Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sowohl der Herr Bundeskanzler wie auch mein Vorredner, Herr Kollege Ollenhauer, haben ihre Analyse der Berliner Konferenz damit begonnen, daß sie zum Ausdruck brachten, die Berliner Konferenz habe zwar keinen Erfolg gezeitigt, sei aber auch nicht gescheitert; aus diesem Verlauf der Konferenz könnten wir die Hoffnung mitnehmen, daß die Gespräche über die Frage der deutschen Wiedervereinigung nicht abreißen werden. Ich glaube, daß man das nachdrücklich unterstreichen soll. Aber auch wenn wir diese Hoffnung behalten und wenn wir wissen, daß der Verlauf der Berliner Konferenz uns die Sicherheit gibt, daß die Frage der Wiedervereinigung Deutschlands nicht mehr von der Tagesordnung internationaler Konferenzen verschwindet, müssen wir uns doch über die tiefe Enttäuschung Rechenschaft geben, die jeden Menschen in Deutschland, gleichgültig, ob er im Gebiet der Bundesrepublik oder in der sowjetisch besetzten Zone lebt, erfüllt hat, als er von dem Ausgang dieser Konferenz erfuhr.
Wir müssen es aussprechen, gerade hier, weil drüben 18 Millionen Menschen leben, die das nicht einmal aussprechen dürfen.
Wir müssen es auch aussprechen, weil man manchmal doch den Eindruck haben könnte, daß nicht alle Menschen sich des Wertes der Freiheit, die sie hier genießen, so bewußt sind, um das nötige Verständnis für die ungeheure Not dieser 18 Millionen drüben aufzubringen.
Wir können hier über die Enttäuschung sprechen. Aber wir wissen, daß, auch wenn die deutsche Frage offenbleibt, doch wohl unser Leben, unsere politische, unsere materielle Existenz nicht in Unruhe geraten. Die Menschen drüben in der sowjetisch besetzten Zone haben sicherlich das Ende der Konferenz noch ganz anders empfunden und miterlebt. Es geht nicht darum, daß wir etwa ihre wirtschaftliche Notlage beklagen — ich glaube, daß das die wenigsten drüben hören wollen —, sondern es geht darum, daß wir uns darüber klarwerden, was es bedeutet, nunmehr seit neun Jahren unter diesem unerträglichen geistigen und seelischen Druck zu leben, in dieser Unfreiheit, die den Menschen daran hindert zu denken, weil ihm das Differenzierungsvermögen fehlt, zu diskutieren, weil ihm der Partner fehlt, und zu kritisieren, weil ihm der Mut dazu genommen wird. Diese Menschen haben jetzt erleben müssen, daß am vergangenen Donnerstag die Berliner Konferenz mit einem Kommuniqué zu Ende ging, das auf ihre Frage keine Antwort gab.
Sowohl der Herr Bundeskanzler wie auch der Herr Kollege Ollenhauer als Sprecher der Sozialdemokratischen Partei haben das Ergebnis dieser Konferenz analysiert, die genau vor einem Monat, am 25. Januar, in Berlin zusammengetreten ist. Ich glaubte zu Eingang der Ausführungen des Herrn Kollegen Ollenhauer, daß zumindest in der Analyse doch eine weitgehende Übereinstimmung festzustellen sei. Aber ich habe mich dann — ich darf sagen: leider — davon überzeugen müssen, daß schon in der Ausgangsstellung eine sehr wesentliche Meinungsverschiedenheit besteht, die ich hier offen ansprechen möchte.
Der Herr Kollege Ollenhauer hat davon gesprochen, daß man in Berlin gleichmäßig die Frage der freien Wahlen und der Sicherheit behandelt habe. Er sprach dann davon, daß die Prozedur der freien Wahlen und der völkerrechtliche Status eines wiedervereinigten Deutschlands behandelt worden seien. Hier scheint mir allerdings ein entscheidender Gegensatz zwischen meiner Auffassung und der des Kollegen Ollenhauer zu bestehen. Aber hier scheint mir auch Herr Kollege Ollenhauer die Entwicklung falsch zu deuten. Denn auf der Berliner Konferenz hat man sich ja eben nicht über die Prozedur der Wiedervereinigung unterhalten können.
