufgebaut werden, daß es gewissermaßen die Spitze nach der einen oder nach der anderen Seite richtet. Aber es ist eben auch eine Leistung seitens des Ostblocks zu erbringen, damit nicht dieser Ostblock als gegen die freie Welt gerichtet betrachtet werden muß. Ich für meine Person und meine politischen Freunde betrachten den Ostblock — und besonders nach den verschärften Forderungen der Sowjetunion — als einen Block, der gegen alle freien Völker, nicht nur gegen das deutsche Volk gerichtet ist. Wir können über ein Sicherheitssystem erst dann zu sprechen anfangen, wenn auf dem Gebiet der Atomrüstung und der Abrüstung ein wirklich ehrlicher Beitrag zur Entspannung gegeben wird und nicht, wie das auf der Konferenz geschehen ist, eine Verschärfung der Spannung, die aus dem nackten Darlegen des Erobererstandpunktes gefolgert werden könnte, daß man nicht auf ein Quentchen Macht, nicht auf ein Quentchen Besitz, der einem in die Hände gefallen ist, verzichten will.
    Damit kommt man zu den Aufgaben, die unmittelbar uns gegeben werden. Wir begrüßen es, daß die Labour Party in England den grundsätzlichen Gesichtspunkt der Sicherheit anerkannt hat. Ich hoffe, wenn solche Gedanken, wie sie z. B. Senator Schiller ausgesprochen hat, in den Reihen der Opposition etwas mehr bewegt werden, daß wir dann in diesen lebenswichtigen Fragen doch noch zu einer Verständigung untereinander kommen, wobei in den Methoden stets Unterschiede zwischen Opposition und Regierung bestehen werden. Wir geben in dieser vitalen Frage die Hoffnung niemals auf. Wenn Sie, meine Herren von der Sozialdemokratie, wirklich einmal in der Stille überdenken, was viele Männer aus Ihren Mitgliederreihen innerlich bewegt, so werden Sie erkennen, daß die Politik des absoluten Neins gegenüber der EVG, die, worüber Sie sich klar sein müssen, eine Politik des absoluten Neins gegenüber einer europäischen Zusammenarbeit ist, auf die Dauer von Ihnen nicht vertreten werden kann. Vielen Ansichten, die wir zur Grundlage unserer Politik gemacht haben, werden Sie sich im Grunde genommen einfach nicht verschließen können. Und dann soll man nicht trotzig sein; denn Trotz ist kindisch, vor allem in der Politik.

    (Zustimmung rechts. — Zurufe von der SPD.)

    Eine aktive Politik der Freiheit setzt voraus, daß wir im Innern unseres Staates die Möglichkeit finden, die ungeheure Belastung unserer Brüder drüben in der sowjetisch besetzten Zone so weit als nur irgend möglich zu mildern. Hier sind echte Berührungspunkte zwischen dem gegeben, was die Regierung erklärt hat und was wir unterstützt haben, und dem, was die Opposition will.
    Aber eines sei hier hinsichtlich der Würdigung unseres eigenen Staatswesens gesagt. Die Bundesrepublik ist Deutschland. Wir sollten die Zweideutigkeiten lassen, diese Sowohl-als-auch-Haltung, die immer darauf aus ist, die östliche Seite irgendwie in einer intellektuellen Skala mit dem gleichzubewerten, was hier ist, und die in dem provisorischen Charakter unserer staatlichen Ordnung immer so eine Art von Unverbindlichkeit sieht. Mit dieser Bewußtseinsspaltung unseres politischen Wollens müssen wir aufhören. Es gibt nur einen deutschen Staat, und der trägt die Verantwortung für alle. Wir werden dann, wenn unsere Politik richtig gewesen ist — und der Himmel gebe, daß sie richtig ist —, Rechenschaft vor einem ganzen deutschen Volk ablegen, das dann aber frei ist.

    (Beifall bei der DP, der FDP und bei der CDU/CSU.)