Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Über der Berliner Konferenz steht das bittere Fazit: Geblieben ist der Status quo! Ich habe nach dem, was der Herr Kollege Ollenhauer heute dargelegt hat, das schmerzliche Gefühl, auch über diesem Bundestag wird das Wort stehen: Es bleibt der Status quo! Wenn ich die letzten Jahre, den Versuch des ersten Bundestages überblicke, das in Freiheit lebende deutsche Volk aus dem schweren Sturz und dem Zusammenbruch des nationalsozialistischen Abenteuers herauszuführen, dann ist es für mich eine beklemmende Tatsache, daß es uns nicht gelungen ist, nach außen eine einheitliche Politik zu machen. Mir will es als ein schweres Versagen erscheinen, daß ein Volk in der Lage des deutschen, zerrissen, bedroht von einer ungeheuerlichen Macht im Osten, es nicht fertiggebracht hat, sich außenpolitisch auf eine Linie zu bringen, daß der erste Bundestag die Pflicht zur nationalen Solidarität nicht erfüllt hat. Das ist das Schmerzliche an dem, was Herr Ollenhauer uns heute gesagt hat, daß die SPD, die Opposition gewillt ist, diesen Weg weiterzugehen, daß sie sich nicht entschließt, Hemmungen zurückzustellen, Irrtümer einzusehen, sondern daß sie sich auf ihren Irrweg fixiert.
Wir wollen einmal einen kleinen Rückblick in die Bemühungen des ersten Bundeskabinetts tun, dem deutschen Volke zu helfen, und uns die Haltung der Opposition zu diesen Bemühungen vergegenwärtigen. Der erste Schritt war das Petersberger Abkommen, noch mit den Hohen Kommissaren geschlossen, ein erster Versuch, den Weg ins Freie zu schaffen, die schlimmsten Bedrückungen von uns zu nehmen, die Demontagen zu Ende zu bringen, wieder die Möglichkeit des Schiffbaues, der Schiffahrt zu haben, den Weg in die Welt zu finden. Die Sozialdemokratie hat dieses Abkommen leidenschaftlich bekämpft. Sie hat nein gesagt, hat wegen der Verfassungsmäßigkeit dieses Abkommens, das dem deutschen Volke nur geholfen hat, das Tausenden, Abertausenden von Menschen die Arbeitsplätze erhalten und deutschen Arbeitern neue Arbeitsplätze geschaffen hat, beim Bundesverfassungsgericht Prozesse geführt.
Sie ist diesen Weg weitergegangen. Die SPD hat nein gesagt zum Europarat. Wir wissen doch heute, was die Tätigkeit, die Wirksamkeit im Europarat und im Ministerrat des Europarats für uns bedeutet haben, diese Möglichkeit deutscher Politiker und deutscher Abgeordneter, wieder im Gespräch zu sein, gleich auf gleich, mit den Abgeordneten der anderen europäischen Staaten, und wie sehr das gedient hat, wieder so etwas wie eine demokratische internationale politische Atmosphäre zu schaffen.
Die Sozialdemokratie hat nein gesagt zum Schumanplan —
für mich immerhin das Modell eines geordneten Europa, das Vorbild eines wirtschaftlichen Großraums als Voraussetzung gesteigerten wirtschaftlichen und sozialen Wirkens.
Die Sozialdemokratie hat nein gesagt zur Europäischen Verteidigungsgemeinschaft. Sie hat nein gesagt auch zur Europäischen politischen Gemeinschaft. Und wieder stehen uns Prozesse am Bundesverfassungsgericht bevor. Soll ich die Leidensgeschichte der Verträge, des Deutschland-Vertrages und des Vertrages über die Europäische Verteidigungsgemeinschaft, schildern? Oft habe ich das Empfinden, das deutsche Volk weiß zuwenig davon, was hier gefehlt worden ist in der Erfüllung nationaler Verpflichtungen!
Die SPD ist doch dabei, Ballast — ideologischen Ballast — abzuwerfen.
Will sie da nicht dieses Gepäck, das doch schon muffig geworden ist, das Gepäck einer falschen außenpolitischen Auffassung dazu legen?
— Nein, ich meine es ernst, Herr Ollenhauer!
Ich meine es ernst, Herr Mellies, tief ernst!
