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ID0201600900

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    2. Deutscher Bundestag — 16. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. Februar 1954 517 16. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 25. Februar 1954. Geschäftliche Mitteilungen 517 C, 550 D Eintritt des Abg. Putzig in den Bundestag . 517 C Glückwünsche zu den Geburtstagen der Abg Arndgen und Kemper (Trier) 517 C Mitteilung über Beantwortung der Kleinen Anfragen 19, 21, 22, 26, 27, 28, 29, 30 (Drucksachen 172, 265; 175, 264; 191, 273; 229, 277; 230, 276; 231, 281; 232, 274; 233, 268) 517 D Entgegennahme einer Erklärung der Bundesregierung (Ergebnisse der Berliner Außenminister-Konferenz) und Aussprache über die Erklärung 518 A Dr. Adenauer, Bundeskanzler . . . 518 A Ollenhauer (SPD) 522 B Dr. von Brentano (CDU/CSU) . . . 528 B Dr. Dehler (FDP) 533 B Haasler (GB/BHE) 538 C Dr. von Merkatz (DP) 539 B Unterbrechung der Sitzung . . . 544 A Wehner (SPD) 544 A Lemmer (CDU/CSU) 546 D Seiboth (GB/BHE) 549 A D. Dr. Gerstenmaier (CDU/CSU) . . 550 A Präsident D. Dr. Ehlers 550 C Einstimmige Annahme der Entschließung Drucksache 286 550 B Nächste Sitzung 550 D Die Sitzung wird um 9 Uhr 3 Minuten durch den Präsidenten D. Dr. Ehlers eröffnet.
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    Rede von Dr. Heinrich von Brentano


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sowohl der Herr Bundeskanzler wie auch mein Vorredner, Herr Kollege Ollenhauer, haben ihre Analyse der Berliner Konferenz damit begonnen, daß sie zum Ausdruck brachten, die Berliner Konferenz habe zwar keinen Erfolg gezeitigt, sei aber auch nicht gescheitert; aus diesem Verlauf der Konferenz könnten wir die Hoffnung mitnehmen, daß die Gespräche über die Frage der deutschen Wiedervereinigung nicht abreißen werden. Ich glaube, daß man das nachdrücklich unterstreichen soll. Aber auch wenn wir diese Hoffnung behalten und wenn wir wissen, daß der Verlauf der Berliner Konferenz uns die Sicherheit gibt, daß die Frage der Wiedervereinigung Deutschlands nicht mehr von der Tagesordnung internationaler Konferenzen verschwindet, müssen wir uns doch über die tiefe Enttäuschung Rechenschaft geben, die jeden Menschen in Deutschland, gleichgültig, ob er im Gebiet der Bundesrepublik oder in der sowjetisch besetzten Zone lebt, erfüllt hat, als er von dem Ausgang dieser Konferenz erfuhr.

    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

    Wir müssen es aussprechen, gerade hier, weil drüben 18 Millionen Menschen leben, die das nicht einmal aussprechen dürfen.

    (Abg. Kunze [Bethel]: Sehr richtig!)

    Wir müssen es auch aussprechen, weil man manchmal doch den Eindruck haben könnte, daß nicht alle Menschen sich des Wertes der Freiheit, die sie hier genießen, so bewußt sind, um das nötige Verständnis für die ungeheure Not dieser 18 Millionen drüben aufzubringen.

    (Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Wir können hier über die Enttäuschung sprechen. Aber wir wissen, daß, auch wenn die deutsche Frage offenbleibt, doch wohl unser Leben, unsere politische, unsere materielle Existenz nicht in Unruhe geraten. Die Menschen drüben in der sowjetisch besetzten Zone haben sicherlich das Ende der Konferenz noch ganz anders empfunden und miterlebt. Es geht nicht darum, daß wir etwa ihre wirtschaftliche Notlage beklagen — ich glaube, daß das die wenigsten drüben hören wollen —, sondern es geht darum, daß wir uns darüber klarwerden, was es bedeutet, nunmehr seit neun Jahren unter diesem unerträglichen geistigen und seelischen Druck zu leben, in dieser Unfreiheit, die den Menschen daran hindert zu denken, weil ihm das Differenzierungsvermögen fehlt, zu diskutieren, weil ihm der Partner fehlt, und zu kritisieren, weil ihm der Mut dazu genommen wird. Diese Menschen haben jetzt erleben müssen, daß am vergangenen Donnerstag die Berliner Konferenz mit einem Kommuniqué zu Ende ging, das auf ihre Frage keine Antwort gab.
    Sowohl der Herr Bundeskanzler wie auch der Herr Kollege Ollenhauer als Sprecher der Sozialdemokratischen Partei haben das Ergebnis dieser Konferenz analysiert, die genau vor einem Monat, am 25. Januar, in Berlin zusammengetreten ist. Ich glaubte zu Eingang der Ausführungen des Herrn Kollegen Ollenhauer, daß zumindest in der Analyse doch eine weitgehende Übereinstimmung festzustellen sei. Aber ich habe mich dann — ich darf sagen: leider — davon überzeugen müssen, daß schon in der Ausgangsstellung eine sehr wesentliche Meinungsverschiedenheit besteht, die ich hier offen ansprechen möchte.
    Der Herr Kollege Ollenhauer hat davon gesprochen, daß man in Berlin gleichmäßig die Frage der freien Wahlen und der Sicherheit behandelt habe. Er sprach dann davon, daß die Prozedur der freien Wahlen und der völkerrechtliche Status eines wiedervereinigten Deutschlands behandelt worden seien. Hier scheint mir allerdings ein entscheidender Gegensatz zwischen meiner Auffassung und der des Kollegen Ollenhauer zu bestehen. Aber hier scheint mir auch Herr Kollege Ollenhauer die Entwicklung falsch zu deuten. Denn auf der Berliner Konferenz hat man sich ja eben nicht über die Prozedur der Wiedervereinigung unterhalten können.

    (Sehr richtig! in der Mitte.)

    Die Diskussion über die freien Wahlen ist gar nicht in Gang gekommen.

    (Erneute Zustimmung in der Mitte.)



    (Dr. von Brentano)

    Die Frage der freien Wahlen, die wir bewußt auch in allen Entschließungen des Bundestages an die Spitze gestellt haben — nicht nur ihrer politischen Bedeutung wegen haben wir ihr die Priorität eingeräumt, sondern wir sind auch davon ausgegangen, daß der Prozeß der Wiedervereinigung schlechthin nur mit freien Wahlen beginnen kann—, ist in Berlin nicht diskutiert worden. Herr Molotow als Sprecher der sowjetischen Regierung hat vom ersten bis zum letzten Tag keinen Zweifel daran gelassen, daß er freie Wahlen zumindest zur Zeit noch nicht zu akzeptieren bereit ist, gleichgültig, welchen Preis man zu zahlen gewillt wäre.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Daraus scheint sich dann auch die Verschiedenheit der Auffassungen zu erklären, nicht nur in bezug auf das Resultat der Berliner Konferenz, sondern auch bei einem Gespräch darüber, welche Folgen für uns daraus entstehen und welche Folgerungen wir zu ziehen haben.
    Ich glaube, man sollte auch hier noch einmal an folgendes erinnern. Ich tue es, wenn ich auch annehme, daß ich Widerspruch hören werde. Diese Berliner Konferenz, diese erste Begegnung der vier Siegermächte, die die Potsdamer Beschlüsse gefaßt haben und die — das wissen wir alle — allein in der Lage sind, die unselige Teilung unseres Vaterlandes wiederaufzuheben, ist zustande gekommen, nicht weil der Westen und nicht weil wir abwarteten, nicht weil wir unentschlossen waren und zögerten; sie ist einzig und allein nur deswegen zustande gekommen, weil der Osten, weil Sowjetrußland erkannte, daß die Bundesrepublik zusammen mit der freien Welt eine Politik der gegenseitigen Befriedung, der gegenseitigen Freundschaft und des Vertrauens, aber gleichzeitig eine Politik der Entschlossenheit, den Frieden zu erhalten und zu verteidigen, eingeleitet hat.

    (Beifall in der Mitte.)

    Niemals wäre diese Konferenz zustande gekommen — ich glaube, das sagen zu können —, wenn wir das getan hätten, was wir in den letzten Jahren manchmal als Ratschlag hören mußten: wenn wir nämlich gar nichts getan hätten.

    (Zustimmung bei der CDU/CSU.)

