Rede von
Dr.
Hans-Joachim
von
Merkatz
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(DP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte meine kurze Redezeit heute nicht in Polemik erschöpfen. Diese Legislaturperiode sollte mit dieser außenpolitischen Debatte in einer würdigen Form zu Ende gehen. Mit dem Abschluß der Legislaturperiode fällt ungefähr das Datum des 17. Juni zusammen, mit dem eine neue Phase der deutschen Entwicklung von allergrößter Tragweite eingeleitet wird.
Die Opposition hat eine aktive Politik für die Herstellung der Einheit unseres Vaterlandes gefordert und im Laufe der vier Jahre mit herber
Kritik an den Aktionen der Regierung nicht gespart. Die Außenpolitik läßt sich aber nicht mit dialektischen Wortspielen, mit legalistischen Betrachtungen und auch nicht mit Hinweisen auf antideutsche Zitate begründen, wie das bei der Opposition so sehr beliebt ist, um die Bundesregierung im In- und Ausland zu verdächtigen und zu verleumden.
Ich möchte zunächst feststellen, daß es nicht genügt, sich im Trennungsschmerz zu erschöpfen. Vollends führt es zum Nachteil für Deutschland, wenn, wie das von der Opposition her geschehen ist, die emotionalen Gegebenheiten unserer Zeit als Nährboden für die Agitation im Wahlkampf ausgenutzt werden.
Ich kann es auch nicht für zweckmäßig halten, wenn der Ministerpräsident eines süddeutschen Landes die Frage der deutschen Einheit allein unter den Begriffen und in Problemstellungen des 19. Jahrhunderts betrachtet. Diese Wiederbelebung der Paulskirchensituation bedeutet eine Blindheit gegenüber den völlig veränderten Bedingungen dieses Jahrhunderts. Das Wiederauflebenlassen konfessioneller Gegensätze, die Hervorhebung früherer 'deutscher Neigung zur Kleinstaaterei und zum Einspinnen in kleine Verhältnisse, alles das sind Problemstellungen eines vergangenen Jahrhunderts, denen gegenüber ich feststellen möchte, daß wir in Deutschland über diese Punkte durch die Reichsgründung und die schweren Erfahrungen unseres Volkes in den letzten 50 Jahren hinweggekommen sind. Niemand wird die Herzenswärme und den nationalstaatlichen Elan des vorigen Jahrhunderts geringschätzen. Aber das damals erkämpfte Einheitsbewußtsein unserer Nation ist die Eiserne Ration unseres Volkes. Sie darf nicht durch die Unterstellung falscher, der Vergangenheit verhafteter Motive und Absichten zersetzt werden.
Ich weiß auch nicht, welchen politischen Sinn es hat, eine gar nicht vorhandene Reichs-Müdigkeit in unserem Volke anzusprechen. Oder will man wider besseres Wissen diejenigen verleumden, die vier- Jahre praktisch und ohne Illusionen gegenüber dem Bolschewismus für die deutsche Einheit und die Bewahrung der Freiheit gekämpft haben?
Es ist ein schlechter Dienst an der Politik der deutschen Einheit, durch Verleumdungen die Energien 'der positiven Politik zu schwächen und damit der Sowjetpropaganda in die Hände zu arbeiten.
Ich möchte den Gegensatz der Meinungen nicht besonders vertiefen, aber ich muß auf die Gefahr hinweisen, die für eine aktive Politik der deutschen Einheit dadurch gegeben ist, daß sich nicht in der überwiegenden Mehrheit des deutschen Volkes eine ganz klare, einfache Konzeption durchzusetzen vermag, wie die nationale Einheit praktisch einer Lösung zugeführt werden kann. Das wäre die aktivste Unterstützung einer Politik, die Einheit in Deutschland wiederherzustellen.
Die Außenpolitik der Bundesregierung ist in den vergangenen vier Jahren von meiner Fraktion als eine überparteiliche Angelegenheit betrachtet und unterstützt worden. Das Ergebnis des verlorenen Krieges ist ein gespaltenes Europa, ist ein gespaltenes Deutschland. Das nationale Ziel von uns Deutschen, die Einheit der Nation wiederherzustellen, deckt sich mit dem europäischen Ziel, die Einheit Europas aufzubauen, weil nur in ihr die Freiheit unserer Welt gegenüber dem Bolschewismus für die Dauer gesichert und damit eine Grundlage für den Frieden in der Welt herzustellen ist. Es muß eine Ordnung gefunden werden, die es der fortgesetzten Expansion des Bolschewismus unmöglich macht, den bisherigen Siegeszug fortzusetzen, dem Ostasien und halb Europa bereits zum Opfer gefallen sind. Die Energien der Sowjetunion sollten ebenso wie die Energien der westlichen Welt nicht auf Rüstungen, sondern auf den Vollzug friedlicher Werke gelenkt werden.
