Mein sehr verehrter Herr Kollege Löbe! Meine Damen und Herren! Ich bin bewegt durch das, was Sie gesagt haben. Ich darf mich wohl auch zum Sprecher der Herren Vizepräsidenten, der Herren Schriftführer und aller anderen, die Sie so freundlich erwähnt haben, machen, wenn ich Ihnen für die Worte und für die Art und Weise, wie Sie sie gesagt haben, danke.
Ich darf aber diesen Dank zurückgeben in großer Bewegung darüber, daß wir in Ihrer Person, sehr verehrter Herr Alterspräsident Löbe, den lebendigen Repräsentanten einer freien demokratischen Tradition in unserem Parlament gehabt haben.
Ich hoffe, daß Sie, selbst wenn Sie dem neuen Bundestag nicht angehören sollten, wie ich es zu meinem Bedauern als Ihren Plan gehört habe, auch dem zweiten Deutschen Bundestag Ihren wertvollen Rat nicht versagen werden.
Meine Damen und Herren! Wir sind am Schluß der voraussichtlich letzten Sitzung des Bundestages. Ich glaube, daß es unsere Pflicht ist, in diesem Augenblick noch einmal der Kollegen zu gedenken, die uns im Tod vorangegangen sind.
Ich nenne die Namen der 28 Abgeordneten, die in diesen vier Jahren durch den Tod abgerufen worden sind, im Jahre 1949 die Abgeordneten Dr. Linnert, Sewald, Klinge, Dr. Ziegler, im Jahre 1950 die Abgeordneten Schönauer, Krause, Dr. Falkner, Klabunde, im Jahre 1951 die Abgeordneten Rüdiger, Leddin, Loibl, Roth, Dr. Hamacher, Fischer und Brunner, im Jahre 1952 die Abgeordneten Stopperich, Kohl , Knothe, Schröter (Kiel), Bundesminister Wildermuth, Lohmüller, Weickert, Pascheck, Dr. Schumacher, Dr. Povel, Mayer (Stuttgart), im Jahre 1953 die Abgeordneten Freiherr von Rechenberg und Professor Dr. Erik Nölting. Jeder dieser Kollegen steht uns und insbesondere den Freunden seiner eigenen Fraktion lebendig vor Augen. Wir, die wir heute versammelt sind, haben die Zeit dieser vier Jahre durchstehen können. Sie sind uns vorangegangen und haben uns und, ich hoffe, auch künftigen deutschen Parlamenten ein Beispiel des Einsatzes für die Aufgaben eines deutschen Parlamentes und einer deutschen Demokratie gegeben. Wir denken in dieser Stunde dankbar an sie und werden ihrer in dieser Dankbarkeit auch in unserer politischen Arbeit, wo sie denn sein mag, in der Zukunft gedenken. Ich danke Ihnen, daß Sie sich von Ihren Plätzen erhoben haben.
In einer Zeitung habe ich gelesen, daß geplant sei, im übrigen „preisend mit viel schönen Reden" der verflossenen vier Jahre zu gedenken. Ich habe nicht diese Absicht. Ich möchte die Beurteilung der Arbeit des Bundestages, des ersten Deutschen Bundestages, der Geschichte und dem deutschen Volk überlassen. Wir helfen nichts dazu, wenn wir hier lobende Worte über uns selbst sagen. Aber es scheint mir notwendig zu sein, einige Daten zu nennen, die auch uns in Erinnerung rufen, was in diesen Jahren geschehen ist. Es sind registriert worden 282 Plenarsitzungen, 5470 Ausschußsitzungen und 1768 Fraktionssitzungen, mit den Sitzungen des Vorstandes und des Ältestenrates zusammen 7734 Sitzungen. Ich glaube, daß für jeden, der ein nüchternes Urteil über ein Parlament fällt, damit ein Hinweis auf eine eminente Arbeit gegeben ist, und ich brauche nicht einmal noch die Zahl, die einer der Herren Schriftführer ausgerechnet hat, zu nennen, daß wir in den Plenarsitzungen dieser Jahre 1542 Stunden, d. h. pausenlos 64 Tage zusammengewesen sind.
Was mir wichtiger ist—und ich sage das deshalb heute sehr betont —, ist die Frage, ob diese Arbeit des deutschen Parlaments, unseres Bundestags, bei dem deutschen Volk, das die Abgeordneten hierhergesandt hat, ein Echo und eine Anteilnahme gefunden hat. Wenn wir in diesen Jahren im Parlament 920 000 Besucher gehabt haben, dann ist das jedenfalls nicht ein Beweis dafür, daß die Arbeit dieses Bundestages sich unter Ausschluß der Öffentlichkeit vollzogen hätte. Ich sage das mit besonderer Freude darüber, daß wir in einem erstaunlichen Maße die Anteilnahme und den Besuch der Jugend gehabt haben. Es sind kürzlich Parlamentarier aus einem anderen europäischen Staate hiergewesen, die gesagt haben, daß nach ihrer Meinung sicher noch niemals eine Schulklasse in ihrem Parlament gewesen sei. Ich möchte hier aussprechen, es ist der Stolz und die Freude des Deutschen Bundestages, daß die deutsche Jugend in diesem Maße an der parlamentarischen Arbeit und somit am Aufbau ihres Staates einen lebendigen Anteil genommen hat.