Ich habe aus den Erklärungen des Herrn Ollenhauer, aus den Stellungnahmen zur Regierungserklärung einen anderen Willen angenommen, und
ich glaube, ich habe auch alles Gute, was in Ihrer
Erklärung lag, Herr Ollenhauer, aufgenommen. Ich
habe ein höheres Maß an Verpflichtung gegenüber
dem Schicksal unseres Volkes unterstellt, einen ehrlichen Willen zu einem Gespräch. Herr Ollenhauer, das ist kein echtes Gespräch, das Sie heute geführt haben, sondern das ist ein Sich-Zurückziehen auf Positionen, die doch längst keine Wirklichkeit mehr sind, die auch niemals Wirklichkeit waren, sondern Ausflüchte.
Wenn man sich die Ausführungen des Herrn Ollenhauer, wie ich es getan habe, ohne jedes Vorurteil angehört hat, dann meint man, er lebt in der Vorstellung einer fast idyllischen Welt,
in der Vorstellung, es gebe da einen Zusammenschluß vereinter Nationen, einen Zusammenschluß von lammfrommen Staaten.
— Ja, von den Raubtieren hat der Herr Ollenhauer nichts gemerkt; er hat auf jeden Fall uns nichts merken lassen. Die schauerliche Tatsache, die doch in Berlin ihre Bestätigung gefunden hat, daß diese Welt auseinandergebrochen ist, daß sie aus zwei Fronten besteht und daß es das, was Sie annehmen, gar nicht gibt: die funktionierenden Vereinten Nationen, diese Tatsache ist aus ihren Worten nicht deutlich geworden. Es ist doch das Erschütternde der Berliner Konferenz gewesen, daß dieser Zwiespalt der Welt deutlicher denn je hervorgetreten ist und daß für jeden von uns die Sorge um Europa größer geworden ist denn je. Man hat das Empfinden von zwei Welten, die nicht miteinander sprechen können, die sich am Ende gar nicht verstehen wollen, von zwei Welten, die einander in einer ) dauernd gesteigerten Spannung gegenüberstehen, und dann wird einem bange um dieses Europa. Man hat das Gefühl, daß unsere Situation die des verfallenden, des chaotischen römischen Reiches ist. Überdenken Sie die Entwicklung dieses Europas in den letzten 50, 80 Jahren, diesen Abstieg vom Gipfel der politischen und der wirtschaftlichen Macht in der Welt zu einem zerrissenen, wirtschaftlich ungeordneten, politisch desorganisierten Erdteil, dem dann auch noch vor allem eines fehlt: die große gestaltende Idee, vielleicht auch die großen gestaltenden Persönlichkeiten.
Auch das, glaube ich, ist in Berlin wieder deutlich geworden — ich habe mir die Dinge auch einmal aus der Nähe angesehen und mit den Akteuren gesprochen —: die fremde Welt, die fremde Atmosphäre, die Molotow mitbrachte, fremd doch in allem: in der Regierungsform, in dieser merkwürdigen Welt des Kreml, wo der Blutgeruch — wir wissen die endlose Zahl der Menschen, die ihr Leben geopfert haben, bis zu Berija — aufstieg;
fremde Welt in der Wirtschaftsorganisation, im Lebensstil, in der Lebensordnung. Sie ist für uns schon eine terra incognita geworden.
Und wer hat sie von uns geschieden? Der Ausgangspunkt der Spaltung ist den Menschen gar nicht mehr deutlich bewußt. Haben w i r gespalten? Ist das nicht der böse Wille der anderen gewesen? Man muß hier und da an der Zonengrenze stehen, muß die tote Strecke an der Grenze sehen, die die anderen geschaffen haben. Die anderen haben gespalten, haben auseinandergerissen. Und haben Sie in Berlin auch nur ein Wort des Willens gehört, diese Spaltung zu überbrücken?
Ich meine, eine realpolitische Betrachtung der Dinge muß von diesem Sachverhalt ausgehen, von dieser Riesenmacht, die sich drüben zusammengeballt und die fast ein Drittel der Menschheit in ihre Einflußsphäre gezogen hat. Mich überfällt immer der schwere Rhythmus eines Goethe-Verses aus dem zweiten Teil des „Faust", wo er die „Gewaltigen" sagen läßt:
Vom Osten kommen wir heran,
und um den Westen ist's getan.