Die Diskussion über die freien Wahlen ist gar nicht in Gang gekommen.
Die Frage der freien Wahlen, die wir bewußt auch in allen Entschließungen des Bundestages an die Spitze gestellt haben — nicht nur ihrer politischen Bedeutung wegen haben wir ihr die Priorität eingeräumt, sondern wir sind auch davon ausgegangen, daß der Prozeß der Wiedervereinigung schlechthin nur mit freien Wahlen beginnen kann—, ist in Berlin nicht diskutiert worden. Herr Molotow als Sprecher der sowjetischen Regierung hat vom ersten bis zum letzten Tag keinen Zweifel daran gelassen, daß er freie Wahlen zumindest zur Zeit noch nicht zu akzeptieren bereit ist, gleichgültig, welchen Preis man zu zahlen gewillt wäre.
Daraus scheint sich dann auch die Verschiedenheit der Auffassungen zu erklären, nicht nur in bezug auf das Resultat der Berliner Konferenz, sondern auch bei einem Gespräch darüber, welche Folgen für uns daraus entstehen und welche Folgerungen wir zu ziehen haben.
Ich glaube, man sollte auch hier noch einmal an folgendes erinnern. Ich tue es, wenn ich auch annehme, daß ich Widerspruch hören werde. Diese Berliner Konferenz, diese erste Begegnung der vier Siegermächte, die die Potsdamer Beschlüsse gefaßt haben und die — das wissen wir alle — allein in der Lage sind, die unselige Teilung unseres Vaterlandes wiederaufzuheben, ist zustande gekommen, nicht weil der Westen und nicht weil wir abwarteten, nicht weil wir unentschlossen waren und zögerten; sie ist einzig und allein nur deswegen zustande gekommen, weil der Osten, weil Sowjetrußland erkannte, daß die Bundesrepublik zusammen mit der freien Welt eine Politik der gegenseitigen Befriedung, der gegenseitigen Freundschaft und des Vertrauens, aber gleichzeitig eine Politik der Entschlossenheit, den Frieden zu erhalten und zu verteidigen, eingeleitet hat.
Niemals wäre diese Konferenz zustande gekommen — ich glaube, das sagen zu können —, wenn wir das getan hätten, was wir in den letzten Jahren manchmal als Ratschlag hören mußten: wenn wir nämlich gar nichts getan hätten.
Darum möchte ich auch jetzt sagen: Wir werden diesen Ratschlag auch für die Zukunft nicht annehmen.
Ich bin nicht der Meinung, daß auch nur der geringste Anlaß dazu besteht, dieses politische Junktim herzustellen, das heute wieder von der Opposition, wenn auch etwas zurückhaltender, vertreten worden ist. Es wird nämlich behauptet, daß die Politik der Bundesregierung, die Politik der europäischen Verständigung und Einigung, geeignet sei, die Wiedervereinigung Deutschlands zu erschweren oder gar zu verhindern. Ich darf vielleicht daran erinnern, was in diesem Haus am 27. September 1951 ausgesprochen worden ist:
Und so wäre mit der Wiedervereinigung Deutschlands ein entscheidender Schritt getan, um die heute so komplizierten Fragen der Zusammenarbeit der Völker, der Zusammenarbeit Europas, einfacher lösen zu können, als es heute möglich erscheint. Es ist ja nicht so, wie es neuerdings nicht nur in einem SED-offiziösen Artikel, sondern mitunter auch hier im sogenannten Westen dargestellt wird: entweder deutsche Einigung oder europäische Zusammenarbeit, sondern es ist doch so: europäische Zusammenarbeit in der Erkenntnis der Notwendigkeit und mit dem Ziel der deutschen Einigung. Und es ist auch so: deutsche Einigung mit dem Ziel der europäischen Zusammenarbeit.
