Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Wir haben zu zwei Gesetz-
entwürfen Stellung zu nehmen, die für die Rentenversicherungsträger und damit für die Versicherten selbst von wesentlicher Bedeutung sind. Aus den ersten Lesungen zu diesen Gesetzentwürfen und aus den Beratungen im Sozialpolitischen Ausschuß kennen Sie unsere ablehnende Haltung zu diesen Gesetzen. Sie hat sich auch nicht geändert, obwohl durch die Beratungen im Ausschuß einige Abschwächungen in die Gesetze hineingebracht worden sind. Nach wie vor finden diese Gesetzentwürfe unseren stärksten Protest. Die Gründe für unsere Ablehnung sind auch nach wir vor die gleichen. Sie werden sowohl vom Deutschen Gewerkschaftsbund als auch von der Deutschen Angestelltengewerkschaft und vom Verband der Rentenversicherungsträger geteilt. Obwohl § 3 des Rentenzulagengesetzes vom 10. August 1951 bestimmt, daß die durch dieses Gesetz entstehenden Mehraufwendungen vom Bund getragen werden sollen, versuchte die Bundesregierung schon sehr bald, sich diesen Verpflichtungen in ihrer vollen Höhe zu entziehen
und sie den Rentenversicherungsträgern zuzuschieben. Zuerst geschah dies für 1952 durch ein Gesetz, das den Sozialversicherungsträgern 20 % der Barleistungen entzog, die der Bund für die Aufwendungen zum Rentenzulagengesetz zu machen hatte, allerdings damals mit der Maßgabe, daß durch Übertragung solcher Vermögenswerte, die laufende Einnahmen erbringen, ein Ausgleich herbeigeführt werden sollte. Schon damals haben wir gegen diese Regelung gestimmt, weil es uns als ein unmöglicher Zustand erschien, daß der Gesetzgeber die Aufbringung der Mehraufwendungen für die Rentenzahlungen in Aussicht stellt, sich dann aber dieser Verpflichtung praktisch wieder entzieht.
Mit der Vorlage der beiden Gesetzentwürfe, die heute zur Debatte stehen, wird aber der Versuch unternommen, die Finanzkraft der deutschen Rentenversicherungsträger noch viel weiter einzuschränken. Rückwirkend für das damals schon beinahe abgelaufene Etatjahr 1952 wurde uns in der Drucksache 4033 ein Gesetz vorgelegt, das vorsieht, daß die Verpflichtungen des Bundes zu 20% in Schuldbuchforderungen abzugelten sind, da, wie es in der Begründung heißt, andere zur Übertragung geeignete Vermögensobjekte nicht zur Verfügung stehen, Schuldbuchforderungen, die nicht beliehen und die nicht veräußert werden dürfen!
Durch den Gesetzentwurf Drucksache Nr. 4005 ist die Bundesregierung dann aber noch einen wesentlichen Schritt in der Einschränkung der Finanzkraft der Rentenversicherungsträger weitergegangen. Sie hat für die Rechnungsjahre 1953/54 und 1955 gefordert, jetzt nicht mehr nur 20 %, sondern 75 % der Zahlungsverpflichtungen für die Rentenzulagen durch unveräußerliche Schuldbuchforderungen abgelten zu können. Wenn auch diese Regelung in den Ausschußberatungen auf ein Jahr begrenzt wurde, so bleiben unsere Bedenken doch nach wie vor dieselben. Es sind eine Reihe guter, nicht wegzudiskutierender Gründe, die uns zu dieser Haltung veranlassen und die heute noch einmal ausgesprochen werden müssen, und zwar deshalb, weil diese Regelung uns mit ernster Sorge erfüllt. Zum anderen müssen die Bedenken, die der Deutsche Gewerkschaftsbund, die Deutsche Angestelltengewerkschaft und der Verband der Rentenversicherungsträger haben, hier von der Tribüne des Hauses in aller Öffentlichkeit noch einmal zum Ausdruck gebracht werden.
In der Begründung der Bundesregierung heißt es, daß es gesamthaushaltswirtschaftlich nicht verantwortet werden könne, daß mit Hilfe von Bundesleistungen an anderen öffentlichen Stellen Kassenüberschüsse angesammelt würden,
während der Bund nicht in der Lage sei, seinen Verpflichtungen nachzukommen. Wir sind der Meinung, daß es nicht angeht, durch solche Maßnahmen die Finanzkraft der Rentenversicherungsträger zu schwächen. Wir sind weiterhin der Ansicht, daß man Mittel, die zweckgebunden sind und die für die Altersversorgung der Rentner gegeben werden, nicht zweckentfremden kann.
