Rede von
Hans
Merten
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Man sollte sich eigentlich darüber freuen, daß gleich in einer der ersten Sitzungen des Bundestags ein so großes Interesse des Gesetzgebers für die Heimkehrer feststellbar ist und wir gleich in der ersten Arbeitssitzung drei Vorlagen zu beraten haben, die sich mit den Angelegenheiten der Heimkehrer und der ehemaligen Kriegsgefangenen beschäftigen. Aber diese Freude wird außerordentlich stark getrübt, wenn man sich einmal den Antrag der Deutschen Partei ansieht; denn in diesem Antrag wird die Bundesregierung ersucht, ein Gesetz zu verkünden, das der alte Bundestag vor vielen Monaten beschlossen hat, ein Gesetz, auf das die Heimkehrer jahrelang gewartet haben, ein Gesetz, auf das auch. der Bundestag immer und immer wieder hingewiesen hat.
Wenn ich mich recht erinnere, ist es wohl einmalig in der Geschichte dieses Hauses, daß der Gesetzgeber sich in dieser Form mit einem von ihm bereits längst verabschiedeten Gesetz noch einmal befassen muß.
Ich erinnere daran: es war eine überwältigende Mehrheit dieses Hauses, die dieses Gesetz über die Entschädigung der ehemaligen Kriegsgefangenen beschlossen hat. Wir haben das damals begrüßt, weil so diese Frage aus der Sphäre des Wahlkampfes herausgenommen . wurde und die berechtigten Befürchtungen vieler Menschen dadurch gegenstandslos wurden, daß nun die ,Frage der Entschädigung der ehemaligen Kriegsgefangenen zum Gegenstand des Wahlkampfes werden könnte.
Nach der Zustimmung des Bundesrats zu diesem Gesetz war dem Art. 78 des Grundgesetzes Genüge getan, und nun hätte jedermann mit Recht erwarten können, daß dieses Gesetz ausgefertigt und verkündet würde. Das ist nicht geschehen. Die Bundesregierung hat sich nicht auf Art. 113 des Grundgesetzes berufen. Sie hat diesem Gesetz ihre Zustimmung nicht ausdrücklich versagt. Sie kann sie wohl auch gar nicht ausdrücklich versagen, weil ja der laufende Haushaltsplan durch dieses Gesetz so gut wie überhaupt nicht belastet wird und für die folgenden Haushaltsjahre die Möglichkeit einer Deckung für die voraussichtlichen Ausgaben nach diesem Gesetz hätte gefunden werden können. Der Herr Staatssekretär des Bundesfinanzministeriums hat ja auch darauf hingewiesen, daß man zur Zeit den Haushalt berät, daß man versuchen wolle, im Rahmen dieser Beratungen eine Deckung für die voraussichtlichen Ausgaben nach diesem Gesetz zu schaffen. Der Herr Kollege Schneider hat in seiner Begründung einige Deckungsvorschläge gemacht. Ich weiß nicht, ob er sie selbst ernst genommen hat. Ich bin aber der Überzeugung, daß sie im Hause nicht ernst genommen worden sind und wohl auch gar nicht ernst genommen werden konnten.
Es gibt aber andere Möglichkeiten, die ernst genommen werden müssen. Ich erinnere einmal an die Differenz, die zwischen den im Bundeshaushalt veranschlagten Kosten für die EVG in Höhe von 950 Millionen DM monatlich und den tatsächlich zur Zeit zu zahlenden Besatzungskosten in Höhe von 600 Millionen DM monatlich besteht. Hier ist also eine Monatsdifferenz schon größer als der gesamte Jahresbedarf für -dieses Gesetz. Ich erinnere weiter daran, daß im Bundeshaushalt eine Menge Beträge stehen, die auf Schätzungen beruhen, sowohl auf der Einnahmeseite als auch auf der Ausgabenseite, daß alle diese Schätzungen immerhin eine gewisse Toleranz nach oben und unten haben und daß die Beträge, die nach diesem Gesetz erforderlich werden, nur einen kleinen Prozentsatz ausmachen undinnerhalb dieser Toleranzen liegen.
Aber wie dem auch sei, es ist sehr viel Zeit verstrichen, in der man sich diese Dinge hätte überlegen können. Diese ganze Zeit scheint mir ziemlich nutzlos verstrichen zu sein. Denn man hätte in dieser Zeit mehr als ausreichend die Grundlagen dieses Gesetzes klären, seine voraussichtlichen Kosten ausrechnen und nach Deckungsmöglichkeiten suchen können. Dieses Gesetz ist bis jetzt nicht verkündet worden, und die Bundesregierung hat offiziell keine Verlautbarung darüber herausgegeben. Sie hat auch dem Bundestag heute zum erstenmal darüber Auskunft gegeben, wie sie sich den Fortgang der Dinge denkt. Ich glaube, daß man hier eine gewisse Nichtachtung des Gesetzgebers feststellen kann, die auf keinen Fall einen guten Eindruck hinterlassen kann.