Der Redner zitierte dann als „verheißungsvolles Anzeichen" eine Entschließung der Europäischen Konferenz in Hamburg, in der es hieß:
Die Einfügung eines freien Deutschland in ein freies Europa kann die Einheit Deutschlands weder in Frage stellen noch verhindern. Sie erscheint vielmehr als der angemessenste Weg zu ihr.
Meine Damen und Herren, ich darf vielleicht fragen, ob diese sehr grundsätzliche Erklärung, die am 27. September 1951 vom Herrn Kollegen Wehner abgegeben worden ist,
auch heute noch von der Sozialdemokratie als richtig anerkannt wird.
— Wenn das so ist, dann ist, glaube ich, die Argumentation nicht mehr ganz überzeugend und glaubwürdig, daß diese Politik der europäischen Verständigung, diese Politik der europäischen Einigung die Wiedervereinigung zu hindern oder auch nur zu erschweren vermöge.
Der Herr Kollege Ollenhauer — ich möchte darauf noch eingehen — hat sich, als er sich gegen die Fortführung einer solchen Politik gewandt und zum Ausdruck gebracht hat, daß seiner Überzeugung nach die Gespräche zwischen den vier Mächten durch die Fortsetzung dieser Politik gefährdet werden könnte, sehr leidenschaftlich gegen den Vorwurf gewehrt, daß seine Partei oder seine Fraktion etwa mit dem Gedanken einer Neutralisierung liebäugle.
Der Herr Kollege Ollenhauer hat uns dann einiges aus einem Handbuch vorgelesen. Meine Damen und Herren, erlauben Sie mir zu sagen: Es wäre ganz gut, wenn wir nicht nur auf die Benutzung sozialistischer Handbücher verwiesen würden, sondern wenn man diese Erklärungen auch in der Vergangenheit mit der wünschenswerten Offenheit vor dem deutschen Volk abgegeben hätte.
— Herr Kollege, ich glaube, wir sind hier, um zu diskutieren. Sonst könnten wir uns ja darauf beschränken, Herr Kollege Mellies, hier heraufzugehen und zu sagen: Lesen Sie bitte das Buch . . . Seite soundsoviel!
Wenn Sie das wünschen, kann ich Ihnen eine ganze Menge ausgezeichneter Lektüre empfehlen. Beispielsweise würde ich empfehlen, aus der letzten Zeit die „Neue Zürcher Zeitung", die „Basler Nachrichten", die „Basler National-Zeitung", das „Journal de Genève" und den „Economist" nachzulesen, um dort einmal festzustellen, daß Ihnen für Ihre Partei eines gelungen ist, was wir für Deutsch-
land verhindern wollen, — daß es Ihnen gelungen ist, sich hoffnungslos zu isolieren.
Ich stelle noch einmal fest, daß Herr Kollege Ollenhauer sich sehr leidenschaftlich und ernst gegen eine Politik der Neutralisierung ausgesprochen hat, und ich begrüße es, daß das heute wieder mit dieser Klarheit gesagt worden ist. Ich begrüße es, daß wieder gesagt worden ist, daß selbstverständlich auch die Sozialdemokratie nicht die Notwendigkeit einer Einbettung Deutschlands in ein System der Sicherheit und seiner Teilnahme an einem solchen System bestreite.
Eines ist mir dabei nicht ganz klargeworden, und diese Frage bitte ich stellen zu dürfen: Wann soll eigentlich dieser Moment eintreten? Ich fürchte, wenn wir Ihren Weg gehen, Herr Kollege Ollenhauer, dann wird diese Sicherheit überhaupt erst dann wirksam, wenn wir sie nicht mehr brauchen.
— Nein,
das war kein Kurzschluß. Aber vielleicht war es zu rasch, um verstanden zu werden!