    Darum möchte ich auch jetzt sagen: Wir werden diesen Ratschlag auch für die Zukunft nicht annehmen.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Ich bin nicht der Meinung, daß auch nur der geringste Anlaß dazu besteht, dieses politische Junktim herzustellen, das heute wieder von der Opposition, wenn auch etwas zurückhaltender, vertreten worden ist. Es wird nämlich behauptet, daß die Politik der Bundesregierung, die Politik der europäischen Verständigung und Einigung, geeignet sei, die Wiedervereinigung Deutschlands zu erschweren oder gar zu verhindern. Ich darf vielleicht daran erinnern, was in diesem Haus am 27. September 1951 ausgesprochen worden ist:
    Und so wäre mit der Wiedervereinigung Deutschlands ein entscheidender Schritt getan, um die heute so komplizierten Fragen der Zusammenarbeit der Völker, der Zusammenarbeit Europas, einfacher lösen zu können, als es heute möglich erscheint. Es ist ja nicht so, wie es neuerdings nicht nur in einem SED-offiziösen Artikel, sondern mitunter auch hier im sogenannten Westen dargestellt wird: entweder deutsche Einigung oder europäische Zusammenarbeit, sondern es ist doch so: europäische Zusammenarbeit in der Erkenntnis der Notwendigkeit und mit dem Ziel der deutschen Einigung. Und es ist auch so: deutsche Einigung mit dem Ziel der europäischen Zusammenarbeit.
    Der Redner zitierte dann als „verheißungsvolles Anzeichen" eine Entschließung der Europäischen Konferenz in Hamburg, in der es hieß:
    Die Einfügung eines freien Deutschland in ein freies Europa kann die Einheit Deutschlands weder in Frage stellen noch verhindern. Sie erscheint vielmehr als der angemessenste Weg zu ihr.
    Meine Damen und Herren, ich darf vielleicht fragen, ob diese sehr grundsätzliche Erklärung, die am 27. September 1951 vom Herrn Kollegen Wehner abgegeben worden ist,

    (Hört! Hört! bei der CDU/CSU)

    auch heute noch von der Sozialdemokratie als richtig anerkannt wird.

    (Rufe von der SPD: Ja! — Sicher!)

    — Wenn das so ist, dann ist, glaube ich, die Argumentation nicht mehr ganz überzeugend und glaubwürdig, daß diese Politik der europäischen Verständigung, diese Politik der europäischen Einigung die Wiedervereinigung zu hindern oder auch nur zu erschweren vermöge.

    (Sehr gut! rechts.)

    Der Herr Kollege Ollenhauer — ich möchte darauf noch eingehen — hat sich, als er sich gegen die Fortführung einer solchen Politik gewandt und zum Ausdruck gebracht hat, daß seiner Überzeugung nach die Gespräche zwischen den vier Mächten durch die Fortsetzung dieser Politik gefährdet werden könnte, sehr leidenschaftlich gegen den Vorwurf gewehrt, daß seine Partei oder seine Fraktion etwa mit dem Gedanken einer Neutralisierung liebäugle.
    Der Herr Kollege Ollenhauer hat uns dann einiges aus einem Handbuch vorgelesen. Meine Damen und Herren, erlauben Sie mir zu sagen: Es wäre ganz gut, wenn wir nicht nur auf die Benutzung sozialistischer Handbücher verwiesen würden, sondern wenn man diese Erklärungen auch in der Vergangenheit mit der wünschenswerten Offenheit vor dem deutschen Volk abgegeben hätte.

    (Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Mellies: Sie scheinen sich wenig darum gekümmert zu haben! Das hätten Sie auch früher zur Kenntnis nehmen können!)

    — Herr Kollege, ich glaube, wir sind hier, um zu diskutieren. Sonst könnten wir uns ja darauf beschränken, Herr Kollege Mellies, hier heraufzugehen und zu sagen: Lesen Sie bitte das Buch . . . Seite soundsoviel!

    (Heiterkeit und Zustimmung in der Mitte.)

    Wenn Sie das wünschen, kann ich Ihnen eine ganze Menge ausgezeichneter Lektüre empfehlen. Beispielsweise würde ich empfehlen, aus der letzten Zeit die „Neue Zürcher Zeitung", die „Basler Nachrichten", die „Basler National-Zeitung", das „Journal de Genève" und den „Economist" nachzulesen, um dort einmal festzustellen, daß Ihnen für Ihre Partei eines gelungen ist, was wir für Deutsch-


    (Dr. von Brentano)

    land verhindern wollen, — daß es Ihnen gelungen ist, sich hoffnungslos zu isolieren.

    (Beifall in der Mitte und rechts.)

    Ich stelle noch einmal fest, daß Herr Kollege Ollenhauer sich sehr leidenschaftlich und ernst gegen eine Politik der Neutralisierung ausgesprochen hat, und ich begrüße es, daß das heute wieder mit dieser Klarheit gesagt worden ist. Ich begrüße es, daß wieder gesagt worden ist, daß selbstverständlich auch die Sozialdemokratie nicht die Notwendigkeit einer Einbettung Deutschlands in ein System der Sicherheit und seiner Teilnahme an einem solchen System bestreite.
    Eines ist mir dabei nicht ganz klargeworden, und diese Frage bitte ich stellen zu dürfen: Wann soll eigentlich dieser Moment eintreten? Ich fürchte, wenn wir Ihren Weg gehen, Herr Kollege Ollenhauer, dann wird diese Sicherheit überhaupt erst dann wirksam, wenn wir sie nicht mehr brauchen.

    (Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Schröter [Wilmersdorf] : Das war doch ein Kurzschluß!)

    — Nein,

    (Abg. Arndgen: Der hat gezündet!)

    das war kein Kurzschluß. Aber vielleicht war es zu rasch, um verstanden zu werden!

    (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU.)

    Lassen Sie mich auf diese Frage noch einmal eingehen. Zu welchen Konsequenzen würde — und ich sage das nun wirklich ohne jede Polemik, ich möchte, daß wir darüber reden — die Politik führen, die uns hier von der Opposition empfohlen wird? Wie früher bleibt sie uns doch die Erklärung darüber schuldig, was denn unter einem solchen System der kollektiven Sicherheit verstanden werden soll, wie es entstehen und wie es wirksam werden soll. Wir haben heute auch die Anspielung gehört: Deutschland in die Vereinten Nationen einbauen. Meine Damen und Herren, darüber gibt es wahrscheinlich keine Meinungsverschiedenheiten zwischen uns, daß wir sehr glücklich wären, wenn wir schon den Vereinten Nationen angehörten.

    (Zustimmung in der Mitte.)

    Es ist ja nicht unsere Schuld, wenn das bisher nicht geschehen ist. Wenn wir uns auch der problematischen Möglichkeiten, die die Vereinten Nationen besitzen, durchaus bewußt sind, so, glaube ich, gehört Deutschland auf jeden Fall in den Kreis der Vereinten Nationen, um an ihren Bestrebungen und immerhin auch an den Garantien teilnehmen zu können, die eine solche Mitgliedschaft mit sich bringt. Aber Sie werden mir, glaube ich, doch alle darin zustimmen müssen: Weder die Frage der deutschen Wiedervereinigung noch die Frage der deutschen Sicherheit ist gelöst, wenn wir die schriftliche Mitteilung des Generalsekretärs der UNO bekommen, daß wir als Mitglied aufgenommen sind.
    Ein Verzicht auf die Integrationspolitik, wie er von uns gefordert wird, würde uns — ich wiederhole es — nach den Erfahrungen der Berliner Konferenz der Wiedervereinigung nicht näherbringen; denn bis zur Stunde ist die Wiedervereinigung nicht an dem starren Festhalten der westlichen Welt oder gar Deutschlands an einer schädlichen Politik gescheitert, sondern an dem Nein auf die Forderung nach freien Wahlen.
    Ein Deutschland aber, das die Integrationspolitik ablehnen würde, würde sich doch — und darüber müssen wir uns klar sein — bewußt und eindeutig in die Isolierung begeben. Die vielleicht entscheidende Voraussetzung für das neugeschaffene Vertrauens- und Freundschaftsverhältnis mit der freien Welt ist doch das Bekenntnis, daß Deutschland zur freien Welt gehört und als integraler Bestandteil dieser freien Welt angehören und mit ihr zusammenarbeiten will.
    Die Frucht dieser Politik hat sich, wie ich glaube auch hier sagen zu können, in Berlin gezeigt. Man kann doch — und ich unterstreiche, was der Herr Bundeskanzler in bezug darauf gesagt hat — die Tatsache nicht hoch genug werten, daß zwar auf der Berliner Konferenz kein Stuhl für einen deutschen Vertreter frei war, weil Deutschland ja noch keinen Sprecher hat, der dieses gemeinsame deutsche Anliegen dort hätte vertreten können, daß aber die drei westlichen Außenminister dieses so bedeutungsvolle deutsche Anliegen auf der Konferenz in einer Weise vertreten haben, von der ich nur sagen kann: Wir haben Grund, den Dank, den auch der Herr Bundeskanzler hier ausgesprochen hat, aus innerer Überzeugung und aus aufrichtiger Gesinnung zu wiederholen.

    (Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Ein Deutschland aber, das sich in die frei gewählte Isolierung begeben und damit ausdrücken würde, daß es unabhängig — ein gefährliches Wort! — und ohne enge Bindung zwischen dem Osten und dem Westen bestehen wolle, würde wohl — darüber müssen wir uns klar sein — auf einer kommenden Konferenz eine andere Lage vorfinden.

    (Richtig! bei der CDU/CSU.)