Wir alle wissen, daß sich eine gewisse Verbesserung der Kassenlage der Rentenversicherungsträger ergeben hat. Sie ist darauf zurückzuführen, daß die Beiträge infolge von Lohnerhöhungen höher geworden sind, ohne daß dem sofort höhere Leistungen der Rentenversicherungsträger gegenüberstehen. Diese werden erst bei der Rentenzahlung fällig werden. Ferner ist eine aber nur scheinbare Besserung der Kassenlage darauf zurückzuführen, daß es den freiwillig Versicherten zur Pflicht gemacht wurde, ihre alten Anwartschaften durch Beitragszahlung in Ordnung zu bringen. Das sind also absolut zeitbedingte Umstände, die keine Gewähr dafür bieten, daß die Kassenlage auf die Dauer verbessert bleibt. Außerdem erscheint es uns völlig abwegig, in dieser Situation von Überschüssen im üblichen Sinne zu reden und diese Gelder zu beschlagnahmen. Es handelt sich im Höchstfalle nur um Betriebsmittel für allenfalls zwei Monate. Eine geringfügige Konjunkturschwankung mit einem damit verbundenen Rückgang der Beschäftigtenzahl, ein längerer Winter, eine größere Anzahl arbeitsunfähig Erkrankter würden sofort eine andere Situation ergeben. Wir alle sollten uns darüber klar sein, daß Betriebsmittel von zwei Monaten nicht ausreichen, die Schwankungen des Wirtschaftslebens auszugleichen. Wir sollten im Gegenteil alles tun, um die Finanzkraft der Rentenversicherungsträger laufend zu stärken.
Statt dessen versucht die Bundesregierung aber, durch diese beiden Gesetze weitere Betriebsmittel abzuschöpfen.
Ein weiterer Einwand, den wir gegen die Schwächung der Finanzkraft der Rentenversicherungsträger vorzubringen haben, ist der, daß die Anforderungen — durch den Altersaufbau unseres Volkes bedingt — von Jahr zu Jahr erheblich größer werden. Der Verband der Rentenversicherungsträger hat nachgewiesen, daß die Rentenanforderungen jährlich um 200 Millionen DM anwachsen werden, auch wenn keine Konjunkturschwankungen eintreten. Er hat weiterhin nachgewiesen, daß die Rentenversicherungsträger eine Aufgabe zu erfüllen haben, die für die Gesundheit unseres Volkes von außerordentlich großer Bedeutung ist, nämlich die Wiederherstellung und den Ausbau einer Reihe von Heilanstalten. Diese Kosten werden von den Rentenversicherungsträgern für das Jahr 1953 auf ungefähr 80 Millionen DM geschätzt. Wie aber soll diese Aufgabe geleistet werden, wenn der Bund seinen Verpflichtungen nicht in Barleistungen, wie ursprünglich vorgesehen war, sondern zu 75 % in Schuldbuchforderungen, die nicht
veräußert und nicht beliehen werden dürfen, nachkommen will?
Auch wenn diese Regelung heute nur für ein Jahr vorgesehen ist, muß das für die Versicherungsträger zu Konsequenzen führen, die wir nicht gutheißen können und ,die die notwendigen Verbesserungen der Leistungen für die Versicherten blockieren.
Eine andere Tatsache kann man nicht oft genug in das Blickfeld der Betrachtungen stellen. Herr Kollege Richter hat in der Haushaltsdebatte bereits darauf hingewiesen, daß infolge dieser Regelung nur noch wenige Rentenversicherungsträger in der Lage sein werden, ihre Kann-Leistungen — und das sind vor allen Dingen die Heilverfahren, die der vorbeugenden Gesundheitsfürsorge dienen — durchzuführen. Für die Kann-Leistungen gilt bekanntlich nicht der Ausgleich nach § 6 des Sozialversicherungs-Anpassungsgesetzes innerhalb der Rentenversicherung der Arbeiter, und die schwachen Rentenversicherungsträger werden ihre wertvollen vorbeugenden Gesundheitsmaßnahmen erheblich einschränken müssen. Das gilt ganz besonders für die Flüchtlingsländer Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Bayern, bei denen die Kassenlage der Rentenversicherungsträger durch größere Arbeitslosigkeit und durch niedrigere Löhne schlechter ist als in den anderen Ländern.
Mit allem Nachdruck muß aber noch weiter darauf hingewiesen werden, daß die Rentenversicherungsträger nicht mehr in der Lage sein werden, sich an der Finanzierung des sozialen Wohnungsbaus zu beteiligen, und daß es eine erhebliche Beeinträchtigung der Volksgesundheit, auch der Gesundung der Familie im allgemeinen, bedeuten würde, wenn die Mittel, die für Wohnungsbauzwecke vorgesehen waren, nun für den ordentlichen Haushalt des Bundes beansprucht würden. Der Verband der Rentenversicherungsträger hat uns durch seine Zuschriften davon in Kenntnis gesetzt, daß bei Inkrafttreten einer solchen Regelung bereits gegebene Zusagen zurückgezogen werden müssen und daß diese Einschränkungen auf die Bauwirtschaft mit ihrer Schlüsselstellung weitgehende Auswirkungen haben müssen. Diese sind der Auffassung, daß die Rücklagen in den Bezirken der einzelnen Versicherungsanstalten selbst verwaltet und auch zur Hebung der Volksgesundheit im sozialen Wohnungsbau angelegt werden sollten.