Ein lang und breites Volksgewicht —
der Erste wußt' vom Letzten nicht.
Man muß, meine ich, diese Gefahr sehen, muß erkennen, daß eines wieder in Berlin deutlich geworden ist: daß Rußland die Hegemonie über Europa in Anspruch nimmt — über das, muß ich schon sagen, was von Europa geblieben ist.
Diesen Herrschaftsanspruch abzuwehren — das ist unsere politische Aufgabe!
Die Aufgabe ist, alles Erforderliche zu tun, um uns zu behaupten.
Es gibt ja keine Wahl — hierin werde ich auch mit Herrn Ollenhauer einig sein — zwischen der Welt, die ich eben geschildert habe, und der westlichen Welt. Oder wollen wir darüber streiten, daß wir zur westlichen Welt gehören und daß wir mit jener Welt nichts zu tun haben, daß es keine Bindung zwischen uns und denen geben kann, daß dort etwas entstanden ist, was in allem — in allem! — anders ist als wir und unvereinbar ist mit unserem Wesen. Ich meine, unsere Entscheidung für den Westen ist doch unbestreitbar, ist doch gefallen. Dort ist die Gemeinschaft, in die wir gehören, dort sind unsere Ideale, ist unsere Lebensform lebendig, dort weht die Luft der Freiheit, dort besteht der Wille des Friedens.
Deswegen gibt es für uns nur einen Weg, und es scheint mir müßig, von der Möglichkeit anderer Wege zu sprechen.
Hier noch einmal ein Wort zu der Verpflichtung, die die Opposition auch gegenüber der Regierung hat. Am Ende gibt es in der Außenpolitik nur den Weg der Regierung und der die Regierung bildenden Mehrheit des Parlaments. Daneben gibt es keinen anderen Weg in der Außenpolitik.
Das ist das Wesen der Demokratie. Eine Regierung ist vor allem berufen, ein Volk nach außen zu vertreten. Sie ist die Sprecherin eines Volkes nach außen, und sie entscheidet, wie sich ein Volk nach außen verhält. Eine Opposition kann ihre Meinung geltend machen, aber wenn die Regierung und die Mehrheit des Parlaments entschieden haben, dann hat die Opposition die verdammte Pflicht und Schuldigkeit, sich diszipliniert einzuordnen.
Ich hatte den Eindruck, meine Damen und Herren, daß sich mit dieser Pflicht das Verhalten der Führer der Opposition während der Berliner Konferenz nicht in Übereinstimmung befand.
Es erschien mir unmöglich, daß die Opposition in Berlin und während der Berliner Konferenz von Bonn her ihre Außenpolitik, ihre von der Haltung der verantwortlich handelnden Regierung abweichende Außenpolitik vertrat und in die Waagschale der Verhandlungen zu werfen versuchte.
Ich sage: Rußland betrachtet Europa als sein Interessengebiet. Deswegen war eine Möglichkeit der Verständigung in Berlin gar nicht gegeben. Das ist meine Überzeugung. Keine Konzession hätte die Russen bewogen, entgegenzukommen. Ich brauche nur auf Österreich zu verweisen. Dort bestanden nicht die Hemmungen, die in der Deutschland-Frage bestehen. Trotzdem kein Entgegenkommen. Wir wissen doch, wie die Entwicklung, die 1946 in Deutschland begann, verlaufen ist. Der Konflikt im Kontrollrat, der Ausgangspunkt der Spaltung Deutschlands, setzte ein, als der damalige amerikanische Außenminister Byrnes allen früheren Gegnern Deutschlands Sicherheit anbot und erklärte, daß Amerika zu diesem Zwecke die Truppen 40 Jahre lang in Europa belassen würde. Das war der Ausgangspunkt der Spannungen, die bis heute andauern: die ablehnende Haltung Amerikas gegen den hegemonialen Anspruch Rußlands in Europa. Zum Bruch im Kontrollrat kam es, als England und Frankreich trotz der ausdrücklichen Warnung Molotows die Marshallhilfe akzeptierten. Alles andere waren dann nur die Steigerungen dieser Spannungen.