    Die Haltung Sowjetrußlands würde sich ändern, und zwar zum Nachteil Deutschlands; denn die Unentschlossenheit, die Unsicherheit und die Unklarheit werden Rußland logischerweise erst recht bestimmen, seine Ansprüche zu erhöhen. Und der Westen? Die freie Welt würde zwangsläufig ebenfalls — und sei es auch nur aus einem berechtigten Selbsterhaltungstrieb — die Konsequenzen ziehen. Wir selbst würden, wie ich fürchte, das Potsdamer Abkommen durch eine solche Politik in seinem ganzen Umfang wieder in Kraft setzen und isoliert als besiegtes und unfreies Volk ein Objekt der Verhandlungen der vier Sieger werden, deren Interessen sich dann auf Kosten Deutschlands wahrscheinlich leichter zusammenführen ließen.

    (Zustimmung bei den Regierungsparteien.)

    Es scheint mir aber auch ein recht müßiges und manchmal sogar gefährliches Wortspiel zu sein, sich gegen die Neutralisierung Deutschlands zu wehren, wenn man sie in der praktischen Konsequenz doch fordert.

    (Sehr richtig! in der Mitte. — Zuruf rechts: Ausgezeichnet!)

    Wie soll ein Sicherheitssystem beschaffen sein, das Deutschland, dem gesamten deutschen Volk, die Freiheit garantieren würde, ohne daß Deutschland selbst an der Erhaltung der Freiheit und ihrer Sicherung beteiligt wird?

    (Sehr richtig! bei den Regierungsparteien.)

    Was soll ein Hinweis auf die Vereinten Nationen, wenn wir doch alle wissen, wie sich diese mit so viel ehrlichem Willen und so viel guter Zukunftshoffnung geschaffene Institution entwickelt hat?


    (Dr. von Brentano)

    Wir wissen, zumindest auch jetzt seit .der Berliner Konferenz, wie sich Sowjetrußland ein solches Sicherheitssystem vorstellt. Mit dankenswerter Offenheit hat es ja der russische Außenminister zu erkennen gegeben, warum er Deutschland von der freien Welt trennen möchte. Um es nämlich unerbittlich und konsequent in den Machtbereich des bolschewistischen Herrschaftssystems und seiner Satellitenstaaten einzubeziehen. Wer den Entwurf des Friedensvertrages gelesen hat — der Herr Bundeskanzler hat ihn erwähnt und hat auch die Tatsache erwähnt, daß dieser Friedensvertrag, der bereits der Note vom 10. März 1952 beilag, in recht entscheidenden Punkten zum Nachteil Deutschlands abgeändert war, als er in Berlin wieder auf den Tisch der Konferenz gelegt wurde —, konnte feststellen, wie dieses Deutschland beschaffen sein soll. Eine gesamtdeutsche Regierung soll gebildet werden, in der die Vertreter Pankows neben den Vertretern der Bundesrepublik sitzen. Auf den Inhalt des Friedensvertrages soll ein freies Deutschland keinen Einfluß haben, und freie Wahlen sollen vorbereitet werden, um die Demokratie so zu verwirklichen, wie Sowjetrußland sich eine demokratische Ordnung vorstellt. Von dem Recht, auch nur eine echte Neutralität zu sichern, hat Herr Molotow weder in seinem Fünf-Punkte-Programm noch in seinem Friedensvertragsentwurf noch in seinem Sicherheitspaktvorschlag auch nur ein Wort erwähnt.

    (Sehr richtig! in der Mitte.)

    Dieses Deutschland wäre nicht nur isoliert, also von seinen Freunden getrennt, es wäre nicht nur neutralisiert und vollkommen wehrlos, ein Objekt des politischen Geschehens zwischen den großen Mächtegruppen, deren Interesse an Deutschland dann ein anderes wäre als heute, es wäre auch — darüber müssen wir uns ebenfalls klar sein — auf die Dauer kontrolliert. Die Kontrolle würde sich auf die Einhaltung der Neutralitätsvorschrift, der Waffenlosigkeit, auf die Durchführung des Friedensvertrages erstrecken und vielleicht auch darauf, daß Deutschland, wie man in Berlin zu sagen beliebte, von „friedliebenden und demokratischen Kräften" regiert würde. Ich habe die Sorge, wenn diese Kontrolle wirksam würde, hätte keiner von uns in diesem Hohen Hause mehr das Recht, einem deutschen Parlament anzugehören.

    (Sehr richtig! in der Mitte.)

    Herr Molotow hat es übrigens ausgesprochen, daß seine Vorstellungen von denen der anderen abweichen, als er sagte:
    Wir verschließen nicht die Augen davor, daß in dem, was unter freien Wahlen in Deutschland zu verstehen ist, der Standpunkt der Sowjetunion in mancher Hinsicht mit dem der drei westlichen Staaten nicht zusammenfällt.
    Es ist mir wirklich schwer verständlich, daß sich irgend jemand über die Konsequenzen nicht klar sein sollte, die zwangsläufig ausgelöst würden, wenn die Bundesrepublik Deutschland nun die Richtlinien ihrer Politik ändern und die Politik aufgeben wollte, die uns bis hierher geführt hat.

    (Abg. Kunze [Bethel]: Weiß Gott!)

    Weiß denn derjenige, der diese Politik kritisiert, nicht, welche Auswirkungen es haben müßte, sowohl auf das politische freundschaftliche Verhältnis zu der freien Welt wie auch auf die gesamte wirtschaftliche Entwicklung unserer Bundesrepublik, wenn wir heute von uns aus diese Freundschaf t, die zu erringen so viel Mühe und so viel Verständnis auf der anderen Seite gekostet hat, aufkündigten?

    (Sehr richtig! in der Mitte.)

    Hier möchte ich den Economist zitieren, den der Kollege Brandt vor einem Jahr einmal zitiert hat, als er den Bundeskanzler kritisierte. Deswegen wird es mir vielleicht erlaubt sein, ihn auch hier zu zitieren, wenn er ausnahmsweise uns einmal recht gibt.

    (Zuruf von der SPD: Ausnahmsweise!)

    — Ja, ja, ausnahmsweise, weil der Economist durchaus nicht meiner Partei angehört, wenn Sie das nicht wissen sollten.

    (Heiterkeit. — Erneute Zurufe von der SPD.)

    Der Economist schreibt unter der Überschrift „Erfolg eines Mißerfolgs":
    Die Russen machen niemals den Fehler, den Preis zu nennen, den sie zu zahlen bereit sind, bevor der Handel beginnt. Sie werden auch von den westlichen Staaten gar keine Garantien ihrer Sicherheit verlangen oder annehmen, solange amerikanische Streitkräfte und Stützpunkte auf dem Kontinent vorhanden sind. Sie lehnen es ab, ihre vorgeschobenen Stellungen in Ostdeutschland und Österreich aufzugeben. Sie bestehen auf einer Art der Einigung Deutschlands, die auf der Ausschreibung von Wahlen durch eine provisorische Regierung beruhen würde, nachdem ein Friedensvertrag auferlegt wäre und nachdem Wahlen durchgeführt wären zugunsten des Kommunismus in Deutschland.
    Und dann fährt der „Economist" fort — die Nummer ist vorgestern, glaube ich, erschienen —:
    Auf jeden Deutschen, der bisher die Bundespolitik des Kanzlers vertreten hat, die darin bestand, die Integration der westlichen Welt voranzutreiben, gab es einen anderen Deutschen, der der Meinung war, daß man eine andere Reihenfolge wählen, nämlich die Wiedervereinigung vorwegnehmen müsse. Herr Molotow hat den wertvollen Dienst geleistet, daß er nun das Argument der Sozialdemokraten entkräftet hat, daß Dr. Adenauers Bekenntnis zur Europäischen Verteidigungsgemeinschaft das entscheidende Hindernis einer deutschen Wiedervereinigung sei.

    (Hört! Hört! in der Mitte.)

    Denn die Russen haben nicht etwa die Verteidigungsgemeinschaft abgelehnt, sie haben freie Wahlen abgelehnt.

    (Lebhafte Zustimmung bei den Regierungsparteien. — Vizepräsident Dr. Schmid übernimmt den Vorsitz.)

    Wenn Sie, meine Damen und Herren, heute morgen die ersten Berichte von der Unterhausdebatte in London verfolgen, werden Sie auch darin feststellen, daß diese Interpretation mit der Auslegung, die Herr Eden dem Unterhaus vorgetragen und Herr Morrison als Sprecher der Opposition bekräftigt hat, voll und ganz übereinstimmt,

    (Sehr richtig! in der Mitte)

    ebenso auch mit der Darstellung, die der französische Außenminister, Herr Bidault, gestern vor


    (Dr. von Brentano)

    dem Außenpolitischen Ausschuß seiner Kammer gegeben hat.

    (Erneute Zustimmung in der Mitte.)

    Ich habe nicht die Absicht, noch auf das Letzte zu antworten, was Herr Kollege Ollenhauer ausgeführt hat. Ich beabsichtige nicht, nun noch einmal über den Verteidigungsvertrag zu sprechen, der ja von diesem Hohen Hause bereits ratifiziert ist.

