Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Eine abschließende kritische Würdigung des- letzten Haushalts, den dieser Bundestag zu beschließen hat, kann an der Problematik der Finanzsituation des Bundes einflach nicht vorübergehen. Angesichts der Größenordnung — im ordentlichen Haushalt über 27 Milliarden DM und im außerordentlichen nach Abzug der durchlaufenden Posten immer noch 1,3 Milliarden DM — stellt sich diese Problematik ja schon fast automatisch. Sie ergibt sich — und darum geht es hier im Grunde — aus der finanzpolitischen Gesamtlage in unserer Bundesrepublik überhaupt.
Finanzpolitik der öffentlichen Hand und damit Haushalts- und Steuerpolitik sind in einem Bundesstaat doch nur im ganzen zu sehen, d. h. daß eine isolierte Betrachtung des Haushalts des Bundes für sich ebensowenig bestehen kann wie eine davon losgelöste Betrachtung der Haushalte der Länder. Die Haushalte der Kommunen und kommunalen Verbände, deren Aufgaben sich naturgemäß regional wie fachlich in weit engeren Grenzen halten, vertragen schon wegen ihres im allgemeinen mehr örtlichen Interesses eher eine andere Schau. Bei den Haushalten der Lander wie dem des 'Bundes hingegen ist eine solche Verflechtung schon dadurch gegeben, daß sich diese Aufgaben trotz der im 'Grundgesetz geregelten Aufgabenteilung zwischen Bund und Ländern bekanntlich weitestgehend überschneiden. Denken Sie dabei z. B. einmal an den Wohnungsbau, an die Sozialpolitik und an das Vertriebenenproblem, um nur die wichtigsten Merkmale hervorzuheben, und beachten Sie bitte den Gesichtspunkt, den ich schon einmal ausführlich dargelegt habe, daß der Bundeshaushalt infolge seiner überregionalen Ausgleichsfunktion gewissermaßen zum Gemeinschaftshaushalt der Länder geworden ist. Die Bedeutung gerade dieser Funktion — sie hat ein Volumen von über 4 Milliarden DM — kann nicht genug betont werden.
Die Tatsache, daß der Bund neben dem überregionalen Ausgleich die großen gesamtstaatlichen
Aufgaben wahrzunehmen hat, Aufgaben, die ich als bekannt voraussetzen darf, bringt den Bundeshaushalt — und das ist gerade das Charakteristische an ihm — in die Ihnen gleichfalls bekannte Lage, daß ein so hoher Prozentsatz der Mittel für diese Aufgaben gebunden ist, daß für vieles, was uns zu tun besonders am Herzen liegt, ein allzu enger Spielraum übrigbleibt. Dieser Umstand — ich möchte das besonders an. dieser Stelle hervorheben — ist ein wirklicher Grund dafür, daß wir bei so vielen Problemen, die wir in dieser Legislaturperiode zu lösen uns noch vorgenommen haben, auf die fast unüberwindliche Schwierigkeit der Bereitstellung der hierfür benötigten Mittel stoßen. Ich glaube, wir sollten Verständnis dafür haben, wenn der zum Hüter der Solidität der Haushaltsgebarung berufene Finanzminister und letzten Endes damit der zum Hüter der Währung berufene Fachminister hier immer wieder seine warnende Stimme erhebt. Ich glaube, wir Abgeordnete sollten den Mut haben, in Erkenntnis dieser Verantwortung — wir können uns im Parlament dieser Verantwortung nun einmal nicht entziehen — zu manchen Wünschen auch einmal nein zu sagen. Dafür wird man auch draußen 'Verständnis aufbringen!