Lassen Sie mich auf diese Frage noch einmal eingehen. Zu welchen Konsequenzen würde — und ich sage das nun wirklich ohne jede Polemik, ich möchte, daß wir darüber reden — die Politik führen, die uns hier von der Opposition empfohlen wird? Wie früher bleibt sie uns doch die Erklärung darüber schuldig, was denn unter einem solchen System der kollektiven Sicherheit verstanden werden soll, wie es entstehen und wie es wirksam werden soll. Wir haben heute auch die Anspielung gehört: Deutschland in die Vereinten Nationen einbauen. Meine Damen und Herren, darüber gibt es wahrscheinlich keine Meinungsverschiedenheiten zwischen uns, daß wir sehr glücklich wären, wenn wir schon den Vereinten Nationen angehörten.
Es ist ja nicht unsere Schuld, wenn das bisher nicht geschehen ist. Wenn wir uns auch der problematischen Möglichkeiten, die die Vereinten Nationen besitzen, durchaus bewußt sind, so, glaube ich, gehört Deutschland auf jeden Fall in den Kreis der Vereinten Nationen, um an ihren Bestrebungen und immerhin auch an den Garantien teilnehmen zu können, die eine solche Mitgliedschaft mit sich bringt. Aber Sie werden mir, glaube ich, doch alle darin zustimmen müssen: Weder die Frage der deutschen Wiedervereinigung noch die Frage der deutschen Sicherheit ist gelöst, wenn wir die schriftliche Mitteilung des Generalsekretärs der UNO bekommen, daß wir als Mitglied aufgenommen sind.
Ein Verzicht auf die Integrationspolitik, wie er von uns gefordert wird, würde uns — ich wiederhole es — nach den Erfahrungen der Berliner Konferenz der Wiedervereinigung nicht näherbringen; denn bis zur Stunde ist die Wiedervereinigung nicht an dem starren Festhalten der westlichen Welt oder gar Deutschlands an einer schädlichen Politik gescheitert, sondern an dem Nein auf die Forderung nach freien Wahlen.
Ein Deutschland aber, das die Integrationspolitik ablehnen würde, würde sich doch — und darüber müssen wir uns klar sein — bewußt und eindeutig in die Isolierung begeben. Die vielleicht entscheidende Voraussetzung für das neugeschaffene Vertrauens- und Freundschaftsverhältnis mit der freien Welt ist doch das Bekenntnis, daß Deutschland zur freien Welt gehört und als integraler Bestandteil dieser freien Welt angehören und mit ihr zusammenarbeiten will.
Die Frucht dieser Politik hat sich, wie ich glaube auch hier sagen zu können, in Berlin gezeigt. Man kann doch — und ich unterstreiche, was der Herr Bundeskanzler in bezug darauf gesagt hat — die Tatsache nicht hoch genug werten, daß zwar auf der Berliner Konferenz kein Stuhl für einen deutschen Vertreter frei war, weil Deutschland ja noch keinen Sprecher hat, der dieses gemeinsame deutsche Anliegen dort hätte vertreten können, daß aber die drei westlichen Außenminister dieses so bedeutungsvolle deutsche Anliegen auf der Konferenz in einer Weise vertreten haben, von der ich nur sagen kann: Wir haben Grund, den Dank, den auch der Herr Bundeskanzler hier ausgesprochen hat, aus innerer Überzeugung und aus aufrichtiger Gesinnung zu wiederholen.
Ein Deutschland aber, das sich in die frei gewählte Isolierung begeben und damit ausdrücken würde, daß es unabhängig — ein gefährliches Wort! — und ohne enge Bindung zwischen dem Osten und dem Westen bestehen wolle, würde wohl — darüber müssen wir uns klar sein — auf einer kommenden Konferenz eine andere Lage vorfinden.