    (Sehr gut! in der Mitte.)

    Ich habe auch nicht die Absicht, die einzelnen Argumente zu widerlegen, wobei ich Herrn Kollegen Ollenhauer allerdings sagen darf: vielleicht sollte er doch ein wenig Verständnis dafür haben, daß es klug von den westlichen Außenministern war — und ich glaube, Sie haben das ja selbst begrüßt —, in einer vernünftigen und geschmeidigen Form in Berlin zu verhandeln und den Sowjetrussen ihre angebliche Furcht vor diesem Vertrag zu nehmen.
    Ich sehe auch gar keinen Widerspruch, Herr Kollege Ollenhauer, in dem, was Herr Bidault in Berlin über den Wert und die Auslegung des Art. 7 Abs. 3 des Deutschland-Vertrages gesagt hat, und schließe mich vollkommen dem an, was der Herr Bundeskanzler dazu ausgeführt hat. Ich glaube, Herr Bidault hat es gestern — ich fand es gerade in der Zeitung — noch einmal sehr richtig erläutert. Damit dürfte vielleicht ein sehr wesentliches Bedenken Ihrer Seite gegen diesen Vertrag wegfallen.

    (Abg. Kunze [Bethel] : Er darf nicht!)

    Auf die Frage eines Ausschußmitgliedes, ob ein wiedervereinigtes Deutschland die Möglichkeit haben werde, aus der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft auszuscheiden, erwiderte der Minister:
    Juristisch ist das sehr wohl möglich. Es besteht aber kein Zweifel daran, daß politisch einem wiedervereinigten Deutschland sehr wichtige Bindungen auferlegt wären.
    Meine Damen und Herren, ich glaube, diese Darlegung ist vollkommen richtig. Wir können — und das bringt Art. 7 Abs. 3 zum Ausdruck — zunächst nur die Bundesrepublik binden. Aber wir werden ja den politischen Willen dieser Bundesrepublik in ein wiedervereinigtes Deutschland einbringen,

    (Sehr richtig! in der Mitte)

    und ich bin vermessen genug, zu glauben, Herr Kollege Ollenhauer, daß an dem Tag, an dem wir dann die gesamtdeutschen Wahlen durchführen würden, die Mehrheit in diesem Hause noch viel weiter hinüberginge.

    (Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien. – Zurufe von der SPD.)

    Lassen Sie mich zum Schluß kommen. Auch ich
    bitte die Bundesregierung — ohne daß ich es als
    Aufgabe dieser Diskussion ansehe, Einzelheiten
    auszuführen —, alles zu tun, was in ihrer Macht
    steht, um mitzuhelfen, daß diese tiefe Enttäuschung drüben in der sowjetisch besetzten Zone
    Deutschlands und in der Stadt Berlin doch einen
    Ausgleich findet in der nicht nur mit Worten betonten, sondern mit Taten bewiesenen Hilfsbereitschaft des ganzen deutschen Volkes. Wir werden
    uns anstrengen müssen, auch das Unmögliche
    möglich zu machen, um den Menschen drüben nicht
    nur ein Lippenbekenntnis der inneren Verbundenheit und Treue abzugeben, sondern ihnen auch zu
    zeigen, daß das Volk in der Bundesrepublik, wenn nötig, selbst bereit ist, schwere Opfer zu bringen, um den Menschen drüben ihr Leben auch nur um ein Weniges zu erleichtern.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Die Bundesregierung wird uns immer bereit finden, ihr auf diesem Wege zu folgen, und die Bundesregierung wird sicherlich damit einverstanden sein, daß wir, ebenso wie es Herr Kollege Ollenhauer angekündigt hat, unsere eigenen Vorschläge und Pläne zur Diskussion stellen.
    Abgesehen von dem, was wir zu tun haben, um diese Enttäuschung aus der Welt zu schaffen, und abgesehen von dem, was wir zu tun haben, um — darin stimme ich mit Herrn Kollegen Ollenhauer vollkommen überein — die Welt und insbesondere die drei westlichen Alliierten, die sich in Berlin zum Sprecher des deutschen Anliegens gemacht haben, immer wieder darauf hinzuweisen, daß die deutsche Frage von der Tagesordnung nicht verschwinden darf, weil Deutschland und Europa nicht in Frieden leben, solange diese Trennung durch Deutschland geht, bin ich der Überzeugung, daß wir keine andere Aufgabe haben, als konsequent und unbeirrt die Politik fortzusetzen, die uns bis hierhin gebracht und die dazu geführt hat, daß unser Anliegen nach Jahren erstmals wieder überhaupt im internationalen Gespräch erschien.
    Ich glaube, auch die Opposition sollte nicht überrascht sein, wenn wir diese Konsequenz ziehen. Ich halte es nicht für gut, wenn uns der Vorwurf gemacht wird, die Behandlung der Verfassungsergänzung, die für morgen angesetzt ist, könne doch irgendwie provozieren. Ich glaube, daß diese Kritik der Opposition nicht zusteht. Man sollte doch zum mindesten die Kritik einmal aussetzen, bis andere, die mehr Recht haben, sich provoziert fühlen.

    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

    Es ist auch nicht nötig, uns heute schon vorzuhalten: „Wartet nur ab, was Frankreich übermorgen sagen wird!"

    (Zustimmung bei der CDU/CSU.)

    Meine Damen und Herren (zur SPD), Sie haben viel Verständnis für die Verständnisbereitschaft Molotows während der Berliner Konferenz bewiesen. Ich bin überrascht, daß Sie Ihr Verständnis nun offenbar auch auf die europafeindlichen Tendenzen in Frankreich ausdehnen wollen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Selbstverständlich weiß ich, daß wir mit einer Kritik dort drüben zu rechnen haben, denn auch in Frankreich gibt es solche, die noch nichts hinzugelernt haben.

    (Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Aber diese Kritik fürchte ich nicht, weil ich der Überzeugung bin, daß auch in Frankreich die Mehrheit des Parlaments und des Volkes diesen Weg versteht und für richtig hält und ihn mit uns zu gehen bereit ist.

    (Erneuter Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Im übrigen glaube ich, wenn es noch einer Rechtfertigung für die Entschlossenheit, diesen Weg weiterzugehen, bedürfte, hätten wir diese Rechtfertigung doch am 6. September vorigen Jahres für uns errungen. Das ist nicht nur eine Rechtferti-


    (Dr. von Brentano)

    gung, diesen Weg weiterzugehen, sondern — wenn
    man die Demokratie so versteht, wie ich sie verstehe — ein echter Auftrag des deutschen Volkes,

    (Zustimmung bei den Regierungsparteien)

    das zu tun, was damals gebilligt und von uns weiterzuführen verlangt worden ist.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Ich würde es sehr begrüßen, wenn die Entwicklung zu einem engen europäischen Zusammenschluß, den wir anstreben, rasch vorangetrieben würde. Denn wenn auf einer Konferenz, auf der das Problem der Wiedervereinigung Deutschlands erörtert wird, nicht nur die Vereinigten Staaten von Nordamerika, das Vereinigte Königreich und Frankreich vertreten wären, sondern auch ein Sprecher Europas säße. hätten wir eine zusätzliche Unterstützung, die vielleicht nicht nur dazu beitragen könnte, das Gewicht unseres Anliegens zu erhöhen, sondern vielleicht entscheidend dazu beitragen könnte, das angebliche Sicherheitsbedürfnis Rußlands zu befriedigen.
    Deswegen ist es mein Wunsch, daß die Integrationspolitik unbeirrt, konsequent und ohne Zeitverlust durchgeführt wird, im Vertrauen darauf, daß die anderen, die uns dabei zum Teil schon vorangegangen sind, wie Holland und Belgien, mit uns diesen Weg gehen, und in der Hoffnung, daß dann die deutsche Frage nicht nur von den ehemaligen Siegern aufgenommen wird, sondern ein Bestandteil der Aufgaben sein wird, die einem vereinigten Europa gestellt sind, daß wir diese Aufgabe in einem großen Europa gemeinsam lösen, um die sowjetisch besetzte Zone als einen Teil des wiedervereinigten Deutschlands und des wiedervereinigten Europas in Freiheit und Frieden bei uns zu sehen.

