Rede von
Erwin
Schoettle
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist für einen Redner in diesem Hause durchaus angenehm, wenn seine Äußerungen Gegenstand einer lebhaften Polemik werden. Das zeigt wenigstens, daß man nicht ganz unbeachtet gesprochen hat. Ich habe nicht die Absicht, mich mit dem Herrn Kollegen Wuermeling über seine Statistiken auseinanderzusetzen. Er hat hier ja eine sicher sehr wohlvorbereitete Rede vorgetragen, vorbereitet deshalb, weil er glaubte, etwas nachholen zu müssen, was -ich ihm versagt habe. Ich bin ihm deshalb 'vor dem Hause eine Äußerung dazu schuldig, warum ich mich einer Auseinandersetzung mit ihm am Mikrophon versagt habe. Ich kann mich einfach nicht mit Herrn Kollegen Wuermeling unter den Linden zeigen nach der Art, wie er sich gegenüber der Sozialdemokratie hier im Hause und öffentlich geäußert hat.
Es hängt ganz von dem Kollegen Wuermeling ab,
wie sich unsere Beziehungen zueinander gestalten,
und wenn sich da eine gewisse Besserung zeigt — ich gebe die Hoffnung nicht auf —, dann können wir vielleicht gelegentlich noch ein ganz anständiges Verhältnis zueinander gewinnen.
Ich kann — ich gebe das offen zu — nicht über den Wert der Zahlen reden, die Herr Wuermeling hier vorgetragen hat; dazu fehlen mir die Unterlagen. Aber er kann sich darauf verlassen, daß sich die sozialdemokratische Bundestagsfraktion diese Zahlen genau ansehen wird. Und ich will - ganz allgemein zu statistischen Zahlen das sagen: Es ist eine Frage der politischen Interpretion von Statistiken, was man daraus macht. Im übrigen läßt sich ja kaum leugnen, daß die Ausgangsbasis, die man für die Beurteilung von statistischen Ergebnissen wühlt, entscheidend für die Bewertung der Resultate ist. Darauf sollte man sich, glaube ich, einigen können.
— Ach, Herr Kollege Wuermeling, das Statistische Amt an sich ist ja wohl nicht zu beanstanden. Die Herren tun ihre Pflicht, sie tun vielleicht manchmal etwas mehr und verstehen unter ihrer Pflicht sehr viel mehr, als wir alle miteinander finanziell rechtfertigen können. Deshalb haben wir ja auch gemeinsam gewisse Striche beim Haushaltsplan des Statistischen Amtes vorgenommen.
Aber das ist ja gar nicht entscheidend. Entscheidend ist, was Sie und was wir aus diesen Zahlen zur Erklärung von wirtschaftlichen Tendenzen, von Gesamtentwicklungen herauslesen. Und da streiten wir uns; da sind wir nicht gleicher Meinung. Wir können nicht gleicher Meinung sein, weil w i r überzeugt sind, daß Ihre Versuche, die Statistik zu interpretieren, zur Rechtfertigung der Regierungspolitik dienen, während wir die Regierungspolitik angreifen und bestreiten, daß das, was im Zuge ,dieser vier Jahre getan worden ist, das war, was unter allen Umständen getan werden mußte.
Wir glauben eben, daß man mit einer anderen Politik auf einer Reihe von Gebieten Ergebnisse erzielt hätte, die nicht hinter dem zurückstehen, was ,die heutige Bundesregierung sich als' Verdienst zuschreibt, während man auf der andern Seite sehr viel mehr zum Abbau der sozialen Spannungen, zum Ausgleich der inneren Gegensätze hätte tun können.
Denn Sie können ja nicht leugnen, meine Damen und Herren, daß der Anteil der Selbständigen am Ertrag der Volkswirtschaft in diesen Jahren gestiegen ist, während der Anteil der Unselbständigen gesunken ist.
— Lesen Sie die Statistiken nach auf diesem Gebiet. Wir werden Ihnen im Laufe der nächsten Wochen darüber eine Reihe von Tatsachen sagen, auch öffentlich sagen, und dann können Sie sich damit auseinandersetzen.
— Ich weiß, das hören Sie auch nicht gern. Aber es ist leider eine Tatsache, und das ist in der Statistik auch sehr deutlich zu erkennen.
