Rede von
Lisa
Korspeter
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Die Mehrheit des Ausschusses für Sozialpolitik hat in der Sitzung des Ausschusses vom 20. November 1953 beantragt und beschlossen, wie Sie eben gehört haben, den Antrag der SPD durch den Erlaß der Bundesregierung vom 16. September 1953 für erledigt zu erklären. Wir stellen dazu fest, daß wir unseren Antrag keineswegs als erledigt betrachten.
Wir sind der Meinung, daß mit einer solchen Formulierung einer echten Entscheidung ausgewichen wird.
Sie übersehen dabei, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, die Tatsache, daß unser Antrag in entscheidenden Punkten eine Regelung verlangt, die über den Erlaß der Bundesregierung erheblich hinausgeht. Ja, wir haben schließlich unseren Antrag eingebracht, weil wir diesen Erlaß sowohl im Hinblick auf die Höhe der Weihnachtsbeihilfe als auch im Hinblick auf den Kreis der Empfänger nicht für ausreichend erachten. .
Ich möchte dazu auch sagen, daß das Gesetz über die fürsorgerechtlichen Änderungen keineswegs eine derart entscheidende Verbesserung bringt, wie Herr Kollege Arndgen soeben gesagt hat. Der Gegenantrag der Regierungskoalition, unseren Antrag als erledigt zu erklären, bedeutet die glatte Ablehnung einer Verbesserung der Weihnachtsbeihilfen.
Wir sind der Meinung, dieser Tatbestand wäre klarer und eindeutiger zum Ausdruck gekommen, wenn der Gegenantrag der Regierungskoalition einfach und schlicht gelautet hätte: Der Antrag der SPD wird abgelehnt.
Das ist schließlich die Situation.
Wenn Sie die andere Formulierung gebraucht und sie für richtiger gehalten haben, so möchte ich glauben — entschuldigen Sie, daß ich Ihnen das sage —, daß es taktische Gesichtspunkte gewesen sind, die Sie dazu veranlaßt haben. Sie haben dabei zu einer Möglichkeit der Geschäftsordnung Zuflucht genommen, die den Tatbestand der Ablehnung nicht klar erkennen läßt.
Deshalb kann uns nichts daran hindern, darauf hinzuweisen, daß eine Erledigung unseres Antrags durch den Regierungserlaß keinesfalls erfolgt ist. Wir hatten auch gehofft, die Zustimmung der Regierungskoalition zu einer Verbesserung der Weihnachtsbeihilfen zu finden, da der Herr Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung, und zwar nach dem 16. September, davon gesprochen hat, an dem wirtschaftlichen Aufstieg in der Bundesrepublik hätten nicht alle Bevölkerungskreise gleichmäßig teilgenommen, und es müsse das besondere Anliegen der Bundesregierung sein, Maßnahmen vorzuschlagen, um die wirtschaftliche Lage der Arbeitslosen, der Rentner, Invaliden, Waisen und Hinterbliebenen zu verbessern. Das soll nach den Worten des Herrn Bundeskanzlers neben der Erhöhung des Sozialprodukts durch eine umfassende Sozialreform in die Tat umgesetzt werden.
Wir nehmen an, daß die Bundesregierung unter der Sozialreform nicht nur organisatorische Verbesserungen und Veränderungen versteht, sondern daß diese Reform ganz besonders unter dem Gesichtspunkt einer Verbesserung der laufenden Renten und Unterstützungen durchgeführt wird, d. h. daß wir zu einer Existenzsicherung der Sozialleistungsempfänger kommen müssen.
Wir alle wissen, daß das heute nicht der Fall ist, und wir wissen schließlich auch, daß eine Erhöhung der Weihnachtsbeihilfen und eine Ausweitung des Personenkreises keine entscheidende wirtschaftliche Hilfe bringen würden. Das kann nur durch eine Erhöhnug der laufenden Rentensätze geschehen. Aber eine Verbesserung der Weihnachtsbeihilfe hätte zunächst dazu beitragen können, die Sonderbedürfnisse, die der Winter mit sich bringt—und ich denke dabei auch an das Weihnachtsfest —, für die Familien einigermaßen zu befriedigen. Jede Familie bei uns in Deutschland ist bemüht, eine gewisse Vorsorge an Kartoffeln und Kohlen zu treffen. Daneben bringt der Winter durch seinen erhöhten Bedarf an Schuhwerk und warmer Kleidung eine Reihe besonderer Ausgaben mit sich, die von den Renten und Unterstützungssätzen nicht bestritten werden können. Deshalb hat sich schon von jeher die Zahlung von Winterbeihilfen und Weihnachtsbeihilfen als notwendig erwiesen, um der besonderen Not im Winter zu steuern und um allen ein Mindestmaß an Vorsorge zu ermöglichen. Die Weihnachtsbeihilfe, um die es sich in unserem Antrag handelt, ist eine zusätzliche und freiwillige Leistung zur Pflichtleistung der Fürsorgeverbände, und wir halten es angesichts der Notlage der Renten- und Unterstützungsempfänger nach wie vor für notwendig, daß die in unserem Antrag zugrunde gelegten Grundsätze berücksichtigt werden.