    (Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)



Rede von Dr. Carlo Schmid
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Dehler.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Thomas Dehler


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Über der Berliner Konferenz steht das bittere Fazit: Geblieben ist der Status quo! Ich habe nach dem, was der Herr Kollege Ollenhauer heute dargelegt hat, das schmerzliche Gefühl, auch über diesem Bundestag wird das Wort stehen: Es bleibt der Status quo! Wenn ich die letzten Jahre, den Versuch des ersten Bundestages überblicke, das in Freiheit lebende deutsche Volk aus dem schweren Sturz und dem Zusammenbruch des nationalsozialistischen Abenteuers herauszuführen, dann ist es für mich eine beklemmende Tatsache, daß es uns nicht gelungen ist, nach außen eine einheitliche Politik zu machen. Mir will es als ein schweres Versagen erscheinen, daß ein Volk in der Lage des deutschen, zerrissen, bedroht von einer ungeheuerlichen Macht im Osten, es nicht fertiggebracht hat, sich außenpolitisch auf eine Linie zu bringen, daß der erste Bundestag die Pflicht zur nationalen Solidarität nicht erfüllt hat. Das ist das Schmerzliche an dem, was Herr Ollenhauer uns heute gesagt hat, daß die SPD, die Opposition gewillt ist, diesen Weg weiterzugehen, daß sie sich nicht entschließt, Hemmungen zurückzustellen, Irrtümer einzusehen, sondern daß sie sich auf ihren Irrweg fixiert.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Wir wollen einmal einen kleinen Rückblick in die Bemühungen des ersten Bundeskabinetts tun, dem deutschen Volke zu helfen, und uns die Haltung der Opposition zu diesen Bemühungen vergegenwärtigen. Der erste Schritt war das Petersberger Abkommen, noch mit den Hohen Kommissaren geschlossen, ein erster Versuch, den Weg ins Freie zu schaffen, die schlimmsten Bedrückungen von uns zu nehmen, die Demontagen zu Ende zu bringen, wieder die Möglichkeit des Schiffbaues, der Schiffahrt zu haben, den Weg in die Welt zu finden. Die Sozialdemokratie hat dieses Abkommen leidenschaftlich bekämpft. Sie hat nein gesagt, hat wegen der Verfassungsmäßigkeit dieses Abkommens, das dem deutschen Volke nur geholfen hat, das Tausenden, Abertausenden von Menschen die Arbeitsplätze erhalten und deutschen Arbeitern neue Arbeitsplätze geschaffen hat, beim Bundesverfassungsgericht Prozesse geführt.

    (Zurufe und Lachen in der Mitte.)

    Sie ist diesen Weg weitergegangen. Die SPD hat nein gesagt zum Europarat. Wir wissen doch heute, was die Tätigkeit, die Wirksamkeit im Europarat und im Ministerrat des Europarats für uns bedeutet haben, diese Möglichkeit deutscher Politiker und deutscher Abgeordneter, wieder im Gespräch zu sein, gleich auf gleich, mit den Abgeordneten der anderen europäischen Staaten, und wie sehr das gedient hat, wieder so etwas wie eine demokratische internationale politische Atmosphäre zu schaffen.
    Die Sozialdemokratie hat nein gesagt zum Schumanplan —

    (Zurufe von der SPD)

    für mich immerhin das Modell eines geordneten Europa, das Vorbild eines wirtschaftlichen Großraums als Voraussetzung gesteigerten wirtschaftlichen und sozialen Wirkens.
    Die Sozialdemokratie hat nein gesagt zur Europäischen Verteidigungsgemeinschaft. Sie hat nein gesagt auch zur Europäischen politischen Gemeinschaft. Und wieder stehen uns Prozesse am Bundesverfassungsgericht bevor. Soll ich die Leidensgeschichte der Verträge, des Deutschland-Vertrages und des Vertrages über die Europäische Verteidigungsgemeinschaft, schildern? Oft habe ich das Empfinden, das deutsche Volk weiß zuwenig davon, was hier gefehlt worden ist in der Erfüllung nationaler Verpflichtungen!

    (Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Die SPD ist doch dabei, Ballast — ideologischen Ballast — abzuwerfen.

    (Heiterkeit in der Mitte und rechts. — Lachen bei der SPD.)

    Will sie da nicht dieses Gepäck, das doch schon muffig geworden ist, das Gepäck einer falschen außenpolitischen Auffassung dazu legen?

    (Zurufe von der SPD.)

    — Nein, ich meine es ernst, Herr Ollenhauer!

    (Lachen bei der SPD.)

    Ich meine es ernst, Herr Mellies, tief ernst!

    (Zurufe von der SPD: Oh, Ihre Sorgen!)

    Ich habe aus den Erklärungen des Herrn Ollenhauer, aus den Stellungnahmen zur Regierungserklärung einen anderen Willen angenommen, und
    ich glaube, ich habe auch alles Gute, was in Ihrer
    Erklärung lag, Herr Ollenhauer, aufgenommen. Ich
    habe ein höheres Maß an Verpflichtung gegenüber


    (Dr. Dehler)

    dem Schicksal unseres Volkes unterstellt, einen ehrlichen Willen zu einem Gespräch. Herr Ollenhauer, das ist kein echtes Gespräch, das Sie heute geführt haben, sondern das ist ein Sich-Zurückziehen auf Positionen, die doch längst keine Wirklichkeit mehr sind, die auch niemals Wirklichkeit waren, sondern Ausflüchte.

    (Beifall in der Mitte und rechts.)

    Wenn man sich die Ausführungen des Herrn Ollenhauer, wie ich es getan habe, ohne jedes Vorurteil angehört hat, dann meint man, er lebt in der Vorstellung einer fast idyllischen Welt,

    (Sehr gut! bei der FDP)

    in der Vorstellung, es gebe da einen Zusammenschluß vereinter Nationen, einen Zusammenschluß von lammfrommen Staaten.

    (Zuruf von der SPD: Raubtiere! — Weitere Zurufe.)

    — Ja, von den Raubtieren hat der Herr Ollenhauer nichts gemerkt; er hat auf jeden Fall uns nichts merken lassen. Die schauerliche Tatsache, die doch in Berlin ihre Bestätigung gefunden hat, daß diese Welt auseinandergebrochen ist, daß sie aus zwei Fronten besteht und daß es das, was Sie annehmen, gar nicht gibt: die funktionierenden Vereinten Nationen, diese Tatsache ist aus ihren Worten nicht deutlich geworden. Es ist doch das Erschütternde der Berliner Konferenz gewesen, daß dieser Zwiespalt der Welt deutlicher denn je hervorgetreten ist und daß für jeden von uns die Sorge um Europa größer geworden ist denn je. Man hat das Empfinden von zwei Welten, die nicht miteinander sprechen können, die sich am Ende gar nicht verstehen wollen, von zwei Welten, die einander in einer ) dauernd gesteigerten Spannung gegenüberstehen, und dann wird einem bange um dieses Europa. Man hat das Gefühl, daß unsere Situation die des verfallenden, des chaotischen römischen Reiches ist. Überdenken Sie die Entwicklung dieses Europas in den letzten 50, 80 Jahren, diesen Abstieg vom Gipfel der politischen und der wirtschaftlichen Macht in der Welt zu einem zerrissenen, wirtschaftlich ungeordneten, politisch desorganisierten Erdteil, dem dann auch noch vor allem eines fehlt: die große gestaltende Idee, vielleicht auch die großen gestaltenden Persönlichkeiten.
    Auch das, glaube ich, ist in Berlin wieder deutlich geworden — ich habe mir die Dinge auch einmal aus der Nähe angesehen und mit den Akteuren gesprochen —: die fremde Welt, die fremde Atmosphäre, die Molotow mitbrachte, fremd doch in allem: in der Regierungsform, in dieser merkwürdigen Welt des Kreml, wo der Blutgeruch — wir wissen die endlose Zahl der Menschen, die ihr Leben geopfert haben, bis zu Berija — aufstieg;

    (Zuruf von der SPD: Das haben wir doch auch hinter uns!)

    fremde Welt in der Wirtschaftsorganisation, im Lebensstil, in der Lebensordnung. Sie ist für uns schon eine terra incognita geworden.
    Und wer hat sie von uns geschieden? Der Ausgangspunkt der Spaltung ist den Menschen gar nicht mehr deutlich bewußt. Haben w i r gespalten? Ist das nicht der böse Wille der anderen gewesen? Man muß hier und da an der Zonengrenze stehen, muß die tote Strecke an der Grenze sehen, die die anderen geschaffen haben. Die anderen haben gespalten, haben auseinandergerissen. Und haben Sie in Berlin auch nur ein Wort des Willens gehört, diese Spaltung zu überbrücken?
    Ich meine, eine realpolitische Betrachtung der Dinge muß von diesem Sachverhalt ausgehen, von dieser Riesenmacht, die sich drüben zusammengeballt und die fast ein Drittel der Menschheit in ihre Einflußsphäre gezogen hat. Mich überfällt immer der schwere Rhythmus eines Goethe-Verses aus dem zweiten Teil des „Faust", wo er die „Gewaltigen" sagen läßt:
    Vom Osten kommen wir heran,
    und um den Westen ist's getan.
    Ein lang und breites Volksgewicht —
    der Erste wußt' vom Letzten nicht.
    Man muß, meine ich, diese Gefahr sehen, muß erkennen, daß eines wieder in Berlin deutlich geworden ist: daß Rußland die Hegemonie über Europa in Anspruch nimmt — über das, muß ich schon sagen, was von Europa geblieben ist.
    Diesen Herrschaftsanspruch abzuwehren — das ist unsere politische Aufgabe!