Die Haltung Sowjetrußlands würde sich ändern, und zwar zum Nachteil Deutschlands; denn die Unentschlossenheit, die Unsicherheit und die Unklarheit werden Rußland logischerweise erst recht bestimmen, seine Ansprüche zu erhöhen. Und der Westen? Die freie Welt würde zwangsläufig ebenfalls — und sei es auch nur aus einem berechtigten Selbsterhaltungstrieb — die Konsequenzen ziehen. Wir selbst würden, wie ich fürchte, das Potsdamer Abkommen durch eine solche Politik in seinem ganzen Umfang wieder in Kraft setzen und isoliert als besiegtes und unfreies Volk ein Objekt der Verhandlungen der vier Sieger werden, deren Interessen sich dann auf Kosten Deutschlands wahrscheinlich leichter zusammenführen ließen.
Es scheint mir aber auch ein recht müßiges und manchmal sogar gefährliches Wortspiel zu sein, sich gegen die Neutralisierung Deutschlands zu wehren, wenn man sie in der praktischen Konsequenz doch fordert.
Wie soll ein Sicherheitssystem beschaffen sein, das Deutschland, dem gesamten deutschen Volk, die Freiheit garantieren würde, ohne daß Deutschland selbst an der Erhaltung der Freiheit und ihrer Sicherung beteiligt wird?
Was soll ein Hinweis auf die Vereinten Nationen, wenn wir doch alle wissen, wie sich diese mit so viel ehrlichem Willen und so viel guter Zukunftshoffnung geschaffene Institution entwickelt hat?
Wir wissen, zumindest auch jetzt seit .der Berliner Konferenz, wie sich Sowjetrußland ein solches Sicherheitssystem vorstellt. Mit dankenswerter Offenheit hat es ja der russische Außenminister zu erkennen gegeben, warum er Deutschland von der freien Welt trennen möchte. Um es nämlich unerbittlich und konsequent in den Machtbereich des bolschewistischen Herrschaftssystems und seiner Satellitenstaaten einzubeziehen. Wer den Entwurf des Friedensvertrages gelesen hat — der Herr Bundeskanzler hat ihn erwähnt und hat auch die Tatsache erwähnt, daß dieser Friedensvertrag, der bereits der Note vom 10. März 1952 beilag, in recht entscheidenden Punkten zum Nachteil Deutschlands abgeändert war, als er in Berlin wieder auf den Tisch der Konferenz gelegt wurde —, konnte feststellen, wie dieses Deutschland beschaffen sein soll. Eine gesamtdeutsche Regierung soll gebildet werden, in der die Vertreter Pankows neben den Vertretern der Bundesrepublik sitzen. Auf den Inhalt des Friedensvertrages soll ein freies Deutschland keinen Einfluß haben, und freie Wahlen sollen vorbereitet werden, um die Demokratie so zu verwirklichen, wie Sowjetrußland sich eine demokratische Ordnung vorstellt. Von dem Recht, auch nur eine echte Neutralität zu sichern, hat Herr Molotow weder in seinem Fünf-Punkte-Programm noch in seinem Friedensvertragsentwurf noch in seinem Sicherheitspaktvorschlag auch nur ein Wort erwähnt.
Dieses Deutschland wäre nicht nur isoliert, also von seinen Freunden getrennt, es wäre nicht nur neutralisiert und vollkommen wehrlos, ein Objekt des politischen Geschehens zwischen den großen Mächtegruppen, deren Interesse an Deutschland dann ein anderes wäre als heute, es wäre auch — darüber müssen wir uns ebenfalls klar sein — auf die Dauer kontrolliert. Die Kontrolle würde sich auf die Einhaltung der Neutralitätsvorschrift, der Waffenlosigkeit, auf die Durchführung des Friedensvertrages erstrecken und vielleicht auch darauf, daß Deutschland, wie man in Berlin zu sagen beliebte, von „friedliebenden und demokratischen Kräften" regiert würde. Ich habe die Sorge, wenn diese Kontrolle wirksam würde, hätte keiner von uns in diesem Hohen Hause mehr das Recht, einem deutschen Parlament anzugehören.