Die Sache gewinnt einen. Reiz noch dadurch, meine Damen und Herren, daß es ausgerechnet eine Koalitionspartei ist, die den Bundestag in dieser Sache anruft, obwohl sie durch zwei Minister im alten und im neuen Bundeskabinett vertreten ist und vertreten war und dadurch zweifellos im Bundeskabinett hätte eine Entscheidung herbeiführen können.
Das ist ihr offensichtlich nicht geglückt, und wir
sind gern bereit, meine Herren von der Deutschen
Partei, Ihnen hier im Bundestag die dafür nötige
Hilfe zuteil werden zu lassen. Aber wir sind dazu
nicht etwa Ihretwegen bereit, sondern deshalb,
weil wir die besondere Lage der ehemaligen
Kriegsgefangenen sehen, und ihnen zuliebe halten
wir es für dringend erforderlich, etwas zu tun.
Denken Sie einmal zurück, sofern Sie noch im alten Bundestag gesessen haben! Dann werden Sie sich erinnern, daß wir uns schon am 20. Juni 1951 mit dieser Frage befaßt haben, daß wir uns im Jahre 1952 im Rahmen der Tagesordnung sechsmal mit ihr befassen mußten und daß im Jahre 1953 dieser Punkt ebenfalls sechsmal auf der Tagesordnung gestanden hat. Noch am 11. April dieses Jahres hat der Herr Bundesminister für Arbeit von Verhandlungen über dieses Gesetz berichtet.
Nachdem die Bundesregierung dem Ersuchen des Hauses nicht Rechnung getragen hatte, war es schließlich notwendig geworden, einen Gesetzentwurf aus dem Hause heraus vorzulegen. Dieses von uns vorgelegte und hier verabschiedete Gesetz enthielt ja nur Mindestforderungen, und es ist keineswegs so, daß nun etwa alle Heimkehrer außerordentlich beglückt und begeistert über dieses Gesetz gewesen wären. Wir mußten nämlich sehr viele Hoffnungen der Heimkehrer enttäuschen, und nach Abschluß der noch erforderlichen Untersuchungen und Feststellungen sollte auch eine Erweiterung dieses Gesetzes erfolgen. Auch diese an dieser Stelle wiederholt betonte Tatsache hat anscheinend bei der Bundesregierung keinen Eindruck gemacht.
Vor vier Wochen waren die Vertreter der Heimkehrer Deutschlands hier in Bonn versammelt, und rund 1000 Delegierte aus allen Teilen des Bundesgebiets richteten die Forderung an den neuen
Bundestag, daß das Entschädigungsgesetz nun endlich verkündet werde. Ich erlaube mir, diese Forderung an den Bundestag weiterzugeben an die, die es angeht, nämlich an die Bundesregierung; denn der Bundestag hat seine Pflicht getan. Möge nun auch die Bundesregierung ihres Amtes walten!
Von dem Herrn Kollegen Mende und auch von Herrn Kollegen Schneider ist auf die Kriegsgefangenen-Gedenkwoche Bezug genommen worden. Sie ist uns allen noch in lebendiger Erinnerung, und besonders ein Ereignis jener Woche scheint mir geradezu symbolische Bedeutung für diesen Punkt der Tagesordnung zu haben, die Tatsache nämlich, daß die deutsche Jugend bei ihrer Gedenkstafette für die deutschen Kriegsgefangenen einen Bogen um den Sitz der Bundesregierung machen mußte.
Ich sage deshalb symbolisch, weil es fast den Anschein hat, als wolle man sowohl von der Existenz ungelöster Probleme der Kriegsgefangenen wie auch von den bestehenden Nöten der Heimkehrer möglichst wenig Kenntnis nehmen und möglichst selten an sie erinnert werden.
Seit Ende September sind nun erfreulicherweise wieder größere Transporte eingetroffen. Männer und Frauen aus der Sowjetunion sind zu uns gekommen, auf die wir sehnlichst gewartet haben und um die wir uns viele Jahre gesorgt haben. Die Freude der Heimat war verständlicherweise übermächtig, und erfreulich — das muß festgestellt werden — war die Hilfsbereitschaft, die diesen Menschen gegenüber plötzlich lebendig wurde. Die Länder, die Kommunalverwaltungen, die Organisationen der freien Wohlfahrtspflege, private Stellen aller Art haben sich überboten, tatkräftige Hilfe zu leisten. Hätte es eine schönere Gelegenheit geben können, frage ich, diese allgemeine Hilfsbereitschaft gleichsam zu krönen, indem man nun endlich das Entschädigungsgesetz verkündet hätte?