Wenn auf der einen Seite das Grundgesetz eine Teilung der Aufgaben entsprechend der föderalistischen 'Struktur der Bundesrepublik vorsieht, so versucht es, und zwar bekanntlich in dem Abschnitt „Das Finanzwesen", die Frage der Aufbringung der für diese Aufgaben benötigten Mittel in ihrer sinnvollen Verteilung auf Bund und Länder zu regeln. Ich sage ausdrücklich „versucht", denn der Gesetzgeber sieht selber die Regelung nicht als endgültig an, wenn er in Art. 107 die endgültige Regelung der Zukunft vorbehalten hat. Daß 'der seit nunmehr fast vier Jahren bestehende Zustand nicht immer voll befriedigend ist, zeigt sich doch immer wieder. Die stets wiederkehrenden Auseinandersetzungen über den Anteil des Bundes an der Einkommen- und Körperschaftsteuer lassen dieses Spannungsfeld 'doch deutlich erkennen und machen ersichtlich, daß unsere Finanzverfassung in ihrem derzeitigen Zustand der Situation einfach nicht gerecht wird. Aufgabenteilung und Steueraufteilung sind eben nicht ausreichend aufeinander abgestimmt. Es bedarf also einer Neuregelung dieser Finanzverfassung. Ich glaube, nur so ist Abhilfe zu schaffen. Damit sind wir bei dem Punkt angelangt, der 'bei der Betrachtung des vorliegenden Haushalts doch die Frage Nr. 1 ist: das Problem des Ausgleichs der Ausgaben und Einnahmen. Man muß zugeben, daß ein Ausgleich unter Anwendung von Methoden gelungen ist, die nur durch die 'außergewöhnliche Situation zu erklären und zu rechtfertigen sind. Daß der für jeden Unbefangenen auf den ersten Blick als gegeben erscheinende Weg, gestiegene Ausgaben durch erhöhte Steuern und Abgaben zu decken, nicht gangbar war, darüber herrscht, glaube ich, in diesem Hause Einmütigkeit. Haben wir doch gerade deswegen, weil der Anteil 'der öffentlichen Hand am Volkseinkommen einfach nicht mehr tragbar erschien, die bekannte 15%ige Steuersenkung durchgeführt, und zwar einmal, um endlich den Steuerzahler wenigstens in etwa zu entlasten., und zweitens, um auf die Dauer überhaupt ein ausrei-
chendes Steueraufkommen sicherzustellen, Diese Steuersenkung — das ist das Entscheidende — trifft in ihrer vollen Wucht fast ausschließlich den Bund. Das ist eine der Hauptschwierigkeiten, mit denen in bezug auf den Ausgleich gerechnet werden muß. Es ist eine der Schwierigkeiten, aber nicht die einzige und. nicht die letzten Endes entscheidende. Entscheidend für das Problem, wie man mit dem auch unter dem heutigen Gesichtspunkt übergroßen Volumen der Ausgaben fertigwerden kann, ist letzten Endes die Frage, inwieweit man diese nicht durchlaufenden Belastungen in einem Haushaltsjahr decken, sondern sie auf einen längeren Zeitraum verteilen kann. Mit einem Wort gesagt: es ist die Frage des Kredits, die Frage der Anleihen. Diese grundsätzliche Frage ist ja in allen Debatten immer wieder aufgetaucht.
Hierzu bringe ich Ihnen heute noch einmal meinen Standpunkt und den meiner Freunde zur Kenntnis. Die Aufgaben und damit die Funktionen des Bundeshaushalts ebenso wie auch der übrigen öffentlichen Haushalts sind nicht .dieselben, wie sie in früheren Zeiten zu sein pflegten. Während früher die Verwaltungsaufgaben und ihre Durchführung die Haushalte weitgehend beherrschten, sind es heute aus der Zeit geborene, andere und größere Aufgaben, die ein Staatshaushalt zu er- füllen hat. Ich nenne neben der Notwendigkeit der Verteidigung nach außen die Aufgabe Nr. 1: die sozialen Leistungen — neben vielen anderen Gebieten, die man in dieser Größe früher kaum gekannt hat —, Leistungen, die nach ihrem Charakter dazu berechtigen und nach ihrer Größenordnung einfach dazu zwingen, die Lasten ihrer
Erfüllung nicht ausschließlich einem allzukurzen Zeitraum zur Last zu legen. Die Folgen eines verlorenen Krieges und damit die daraus entspringenden finanziellen Lasten können nicht nur aus laufenden Abgaben gedeckt werden. Wir müssen sie zu einem wesentlichen Teil auch auf die Schultern mindestens der nächsten Generation legen. Das ist um so mehr berechtigt, als diese Aufgaben doch teilweise einen stark vermögenswirksamen Charakter besitzen, d. h. echte Investitionen mit sich bringen. Für die Investitionen war ja auch nach den klassischen Grundsätzen der Haushaltspolitik die Anleihe immer ,die gegebene Finanzierung.
Sie werden fragen: Ist das nicht eh bedenklicher Weg, weil dadurch letzten Endes die Währung gefährdet sein könnte? Ich habe dazu nur zu sagen: nicht Anleihen, d. h. fundierte Schulden, gefährden die Währung, sondern kurzfristige ungedeckte Kassenkredite, wenn sie sich nicht in einem angemessenen Verhältnis zur Wirtschaftskraft des Staatsgebietes und zum Geldumlauf halten; und da, glaube ich, ist noch ein recht weiter Spielraum.