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Die Aufgabe ist, alles Erforderliche zu tun, um uns zu behaupten.
    Es gibt ja keine Wahl — hierin werde ich auch mit Herrn Ollenhauer einig sein — zwischen der Welt, die ich eben geschildert habe, und der westlichen Welt. Oder wollen wir darüber streiten, daß wir zur westlichen Welt gehören und daß wir mit jener Welt nichts zu tun haben, daß es keine Bindung zwischen uns und denen geben kann, daß dort etwas entstanden ist, was in allem — in allem! — anders ist als wir und unvereinbar ist mit unserem Wesen. Ich meine, unsere Entscheidung für den Westen ist doch unbestreitbar, ist doch gefallen. Dort ist die Gemeinschaft, in die wir gehören, dort sind unsere Ideale, ist unsere Lebensform lebendig, dort weht die Luft der Freiheit, dort besteht der Wille des Friedens.
    Deswegen gibt es für uns nur einen Weg, und es scheint mir müßig, von der Möglichkeit anderer Wege zu sprechen.
    Hier noch einmal ein Wort zu der Verpflichtung, die die Opposition auch gegenüber der Regierung hat. Am Ende gibt es in der Außenpolitik nur den Weg der Regierung und der die Regierung bildenden Mehrheit des Parlaments. Daneben gibt es keinen anderen Weg in der Außenpolitik.

    (Beifall.)

    Das ist das Wesen der Demokratie. Eine Regierung ist vor allem berufen, ein Volk nach außen zu vertreten. Sie ist die Sprecherin eines Volkes nach außen, und sie entscheidet, wie sich ein Volk nach außen verhält. Eine Opposition kann ihre Meinung geltend machen, aber wenn die Regierung und die Mehrheit des Parlaments entschieden haben, dann hat die Opposition die verdammte Pflicht und Schuldigkeit, sich diszipliniert einzuordnen.

    (Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien. — Lachen und Zurufe bei der SPD. — Abg. Schröter [Wilmersdorf]:' Heil! Heil!)

    Ich hatte den Eindruck, meine Damen und Herren, daß sich mit dieser Pflicht das Verhalten der Führer der Opposition während der Berliner Konferenz nicht in Übereinstimmung befand.

    (Sehr richtig! bei der FDP.)



    (Dr. Dehler)

    Es erschien mir unmöglich, daß die Opposition in Berlin und während der Berliner Konferenz von Bonn her ihre Außenpolitik, ihre von der Haltung der verantwortlich handelnden Regierung abweichende Außenpolitik vertrat und in die Waagschale der Verhandlungen zu werfen versuchte.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Schröter [Wilmersdorf]: Spezialist für unfreiwilligen Humor!)

    Ich sage: Rußland betrachtet Europa als sein Interessengebiet. Deswegen war eine Möglichkeit der Verständigung in Berlin gar nicht gegeben. Das ist meine Überzeugung. Keine Konzession hätte die Russen bewogen, entgegenzukommen. Ich brauche nur auf Österreich zu verweisen. Dort bestanden nicht die Hemmungen, die in der Deutschland-Frage bestehen. Trotzdem kein Entgegenkommen. Wir wissen doch, wie die Entwicklung, die 1946 in Deutschland begann, verlaufen ist. Der Konflikt im Kontrollrat, der Ausgangspunkt der Spaltung Deutschlands, setzte ein, als der damalige amerikanische Außenminister Byrnes allen früheren Gegnern Deutschlands Sicherheit anbot und erklärte, daß Amerika zu diesem Zwecke die Truppen 40 Jahre lang in Europa belassen würde. Das war der Ausgangspunkt der Spannungen, die bis heute andauern: die ablehnende Haltung Amerikas gegen den hegemonialen Anspruch Rußlands in Europa. Zum Bruch im Kontrollrat kam es, als England und Frankreich trotz der ausdrücklichen Warnung Molotows die Marshallhilfe akzeptierten. Alles andere waren dann nur die Steigerungen dieser Spannungen.
    Als Ergebnis Berlins müssen wir nüchtern, wenn auch schmerzlich feststellen: der militärische Druck Rußlands auf Mitteleuropa ist in nichts gemindert, und Rußland denkt nicht daran, diesen Druck auch nur zu lockern. Daraus gibt es nur die eine notwendige Konseqenz: alles zu tun, was nur möglich ist, um diesem Druck entgegenzuwirken. Wir wissen, wie sich der Westen verhalten hat. Fehlt es an dem Friedenswillen des Westens? Die ganze westliche Welt hat nach 1945 abgerüstet. Die Vereinigten Staaten haben ihre Luftwaffe verschrottet, haben ihre Schlachtschiffe eingemottet. Nur ein Staat hat gerüstet, hat weiter gerüstet, hat militärische Macht geschaffen, und das war Rußland.
    Ich meine immer noch, die Deutschen sollten sich vor Augen halten, welche Gefahr über Europa lag, als Korea geschah, Korea, das beinahe zum Modellfall Europas hätte werden können. Mr. Dulles hat ja in Berlin auch davon gesprochen, wie damals die Dinge liefen: Behandlung der Frage Koreas ungefähr nach den Vorstellungen der Sozialdemokratie für Deutschland. Auch dort die Scheidung eines einheitlichen Staates in zwei Interessensphären — 38. Breitengrad! —, auch dort Vorschlag der Neutralisierung, der Zurückziehung der Truppen. Das geschah 1949, und 1950 hatte der Krieg begonnen. Damals, als „Korea" einsetzte — vielleicht darf man das jetzt, nachdem es Geschichte geworden ist, auch einmal feststellen —, stand in Europa eine einzige amerikanische Division. Danken Sie Gott, daß es dem Stalin in den Sinn kam, in Korea anzugreifen und nicht in Europa!

    (Sehr richtig bei der FDP. — Abg. Schröter [Wilmersdorf]: Echt christlicher Geist!)

    — Nun, ich glaube nicht, daß ich damit etwas Un- christliches gesagt habe.

    (Abg. Schröter [Wilmersdorf]: Den anderen den Krieg wünschen!)

    Ich habe bei jeder Gelegenheit betont, welche Verpflichtung das deutsche Volk gegenüber dem amerikanischen hat. Ich habe immer betont, welche geschichtliche Leistung Präsident Truman damals vollbracht hat, als er dem ersten Versuch Rußlands, zum Angriff vorzugehen, entgegentrat, und daß wir Deutsche den Müttern und den Frauen zu danken haben, die ihre Söhne in Korea auch für uns geopfert haben.

    (Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Wenn man sich auch nur die Behandlung des technischen Ablaufs der Berliner Konferenz vergegenwärtigt, dann weiß man, daß Molotow nicht den Willen hatte, zu einem sachlichen Gespräch über die Deutschlandfrage zu kommen. Man schob das China-Problem vor, die Frage der Fünf-
    Mächte-Konferenz mit China. Offensichtlich war der Versuch, China ins politische Spiel zu bringen oder zumindest zu erreichen, daß die westliche Welt die Belieferung Chinas mit den Waren, die Rußland selber nicht liefern kann, übernähme, das vordringliche Anliegen Molotows, nicht die europäische, nicht die deutsche Frage. Dann das Geplänkel, das Vorschieben der Weltrüstungskonferenz! Seien Sie mir nicht böse, Herr Ollenhauer, wenn ich ein klein bißchen — –

    (Abg. Heiland: Das kann man Ihnen gar nicht!)

    — Eben, Herr Heiland; wir kennen uns ja schon so lange und so gut, daß wir uns auch in unseren Untiefen nicht mehr wehtun können.

    (Heiterkeit.)

    Als Sie heute wieder ungefähr mit der Stimmung kamen, diese europäischen, diese deutschen Probleme könnten gelöst werden in der Haltung „Seid umschlungen, Millionen!",

    (Abg. Heiland: Sie müßten auch einmal Ballast abwerfen!)

    in der Haltung, die Vereinten Nationen und das Sicherheitssystem würden alles lösen, da wurde ich ein klein bißchen erinnert an den Versuch Molotows, die Weltrüstungskonferenz als Problem aufzuwerfen, als es darum ging — „Hic Rhodus, hic salta!" —, über Deutschland und Europa zu sprechen.

    (Abg. Ritzel: Haben Sie nicht kürzlich den alten Attinghausen zitiert?)

    In der Deutschlandfrage ist Molotow ausgewichen. Es ist sehr interessant, was er vorgeschoben hat: diese uns als abgestanden erscheinenden Vorwürfe gegen das deutsche Volk, gegen die deutsche Demokratie, der Vorwurf des Faschismus, der drohenden Aggression, des drohenden Militarismus. Die Absicht war deutlich; man wollte auf Frankreich wirken, man wollte eine Stimmung des Unbehagens in Frankreich vergrößern. Man wollte Frankreich wieder in eine Haltung bringen, daß es glaubt, der Nachbar seines Nachbarn sei sein Freund. Man wollte den Glauben erzeugen, Frankreich müsse wieder Anlehnung an den östlichen Nachbarn Deutschlands finden und auf diese Weise wieder Situationen herbeiführen, die mindestens mit ursächlich waren für die Katastrophen von 1914 und 1939.


