Rede von
Dietrich
Keuning
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Punkt 6 der Tagesordnung hat ja schon durch den Bericht des Kollegen Kuntscher die Nähe zu dem Punkt 5 aufgezeigt. Das Problem liegt hier ähnlich wie bei dem Punkt 5, daß nämlich der Bundesfinanzminister in einen Säckel greift, der ihm normalerweise nicht zur Verfügung steht. Wir haben schon bei der ersten Lesung bemerken können, daß der Bundesminister für Arbeit zu diesem Punkt keine Ausführungen gemacht hat, und ich glaube, wir nehmen mit Recht an, daß es ihm sehr unbehaglich ist, zu dieser Vorlage zu sprechen. Im Vergleich zu der vorher beratenen Vorlage wird es ihm darum noch unbehaglicher sein, weil es bei der vorhergehenden Vorlage darum ging, einen Griff in den Rentenstock zu tun, der auf lange Zeit irgendwie die Sicherheit der Rentenzahlungen gewährleisten soll, während es hier ja darauf ankommt, aus den laufenden Beiträgen die Sicherheit zu haben, die Unterstützungen zu zahlen und in Notzeiten auch die Mittel zur Verfügung und greifbar zu haben, um dann in einem aktuellen Fall wirksamer zugreifen zu können. Ich glaube, daß wir das so auslegen dürfen, Herr Minister. Ich kann aber wohl auch sagen, daß der Bericht des Kollegen Kuntscher ebenfalls eine große Unsicherheit zum Ausdruck bringt. Auch der Vorsitzende des Ausschusses für Arbeit ließ diese im Ausschuß erkennen. Es war einwandfrei festzustellen, wie unbehaglich es all den Mitgliedern des Ausschusses für Arbeit,
die diese Dinge aus der Praxis heraus kennen, war, einen solchen Beschluß zu fassen.
Ich darf vielleicht aus dem Bericht des Kollegen Kuntscher die beiden letzten Absätze der Seite 2 zitieren, die folgendermaßen lauten:
Die große Sorge um die Möglichkeit der Fortführung dieser Arbeiten, die in vielen Fällen eine Planung auf Jahre bedeuten, stand so im Mittelpunkt der Ausschußberatungen.
Sie stand auch im Mittelpunkt Ihres Berichts, den
Sie hier noch einmal gaben. Sie sagen dann weiter: Vom Ausschuß wurde auch nicht übersehen, daß die Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung kraft Gesetzes eine Körperschaft des öffentlichen Rechts geworden ist und ihr durch eigene Organe die Selbstverwaltung gegeben ist.
Es ist verständlich, daß es Ihnen unbehaglich geworden ist. Auch der Ausschuß des Bundesrates schlug dem Plenum des Bundesrates vor, man möge der Bundesregierung empfehlen, diese Vorlage zurückzuziehen, weil sie ein Schlag in das Gesicht der Selbstverwaltung sei und eine Sonderbesteuerung für den Kreis der Beitragszahler darstelle.
Bemerkenswert ist, daß in den Beratungen des Ausschusses für Arbeit die Vertreter der Bundesanstalt, sowohl der Herr Präsident Scheuble wie der damalige Vorsitzende des Verwaltungsrats, Herr Direktor Wiacker, und auch der Vorsitzende des Vorstandes, der Kollege Richter, der in diesem Hause hier mitwirkt, gleicher Meinung waren, daß dieser Schritt sehr bedenklich sei. Der Herr Präsident S c h e u b 1 e sagte, daß es zweckmäßiger sei, Beträge, die über das hinaus anfielen, was normalerweise zur Beitragszahlung benötigt werde, für Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen einzusetzen. Er wies dabei darauf hin, welche Wirkung das Arbeitsbeschaffungsprogramm von 1951 hatte. Es wurde auch eben wieder vom Kollegen Kuntscher erläutert, daß mit den 200 Millionen DM praktisch 680 Millionen DM in Bewegung gesetzt wurden. Sie schütteln den Kopf, Herr Finanzminister. Manches, was von Ihrem Referenten im Ausschuß vorgetragen wurde, ist von den Herren der Bundesanstalt auch kopfschüttelnd aufgenommen worden.