Die Rentenversicherungsträger sind weiter der Ansicht — und diese Meinung deckt sich auch mit der unsrigen —, daß man durch diese staatliche Maßnahme weitgehend die Selbstverwaltung einschränkt. Die neu gewählten Organe kommen vor leere Kassenschränke, und man beraubt sie einer Aufgabe, die von den Sozialpartnern als eine ihrer Hauptaufgaben angesehen wird. Selbstverwaltung bedeutet, daß man es den Vertretern der Versicherten möglich machen muß, an einer der für sie wesentlichsten Aufgaben mitzuwirken.
Ein solcher Eingriff muß das Bemühen, den Versicherten durch die Selbstverwaltung wieder so nahe wie möglich an seine Versicherung heranzuführen, geradezu zunichte machen. Die Versicherten, die Rentner, betrachten diese Maßnahme mit äußerstem Mißtrauen. Während der Herr Bundesarbeitsminister immer wieder auf die gesundheitlichen Nachwirkungen des Krieges und die zunehmende Überalterung unseres Volkes hingewiesen und betont hat, daß die Anforderungen an die Versicherungsträger steigen werden und die Finanzlage der Rentenversicherungsträger weiterhin bedenklich bleibt, hat der Herr Bundesfinanzminister erklärt, daß die Versicherungsträger zur Aufrechterhaltung ihrer Leistungsfähigkeit nicht einer Vermehrung ihres veräußerlichen Vermögens bedürfen, denn sie würden diese Werte nicht verbrauchen. Dieses Verhalten in einer solchen Situation muß geradezu das Mißtrauen der Beitragszahler gegen eine Regierung, die ihnen heute vom Zusammenbruch der Altersversicherung und morgen von unverbrauchbaren Überschüssen erzählt, hervorrufen. Wir sind der Ansicht, daß der Herr Bundesfinanzminister mit dieser Maßnahme auf dem besten Wege ist, die im Grundgesetz verankerte Garantiestellung des Bundes gegenüber der Sozialversicherung geradezu in das Gegenteil zu verkehren.
Es tut nicht gut — und das sollten wir uns merken —, die Gelder der Sozialversicherung allzu nahe an die Staatsfinanzen heranzuführen. Die Bundesregierung tut auch der Demokratie einen schlechten Dienst, wenn sie Selbstverantwortung und Selbstvertrauen von Millionen von Arbeitern und Angestellten einem augenblicklichen Vorteil opfert.
Sie fördert damit eine Entwicklung, die sie sonst zu bekämpfen vorgibt. Wir sollten nach den zweimaligen Erfahrungen und — lassen Sie mich das bitte sagen — auch nach der Praxis, die in der Sowjetzone mit den Geldern der Sozialversicherung geübt wird
— die Gelder der Sozialversicherung sind dort völlig in den Staatshaushalt eingebaut —,
alles daransetzen, der Sozialversicherung ihre finanzielle Unabhängigkeit zur Erfüllung ihrer Aufgaben zu erhalten.
Unsere Haltung zu diesem Gesetz deckt sich mit dem Antrag des Landes Bayern, der beim ersten Durchgang in der 98. Sitzung des Bundesrates mit 19 gegen 19 Stimmen der Ablehnung verfiel. Mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten gestatte ich mir, einen Teil der Ausführungen des Herrn bayerischen Arbeitsministers zu dieser Frage dem Hause zur Kenntnis zu geben. Er führte damals aus:
Ich möchte aber noch ganz allgemein folgendes
zu diesem Problem sagen. Selbst unter der
Annahme einer schwierigen Kassenlage des
Bundes vermag Bayern die Vorlage der Bundesregierung nicht zu billigen, Mittel der Rentenversicherung zur Entlastung des Bundeshaushalts in Anspruch zu nehmen. Die Vorlage beweist, wie bedenkenlos man Finanzierungsmöglichkeiten zu erschließen trachtet und
den Weg des vermutlich geringsten Wider-
stands zu gehen gewillt ist.
Diese Gesetzesvorlage ist aber um so bedenklicher, als gegenüber der Sozialversicherung ein Weg eingeschlagen wird, der aus 1938 in bitterer Erinnerung ist.
Wenn auch nicht entfernt unterstellt werden soll, daß die Motive die gleichen sein könnten, so muß doch ernsthaft vor dem Beschreiten eines solchen Weges gewarnt werden, da nicht abzusehen ist, wo er endet. Heute sind es die Sozialversicherungsträger und die Arbeitslosenversicherung, morgen schon können es die privaten Kapitalsammelstellen, also die Privatversicherungen, die Banken und eines Tages auch die Sparkassen sein, denen mit Zwangsauflagen ein Beitrag zur Finanzierung von Bundesaufgaben abgefordert wird.
Wir schließen uns diesen Ausführungen des bayerischen Arbeitsministers an und betonen nochmals, daß wir nicht gewillt sind, mit Ihnen diesen Weg zu gehen. Unsere vordringlichste Aufgabe ist es, die Leistungen der Rentenversicherungsträger zu verbessern,
die zu niedrigen Renten zu erhöhen,
nicht aber einen Eingriff in die Liquidität der So-sozialversicherungsträger vorzunehmen. Wir lehnen deshalb die beiden Gesetzentwürfe ab.