Meine Damen und Herren! Der Antrag der Fäderalistischen Union beschäftigt sich mit einem Problem, das im Laufe der letzten Wochen bereits im Auftrage der Hohen Behörde der Montan-Union durch den sogenannten Tinbergen-Ausschuß, einen Ausschuß von vier Wissenschaftlern, einem Engländer, einem Holländer, einem Italiener und einem Belgier, untersucht worden ist. Diese Untersuchung ging auf eine Frage zurück, die die Hohe Behörde im Auftrage sowohl des Beratenden Ausschusses als auch des Marktausschusses der Gemeinsamen Versammlung gestellt hatte: Ist es das beste Verfahren einer Harmonisierung des Überganges in den Gemeinsamen Markt, wenn — wie es von der deutschen Seite immer wieder unterstrichen worden und wie es im FU-Antrag aufgenommen worden ist — die Lieferungen an den Gemeinsamen Markt aus jedem Land so vorgenommen werden, als seien es Inlandslieferungen? Das entspräche der Vorstellung, durch die Eröffnung des Gemeinsamen Marktes hätten sich praktisch die Grenzen des einzelnen Marktes auf die gesamte Montan-Union erweitert, d. h. jedes Produkt würde mit allen Steuern und sonstigen Abgaben belastet, die es in seinem Produktionsland trägt, und ohne daß es irgendwelche Rückvergütungen in diesem Produktionsland oder zusätzliche Belastungen im Einfuhrland gäbe, würde der Gemeinsame Markt so weit beliefert, wie eine Konkurrenz möglich ist.
Demgegenüber stammt aus der ganz anderen Konstruktion einer Produktionssteuer, einer Ein-
Phasen-Umsatzsteuer in Frankreich die Vorstellung: Es ist doch nicht möglich, von Preisen auszugehen, in denen Steuern enthalten sind, die überhaupt nicht der Produzent zu tragen hat, sondern die der Konsument trägt. Es kommt also darauf an, daß nicht die Verhältnisse im Produktionsland, sondern die im Verbraucherland zum Ausgangspunkt genommen werden, so daß also weiterhin die Umsatzsteuerausgleichszahlungen und die Rückvergütungen wie bisher erfolgen.
Wären in allen Ländern die steuerlichen Verhältnisse gleich, so könnte man darüber hinwegsehen. Tatsächlich ist es aber so, daß in Frankreich eine viel geringere direkte Steuerbelastung besteht als in Deutschland, dagegen eine indirekte Steuerbelastung von 19 oder sogar, wie behauptet wird, 25 %, während in Deutschland die indirekten Steuern relativ gering sind. Ich darf Ihnen an einem Beispiel zeigen, wohin es führte, wenn man nach dem Vorschlag, wie er sich aus der romanischen Steuerdenkweise ergibt, verführe. Es würde dazu führen, daß Stabstahl, der in Deutschland und in Frankreich im Augenblick ungefähr gleich teuer ist — er kostet bei uns 410 und dort 427 DM —, durch dieses System der Rückvergütung völlig inkommensurabler Steuern bei einer Lieferung nach Deutschland 382 DM kostete, während umgekehrt der deutsche Stahl bei der Lieferung nach Frankreich 467,40 DM kosten würde. Das hieße zwangsläufig einen Wettbewerb der Leistungen auf diesem Gemeinsamen Markt auf einmal in einen Wettbewerb der Finanzminister und der Steuersysteme beider Länder oder beider Länderkategorien umwandeln. Das aber könnte nach unserer deutschen Vorstellung natürlich niemals der Sinn dieses Gemeinsamen Marktes sein.
Das ganze Problem geht aber viel tiefer, weil es in dieser Teilintegration des Schumanplans, der ja nur Kohle und Stahl umfaßt, auch wieder noch
die Zusammenhänge innerhalb der Volkswirtschaften — also bei der deutschen zwischen Kohle, Stahl, Maschinenbau usw. und bei der französischen und belgischen entsprechend — gibt. Man würde in dem anderen Falle der Unterstellung der Teilintegration, so wie sie nach dem deutschen System vorgeschlagen worden ist, natürlich in diese Zusammenhänge der einzelnen Volkswirtschaften stärker eingreifen, würde auch dort Schwierigkeiten hervorrufen.
Im Augenblick könnte man von seiten der deutschen eisenverarbeitenden Industrie, des Maschinenbaus, der Elektrotechnik, des Schiffbaus unter Umständen sagen: Na schön, wenn das nun so gemacht werden soll, dann bekommen wir ja auf einmal den Stahl zu wesentlich günstigeren Bedingungen, als ihn etwa die Franzosen selber bekommen. Es wird also zwar in Deutschland eine Beeinträchtigung der Stahlindustrie erfolgen, aber die gesamte Verarbeitung Europas auf dem Gebiet von Eisen und Stahl wird sich in Zukunft in Deutschland konzentrieren. Und auch das war ja niemals der Sinn des Schumanplans, daß nun in den nachfolgenden Industriestufen derartige durch steuerliche Gründe, nicht durch Leistungsgründe bedingte Verschiebungen eintreten sollten.
Herr Präsident, ich darf noch um ein paar Minuten bitten. Das Problem ist so schwierig, und ich glaube, es ist notwendig, es vor der deutschen Öffentlichkeit auseinanderzulegen.
— Danke sehr!