Nichts dergleichen ist geschehen.
Es ist die Rede davon, daß man die finanziellen Auswirkungen prüfen müsse. Es ist auch die Rede von einer Gefährdung der Währung und vielem anderen gewesen. Ich habe einmal in den Zeitungen zurückgeblättert, die vor der Bundestagswahl erschienen sind, und habe da einige interessante Erklärungen gefunden, insbesondere eine, die der Herr Bundesfinanzminister abgegeben hat. Einen Tag oder zwei Tage vor der Wahl gab er bekannt, daß er von der Möglichkeit der Deckung der erforderlichen Ausgaben überzeugt sei und daß er eine entsprechende Vorlage machen wolle.
Es kann sein, meine Damen und Herren, daß dem
Berichterstatter hier ein Irrtum unterlaufen ist und
daß es gar nicht der Bundesfinanzminister Schäffer, sondern der Bundestagskandidat Schäffer
gewesen ist, der diese Erklärung abgegeben hat.
Aber auch der Bundeskanzler — das ist hier bereits erwähnt worden — hat ganz eindeutige Zusagen in dieser Richtung gemacht.
Wir haben über die Notwendigkeit dieses Gesetzes hier so oft und so eingehend diskutiert, daß darauf heute nicht mehr eingegangen zu werden
braucht. Ich erinnere mich, wie feierlich die zuletzt zurückgekehrten Kriegsgefangenen in Friedland begrüßt worden sind. Sie konnten mit Recht erwarten, daß den Reden, die dort gehalten wurden, nun auch die Taten unverzüglich folgen würden. Wenn man aber diese Heimkehrer jetzt aufsucht -- und ich habe mir erlaubt, das zu tun —, dann steht man oft vor erschütternden Tatsachen. Der Aufbau einer selbständigen Existenz, die Beschaffung von Arbeit und von Wohnraum, stößt für viele von ihnen auf unüberwindliche Schwierigkeiten, die ohne weiteres zu beheben wären, wenn das Entschädigungsgesetz in Kraft getreten wäre.
Der Herr Staatssekretär hat uns Trost zuzusprechen versucht, indem er auf Richtlinien hinwies, die demnächst im Bundeskabinett beraten werden sollen und die für den Existenzaufbau und' für die Hausratsentschädigung Beträge bis zu 5000 DM vorsehen. Insgesamt will er dafür fünf Millionen DM zur Verfügung stellen. Meine Damen und Herren! Ich 'war erschrocken, als ich diese Summe hörte, nicht wegen ihrer Größe, sondern wegen ihrer kümmerlichen Kleinheit. Der Herr Bundesarbeitsminister hat hier an dieser Stelle im ersten Bundestag erklärt, daß ihm für diese Zwecke 10 Millionen DM zur Verfügung stünden. Der Herr Bundesfinanzminister hat im Ausschuß für Kriegsopferfragen erklärt, daß er 20 Millionen DM zur Verfügung zu stellen bereit sei. In einer der letzten Sitzungen hat er diesen Betrag auf 40 Millionen erhöht.
Und heute hören wir etwas von 5 Millionen, einem Betrag, der ' ein Tropfen auf den heißen Stein ist, der noch nicht einmal ausreichen würde, um die Kosten der Ergänzung des Heimkehrergesetzes zu bezahlen, deren Notwendigkeit Herr Kollege Mende vorhin begründet hat.
Ja, meine Damen 'und Herren, selbst die im Heimkehrergesetz vorgesehenen Hilfsmaßnahmen — das Gesetz ist lange in Kraft — werden ja nicht in dem Ausmaß durchgeführt, wie es notwendig ist. Sie werden insbesondere von den unteren Verwaltungsbehörden oft einfach — man kann es nicht anders nennen — sabotiert. Oder wie soll man es sonst bezeichnen, was ich jetzt gerade feststellen konnte, daß zwei Dutzend kranke Rußlandheimkehrer seit vier bis sechs Wochen in einer Spezialklinik sitzen und die Krankenkasse für diese Männer bis zum heutigen Tage auch noch nicht einen einzigen Pfennig bezahlt hat, obwohl die Verpflichtungen in § 23 des Heimkehrergesetzes niedergelegt sind? Kann man es diesen Männern übelnehmen, daß sie einen gewaltigen Unterschied zwischen den Reden in Friedland und der mangelhaften Betreuung in der Heimat feststellen?