Der Erlaß der Bundesregierung wird dieser Notlage nicht gerecht. Dabei muß von zwei Gesichtspunkten ausgegangen werden. Es handelt sich einmal um die Höhe der Weihnachtsbeihilfe, zum anderen um den Kreis der Empfänger. In dem Erlaß der Bundesregierung wird festgelegt, daß jedem Haushaltsvorstand genau wie im vergangenen Jahr 25 DM und zusätzlich für jeden zuschlagsberechtigten Angehörigen 10 DM gezahlt werden. Als Richtsatz für die Zahlung einer Weihnachtsbeihilfe soll der maßgebliche Fürsorgerichtsatz zuzüglich einer Erhöhung von 10 % zugrunde gelegt werden. Genau wie im vergangenen Jahre sind wir der Meinung, daß die Höhe der Weihnachtsbeihilfe angesichts der Notlage nicht genügt und daß der Kreis der Empfänger zu eng gezogen wurde. Wir haben deshalb eine Ausweitung des Personenkreises und die Gewährung einer Weihnachtsbeihilfe von 50 DM für den Haushaltsvorstand und von 10 DM für jeden zuschlagsberechtigten Angehörigen beantragt. Daneben halten wir es für notwendig, bei den langfristig Arbeitslosen, bei denen die Notlage ganz besonders groß ist, einen Unterschied zu machen, und haben für jeden Hauptunterstützungsempfänger 60 DM und für jeden zuschlagsberechtigten Angehörigen 15 DM beantragt.
Ein besonderer Grund dafür, daß wir es nach wie vor für notwendig halten, allen Arbeitslosenfürsorgeunterstützungsempfängern eine Weihnachtsbeihilfe zukommen zu lassen, ist die Tatsache, daß sich die Erhöhung der Alfü-Unterstützung besonders für die niedrigen Lohnklassen sehr schlecht ausgewirkt hat. Ich habe Angaben aus Niedersachsen, daß bei den niedrigen Lohnklassen und besonders bei den kinderreichen
Familien wegen der Auffanggrenze in der Arbeitslosenfürsorgeunterstützung die Erhöhung durch den gleichzeitigen Wegfall der Teuerungszulage von 3,00 DM bei 12 bis 14 % der Alfü-Empfänger nicht mehr als 0,30 DM in der Woche und bei schätzungsweise 40 % nicht mehr als 1 DM betragen hat. Durch den Wegfall der Brotbeihilfe von 0,75 DM pro Monat und pro Person, die beispielsweise bei den Alfü-Empfängern mit dem Hinweis auf die Alfü-Erhöhung weggefallen ist, ist es durchaus möglich, besonders bei den kinderreichen Familien, daß sogar eine Verschlechterung der Situation gegenüber früher eingetreten ist. Die Angaben, die ich aus Niedersachsen habe, lassen sich ohne Zweifel auf Bayern und Schleswig-Holstein übertragen, so daß wir in den drei Flüchtlingsländern, die zugleich die Zonengrenzländer sind, die gleiche schlechte Situation vorfinden. Ich bin nicht der Ansicht wie Herr Kollege Arndgen, daß wir bei einer Verbesserung der Weihnachtsbeihilfe Schwierigkeiten mit dem Bundesrat bekommen. Denn in einem Schreiben des bayerischen Arbeitsministers in Übereinstimmung mit dem bayerischen Innenminister und dem bayerischen Finanzminister an das Bundesarbeitsministerium wird angeregt, die Weihnachtsbeihilfe allen Alfü-Empfängern ohne Prüfung ihrer Hilfsbedürftigkeit zu gewähren.
Gleichzeitig möchte ich auf die Tatsache hinweisen, daß bei der Regelung, die durch den Erlaß erfolgen soll, in den Großstädten ein größerer Personenkreis erfaßt wird, weil hier die Fürsorgerichtsätze höher liegen, während in den Landkreisen, in denen die Fürsorgerichtsätze niedriger liegen, aber die Ausgaben für die besonderen Bedürfnisse des Winters mindestens genau so hoch sind wie in den Großstäten, viel weniger Empfänger von Sozialleistungen in den Genuß der Weihnachtsbeihilfe kommen.
Dabei taucht noch eine andere Schwierigkeit auf. Einige Länder haben eine Erhöhung der Weihnachtsbeihilfe von sich aus vorgenommen, während andere, leistungsschwache Länder dazu nicht in der Lage sind. Daraus ergibt sich in den verschiedenen Ländern ein soziales Gefälle, das alles andere als begrüßenswert ist und das nur vermieden werden kann, wenn eine Ausweitung der Richtlinien, die in dem Erlaß vom 16. September festgelegt worden sind, vorgenommen werden würde.
Wir glauben auch nicht, daß die Forderungen in unserm Antrag übertrieben sind, sondern wir sind der Ansicht, daß sie der sozialen Notwendigkeit entsprechen. Wir bedauern es außerordentlich, daß auf der einen Seite der Herr Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung die Notlage der sozial Schwachen anerkannt hat und daß auf der andern Seite der erste Antrag, der sich mit einer Leistungsverbesserung für Weihnachten befaßt, ausschließlich unter das Diktat fiskalischer Überlegungen geraten ist.
Wir bitten deshalb, den Ausschußantrag abzulehnen und unserm Antrag Drucksache 40 zuzustimmen.