Als Ergebnis Berlins müssen wir nüchtern, wenn auch schmerzlich feststellen: der militärische Druck Rußlands auf Mitteleuropa ist in nichts gemindert, und Rußland denkt nicht daran, diesen Druck auch nur zu lockern. Daraus gibt es nur die eine notwendige Konseqenz: alles zu tun, was nur möglich ist, um diesem Druck entgegenzuwirken. Wir wissen, wie sich der Westen verhalten hat. Fehlt es an dem Friedenswillen des Westens? Die ganze westliche Welt hat nach 1945 abgerüstet. Die Vereinigten Staaten haben ihre Luftwaffe verschrottet, haben ihre Schlachtschiffe eingemottet. Nur ein Staat hat gerüstet, hat weiter gerüstet, hat militärische Macht geschaffen, und das war Rußland.
Ich meine immer noch, die Deutschen sollten sich vor Augen halten, welche Gefahr über Europa lag, als Korea geschah, Korea, das beinahe zum Modellfall Europas hätte werden können. Mr. Dulles hat ja in Berlin auch davon gesprochen, wie damals die Dinge liefen: Behandlung der Frage Koreas ungefähr nach den Vorstellungen der Sozialdemokratie für Deutschland. Auch dort die Scheidung eines einheitlichen Staates in zwei Interessensphären — 38. Breitengrad! —, auch dort Vorschlag der Neutralisierung, der Zurückziehung der Truppen. Das geschah 1949, und 1950 hatte der Krieg begonnen. Damals, als „Korea" einsetzte — vielleicht darf man das jetzt, nachdem es Geschichte geworden ist, auch einmal feststellen —, stand in Europa eine einzige amerikanische Division. Danken Sie Gott, daß es dem Stalin in den Sinn kam, in Korea anzugreifen und nicht in Europa!
— Nun, ich glaube nicht, daß ich damit etwas Un- christliches gesagt habe.
Ich habe bei jeder Gelegenheit betont, welche Verpflichtung das deutsche Volk gegenüber dem amerikanischen hat. Ich habe immer betont, welche geschichtliche Leistung Präsident Truman damals vollbracht hat, als er dem ersten Versuch Rußlands, zum Angriff vorzugehen, entgegentrat, und daß wir Deutsche den Müttern und den Frauen zu danken haben, die ihre Söhne in Korea auch für uns geopfert haben.
Wenn man sich auch nur die Behandlung des technischen Ablaufs der Berliner Konferenz vergegenwärtigt, dann weiß man, daß Molotow nicht den Willen hatte, zu einem sachlichen Gespräch über die Deutschlandfrage zu kommen. Man schob das China-Problem vor, die Frage der Fünf-
Mächte-Konferenz mit China. Offensichtlich war der Versuch, China ins politische Spiel zu bringen oder zumindest zu erreichen, daß die westliche Welt die Belieferung Chinas mit den Waren, die Rußland selber nicht liefern kann, übernähme, das vordringliche Anliegen Molotows, nicht die europäische, nicht die deutsche Frage. Dann das Geplänkel, das Vorschieben der Weltrüstungskonferenz! Seien Sie mir nicht böse, Herr Ollenhauer, wenn ich ein klein bißchen — –
— Eben, Herr Heiland; wir kennen uns ja schon so lange und so gut, daß wir uns auch in unseren Untiefen nicht mehr wehtun können.
Als Sie heute wieder ungefähr mit der Stimmung kamen, diese europäischen, diese deutschen Probleme könnten gelöst werden in der Haltung „Seid umschlungen, Millionen!",
in der Haltung, die Vereinten Nationen und das Sicherheitssystem würden alles lösen, da wurde ich ein klein bißchen erinnert an den Versuch Molotows, die Weltrüstungskonferenz als Problem aufzuwerfen, als es darum ging — „Hic Rhodus, hic salta!" —, über Deutschland und Europa zu sprechen.
In der Deutschlandfrage ist Molotow ausgewichen. Es ist sehr interessant, was er vorgeschoben hat: diese uns als abgestanden erscheinenden Vorwürfe gegen das deutsche Volk, gegen die deutsche Demokratie, der Vorwurf des Faschismus, der drohenden Aggression, des drohenden Militarismus. Die Absicht war deutlich; man wollte auf Frankreich wirken, man wollte eine Stimmung des Unbehagens in Frankreich vergrößern. Man wollte Frankreich wieder in eine Haltung bringen, daß es glaubt, der Nachbar seines Nachbarn sei sein Freund. Man wollte den Glauben erzeugen, Frankreich müsse wieder Anlehnung an den östlichen Nachbarn Deutschlands finden und auf diese Weise wieder Situationen herbeiführen, die mindestens mit ursächlich waren für die Katastrophen von 1914 und 1939.