Herr Molotow hat es übrigens ausgesprochen, daß seine Vorstellungen von denen der anderen abweichen, als er sagte:
Wir verschließen nicht die Augen davor, daß in dem, was unter freien Wahlen in Deutschland zu verstehen ist, der Standpunkt der Sowjetunion in mancher Hinsicht mit dem der drei westlichen Staaten nicht zusammenfällt.
Es ist mir wirklich schwer verständlich, daß sich irgend jemand über die Konsequenzen nicht klar sein sollte, die zwangsläufig ausgelöst würden, wenn die Bundesrepublik Deutschland nun die Richtlinien ihrer Politik ändern und die Politik aufgeben wollte, die uns bis hierher geführt hat.
Weiß denn derjenige, der diese Politik kritisiert, nicht, welche Auswirkungen es haben müßte, sowohl auf das politische freundschaftliche Verhältnis zu der freien Welt wie auch auf die gesamte wirtschaftliche Entwicklung unserer Bundesrepublik, wenn wir heute von uns aus diese Freundschaf t, die zu erringen so viel Mühe und so viel Verständnis auf der anderen Seite gekostet hat, aufkündigten?
Hier möchte ich den Economist zitieren, den der Kollege Brandt vor einem Jahr einmal zitiert hat, als er den Bundeskanzler kritisierte. Deswegen wird es mir vielleicht erlaubt sein, ihn auch hier zu zitieren, wenn er ausnahmsweise uns einmal recht gibt.
— Ja, ja, ausnahmsweise, weil der Economist durchaus nicht meiner Partei angehört, wenn Sie das nicht wissen sollten.
Der Economist schreibt unter der Überschrift „Erfolg eines Mißerfolgs":
Die Russen machen niemals den Fehler, den Preis zu nennen, den sie zu zahlen bereit sind, bevor der Handel beginnt. Sie werden auch von den westlichen Staaten gar keine Garantien ihrer Sicherheit verlangen oder annehmen, solange amerikanische Streitkräfte und Stützpunkte auf dem Kontinent vorhanden sind. Sie lehnen es ab, ihre vorgeschobenen Stellungen in Ostdeutschland und Österreich aufzugeben. Sie bestehen auf einer Art der Einigung Deutschlands, die auf der Ausschreibung von Wahlen durch eine provisorische Regierung beruhen würde, nachdem ein Friedensvertrag auferlegt wäre und nachdem Wahlen durchgeführt wären zugunsten des Kommunismus in Deutschland.
Und dann fährt der „Economist" fort — die Nummer ist vorgestern, glaube ich, erschienen —:
Auf jeden Deutschen, der bisher die Bundespolitik des Kanzlers vertreten hat, die darin bestand, die Integration der westlichen Welt voranzutreiben, gab es einen anderen Deutschen, der der Meinung war, daß man eine andere Reihenfolge wählen, nämlich die Wiedervereinigung vorwegnehmen müsse. Herr Molotow hat den wertvollen Dienst geleistet, daß er nun das Argument der Sozialdemokraten entkräftet hat, daß Dr. Adenauers Bekenntnis zur Europäischen Verteidigungsgemeinschaft das entscheidende Hindernis einer deutschen Wiedervereinigung sei.
Denn die Russen haben nicht etwa die Verteidigungsgemeinschaft abgelehnt, sie haben freie Wahlen abgelehnt.
Wenn Sie, meine Damen und Herren, heute morgen die ersten Berichte von der Unterhausdebatte in London verfolgen, werden Sie auch darin feststellen, daß diese Interpretation mit der Auslegung, die Herr Eden dem Unterhaus vorgetragen und Herr Morrison als Sprecher der Opposition bekräftigt hat, voll und ganz übereinstimmt,
ebenso auch mit der Darstellung, die der französische Außenminister, Herr Bidault, gestern vor
dem Außenpolitischen Ausschuß seiner Kammer gegeben hat.
Ich habe nicht die Absicht, noch auf das Letzte zu antworten, was Herr Kollege Ollenhauer ausgeführt hat. Ich beabsichtige nicht, nun noch einmal über den Verteidigungsvertrag zu sprechen, der ja von diesem Hohen Hause bereits ratifiziert ist.