Eine solche Friedenspolitik und ihre Ziele können nur im Bündnis mit den Großmächten der westlichen Welt vollzogen und vollendet werden, d. h. die Energien des ganzen deutschen Volkes müssen angespannt werden, um sich mit den nationalen Energien der europäischen Völker im Sinne einer höheren Einheit zu verbinden, damit Friede und Freiheit in ganz Europa wiederhergestellt und für die Zukunft gesichert werden. Diese höhere europäische Einheit beruht auf den Traditionen unserer abendländischen Welt. Sie ist die moderne Form der alten Idee der Einheit der Christenheit in einem politischen Raum friedlich und freundschaftlich zusammenlebender Völker. Sie bedeutet aber auch, daß der Gedanke nationalistischer Hegemonien für immer erledigt sein muß. Der verlorene Krieg, die begangenen Rechtsbrüche der Völkerordnung sowie die Bedürfnisse eines modernen technischen Zeitalters verlangen andere politische Institutionen als in der Vergangenheit. Man kann sich nicht von heute auf
morgen aus der Situation, die zwischen Siegern ' und Besiegten besteht, lösen.
Aus diesem Dilemma ist das System der Vertragswerke entstanden, das zwar noch peinliche Reste des Besatzungsregimes aufweist, das aber in sich die konstruktive Möglichkeit trägt, diese Reste einer bösen Vergangenheit, die Ungleichheit zwischen Siegern und Besiegten, künftig zu überwinden. Nur im Bündnis mit den Großmächten der westlichen Welt ist ein Gespräch mit dem Ostblock zu führen.
Nur mit der Schaffung realer Grundlagen für die Zusammenarbeit der westlichen Welt kann eine Auseinandersetzung friedlicher Art, eine echte Verhandlung über die Lösung des Gegensatzes zwischen Ost und West erzielt werden. Die Fraktion der Deutschen Partei wird immer auf der Seite derjenigen stehen, die eine konstruktive Politik für ein einiges Deutschland, gesichert in einem einigen Europa, betreiben.
. Im letzten Jahre ist eine sehr gefährliche Verzögerung für die Fortentwicklung dieses auf Zusammenarbeit aufgebauten westlichen Staatensystems eingetreten. Diejenigen, die heute sagen, der Westen und die Bundesrepublik seien auf die Ereignisse des Aufstandes vom 17. Juni nicht genügend vorbereitet gewesen, sollten sich fragen, wer an dieser nicht genügenden Vorbereitung schuld gewesen ist.
Schuld sind diejenigen, die die Fortentwicklung des Staatensystems zur Verteidigung der Freiheit verzögert haben.
Denn wenn heute schon die Vertragswerke verwirklicht wären, wäre die objektive Grundlage für Verhandlungen mit dem Ostblock bereits jetzt geschaffen.
Es wäre möglich, in einem Zustand gesicherter Freiheit über die Einheit Deutschlands konkret zu verhandeln und diese Einheit dann in Freiheit, d. h. in einer gesicherten Freiheit, für die Zukunft zu verwirklichen. Die Verzögerungspolitik der Opposition und der mit ihr zusammenarbeitenden Kräfte hat die deutsche Einheit nicht gefördert, sondern uns in einen Zustand gebracht, der uns nicht instand setzt, bereits jetzt die Früchte der Politik der vergangenen vier Jahre zugunsten der Bevölkerung der sowjetisch besetzten Zone voll zu ernten.
Wir könnten weiter sein und so die Gegebenheiten
des 17. Juni ganz anders zur Wirkung bringen. Die
Gegner der Außenpolitik der Koalition sind allzusehr geneigt, auf die sowjetische Taktik einzugehen.
Dieses Eingehen auf die sowjetische Taktik aber kann den Sieg der Sowjetstrategie im kalten Krieg bedeuten. Diesen Weg gehen wir nicht mit. Wir machen der Opposition den Vorwurf, daß sie sich allzusehr in den Windschatten der sowjetischen Propaganda begeben hat.
Die Opposition ist der Auffassung, daß die Verwirklichung der Westverträge eine Vier-MächteKonferenz über Deutschland mit der Sowjetunion unmöglich mache. Ich bin der Auffassung, daß das Vereiteln des Ziels der Sowjetunion, ganz Deutschland in ihren Machtbereich einzubeziehen, überhaupt die Voraussetzung dafür ist, daß um d'as Ziel der Einheit in Freiheit verhandelt werden kann .und verhandelt werden muß. Das Ergebnis solcher Verhandlungen muß eine Zusammenarbeit ganz Deutschlands auf friedlicher Basis mit den Mächten der freien Welt, die Einheit Europas, die Sicherung der Freiheit sein, ohne damit der Sowjetunion gegenüber bedrohlich zu werden, es sei denn, daß die Sowjetunion die Bedrohung darin sieht, daß ihr Ziel des Einbruchs in die freie Welt durch dieses System der Sicherung unmöglich gemacht wird.