Wir stimmen deshalb .grundsätzlich dem Finanzminister zu, wenn er zur Abgleichung des Haushalts auch den Anleiheweg beschreitet. Wir wünschten allerdings — ich glaube, mit ihm —, daß er in der Lage wäre, diese Anleihen auf dem normalen Wege, nämlich über den Kapitalmarkt, aufzunehmen. Daß das nur in sehr beschränktem Maße gelingen kann, ist dem völlig unbefriedigenden Zustand des Kapitalmarktes zuzuschreiben. Uns scheint es nach wie vor die allerdringendste
und schlechthin entscheidende Frage zu sein, einen funktionsfähigen. Kapitalmarkt mit allen Mitteln, die dem Gesetzgeber auf wirtschafts- und finanzpolitischem Gebiet zur Verfügung stehen, zu schaffen — ich betone dabei ganz besonders — nicht etwa nur im Interesse des Kapitalbedarfs der öffentlichen Hand, sondern und in noch viel höherem Maße Und vordringlich auch im Interesse der privaten Wirtschaft.
Eine der großen Voraussetzungen dabei ist, gerade heute und morgen besonders aktuell, die Regelung der Auslandsschulden, wie sie im Londoner Schuldenabkommen ihren Niederschlag gefunden hat, und damit die Freimachung des Zugangs zum internationalen Kapitalmarkt. Ich glaube, wir alle wissen, wie weit wir hier noch von befriedigenden Verhältnissen entfernt sind, Weil meine Freunde und ich wissen, daß die Möglichkeiten für den Bund, auf den Kapitalmarkt zu gehen, einfach nicht ausreichen, sehen wir die kurz- und mittelfristigen Anlagen, die der Finanzminister zur teilweisen Deckung der Haushaltsausgaben vorgesehen hat, als die zur Zeit leider noch einzig mögliche Lösung an.
Ich darf abschließend eine kurze grundsätzliche Betrachtung anstellen. Die kameralistische Aufstellung des Haushaltsplans als reine Einnahmen- und Ausgabenrechnung läßt eines nicht erkennen: die Vermögensbildung. Der Bund bereitet, wie Ihnen wohl bekannt ist, eine Aufstellung seines Gesamtvermögens vor.
— Ganz recht, Herr Kollege Dr. Gülich. — Ich muß sagen, ich bin darauf sehr gespannt. Die Vermögensbildung der öffentlichen Hand, und zwar nicht etwa allein des Bundes, hat bei uns Ausmaße angenommen, die mit unserer grundsätzlichen Auffassung von den Aufgaben der öffentlichen Finanzpolitik nicht mehr übereinstimmen.
Industrielle Beteiligungen z. B. in einer Gesamthöhe, wenn ich die mittelbaren und unmittelbaren Beteiligungen zusammenrechne, von 2,7 Milliarden DM bedürfen ganz dringend des Abbaues. Ich freue mich, in der letzten Zeit eine Pressenotiz aus der Feder des Herrn Ministerialdirektors Oeftering gelesen zu haben, daß einem solchen Abbau dieser Beteiligungen nichts im Wege steht, wenn er vorsichtig und sinnvoll gehandhabt wird.
Hierher gehören z. B. auch die Behördenneubauten in Bonn, die wir in diesem Jahr zwar noch wegen der Notwendigkeit ihres Entstehens mit einem tränenden Auge bewilligt haben, bei denen uns aber in Zukunft doch eine erhebliche Zurückhaltung dringend geboten erscheint, schon angesichts des vorläufigen Charakters von Bonn als Bundeshauptstadt und zur Vermeidung von Fehlinvestitionen. Der Staat hat nicht das Recht, seine Bürger weit über ihre Leistungsfähigkeit in Anspruch zu nehmen, um sich neben der Erfüllung laufender Verpflichtungen in großem Stile Vermögen anzusammeln. Das ist der Ausdruck eines Staatskapitalismus, den wir ablehnen und bekämpfen.
Eine solche Finanzpolitik der öffentlichen Hand — ich meine hier auch in erster Linie bei Ländern und Gemeinden, nicht nur beim Blind —
macht die Deutsche Partei nicht mit.
Ich sage das mit aller Deutlichkeit. Wir haben uns in diesen Jahren hinter den Finanzminister und seine Finanzpolitik gestellt. Wir werden dies auch weiter tun, müssen aber dabei voraussetzen, daß unsere Grundsätze — und gerade dieser Grundsatz — volle Beachtung finden.
Ich darf zum Schluß sagen: Wir haben diesen letzten Haushalt, über den der erste Deutsche Bundestag zu beschließen hat, bestimmt nicht kritiklos hingenommen, auch im Ausschuß nicht. Das wird den Damen und Herren, die mit mir den Vorzug haben, dem Haushaltsausschuß anzugehören, zur Genüge bekannt sein. Ich stehe aber nicht an zu erklären, daß wir bereit sind, ihn zu verabschieden, dem Finanzminister zu diesem Schlußstein des Aufbaues des Haushaltswesens des Bundes unsere Anerkennung zum Ausdruck zu bringen und damit der Regierung hinsichtlich ihrer Politik auch auf diesem entscheidenden Gebiete unser Vertrauen auszusprechen.