Es ist dann weiter festgestellt worden, daß durch die Zurverfügungstellung von 200 Millionen DM der Bund Einsparungen von über 200 Millionen DM macht. Auch das wurde eben von dem Kollegen Kuntscher herausgestellt.
Von dem Präsidenten wurde auch mit großer Sorge hervorgehoben, daß der Bundesanstalt, die doch ein Organ der Selbstverwaltung sei, nun die Möglichkeit genommen würde, Selbstverwaltungsmaßnahmen durchzuführen. Wenn ihr nämlich die Überschüsse in dieser Form weggenommen würden, dann bliebe ihr nichts anderes übrig, als die Auszahlung der Unterstützungen vorzunehmen. Das könnte man sicher mit einem billigeren Apparat machen.
Aber auch Herr Direktor Wiacker als Vorsitzender des Verwaltungsrats hat sehr starke Bedenken geäußert. Er hat vor allen Dingen die Ausführungen Ihres Referenten, Herr Minister der Finanzen, kopfschüttelnd angehört und hat unge-. fähr ausgeführt, daß diese ganze Finanzaufstellung zu sehr unter haushaltsrechtlichen Gesichtspunkten dargeboten wurde; tatsächlich müßten aber
die wirtschaftlichen Überlegungen und die Entwicklung, die in diesem Jahre höchstwahrscheinlich feststellbar sein werde, in den Vordergrund gerückt werden. Er wies darauf hin, daß in der MontanUnion heute bereits eine gewisse Zurückhaltung bemerkbar sei, so daß also die gesamte wirtschaftliche Entwicklung nicht unter einem solch rosigen Aspekt zu sehen sei, wie sie von Ihrem Referenten im Ausschuß betrachtet wurde. Von Herrn Direktor Wiacker wurde darauf hingewiesen, das dieser Zugriff einer Zwangsanleihe gleichkomme und daß es sich für den Kreis derjenigen, die Beiträge zur Bundesanstalt zu zahlen haben, praktisch um eine Sondersteuer handle.
Es war sehr interessant, daß bei den Beratungen im Ausschuß für Arbeit diese neue Einrichtung der Bundesanstalt zum ersten Male in die Debatte eingreifen konnte. Bis zu diesem Zeitpunkt war dieses Selbstverwaltungsorgan gar nicht angesprochen, wie es denn selber über die Verwendung solcher Mittel denke. Darin kommt sicher kein großer Respekt vor dieser Einrichtung zum Ausdruck.
Die Folge dieser Ausschußberatungen war, daß sich der Vorstand der Bundesanstalt in einer Sitzung am 19. Februar eingehend mit der Lage beschäftigte und eine Entschließung faßte, in der zusammenfassend gesagt wird, die Regierung möge darauf verzichten, auf diesem Wege ihren Finanzausgleich durchzuführen. In dieser Entschließung wurde festgestellt, daß das Vermögen praktisch festliege und die Spekulation der Bundesregierung darauf, daß hier ein großes Vermögen verfügbar sei, nicht zutreffe. Das vorhandene Vermögen liegt zu mehr als 50 % im sozialen Wohnungsbau fest, und zwar wurden diese Maßnahmen schon vor Errichtung der Bundesanstalt getroffen. Die Bundesanstalt hätte also praktisch nur bezüglich der Verwendung der Überschüsse eine Beweglichkeit. Die Überschüsse wurden unterschiedlich hoch geschätzt. Die Schätzungen bewegen sich zwischen 250 und 350 Millionen DM. Die Entschließung des Vorstandes wurde in einer späteren Sitzung des Verwaltungsrats auch von diesem angenommen. Beide Organe der Bundesanstalt empfahlen also der Regierung, diese Vorlage zurückzuziehen. Da diese Empfehlungen keinen Erfolg hatten, beschloß man am 22. Mai im Vorstand der Bundesanstalt wieder einstimmig, den Bundeskanzler anzuschreiben und ihn zu bitten, seinen Einfluß geltend zu machen, damit diese Vorlage zurückgezogen werde. Dieses Schreiben wurde dem Bundeskanzler am 27. Mai zugesandt.