    (Dr. Dehler)

    Es ist klar: Rußland hat nicht den Willen, die deutsche Frage zu ordnen. Wir sehen jetzt die Dinge klarer und hoffentlich illusionsloser. Ich vermisse bei den Darlegungen der Opposition, daß diese kühle, ich möchte sagen, eisige Luft Berlins bei ihr die Vorurteile, die Hemmungen und Illusionen nicht weggeblasen hat. Wir sehen keine andere Möglichkeit, in Europa Politik zu treiben, ohne Anlehnung an den Sieger des zweiten Weltkriegs, an die Vereinten Nationen. Amerika hat nach dem ersten Weltkrieg, nicht erkannt, was es bedeutet, zu siegen, daß Sieg viel mehr Pflicht und geschichtliche Verantwortung ist als Recht. Wilson wurde desavouiert. Amerika hat sich nach 1918 isoliert, hat Europa sich überlassen. Auch damit wurde eine der Ursachen gesetzt, die zu der politischen Fehlentwicklung in Deutschland und in Europa zur zweiten Katastrophe führten. Das ist das Große an den amerikanischen Staatsmännern unserer Zeit gewesen, daß sie ,die Verantwortung, die ihnen anheimgefallen ist, aufgenommen haben. Es gibt eine packende Erzählung von einem Zusammentreffen Roosevelts und Churchills auf einem Schlachtschiff — ich glaube, es war 1941 —, als die Zuhörer plötzlich das Gefühl hatten, der Mantel der Herrschaft gleite von den Schultern Churchills auf die Schultern Roosevelts. Das war der große Augenblick, in dem Roosevelt seine geschichtliche Mission erfaßte und durchsetzte. Seine Nachfolger haben sie aufgenommen. Dort ist die Kraft, der wir uns anzuschließen, das ist das Kraftfeld, in das wir uns einzuordnen haben.
    Es war erhebend auf der Berliner Konferenz, als Mr. Dulles die Fehler von Jalta und im Anschluß daran die Fehler von Versailles verurteilte und darlegte, wie diese Fehler verdorben und geschadet haben. Ich habe einmal vor Jahren etwas Ähnliches in einer Rede — es sind vier Jahre her — in Hamburg zu sagen versucht und bin seit der Zeit als Sonntagsredner in die Geschichte eingegangen.

    (Heiterkeit.)

    So verschieden ist das Glück von Rednern.

    (Erneute Heiterkeit.)

    Ich bejahe unbedingt die Pflicht Europas, das Seine zu tun, und die Pflicht der Bundesrepublik, in diesem Rahmen das ihre zu tun. Ich bin der Überzeugung: ein geordnetes Europa ist bei seiner Wirtschaftskraft, bei seiner technischen Intelligenz in der Lage, auch ganz Entscheidendes für die Verteidigung der freien Welt zu tun. Ich nehme durchaus auf, was der Herr Bundeskanzler als Sinn der Empörung des 17. Juni 1953 dargelegt hat: das war das Bekenntnis zur westlichen, zur freien Welt und damit zu der Politik, die die Bundesregierung verfolgt.

    (Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Herr Ollenhauer erwartet sich viel von weiteren Verhandlungen. Niemand von uns wird sich sperren. Aber wer hat jetzt noch Illusionen? Wer glaubt noch, dieser fixierte Standpunkt der Russen werde sich durch Worte wie durch ein Wunder plötzlich lösen? Bestimmt: die Verhandlungen über die Atomkontrolle können Grundlagen sein für weitere Verständigungen auch über andere Probleme. Wir wollen hoffen, daß sich im Rahmen der Genfer Konferenz über Indochina auch andere Fragen, vielleicht auch die Deutschlandfrage, Lokkern lassen. Aber wer wird meinen, daß das, was
    Molotow in Berlin dargelegt hat, sich in Kürze ändern werde?
    Herr Ollenhauer meint, mit einem Male geschähen keine Wunder; sieben Jahre lang habe man nicht verhandelt, und der Kalte Krieg habe verhärtet. Die Russen können auch anders. Der Herr Stalin hat sich im August 1939 in wenigen Tagen mit Hitler geeinigt.

    (Sehr richtig! in der Mitte.)

    Der Herr Molotow hat mit Herrn Ribbentrop paktiert und die Engländer vor der Tür stehen und warten lassen. Herr Molotow hat damals — das darf man wohl auch einmal sagen — mit dem Abkommen vom 23. August dem Herrn Hitler für sein schauriges Abenteuer des zweiten Weltkrieges doch erst das Sprungbrett geboten und den Rükken gedeckt.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Rußland könnte, wenn es wollte; Rußland hat nicht gewollt.
    Meine Fraktion bejaht ebenso wie die übrigen Fraktionen der Koalition die Politik der europäischen Gemeinschaft, auch die Politik der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft. Kein Argument, das Herr Ollenhauer vorgebracht hat, kann an dieser Haltung etwas ändern. Eines möchte ich aber doch vor allem zurückweisen. Herr Ollenhauer hat so nebenbei bemerkt, daß vielleicht die Tatsache der Verträge auf die Berliner Konferenz nachteilig, ungünstig gewirkt habe. Nun, man kann das mit den eigenen Worten Molotows widerlegen, der, als er über EVG befragt worden ist, beinahe höhnisch — wenigstens ich habe es ironisch empfunden – etwa erklärt hat: Na, die Verträge sind 1952 geschlossen worden; bis jetzt ist nichts geschehen, und wenn sie 1954 nicht ratifiziert werden, dann werden sie Material für die Archive bilden.
    Wenn man von dieser Haltung ausgeht, möchte man meinen, daß die Verzögerungen, die auch in diesem Hause am Werke waren, mit schuld daran sind, daß die Verträge nicht längst unter Dach und Fach sind; sie haben verhindert, daß Tatsachen geschaffen wurden, denen sich Molotow gebeugt hätte.

    (Sehr richtig! bei der FDP und CDU/CSU.)

    Mit der NATO hat er sich abgefunden. Mit der EVG hätte er sich genau so abgefunden, wenn wir nur gehandelt hätten und wenn wir nicht in sehr wenig verantwortungsvoller Weise geredet und Prozesse geführt hätten.

    (Beifall bei der FDP und bei der CDU/CSU. — Zurufe von der SPD.)

    Herr Ollenhauer sagt: man kann sich über die Frage der freien Wahlen nicht verständigen — und man konnte sich nicht verständigen – ohne Einigung über den Status eines vereinten Deutschlands in einem Sicherheitssystem. Ich habe aus den ganzen Verhandlungen niemals eine solche Ursachenkette festgestellt, habe niemals gesehen, daß das entscheidend gewesen wäre. Niemals hat Herr Molotow auch nur eine Andeutung dahin gemacht, daß er ernstlich gewillt wäre, die deutsche Frage zu regeln. Niemals hat er ein Bedingungsverhältnis zwischen einem funktionierenden Sicherheitssystem und der Bereitwilligkeit, seine Truppen aus Deutschland und Österreich herauszuziehen, hergestellt.


    (Dr. Dehler)

    Ich bin aber auch der Meinung, daß Herr Ollenhauer das zutreffend wiedergibt, was in diesem Zusammenhang von Eden und Bidault gesagt worden ist. Wenn Mister Eden erklärt hat, man müsse die Freiheit in Europa mit der Sicherheit verbinden, so hat er das als Argument für und nicht gegen die Europäische Verteidigungsgemeinschaft gesagt, wie es Herr Ollenhauer versucht hat.

    (Sehr richtig! in der Mitte.)

    Monsieur Bidault hat sich auch in ganz anderem Sinne geäußert:
    Es kommt darauf an, Deutschland im Herzen des Kontinents nicht isoliert zu lassen und zugleich die Wiedergeburt jedes aggressiven Militarismus zu verhindern. Es kommen also nur zwei Möglichkeiten in Betracht: die der zwangsweisen Kontrolle und die der Assoziation.
    Er hat daraus klar den Schluß gezogen, daß selbstverständlich nur die Assoziation in Frage kommt. Und jetzt, als er nach Hause zurückgekehrt ist, hat er doch das schöne, von uns zu unterstreichende Wort geprägt, daß es jetzt nicht mehr gilt, „über" Deutschland, sondern „mit" Deutschland zu verhandeln.

    (Beifall bei der FDP und CDU/CSU.)