Ich glaube, daß eine solche Behandlung der Heimkehrerangelegenheiten genau so nachlässig ist wie das Versäumnis des Bundesinnenministeriums, das in der vergangenen Legislaturperiode 18 Monate lang nicht in der Lage war, die im Gesetz vorgesehenen Richtlinien zu § 9 a des Heimkehrergesetzes zu erlassen, so daß der Gesetzgeber gezwungen war, das bei der Novelle zum Gesetz selber zu tun. Es sind wiederum drei Monate vergangen seit 'der Verkündung des Zweiten Gesetzes zur Ergänzung des Heimkehrergesetzes, und noch immer fehlen die näheren Bestimmungen des Bundesinnenministers zu § 23 b, so daß die Erholungs- und Gesundheitsfürsorge
für die Heimkehrer in den Ländern auf allergrößte Schwierigkeiten stößt.
Alle diese Dinge sind weniger wegen der fiskalischen Seite als aus politischen Gründen zu bedauern. Der Bundestag hat sich immer wieder einmütig dazu bekannt, daß den Heimkehrern geholfen wird, und hat diesem Willen durch die Verabschiedung der Gesetze Ausdruck gegeben. Diesem Willen muß nun aber auch in der Ausführung der Gesetze Rechnung getragen werden!
Meine Damen und Herren, von meinen Vorrednern ist bereits darauf hingewiesen worden, daß die fiskalischen Gesichtspunkte nicht im Mittelpunkt dieser Diskussion stehen dürfen. Abgesehen davon sind die Aufwendungen für die Heimkehrer ohnedies nicht überwältigend. Es waren im Jahre 1950 noch 75 Millionen DM, die ausgegeben wurden, im Jahre 1951 waren es nicht mehr ganz 21 Millionen DM, 1952 noch nicht einmal 12 Millionen DM und in den ersten beiden Monaten des laufenden Haushaltsjahres etwas über 1 Million DM, und man hat mit diesen Beträgen eben viele Fragen der Arbeit und der Wohnung nicht lösen können. Das Entschädigungsgesetz hätte gerade in seinem zweiten Teil hier in Tausenden von Härtefällen Hilfe bringen können, eine Hilfe, die mit den 5 Millionen DM, von denen wir vorhin gehört haben, nicht gebracht werden kann. Die einseitigen fiskalischen Überlegungen stellen zu sehr das Geld und den ausgeglichenen Haushalt in den Mittelpunkt und vergessen darüber zu leicht den Menschen. Um den Menschen aber geht es, denn er steht im Mittelpunkt unserer Gesetzgebung, und er ist der Träger dieses Staates. Das kann er aber nur sein, wenn er das Gefühl hat, daß ihm Gerechtigkeit widerfährt. Es ist daher eine politische Frage, daß den ehemaligen Kriegsgefangenen die Anerkennung zuteil wird, die sie auf Grund ihrer für das ganze Volk vollbrachten Leistung nun einmal zu beanspruchen haben. Der Glaube und das Vertrauen dieser Männer darf auf keinen Fall gefährdet werden.
Wir haben in der Kriegsgefangenen-Gedenkwoche die Rückkehr der Gefangenen gefordert. Wir haben das in der Hoffnung getan, daß es zum letztenmal geschehen muß, weil im nächsten Jahr dann alle Kriegsgefangenen zurückgekehrt sein werden. Wir geben auch der Hoffnung Ausdruck, daß die im Augenblick unterbrochenen Entlassungen aus der Sowjetunion bald wieder einsetzen, und ich glaube, es würde diese Entlassungen ohne jeden Zweifel erleichtern, wenn die englischen und amerikanischen Nachrichtendienste in Friedland der Sowjetunion nicht allzu deutlich zeigen würden, wie wertvoll ihr die Heimkehrer als Nachrichtenquelle sind.
Wir aber haben die Pflicht, zu zeigen, wie wertvoll uns diese Heimkehrer als Glieder unserer Gemeinschaft sind,
indem wir alles, aber auch wirklich alles unternehmen, um ihre soziale und wirtschaftliche Eingliederung zu fördern.
Diesem Zweck sollen wohl auch die in den Drucksachen 30 und 41 niedergelegten Anträge der FDP dienen. Über den zuletzt genannten Antrag auf Gewährung von Freifahrten ist bereits gesprochen worden. Wir werden uns im Interesse der Heimkehrer an einer schnellen und positiven Erledigung dieser Anträge beteiligen, denn wir stehen auf dem Standpunkt — den wir auch der Bundesregierung zur Beherzigung außerordentlich empfehlen möchten —: Doppelt hilft, wer schnell hilft!