Wir können daraus feststellen, daß hier ein sehr verzweifelter Kampf von einem Selbstverwaltungsorgan geführt wird. Alle, die es mit der Einrichtung der Selbstverwaltung ernst meinen, sollten diesen Kampf unterstützen. Es ist nicht ein Kampf irgendeines Interessenverbandes, wie wir hier schon viele erlebt haben — ich denke an die Mineralölsteuer, an den Aufmarsch des Verkehrs zu einer bestimmten Gesetzesvorlage und an andere —, sondern hier handelt es sich um den Kampf einer Einrichtung des öffentlichen Rechts um ihre Grundrechte.
Die Beratung dieses Punktes wäre aber eigentlich unvollständig, wenn nicht auch die Drucksache Nr. 4301, die augenblicklich im Ausschuß für Arbeit behandelt wird, mindestens erwähnt würde. Ich greife damit ein wenig vor, meine aber, daß es dringend erforderlich ist. In der Drucksache Nr. 4301 wird eine Höherstufung der einzelnen
Unterstützungssätze in der Arbeitslosenunterstützung gefordert. Darüber wurde in diesem Hohen Hause letztmalig in der 127. Sitzung am 15. März 1951 gesprochen. Bei der Kritik der damals vorgelegten Tabelle gab der Herr Bundesminister für Arbeit, Herr Storch, der auch heute hier anwesend ist, zu, daß die vorgelegte Tabelle wohl in einigen Punkten reformbedürftig oder verbesserungsfähig sei. Er sagte auch, daß er seine Zustimmung dazu gebe, und schlug damals vor, diese Verbesserungen dann eventuell im Ausschuß vorzunehmen. Das Plenum beschloß damals aber, die Vorlage am gleichen Tage in erster, zweiter und dritter Lesung zu verabschieden, um schnell zu helfen. Dadurch kam es nicht zur Beratung im Ausschuß und dadurch vor allem auch nicht zur Höherstufung der Sätze der Arbeitenden mit hohem Einkommen, bei denen die Unterstützungssätze besonders niedrig sind. Der Herr Arbeitsminister hat damals hier dann erklärt, daß ja die Novelle zu dem Gesetz über Arbeitslosenversicherung und Arbeitsvermittlung kurz vor der Fertigstellung sei. Das war am 15. März 1951, und er erwartete für den 4. April desselben Jahres die endgültigen Berichte der einzelnen Landesarbeitsämter usw., um hier dann endgültig die Novelle vorlegen zu können. Das war vor zwei Jahren! Mit dieser Novelle sollten dann eventuell auch diese Sätze geregelt werden und andere anstehende Fragen eine grundlegende Änderung erfahren. Zwei Jahre haben wir darauf gewartet. Wenn in der letzten Zeit irgendwelche Vorstöße gemacht wurden, hat man uns gesagt, wir sollen mit der Novelle warten, bis die Bundesanstalt errichtet ist. Das ist auch nach unserer Meinung richtig gewesen, weil dieses Organ gleich mit eingeschaltet werden sollte. Aber nicht als richtig kann angesehen werden, daß zwei Jahre verstrichen sind, ohne daß die damals schon erkannten Mängel behoben wurden. Diese notwendigen Korrekturen sind unterblieben, daß sie nötig sind — jetzt noch nötiger als damals —, ist heute allgemeine Auffassung aller Beteiligten bei den Beratungen, die im Ausschuß stattfanden.
Die sozialdemokratische Fraktion hat ja die Vorlage Drucksache Nr. 4301 eingebracht und dabei auch gewisse Vorstellungen über die Auswirkung der Erhöhungen gehabt. Nach unserer Meinung werden die notwendigen Erhöhungen einen Betrag von 200 Millionen DM erfordern. Diese 200 Millionen DM sind da, denn die Überschüsse bewegen sich, wie ich eben schon sagte, zwischen 250 und 300 Millionen DM, so daß dieses Programm ohne weiteres durchgeführt werden könnte. Über den Satz, den wir bei ungefähr 60 % vom Nettolohn in der Spitze sehen, war man sich im Ausschuß auch in etwa einig, ohne sich festzulegen. Bei diesem Satz von 60 % würde eine Summe von 200 Millionen DM nötig sein. Es wäre aber nicht möglich, diese notwendige Erhöhung durchzuführen, wenn die 185 Millionen abgezweigt würden.