Es ist klar: Rußland hat nicht den Willen, die deutsche Frage zu ordnen. Wir sehen jetzt die Dinge klarer und hoffentlich illusionsloser. Ich vermisse bei den Darlegungen der Opposition, daß diese kühle, ich möchte sagen, eisige Luft Berlins bei ihr die Vorurteile, die Hemmungen und Illusionen nicht weggeblasen hat. Wir sehen keine andere Möglichkeit, in Europa Politik zu treiben, ohne Anlehnung an den Sieger des zweiten Weltkriegs, an die Vereinten Nationen. Amerika hat nach dem ersten Weltkrieg, nicht erkannt, was es bedeutet, zu siegen, daß Sieg viel mehr Pflicht und geschichtliche Verantwortung ist als Recht. Wilson wurde desavouiert. Amerika hat sich nach 1918 isoliert, hat Europa sich überlassen. Auch damit wurde eine der Ursachen gesetzt, die zu der politischen Fehlentwicklung in Deutschland und in Europa zur zweiten Katastrophe führten. Das ist das Große an den amerikanischen Staatsmännern unserer Zeit gewesen, daß sie ,die Verantwortung, die ihnen anheimgefallen ist, aufgenommen haben. Es gibt eine packende Erzählung von einem Zusammentreffen Roosevelts und Churchills auf einem Schlachtschiff — ich glaube, es war 1941 —, als die Zuhörer plötzlich das Gefühl hatten, der Mantel der Herrschaft gleite von den Schultern Churchills auf die Schultern Roosevelts. Das war der große Augenblick, in dem Roosevelt seine geschichtliche Mission erfaßte und durchsetzte. Seine Nachfolger haben sie aufgenommen. Dort ist die Kraft, der wir uns anzuschließen, das ist das Kraftfeld, in das wir uns einzuordnen haben.
Es war erhebend auf der Berliner Konferenz, als Mr. Dulles die Fehler von Jalta und im Anschluß daran die Fehler von Versailles verurteilte und darlegte, wie diese Fehler verdorben und geschadet haben. Ich habe einmal vor Jahren etwas Ähnliches in einer Rede — es sind vier Jahre her — in Hamburg zu sagen versucht und bin seit der Zeit als Sonntagsredner in die Geschichte eingegangen.
So verschieden ist das Glück von Rednern.
Ich bejahe unbedingt die Pflicht Europas, das Seine zu tun, und die Pflicht der Bundesrepublik, in diesem Rahmen das ihre zu tun. Ich bin der Überzeugung: ein geordnetes Europa ist bei seiner Wirtschaftskraft, bei seiner technischen Intelligenz in der Lage, auch ganz Entscheidendes für die Verteidigung der freien Welt zu tun. Ich nehme durchaus auf, was der Herr Bundeskanzler als Sinn der Empörung des 17. Juni 1953 dargelegt hat: das war das Bekenntnis zur westlichen, zur freien Welt und damit zu der Politik, die die Bundesregierung verfolgt.
Herr Ollenhauer erwartet sich viel von weiteren Verhandlungen. Niemand von uns wird sich sperren. Aber wer hat jetzt noch Illusionen? Wer glaubt noch, dieser fixierte Standpunkt der Russen werde sich durch Worte wie durch ein Wunder plötzlich lösen? Bestimmt: die Verhandlungen über die Atomkontrolle können Grundlagen sein für weitere Verständigungen auch über andere Probleme. Wir wollen hoffen, daß sich im Rahmen der Genfer Konferenz über Indochina auch andere Fragen, vielleicht auch die Deutschlandfrage, Lokkern lassen. Aber wer wird meinen, daß das, was
Molotow in Berlin dargelegt hat, sich in Kürze ändern werde?
Herr Ollenhauer meint, mit einem Male geschähen keine Wunder; sieben Jahre lang habe man nicht verhandelt, und der Kalte Krieg habe verhärtet. Die Russen können auch anders. Der Herr Stalin hat sich im August 1939 in wenigen Tagen mit Hitler geeinigt.