Es ist in diesen vier Jahren an den Gesetzen viel gearbeitet worden. Meine Damen und Herren, Sie alle haben 4767 Drucksachen in die Hand bekommen. Ich weiß nicht, wie viele von Ihnen sie als Erinnerung an diese vier Jahre aufbewahren werden
und auch nur den Platz haben, sie aufzubewahren.
Wir haben 765 Gesetzentwürfe bekommen und haben über 500 verabschiedet.
Meine Damen und Herren, erlassen Sie mir, weitere Zahlen zu nennen. Jeder von Ihnen, der in der Arbeit dieses Hauses gestanden hat, weiß um die Überforderung, die an dieses Parlament in der Fundamentierung eines neuen deutschen Staates gestellt worden ist. Es ist nicht mein Auftrag, in diesem Hause über Erfolg oder Mißerfolg zu sprechen. Aber daß alle Menschen, die in diesem Hause versammelt waren, ihre ganze Kraft darangesetzt haben, dem neuen deutschen Staat eine Grundlage des Rechtes und des Gesetzes zu geben und diese Grundlage auch handhaben zu lassen, das darf doch wohl als unsere gemeinsame Überzeugung ausgesprochen werden.
Wir wissen nicht, meine Damen und Herren, wie der zweite Deutsche Bundestag aussehen wird. Das eine wissen wir aber, daß dieser zweite Deutsche Bundestag nicht minder als der erste vor ungeheuren Aufgaben stehen wird, die alle Kräfte erfordern werden, alle Kräfte des Geistes, des Körpers, aber auch der inneren Verantwortung.
Wir wissen, in wie starkem Maße wir von der Entwicklung der Weltverhältnisse abhängig sind. Es ist beinahe symbolhaft, daß am Ende der Arbeit des ersten Deutschen Bundestages der Abschluß des
Waffenstillstands in Korea steht. Wir haben in diesen ganzen Jahren fast in jeder einzelnen Frage lernen müssen, wie stark wir gerade mit dieser Auseinandersetzung und den dadurch hervorgerufenen Weltverhältnissen in Verbindung gestanden haben. Ich halte es für meine Pflicht, in diesem Augenblick, gerade nachdem dieser Waffenstillstand abgeschlossen ist, in Ehrfurcht der Opfer zu gedenken,
die das koreanische Volk hat bringen müssen, und der Toten vieler, vieler Nationen, die in diesen bitteren Kämpfen ihr Leben gelassen haben. Ich glaube, daß auch dieses Bezeugen unseres Mitgefühls ein Ausdruck der Tatsache ist, daß wir uns nicht isoliert, sondern in einer inneren Verbindung mit den in Freiheit lebenden Völkern dieser Erde wissen. Ich danke Ihnen.
Am Ende dessen, was ich zu sagen habe, meine Damen und Herren, und am Ende dessen, was wir, glaube ich, in diesem Augenblick zu bedenken haben, steht aber unser eigenes Volk und Land. Wir haben die Grundlage für die Bundesrepublik Deutschland legen müssen. Wir haben unsere Arbeit — und ich meine, das für alle Mitglieder dieses Hauses sagen zu müssen und zu dürfen — verstanden als eine Verantwortung für ganz Deutschland, die wir in der Arbeit an dieser Bundesrepublik wahrgenommen haben.
Unsere Gedanken beim Schluß der letzten Sitzung des ersten Deutschen Bundestages gelten allen Deutschen, insbesondere denen, die in Not und Unterdrückung leben. Ich hoffe, daß der zweite Deutsche Bundestag, wenn er seine Arbeit beginnt und tut, den Tag mit herbeiführen kann, daß er, wenn er seine Arbeit abschließt, nicht mehr von einem geteilten Deutschland, sondern von einem einigen und freien Deutschland sprechen kann.
Ich danke Ihnen allen für Ihre Mitarbeit, insbesondere denen, die in den Ausschüssen dieses Bundestags in besonderer Weise beansprucht gewesen sind. Ich hoffe, daß wir in diesen Wochen vor der Wahl von dem, was wir gemeinsam getan haben, etwas bewähren können, und ich wünsche dem zweiten Deutschen Bundestag, daß er seine Arbeit für Deutschland erfolgreich und in Segen tun kann.
Ich schließe die 282. Sitzung des Deutschen Bundestags.