Ich habe auch nicht die Absicht, die einzelnen Argumente zu widerlegen, wobei ich Herrn Kollegen Ollenhauer allerdings sagen darf: vielleicht sollte er doch ein wenig Verständnis dafür haben, daß es klug von den westlichen Außenministern war — und ich glaube, Sie haben das ja selbst begrüßt —, in einer vernünftigen und geschmeidigen Form in Berlin zu verhandeln und den Sowjetrussen ihre angebliche Furcht vor diesem Vertrag zu nehmen.
Ich sehe auch gar keinen Widerspruch, Herr Kollege Ollenhauer, in dem, was Herr Bidault in Berlin über den Wert und die Auslegung des Art. 7 Abs. 3 des Deutschland-Vertrages gesagt hat, und schließe mich vollkommen dem an, was der Herr Bundeskanzler dazu ausgeführt hat. Ich glaube, Herr Bidault hat es gestern — ich fand es gerade in der Zeitung — noch einmal sehr richtig erläutert. Damit dürfte vielleicht ein sehr wesentliches Bedenken Ihrer Seite gegen diesen Vertrag wegfallen.
Auf die Frage eines Ausschußmitgliedes, ob ein wiedervereinigtes Deutschland die Möglichkeit haben werde, aus der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft auszuscheiden, erwiderte der Minister:
Juristisch ist das sehr wohl möglich. Es besteht aber kein Zweifel daran, daß politisch einem wiedervereinigten Deutschland sehr wichtige Bindungen auferlegt wären.
Meine Damen und Herren, ich glaube, diese Darlegung ist vollkommen richtig. Wir können — und das bringt Art. 7 Abs. 3 zum Ausdruck — zunächst nur die Bundesrepublik binden. Aber wir werden ja den politischen Willen dieser Bundesrepublik in ein wiedervereinigtes Deutschland einbringen,
und ich bin vermessen genug, zu glauben, Herr Kollege Ollenhauer, daß an dem Tag, an dem wir dann die gesamtdeutschen Wahlen durchführen würden, die Mehrheit in diesem Hause noch viel weiter hinüberginge.
Lassen Sie mich zum Schluß kommen. Auch ich
bitte die Bundesregierung — ohne daß ich es als
Aufgabe dieser Diskussion ansehe, Einzelheiten
auszuführen —, alles zu tun, was in ihrer Macht
steht, um mitzuhelfen, daß diese tiefe Enttäuschung drüben in der sowjetisch besetzten Zone
Deutschlands und in der Stadt Berlin doch einen
Ausgleich findet in der nicht nur mit Worten betonten, sondern mit Taten bewiesenen Hilfsbereitschaft des ganzen deutschen Volkes. Wir werden
uns anstrengen müssen, auch das Unmögliche
möglich zu machen, um den Menschen drüben nicht
nur ein Lippenbekenntnis der inneren Verbundenheit und Treue abzugeben, sondern ihnen auch zu
zeigen, daß das Volk in der Bundesrepublik, wenn nötig, selbst bereit ist, schwere Opfer zu bringen, um den Menschen drüben ihr Leben auch nur um ein Weniges zu erleichtern.
Die Bundesregierung wird uns immer bereit finden, ihr auf diesem Wege zu folgen, und die Bundesregierung wird sicherlich damit einverstanden sein, daß wir, ebenso wie es Herr Kollege Ollenhauer angekündigt hat, unsere eigenen Vorschläge und Pläne zur Diskussion stellen.