Der Herr Molotow hat mit Herrn Ribbentrop paktiert und die Engländer vor der Tür stehen und warten lassen. Herr Molotow hat damals — das darf man wohl auch einmal sagen — mit dem Abkommen vom 23. August dem Herrn Hitler für sein schauriges Abenteuer des zweiten Weltkrieges doch erst das Sprungbrett geboten und den Rükken gedeckt.
Rußland könnte, wenn es wollte; Rußland hat nicht gewollt.
Meine Fraktion bejaht ebenso wie die übrigen Fraktionen der Koalition die Politik der europäischen Gemeinschaft, auch die Politik der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft. Kein Argument, das Herr Ollenhauer vorgebracht hat, kann an dieser Haltung etwas ändern. Eines möchte ich aber doch vor allem zurückweisen. Herr Ollenhauer hat so nebenbei bemerkt, daß vielleicht die Tatsache der Verträge auf die Berliner Konferenz nachteilig, ungünstig gewirkt habe. Nun, man kann das mit den eigenen Worten Molotows widerlegen, der, als er über EVG befragt worden ist, beinahe höhnisch — wenigstens ich habe es ironisch empfunden – etwa erklärt hat: Na, die Verträge sind 1952 geschlossen worden; bis jetzt ist nichts geschehen, und wenn sie 1954 nicht ratifiziert werden, dann werden sie Material für die Archive bilden.
Wenn man von dieser Haltung ausgeht, möchte man meinen, daß die Verzögerungen, die auch in diesem Hause am Werke waren, mit schuld daran sind, daß die Verträge nicht längst unter Dach und Fach sind; sie haben verhindert, daß Tatsachen geschaffen wurden, denen sich Molotow gebeugt hätte.
Mit der NATO hat er sich abgefunden. Mit der EVG hätte er sich genau so abgefunden, wenn wir nur gehandelt hätten und wenn wir nicht in sehr wenig verantwortungsvoller Weise geredet und Prozesse geführt hätten.
Herr Ollenhauer sagt: man kann sich über die Frage der freien Wahlen nicht verständigen — und man konnte sich nicht verständigen – ohne Einigung über den Status eines vereinten Deutschlands in einem Sicherheitssystem. Ich habe aus den ganzen Verhandlungen niemals eine solche Ursachenkette festgestellt, habe niemals gesehen, daß das entscheidend gewesen wäre. Niemals hat Herr Molotow auch nur eine Andeutung dahin gemacht, daß er ernstlich gewillt wäre, die deutsche Frage zu regeln. Niemals hat er ein Bedingungsverhältnis zwischen einem funktionierenden Sicherheitssystem und der Bereitwilligkeit, seine Truppen aus Deutschland und Österreich herauszuziehen, hergestellt.
Ich bin aber auch der Meinung, daß Herr Ollenhauer das zutreffend wiedergibt, was in diesem Zusammenhang von Eden und Bidault gesagt worden ist. Wenn Mister Eden erklärt hat, man müsse die Freiheit in Europa mit der Sicherheit verbinden, so hat er das als Argument für und nicht gegen die Europäische Verteidigungsgemeinschaft gesagt, wie es Herr Ollenhauer versucht hat.
Monsieur Bidault hat sich auch in ganz anderem Sinne geäußert:
Es kommt darauf an, Deutschland im Herzen des Kontinents nicht isoliert zu lassen und zugleich die Wiedergeburt jedes aggressiven Militarismus zu verhindern. Es kommen also nur zwei Möglichkeiten in Betracht: die der zwangsweisen Kontrolle und die der Assoziation.
Er hat daraus klar den Schluß gezogen, daß selbstverständlich nur die Assoziation in Frage kommt. Und jetzt, als er nach Hause zurückgekehrt ist, hat er doch das schöne, von uns zu unterstreichende Wort geprägt, daß es jetzt nicht mehr gilt, „über" Deutschland, sondern „mit" Deutschland zu verhandeln.