Meine Fraktion wünscht mit allen Deutschen eine Bereinigung des Gegensatzes zwischen Ost und West. Sie wünscht eine friedliche Lösung dieses Konflikts und eine Beendigung des kalten Krieges. Aber wir sind nicht bereit, die realen Grundlagen der gesicherten Freiheit preiszugeben und uns damit der Möglichkeit zu berauben, um die Freiheit auch der Deutschen in der sowjetischen Zone zu ringen. Die Preisgabe dieser Sicherung kann das sehnlichst erwartete Ziel der deutschen Einigung nicht fördern. Die Verzögerungspolitik hat im Westen Zweifel aufkommen lassen. Der Zwiespalt in der Frage: Sicherung für Deutschland und Sicherung gegen Deutschland, der bereits durch die Politik der Bundesregierung weitgehend überbrückt war, ist in einzelnen unbelehrbaren Kreisen wieder aufgegriffen worden. Die Verzögerungspolitik hat das größte Hindernis in der konstruktiven Politik, nämlich das Mißtrauen gegen Deutschland, nicht vermindert, sondern noch dazu erhöht.
Das Haupthindernis für die echte Gleichberechtigung Deutschlands mit den westlichen Partnern ist die Furcht vor einem etwaigen Wiedererwachen deutscher hegemonialer Ansprüche. Es ist ferner aber auch das Mißtrauen, daß Deutschland zwischen Ost und West eine schwankende Haltung einnehmen könnte.
Durch die im Westen aufgetretenen Verzögerungen sind wir nun in eine Lage gekommen, die es meiner Fraktion notwendig erscheinen ließ, das volle Mitspracherecht und Mitbestimmungsrecht über Information und Konsultation hinaus — wie es in den beiden Bonner Vertragswerken vorausgesetzt war — bereits jetzt in Kraft zu setzen. Aus dieser Grundidee, die darauf abzielt, uns für die kommende Entwicklung völkerrechtlich tatsächlich verhandlungsfähig zu machen, ist der Gedanke hervorgegangen, den Bonner Vertrag von dem europäischen Verteidigungsvertrag zu trennen. Der Herr amerikanische Botschafter Oberkommissar Conant hat dieses Verlangen als nicht realistisch bezeichnet. Ich glaube, dieser Auffasung liegt ein Mißverständnis zugrunde. Wir haben von jeher den Zusammenhang der Verträge gesehen, wobei der Bonner Vertrag eine Vergangenheit abschließt und der EVG-Vertrag eine Zukunft einleitet. An diesem Zusammenhang beider Verträge ist nicht vorbeizugehen. Aber wir halten es nach wie vor für erforderlich, daß der Bundesregierung als Sprecherin für ganz Deutschland bereits auch formal die
Stellung eingeräumt wird, die ihr praktisch längst
zugewachsen ist, ferner daß die Sicherungsabmachungen, die der Bonner Vertrag enthält, bereits jetzt in vollem Umfang in Kraft gesetzt werden.
Meine Fraktion begrüßt es lebhaft, daß durch die Botschaften des Präsidenten Eisenhower und des britischen Premierministers sowie durch die Erhebung der gegenseitigen Vertretungen in den Rang von Botschaften ein wesentlicher Schritt in der von uns gewünschten Richtung erfolgt ist. Wir betrachten diese Fortentwicklung als eine moralisch, politisch, aber auch juristisch unwiderrufliche Entwicklung, die 'dem eigentlichen Ziel 'unserer Auffassung nähergekommen ist. Deutschland ist zutiefst an einer Bereinigung der Meinungsverschiedenheiten innerhalb der Westmächte interessiert. Darum begrüßen wir es, daß an Stelle der beabsichtigten Bermudakonferenz wenigstens eine kleine Konferenz der Außenminister in Washington am 17. Juli stattfinden soll. Wir erhoffen uns von der Außenministerkonferenz, daß die Bedenken, die in Frankreich gegenüber einer Ratifikation des EVG-Vertrages bestehen, ausgeräumt werden. Denn ein einmal begonnener Weg kann nicht durch launenhafte Schwankungen unterbrochen werden. Die Überzeugungen, die dieses Vertragssystem tragen, müssen nicht nur im deutschen Volk, sondern in der ganzen freien Welt gefestigt werden. Wir wenden uns gegen jeden Versuch, mit Rücksicht auf die Möglichkeit von Viermächtebesprechungen die Konferenz in Baden-Baden zu desavouieren. Meine Fraktion hat durch ihren Vertreter maßgeblich an 'der Erarbeitung der Statuten der Europäischen Politischen Gemeinschaft mitgewirkt. Damit die letzthin aus einem gewissen Funktionalismus entwickelten Teilverträge zur Europäischen Einheit, zu einer politischen Ganzheit zusammenwachsen, ist es notwendig, über der EVG ein politisches Dach zu schaffen.
Herr Präsident, kann ich noch fünf Minuten bekommen?