Das konnte also niemals der Sinn sein. Und nun darf ich Ihnen einmal etwas darstellen. Wir haben uns bemüht, gegenüber dem Gutachten der Professoren, die nur den Zusammenhang der Volkswirtschaften im einzelnen, im Vertikalen gesehen haben, nun diese anderen Gesichtspunkte zum Tragen zu bringen, und sind uns klar darüber gewesen, daß die im Augenblick mögliche Lösung, die allen Interessen gerecht wird, weder die sein kann, die der Ausschuß der Professoren vorgeschlagen hat, noch im gegenwärtigen Moment die deutsche Vorstellung, weil sie wegen der beschränkten Teilintegration in die anderen Bereiche zu stark eingreift. Auf lange Sicht gesehen, kann es überhaupt keine andere Lösung als die deutsche geben, ist keine andere denkbar; denn auf einem gemeinsamen Markt können letzten Endes nur die Preise regieren und können nicht Kostenfaktoren miteinander in Wettbewerb treten. Man kann es schließlich nicht darauf hinauskommen lassen, daß man nicht mehr die Eisen- und Stahlindustrie — um das Beispiel herauszugreifen — miteinander in Wettbewerb treten läßt, sondern den Herrn Schäffer und seinen französischen Kollegen als Finanzminister und den Herrn Storch und seinen französischen Kollegen als Arbeitsminister und so fort durch alle Kostenfaktoren hindurch.
Das Problem geht tiefer. Es handelt sich darum, das Prinzip durchzusetzen, das wir bereits in dem europäischen Verfassungsentwurf gefordert haben: über die Teilintegration wegzukommen zur Koordinierung der Währungs-, Kredit- und Finanzpolitik auf der ganzen Linie. Das werden wir im Augenblick nicht erreichen können; das ist eine Aufgabe, die sehr schwer ist. Deshalb geht es im Augenblick darum, für eine Übergangszeit einen vernünftigen
Kompromiß zu finden. Dieses vernünftige Kompromißangebot kann nur so aussehen, daß im gegenwärtigen Augenblick die Unterschiede in den Steuersystemen einigermaßen ausgeglichen werden, d. h., daß in sämtlichen Ländern nur die Steuer der letzten Verarbeitungsstufe zurückvergütet und bei der Lieferung in das andere Land zugeschlagen wird. Das würde also etwa bedeuten, daß eine Lieferung, die von Frankreich nach Deutschland geht, dort eine Rückvergütung nicht mehr in Höhe von 16 % — die ja die Rückvergütung für Erz, für Schrott, für alle Vorstufen mit enthält —, sondern nur noch für die letzte Stufe der unmittelbaren Produktion des Stahlerzeugnisses erhält — sagen wir 4, 5, 6 % — und daß umgekehrt in Deutschland auch nur diese Belastung hinzutreten würde. Wenn man sich auf dieser Basis zunächst einmal vernünftig einigen kann, wird man das schwierige Unternehmen einer solchen Teilintegration, die nach unser aller Willen aus politischen und wirtschaftlichen Gründen ein Erfolg werden soll, erfolgreich durchführen können.
Man darf sich jedoch nicht in Dogmen verrennen, die wirklichkeitsfremd sind und an der Realität vorbeigehen. Das gilt z. B. von der Behauptung, daß nur die indirekten Steuern in die Preise eingingen, nicht hingegen die direkten Steuern. Das ist eine Vorstellung, die sicher richtig war, als wir einmal 10 oder 15 °/o Einkommensteuer hatten. Aber wenn heute ein Unternehmen investieren will, muß es das Kapital verzinsen. Es muß die Zinsen verdienen, die es seinen Gläubigern oder Aktionären zahlen muß. Es muß folglich auch die Ertragsteuern verdienen und mit in den Preis einbeziehen. Herr Kollege Schöne hat schon darauf hingewiesen, daß in Art. 3 des Schumanplan-Vertrages diese Erkenntnis enthalten ist.
Das Gutachten geht also etwas in die Irre. Wir möchten am Vorabend der Eröffnung des Gemeinsamen Marktes vor dem Deutschen Bundestag, vor der ganzen deutschen Öffentlichkeit und gegenüber den Herren der Hohen Behörde noch einmal deutlich aussprechen, daß eine ungeheuerliche Verantwortung auf ihnen lastet. Wenn die Hohe Behörde einen Weg beschreitet, der zu Gegenmaßnahmen auf deutscher Seite führen müßte, so bedeutet das einen schrecklichen Umweg. Wenn man sich weiterhin auf das Gutachten Tinbergen stützt, bleibt uns auf deutscher Seite praktisch nichts anderes übrig, als die Ermächtigung an den Finanzminister zu geben, daß er die Belastung mit der Umsatzausgleichsteuer bei der Einfuhr französischer Produkte in das deutsche Wirtschaftsgebiet ähnlich hoch setzt, wie auf der anderen Seite die Rückvergütungen an den französischen Produzenten sind. Das ist aber nicht der Sinn des Schuman-plans, der auf eine möglichst billige Versorgung und möglichst große Erleichterung der Beziehungen zwischen den einzelnen Ländern gerichtet ist. Der Sinn des Vertrages geht vielmehr in umgekehrter Richtung. Wir richten deshalb an die Hohe Behörde den Appell, den einzig möglichen Weg zu gehen — die Steuerhoheit bleibt nach dem Schumanplan bei den einzelnen Regierungen —, sich selbst einer Entscheidung zu enthalten, die Regierungen unmittelbar zusammenzurufen, ihnen auf Grund einer Empfehlung die Möglichkeit zu geben, sich auf einer Kompromißbasis, wie ich sie angedeutet habe, zu einigen, so einen vernünftigen und gerechten Start der Montan-Union zu ermöglichen und nicht von vornherein dieses sehr, sehr schwierige und von uns allen mit ernstem Willen
verfolgte Experiment mit dem Druck zu Gegenmaßnahmen zu belasten, die nicht erfreulich sein können.