Rede von
Dr.
Erich
Mende
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FDP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Meine Fraktion glaubt, daß es zweckmäßig ist, aus diesem Haus möglichst wenig Anträge etwa mit dem Wortlaut „Der Bundestag wolle beschließen: Die Bundesregierung wird aufgefordert, einen Gesetzentwurf vorzulegen . . ." einzubringen, sondern möglichst viel Gesetzentwürfe selber dem Hause zu unterbreiten. Darum hat sie Ihnen in der Drucksache 30 eine Novelle zum Heimkehrergesetz vorgelegt. Es ist unnötig, viel Worte über die Notwendigkeit einer solchen Novelle zu machen. Das Heimkehrergesetz ist im Jahre 1950 verabschiedet worden. Es wurde dann durch eine Novelle geändert. Sein damaliger Zweck war, den Heimkehrern aus den Jahren 1949/50 möglichst schnelle Hilfe zu gewähren. Wir alle wissen, wie lückenhaft das erste Heimkehrergesetz ist, wie sehr es damals unter Zeitdruck zustande kam und wieviel an ihm verbesserungsbedürftig ist.
Nunmehr sind gottlob nach vielen Bemühungen politischer, karitativer und Verbandsstellen der Heimkehrer erneut Tausende von Heimkehrern zu uns gekommen. Wir glauben, daß diese Menschen, die nach dem 1. September 1953 gekommen sind, mehr noch als die bisherigen auf eine schnelle Hilfe Anspruch haben. Sie sind nämlich nicht, wie man annimmt, erst seit 1945, also acht Jahre aus ihrem zivilen Bereich gerissen und schweren seelischen und körperlichen Belastungen unterworfen gewesen; sie sind praktisch bereits seit 1939 außerhalb ihres zivilen Lebenskreises und ihrer Familie gewesen, so daß die erschütternde Zahl von 14 Jahren zusammenkommt, die diese Spätestheimkehrer von ihrem Zivilleben trennen. Es ist doch nicht damit getan, daß man diesen Menschen einen freudigen Empfang bereitet und daß man ihnen im Entlassungsgeld, in der Überbrückungshilfe eine erste Hilfe zuteil werden läßt. Das Problem ist, diese Menschen baldigst in ihren zivilen Lebenskreis einzugliedern, ihnen eine Berufsausbildung zu geben, soweit sie sie durch Krieg und Gefangenschaft noch nicht abschließen konnten, und ihnen vor allem bald
wieder die Möglichkeit einer Berufsausübung zu geben. Wir wissen, daß gerade bei den Heimkehrern die Arbeitslosenzahl noch erschütternd hoch ist. Daher sollen die Heimkehrer in den ersten sechs Monaten von materiellen Sorgen möglichst befreit werden. Sie sollen die Möglichkeit haben, sich auf Berufssuche zu begeben, um baldigst das zu vergessen, was hinter ihnen liegt, und neu zu beginnen. Das wollen wir ihnen durch diese Novelle erleichtern.
Die Novelle hat zum Inhalt, den nach dem 1. September 1953 Heimgekehrten für die Zeit von sechs Monaten einen monatlichen Ehrensold von 200 DM steuerfrei zu geben, der ohne Anrechnung auf die Leistungen aus der Arbeitslosenunterstützung und aus der Arbeitslosenfürsorge und unbeschadet der sonstigen Hilfen gezahlt werden soll. Das heißt: wir stellen für die Zeit von sechs Monaten die Spätestheimkehrer den Schwerstbeschädigten gleich; denn ungefähr in dieser Höhe liegt die Rente eines Schwerstbeschädigten. Die meisten der Heimkehrer sind ohnehin 50 % und mehr körperbeschädigt. Rechnet man die durch die seelische Dystrophie bedingten Schäden hinzu, so kann man für eine gewisse Zeit, für mindestens sechs Monate, diese Spätestheimkehrer ohnehin als körperlich und seelisch schwer getroffen bezeichnen. Keinen Anspruch auf jene Unterstützung sollen diejenigen Spätestheimkehrer haben, denen Ansprüche aus anderen öffentlich-rechtlichen Quellen — also Pensionsansprüche der Beamten, Ansprüche gemäß Art. 131 des Grundgesetzes — zustehen, zumindest in gleicher Höhe.
Die Deckungsfrage dürfte hier nicht die große Rolle spielen wie beim Kriegsgefangenenentschädigungsgesetz. Wir haben ausgerechnet, daß bei dem derzeitigen Kreis der Haushalt mit etwa 3 bis 4 Millionen DM belastet würde. Bei einem Gesamthaushalt von 26 Milliarden DM dürfte eine solche zusätzliche Belastung von 3 bis 4 Millionen DM nicht ins Gewicht fallen. Sollten — was wir annehmen — im nächsten Jahr oder in nächster Zeit größere Transporte kommen und damit die Ausgaben erhöht werden, dann wollen wir auch das dankend für die Neueintreffenden leisten. Ich gebe sogar der Hoffnung Ausdruck, daß auch die jetzt im Rahmen der Gnadenaktionen der Hohen Kommissare und der Tätigkeit der Gnadenkommissionen aus den Gefängnissen Heimkehrenden bald in den Genuß dieser Unterstützung kommen, sofern sie nach dem Gesetz — und das dürfte meistens der Fall sein — die Spätheimkehrereigenschaft besitzen.
In diesem Zusammenhang darf ich noch auf den von meiner Kollegin Frau Dr. Ilk zu begründenden Antrag über die Gewährung von Fahrterleichterungen für die Spätheimkehrer zur Berufssuche hinweisen.
Wir glauben, mit beiden Anträgen einen Beitrag zur Eingliederung jener zu erbringen, die in den Gefangenenlagern des Ostens oder des Westens für uns alle Wiedergutmachung geleistet haben. Denn ein Volk verliert einen Krieg als Ganzes und hat daher die Pflicht, die Lasten des verlorenen Krieges möglichst gleichmäßig auf alle Schultern zu verteilen.
Ich bitte Sie, der Novelle zum Heimkehrergesetz Ihre Zustimmung zu geben. Ich bitte vor allem den morgen sich konstituierenden Ausschuß für Kriegsopfer- und Heimkehrerfragen, dem dieser Gesetzentwurf überwiesen werden dürfte, so schnell zu arbeiten, daß das Gesetz baldigst verkündet werden kann und daß es für die Inkraftsetzung bei dem Stichtag des 1. September 1953 verbleibt.