Zur Vorstellung des Herrn Kollegen Ollenhauer über das Sicherheitssystem der Vereinten Nationen! Ich habe schon ein Wort dazu gesagt, und Herr Kollege von Brentano hat sich ebenfalls überzeugend dazu geäußert. Da ist doch nichts Effektives. Wo wollen Sie für Deutschland eine Sicherheit in einem System schaffen, das von den Vereinten Nationen begründet wird, zu dem der bedrohende Staat, die bedrohende Macht Rußland gehört? Ist das nicht ein Operieren mit Fiktionen, die sich ja nicht erfüllen lassen? Hier gilt der Satz, daß man das Mögliche und das Naheliegende tut. Und das, was uns die freie Welt anbietet, ist die Gemeinschaft der Nordatlantischen Verteidigungsorganisation mit einer Europäischen Verteidigungsgemeinschaft. Warum wollen Sie dieser Konsequenz ausweichen? Ich verstehe das nicht.
Herr Ollenhauer hat erklärt, daß er durch den Ablauf der Berliner Konferenz geradezu bestärkt worden sei in seinen Bedenken gegen die Europäische Verteidigungsgemeinschaft, besonders auch deswegen — auch dazu hat Herr von Brentano Zutreffendes schon gesagt —, weil in Äußerungen von Bidault und Eden zum Ausdruck gekommen sei, in der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft liege auch ein Sicherheitselement. Warum soll das mit einem Male den Wert der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft mindern oder gar den Schluß zulassen, wie ihn Herr Ollenhauer ziehen will, daß wir nicht gleichberechtigt, daß wir nicht echte Vertragspartner seien?
Jede Gemeinschaft legt doch Bindungen auf. Das ist doch der Ausgangspunkt, auch der geschichtliche Ausgangspunkt des Gedankens gewesen — Sie werden ihn doch nicht vergessen haben —: nach 1950, nach Korea, die Überzeugung in der ganzen freien Welt, daß Europa nicht ohne Deutschland zu verteidigen ist. Es ist für uns auch eine Selbstverständlichkeit, daß dieses schicksalhafte Land hier im Herzen Europas für das Schicksal der Welt entscheidend ist, so wie es von den Hunnen bis zu den Türken der Fall war. Hier hat sich immer und immer wieder entschieden, ob die Drohung aus
dem Osten abprallte und zurückgewiesen wurde oder nicht. Das Schicksal Europas und damit vielleicht das Schicksal der Welt wird sich nicht in Korea, nicht in Indochina und nicht im vorderen Orient entscheiden, sondern hier, wenn sich Europa mit Deutschland behauptet. Wenn wir in eine Gemeinschaft eintreten, dann legen wir uns freiwillige Bindungen auf, die dieser Gemeinschaft selbstverständlich jede Drohung gegen den Osten nehmen. Die Möglichkeit, daß diese Gemeinschaft jemals gegen den Osten aggressiv wird, lebt doch nur in den Vorstellungen bolschewistischer Agitatoren. Ich kann das Reden von dem berechtigten Sicherheitsbedürfnis der Russen wahrlich nicht sehr ernst nehmen, wenn Sie sich dieses in Waffen starrende Land vorstellen und sich vergegenwärtigen, daß in Europa, glaube ich, immer noch die Schweiz die stärkste Militärmacht ist.
Ein gefährliches Wort ist das, was Herr Ollenhauer heute als vordringlich — sonst hat er es oft als erstrangig hingestellt — bezeichnet hat, wenn er nämlich behauptet, die Wiedervereinigung sei das vordringliche, das erstrangige politische Ziel. In unserem Willen, in unserem Bewußtsein selbstverständlich, meine Damen und Herren! Welcher Deutsche ersehnt nicht mit der ganzen Intensität seines Gefühls die Wiedervereinigung!? Herr Kollege von Brentano hat mit Schmerz darauf hingewiesen, daß manche Deutsche leider zu sehr an die Dinge des Tages und zu wenig an das große nationale Schicksal denken, das unsere Zeit zu tragen hat. Immerhin ist aber bei den bewußten Menschen, bei den Menschen, die Verantwortung tragen, die Wiedervereinigung vordringliches Ziel. Aber die Politik verläuft doch nicht wie nach dem Drehbuch eines Films, daß ich sagen kann: erster Akt: auf jeden Fall Wiedervereinigung, und sonst geschieht nichts. Politik ist die Gestaltung der Dinge, jeden Augenblick, jede Stunde und jeden Tag,
und die Möglichkeit, das zu tun, was notwendig ist, auf jeder Ebene das zu tun, was notwendig ist. Die Europäische Verteidigungsgemeinschaft ist ein wesentlicher politischer Faktor für die Gesundung Europas und für die Abwehr des Angriffs und der Drohung des Ostens und, wie Herr von Brentano es überzeugend dargelegt hat, eine echte Chance, zur Wiedervereinigung zu kommen, wenn bei den Russen die Hoffnung schwindet, aus der Schwäche Europas politische Vorteile ziehen zu können.