Ich sagte, daß darüber weitgehend eine einheitliche Auffassung bestanden hat. Wir wissen — das sollen wir hier nüchtern sagen —, daß ein Anreiz erforderlich ist, um die Arbeit wieder aufzunehmen. Es ist immer die Frage, wo die Grenze dabei liegt. Die Arbeitslosigkeit darf den arbeitslos Werdenden nicht gleich in die tiefe Hoffnungslosigkeit stürzen. Das ist heute bei den jetzt üblichen Sätzen der Fall, wobei Spitzenverdiener, welche arbeitslos werden, auf 27 % des bisherigen Einkommens absinken. Ich glaube, es ist leicht vorstellbar, was das für den Betroffenen bedeutet.
Wir wissen — darin ist ja Herr Wuermeling ein Spezialfachmann in diesem Hause —, daß hier manche Wunderzahlen über die Erfolge der sozialen Marktwirtschaft präsentiert worden sind, und man hat immer geschrien, wenn wir einmal den Finger auf irgendwelche Wunden dieser sozialen Marktwirtschaft gelegt haben. Hier ist nun eine solche Wunde. Ein großer Kreis in unserem Lande ist einfach nicht in der Lage, ein einigermaßen normales Leben zu führen, und die Arbeitslosen sind nicht in der Lage, ihre Arbeitskraft zu erhalten, um nachher wieder zu vollem Arbeitseinsatz imstande zu sein. So ist interessant, daß eine führende CDU-Zeitung Ende Januar einen Artikel brachte, daß eine Werbeaktion für höheren Fleischverbrauch durchgeführt werden sollte — eine Werbeaktion für höheren Fleischverbrauch, weil man weiß, daß heute im Durchschnitt nur 38 kg pro Kopf verbraucht werden gegenüber 51 kg im Jahre 1936 pro Kopf der Bevölkerung.
— Ja, Herr Kollege Sabel, es ist doch eigentlich nicht richtig, mit einem solch platten Zuruf zu kommen. Ich hatte ihn auch nicht von Ihnen erwartet. Herr Kollege Sabel, man kann doch nicht von 1945 ausgehen.
— Ja, sicher. Es hat sich aber doch unterschiedlich etwas geändert. Im Vorjahr sind in der Bundesrepublik z. B. 800 Pelzmäntel mit einem Wert zwischen 10 000 und 15 000 DM pro Stück verkauft worden. Es hat sich auch etwas geändert, Herr Kollege Sabel. Es hat sich unterschiedlich geändert.
— Das können Sie ja prüfen. Man kann nachprüfen, was daran richtig ist oder nicht.
Ich möchte sagen, daß hier eine wunde Stelle ist. Herr Finanzminister, Sie haben bei Ihren Ausführungen das Beispiel von einer Gratwanderung gebraucht, der Gratwanderung zwischen Deflation und Inflation. Ich möchte dieses Bild etwas ausmalen. Bei vielen Vorlagen in der letzten Zeit haben Sie sich mit Menschen beschäftigen müssen, die teils nicht aus Sportbegeisterung solche Gratwanderungen machen, die aber unwegsames Gelände benutzen oder sonstige Wege, um unbemerkt in anderes Gebiet zu kommen, in dem sie nichts zu suchen haben, Herr Bundesfinanzminister, ich möchte Ihnen sagen: auch Sie sind bei Ihrer Gratwanderung in ein Gebiet gelangt, in dem Sie nichts zu suchen haben;
denn dieses Gebiet sollte für Sie tabu sein.
Es handelt sich hier um Gelder, deren Bestimmungszweck klar festgelegt ist.
Ich möchte abschließend sagen, daß wir Sozialdemokraten gegen die Vorlage stimmen werden, weil sie einmal einen Schlag ins Gesicht der Selbstverwaltung bedeutet, weil sie zweitens eine Sondersteuer für alle diejenigen festlegt, die die Beiträge zur Arbeitslosenunterstützung zahlen, weil sie drittens die Durchführung der dringendst notwendigen Aufgaben und die Durchführung der
dringendst notwendigen Unterstützungen gefährdet,
zu denen ich eben hier meine Ausführungen machte.
Wir werden dieser Vorlage nicht zustimmen.