    Zur Vorstellung des Herrn Kollegen Ollenhauer über das Sicherheitssystem der Vereinten Nationen! Ich habe schon ein Wort dazu gesagt, und Herr Kollege von Brentano hat sich ebenfalls überzeugend dazu geäußert. Da ist doch nichts Effektives. Wo wollen Sie für Deutschland eine Sicherheit in einem System schaffen, das von den Vereinten Nationen begründet wird, zu dem der bedrohende Staat, die bedrohende Macht Rußland gehört? Ist das nicht ein Operieren mit Fiktionen, die sich ja nicht erfüllen lassen? Hier gilt der Satz, daß man das Mögliche und das Naheliegende tut. Und das, was uns die freie Welt anbietet, ist die Gemeinschaft der Nordatlantischen Verteidigungsorganisation mit einer Europäischen Verteidigungsgemeinschaft. Warum wollen Sie dieser Konsequenz ausweichen? Ich verstehe das nicht.
    Herr Ollenhauer hat erklärt, daß er durch den Ablauf der Berliner Konferenz geradezu bestärkt worden sei in seinen Bedenken gegen die Europäische Verteidigungsgemeinschaft, besonders auch deswegen — auch dazu hat Herr von Brentano Zutreffendes schon gesagt —, weil in Äußerungen von Bidault und Eden zum Ausdruck gekommen sei, in der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft liege auch ein Sicherheitselement. Warum soll das mit einem Male den Wert der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft mindern oder gar den Schluß zulassen, wie ihn Herr Ollenhauer ziehen will, daß wir nicht gleichberechtigt, daß wir nicht echte Vertragspartner seien?

    (Sehr richtig! bei der FDP.)

    Jede Gemeinschaft legt doch Bindungen auf. Das ist doch der Ausgangspunkt, auch der geschichtliche Ausgangspunkt des Gedankens gewesen — Sie werden ihn doch nicht vergessen haben —: nach 1950, nach Korea, die Überzeugung in der ganzen freien Welt, daß Europa nicht ohne Deutschland zu verteidigen ist. Es ist für uns auch eine Selbstverständlichkeit, daß dieses schicksalhafte Land hier im Herzen Europas für das Schicksal der Welt entscheidend ist, so wie es von den Hunnen bis zu den Türken der Fall war. Hier hat sich immer und immer wieder entschieden, ob die Drohung aus
    dem Osten abprallte und zurückgewiesen wurde oder nicht. Das Schicksal Europas und damit vielleicht das Schicksal der Welt wird sich nicht in Korea, nicht in Indochina und nicht im vorderen Orient entscheiden, sondern hier, wenn sich Europa mit Deutschland behauptet. Wenn wir in eine Gemeinschaft eintreten, dann legen wir uns freiwillige Bindungen auf, die dieser Gemeinschaft selbstverständlich jede Drohung gegen den Osten nehmen. Die Möglichkeit, daß diese Gemeinschaft jemals gegen den Osten aggressiv wird, lebt doch nur in den Vorstellungen bolschewistischer Agitatoren. Ich kann das Reden von dem berechtigten Sicherheitsbedürfnis der Russen wahrlich nicht sehr ernst nehmen, wenn Sie sich dieses in Waffen starrende Land vorstellen und sich vergegenwärtigen, daß in Europa, glaube ich, immer noch die Schweiz die stärkste Militärmacht ist.

    (Heiterkeit bei den Regierungsparteien.)

    Ein gefährliches Wort ist das, was Herr Ollenhauer heute als vordringlich — sonst hat er es oft als erstrangig hingestellt — bezeichnet hat, wenn er nämlich behauptet, die Wiedervereinigung sei das vordringliche, das erstrangige politische Ziel. In unserem Willen, in unserem Bewußtsein selbstverständlich, meine Damen und Herren! Welcher Deutsche ersehnt nicht mit der ganzen Intensität seines Gefühls die Wiedervereinigung!? Herr Kollege von Brentano hat mit Schmerz darauf hingewiesen, daß manche Deutsche leider zu sehr an die Dinge des Tages und zu wenig an das große nationale Schicksal denken, das unsere Zeit zu tragen hat. Immerhin ist aber bei den bewußten Menschen, bei den Menschen, die Verantwortung tragen, die Wiedervereinigung vordringliches Ziel. Aber die Politik verläuft doch nicht wie nach dem Drehbuch eines Films, daß ich sagen kann: erster Akt: auf jeden Fall Wiedervereinigung, und sonst geschieht nichts. Politik ist die Gestaltung der Dinge, jeden Augenblick, jede Stunde und jeden Tag,

    (Beifall bei den Regierungsparteien)

    und die Möglichkeit, das zu tun, was notwendig ist, auf jeder Ebene das zu tun, was notwendig ist. Die Europäische Verteidigungsgemeinschaft ist ein wesentlicher politischer Faktor für die Gesundung Europas und für die Abwehr des Angriffs und der Drohung des Ostens und, wie Herr von Brentano es überzeugend dargelegt hat, eine echte Chance, zur Wiedervereinigung zu kommen, wenn bei den Russen die Hoffnung schwindet, aus der Schwäche Europas politische Vorteile ziehen zu können.
    Daß wir daneben alle Möglichkeiten und — in Übereinstimmung mit Ihnen, Herr Olenhauer, — auch weiterhin alle Chancen einer Verhandlung nutzen, die uns weiterführen können, — selbstverständlich! Das kann uns als Menschen, die politische Verantwortung tragen, nicht davon entbinden, das Notwendige zu tun.
    Herr Ollenhauer hat es für richtig gehalten, auf die morgige Debatte über die Ergänzung des Grundgesetzes hinzuweisen. Ich hatte das gleiche schlechte Gefühl gehabt wie der Herr von Brentano, Herr Ollenhauer, als Sie auf die möglichen ungünstigen Wirkungen im Westen, in den europäischen Staaten, bei unseren Vertragspartnern des EVG-Vertrags und des Deutschland-Vertrags hinwiesen. Ich halte das für kein gutes Operieren. Die Ausdeutung des Art. 7 Abs. 3, an dessen endgültiger Fassung meine Partei ja besonders mitgewirkt hat, — ich glaube, das ist kein Argument, das man in diesem Raume


    (Dr. Dehler)

    ins Feld führen kann. Die Alliierten haben unserm Wunsch entsprechend eine vertragliche Verpflichtung des wiedervereinigten Deutschlands aus dem Art. 7 Abs. 3 herausgenommen. Mehr kann man nicht wollen. Daran können auch die Erklärungen des früheren Außenministers Schuman nichts ändern.
    Politik wird am Ende nur sehr bedingt und beschränkt durch Verträge gemacht. Durch Verträge entstehen Gefälle, auf denen dann die Ereignisse verlaufen, und so führt der EVG-Vertrag mit der Bundesrepublik zwingend dazu, daß das vereinigte Deutschland in Europa integriert bleibt.
    Noch ein bedauerndes Wort, Herr Ollenhauer. Ich habe mir vorhin gedacht: Warum gibt es eigentlich in der SPD-Fraktion keinen Morrison

    (Heiterkeit in der Mitte und rechts)

    — ein kluger Mann, ein überlegter Mann, wir kennen ihn doch; er war ja hier —, der als Sozialist zu so verständigen Ergebnissen kommt? Aber Sie haben viel von ihm, Herr Ollenhauer, mehr als Ihr Freund Mellies.

    (Heiterkeit bei den Regierungsparteien. — Abg. Erler: Warum loben Sie ihn nun? Loben Sie ihn doch sonst auch, bitte! — Weitere Zurufe von der SPD.)

    — Den Morrison habe ich immer gelobt, auch sonst immer. Es gibt ein herrliches Bild von ihm. Das habe ich nie vergessen. Da sitzt er auf der untersten Stufe einer riesigen Treppe, dieser kleine zierliche Mann mit dem Gesicht eines geistig Arbeitenden. Ein ausgezeichneter Typus eines Arbeiterführers! Ich finde ihn nur nicht bei unserer deutschen Sozialdemokratie.

    (Große Heiterkeit und Beifall bei den Regierungsparteien. — Zuruf von der SPD: Ihr habt doch alle keinen Beveridge! — Weitere Zurufe von der SPD.)

    Vielleicht darf ich mit einem Worte Morrisons schließen. — Denn ich will nicht wiederholen: daß ich mit den Schlußfolgerungen des Herrn Bundeskanzlers einverstanden bin — auch für meine Fraktion —, brauche ich nicht zu sagen; zur Berlin-Frage haben wir durch den Fraktionsvorstand ganz konkrete Vorschläge gemacht. Wir brauchen hier nicht mit Worten zu beteuern, wie wir für die deutschen Menschen im Osten fühlen, wie wir mit ihnen leiden und mit ihnen hoffen. — Ein Wort also vom klugen Morrison: „Nichts ermutigt eine Diktatur stärker als eine Demokratie, die sich nicht entschließen kann".

    (Sehr gut! bei den Regierungsparteien.)

    Wir haben doch geschichtliche Lehren, meine Damen und Herren! Es gab j a einmal eine andere Vierer-Konferenz, in München, da hat man sich nicht entschließen können. Und in Berlin konnte man sich infolge des Widerstands eines böswilligen Rußlands nicht entschließen. W i r müssen uns entschließen.

    (Sehr richtig! bei den Regierungsparteien.)

    Wir können allein durch Tatkraft, durch klaren Willen der Gefahr begegnen, die die Einsichtigen von uns alle kennen, die aber Berlin in erschreckender Weise für das ganze deutsche Volk noch deutlicher gemacht hat.

    (Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)