Daß wir daneben alle Möglichkeiten und — in Übereinstimmung mit Ihnen, Herr Olenhauer, — auch weiterhin alle Chancen einer Verhandlung nutzen, die uns weiterführen können, — selbstverständlich! Das kann uns als Menschen, die politische Verantwortung tragen, nicht davon entbinden, das Notwendige zu tun.
Herr Ollenhauer hat es für richtig gehalten, auf die morgige Debatte über die Ergänzung des Grundgesetzes hinzuweisen. Ich hatte das gleiche schlechte Gefühl gehabt wie der Herr von Brentano, Herr Ollenhauer, als Sie auf die möglichen ungünstigen Wirkungen im Westen, in den europäischen Staaten, bei unseren Vertragspartnern des EVG-Vertrags und des Deutschland-Vertrags hinwiesen. Ich halte das für kein gutes Operieren. Die Ausdeutung des Art. 7 Abs. 3, an dessen endgültiger Fassung meine Partei ja besonders mitgewirkt hat, — ich glaube, das ist kein Argument, das man in diesem Raume
ins Feld führen kann. Die Alliierten haben unserm Wunsch entsprechend eine vertragliche Verpflichtung des wiedervereinigten Deutschlands aus dem Art. 7 Abs. 3 herausgenommen. Mehr kann man nicht wollen. Daran können auch die Erklärungen des früheren Außenministers Schuman nichts ändern.
Politik wird am Ende nur sehr bedingt und beschränkt durch Verträge gemacht. Durch Verträge entstehen Gefälle, auf denen dann die Ereignisse verlaufen, und so führt der EVG-Vertrag mit der Bundesrepublik zwingend dazu, daß das vereinigte Deutschland in Europa integriert bleibt.
Noch ein bedauerndes Wort, Herr Ollenhauer. Ich habe mir vorhin gedacht: Warum gibt es eigentlich in der SPD-Fraktion keinen Morrison
— ein kluger Mann, ein überlegter Mann, wir kennen ihn doch; er war ja hier —, der als Sozialist zu so verständigen Ergebnissen kommt? Aber Sie haben viel von ihm, Herr Ollenhauer, mehr als Ihr Freund Mellies.
— Den Morrison habe ich immer gelobt, auch sonst immer. Es gibt ein herrliches Bild von ihm. Das habe ich nie vergessen. Da sitzt er auf der untersten Stufe einer riesigen Treppe, dieser kleine zierliche Mann mit dem Gesicht eines geistig Arbeitenden. Ein ausgezeichneter Typus eines Arbeiterführers! Ich finde ihn nur nicht bei unserer deutschen Sozialdemokratie.
Vielleicht darf ich mit einem Worte Morrisons schließen. — Denn ich will nicht wiederholen: daß ich mit den Schlußfolgerungen des Herrn Bundeskanzlers einverstanden bin — auch für meine Fraktion —, brauche ich nicht zu sagen; zur Berlin-Frage haben wir durch den Fraktionsvorstand ganz konkrete Vorschläge gemacht. Wir brauchen hier nicht mit Worten zu beteuern, wie wir für die deutschen Menschen im Osten fühlen, wie wir mit ihnen leiden und mit ihnen hoffen. — Ein Wort also vom klugen Morrison: „Nichts ermutigt eine Diktatur stärker als eine Demokratie, die sich nicht entschließen kann".
Wir haben doch geschichtliche Lehren, meine Damen und Herren! Es gab j a einmal eine andere Vierer-Konferenz, in München, da hat man sich nicht entschließen können. Und in Berlin konnte man sich infolge des Widerstands eines böswilligen Rußlands nicht entschließen. W i r müssen uns entschließen.
Wir können allein durch Tatkraft, durch klaren Willen der Gefahr begegnen, die die Einsichtigen von uns alle kennen, die aber Berlin in erschreckender Weise für das ganze deutsche Volk noch deutlicher gemacht hat.