Abgesehen von dem, was wir zu tun haben, um diese Enttäuschung aus der Welt zu schaffen, und abgesehen von dem, was wir zu tun haben, um — darin stimme ich mit Herrn Kollegen Ollenhauer vollkommen überein — die Welt und insbesondere die drei westlichen Alliierten, die sich in Berlin zum Sprecher des deutschen Anliegens gemacht haben, immer wieder darauf hinzuweisen, daß die deutsche Frage von der Tagesordnung nicht verschwinden darf, weil Deutschland und Europa nicht in Frieden leben, solange diese Trennung durch Deutschland geht, bin ich der Überzeugung, daß wir keine andere Aufgabe haben, als konsequent und unbeirrt die Politik fortzusetzen, die uns bis hierhin gebracht und die dazu geführt hat, daß unser Anliegen nach Jahren erstmals wieder überhaupt im internationalen Gespräch erschien.
Ich glaube, auch die Opposition sollte nicht überrascht sein, wenn wir diese Konsequenz ziehen. Ich halte es nicht für gut, wenn uns der Vorwurf gemacht wird, die Behandlung der Verfassungsergänzung, die für morgen angesetzt ist, könne doch irgendwie provozieren. Ich glaube, daß diese Kritik der Opposition nicht zusteht. Man sollte doch zum mindesten die Kritik einmal aussetzen, bis andere, die mehr Recht haben, sich provoziert fühlen.
Es ist auch nicht nötig, uns heute schon vorzuhalten: „Wartet nur ab, was Frankreich übermorgen sagen wird!"
Meine Damen und Herren , Sie haben viel Verständnis für die Verständnisbereitschaft Molotows während der Berliner Konferenz bewiesen. Ich bin überrascht, daß Sie Ihr Verständnis nun offenbar auch auf die europafeindlichen Tendenzen in Frankreich ausdehnen wollen.
Selbstverständlich weiß ich, daß wir mit einer Kritik dort drüben zu rechnen haben, denn auch in Frankreich gibt es solche, die noch nichts hinzugelernt haben.
Aber diese Kritik fürchte ich nicht, weil ich der Überzeugung bin, daß auch in Frankreich die Mehrheit des Parlaments und des Volkes diesen Weg versteht und für richtig hält und ihn mit uns zu gehen bereit ist.
Im übrigen glaube ich, wenn es noch einer Rechtfertigung für die Entschlossenheit, diesen Weg weiterzugehen, bedürfte, hätten wir diese Rechtfertigung doch am 6. September vorigen Jahres für uns errungen. Das ist nicht nur eine Rechtferti-
gung, diesen Weg weiterzugehen, sondern — wenn
man die Demokratie so versteht, wie ich sie verstehe — ein echter Auftrag des deutschen Volkes,
das zu tun, was damals gebilligt und von uns weiterzuführen verlangt worden ist.
Ich würde es sehr begrüßen, wenn die Entwicklung zu einem engen europäischen Zusammenschluß, den wir anstreben, rasch vorangetrieben würde. Denn wenn auf einer Konferenz, auf der das Problem der Wiedervereinigung Deutschlands erörtert wird, nicht nur die Vereinigten Staaten von Nordamerika, das Vereinigte Königreich und Frankreich vertreten wären, sondern auch ein Sprecher Europas säße. hätten wir eine zusätzliche Unterstützung, die vielleicht nicht nur dazu beitragen könnte, das Gewicht unseres Anliegens zu erhöhen, sondern vielleicht entscheidend dazu beitragen könnte, das angebliche Sicherheitsbedürfnis Rußlands zu befriedigen.
Deswegen ist es mein Wunsch, daß die Integrationspolitik unbeirrt, konsequent und ohne Zeitverlust durchgeführt wird, im Vertrauen darauf, daß die anderen, die uns dabei zum Teil schon vorangegangen sind, wie Holland und Belgien, mit uns diesen Weg gehen, und in der Hoffnung, daß dann die deutsche Frage nicht nur von den ehemaligen Siegern aufgenommen wird, sondern ein Bestandteil der Aufgaben sein wird, die einem vereinigten Europa gestellt sind, daß wir diese Aufgabe in einem großen Europa gemeinsam lösen, um die sowjetisch besetzte Zone als einen Teil des wiedervereinigten Deutschlands und des wiedervereinigten Europas in Freiheit und Frieden bei uns zu sehen.