Ich möchte mich, wie gesagt, nicht allzusehr in das Gestrüpp der Statistik verlieren, ohne die Unterlagen dafür zu haben. Aber ich darf Sie auf folgendes aufmerksam machen, meine Damen und Herren. Herr Kollege Wuermeling hat hier aus sozialdemokratischen Veröffentlichungen zitiert. Nun, es ist gar nicht zu leugnen, daß in bestimmten Perioden während der letzten Jahre die Meinungen über den Trend der Entwicklung auseinandergingen, daß vieles im Laufe der Zeit durch die Erfahrung und durch die Tatsachen korrigiert worden ist, was man vor vier oder fünf Jahren geglaubt hat. Das soll sogar auch bei den Mitgliedern der Regierungskoalition vorgekommen sein, und ich glaube, dafür lassen sich viele Beweise erbringen.
Mit solchen Zitaten beweisen Sie gar nichts, meine Damen und Herren! Mit solchen Zitaten beweisen Sie noch nicht einmal, daß die Haltung der Sozialdemokratischen Partei zu bestimmten Fragen, die uns alle angehen, sich geändert habe. Selbstverständlich wird eine politische Partei, die nicht ein Wolkenkuckucksheim erstrebt, sondern im konkreten politischen Raum Entscheidungen herbeiführen und beeinflussen will, von Zeit zu Zeit ihre Konzepte überprüfen und Dinge nicht sagen, von denen sie glaubt, daß sie nicht im Bereich des Erreichbaren liegen. Warum nicht? Das tun Sie auch jeden Tag! Wenn Sie es nicht täten, müßte man Ihnen ja das vorwerfen, was Sie der Sozialdemokratie oft vorwerfen: Doktrinarismus. Ich glaube, wir sind hier weiter entfernt von der doktrinären Starre der politischen und sozialen Vorstellungen als gewisse Leute auf der Regierungsbank. Heute ist Herr Dr. Erhard leider nicht da. Aber der hat ja im Grunde genommen von den letzten 20 bis 30 Jahren gar nichts gelernt als das eine, daß die Sozialdemokratie überall regiert habe und daß es deshalb überall schiefgegangen sei. Das ist doch das Rezept, nach dem er seine Reden draußen hält. Ich erinnere mich, daß ein sehr hochgestellter Mann in der Bundesregierung — ich glaube, es ist sogar der höchstgestellte —, einmal so beiläufig gesagt hat, es wäre ihm lieber, daß der Herr Bundeswirtschaftsminister sich um sein Ressort bekümmere, als daß er draußen Reden halte.
Er hat nicht so ganz unrecht gehabt. Manche Rede bliebe besser ungehalten, weil sie nämlich nur beweist, daß auch ein Bundeswirtschaftsminister sich in eine Theorie so verbeißen kann, daß er sich den Blick für die Notwendigkeiten des Tages versperrt.
Nun, meine Damen und Herren, ich komme zum Schluß. Sie sagen, wir Sozialdemokraten seien negativ. Sie sagen — das wollte Herr Wuermeling beweisen —, wir Sozialdemokraten hätten uns gewandelt oder wandelten uns, und wir unterschlügen Dinge, die wir gesagt hätten, die wir aber eigentlich nicht gesagt haben wollten. — Ich bin sofort zu Ende, Herr Präsident. — Ich will Ihnen folgendes sagen: Hier in. diesem Hause wehren Sie sich mit Händen und Füßen dagegen, wenn wir Sozialdemokraten eine Politik der Vollbeschäftigung verlangen. In Straßburg, auf der Ebene des Europarates, stimmen die Vertreter der Koalition einer europäischen Politik der Vollbeschäftigung zu! Auch hier klafft ein Widerspruch zwischen Ihrer Haltung zu Hause und Ihrer Haltung drüben im Europarat, auf der europäischen Tribüne, wo man große Reden halten und schöne Bekenntnisse abliegen kann, die zu nichts verpflichten. Es wäre besser, man würde die Politik, die man auf der europäischen Ebene propagandistisch vertritt, auch' zu Hause praktizieren.
Ich möchte aber diese Auseinandersetzung nicht weiter vertiefen. Ich glaube, daß wir Gelegenheit haben werden, in den nächsten Wochen während des Wahlkampfes und auch im kommenden Bundestag in voller Frische und mit guten Argumenten miteinander die Klinge zu kreuzen. Dann wollen wir einmal sehen! Inzwischen werden wir ja auch sehen, was die Wähler von all den Dingen gehalten haben, für die Herr Bausch und Herr Wuermeling der Bundesregierung ein so hohes Lob gezollt haben.