Rede von
Dr.
Hermann
Etzel
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(Fraktionslos)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FU)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Seit dem Kommuniqué der New Yorker Außenministerkonferenz vom September 1950 wußten wir, daß die Bundesrepublik große Verpflichtungen aus deutschen Vorkriegsschulden und aus Nachkriegswirtschaftshilfe erwarteten. Es war für den deutschen Verhandlungsführer gewiß nicht leicht, die Mitte zu nehmen zwischen den für die Wiederherstellung des deutschen Rufes und Kredits unumgänglichen seriösen Zugeständnissen und den wirtschaftlichen und finanziellen Möglichkeiten der Bundesrepublik. Die Gegenseite, beeindruckt von dem deutschen „Wirtschaftswunder", hat die bundesrepublikanische Leistungsfähigkeit wahrscheinlich überschätzt und die gewichtigen negativen Momente, wie die ständige Dollarlücke, unterschätzt. Der Fall zeigt, wie gefährlich es ist, aus an sich verständlichen Beweggründen immer wieder die rasche Zunahme des Sozialprodukts laut zu verkünden.
Man hat uns hart angefaßt und uns einen Betrag von 14 Milliarden auferlegt, dessen Zins- und Tilgungsdienst zunächst 600, nach fünf Jahren 750 Millionen DM jährlich erfordern, mit den Verbindlichkeiten aus dem Israel-Vertrag aber vielleicht gegen 1 Milliarde, also fast 7 % des sich gegenwärtig ebenfalls auf 14 Milliarden DM belaufenden Ausfuhrwerts ausmacht.
Zu bedauern ist, daß an den Nennbeträgen der Vorkriegsschulden nichts nachgelassen wurde und die Tatsache der Abtrennung weiter Gebietsteile ebenso wie das traurige Kapitel der Beschlagnahme und Liquidation deutscher Privatvermögen und Patente im Ausland unberücksichtigt blieb, wenn andererseits auch nicht verkannt werden soll, daß uns bei der Festsetzung der Nachkriegsschulden sowie in der Zinshöhe, bei den Zinsrückständen, in den Tilgungszeiten und durch Vorschaltung einer fünfjährigen Atempause Entgegenkommen gezeigt worden ist.
Eine günstigere Beurteilung ergibt sich vielleicht auch daraus, daß seit der Aufnahme der Vorkriegsschulden in der Welt eine erhebliche Geldentwertung eingetreten ist und daß die Goldklausel bei den auf Dollar und Schweizer Franken lautenden Schulden nicht angewendet und bei den übrigen Währungen durch die Umrechnung über den Dollar ersetzt wird, was in den letzteren Fällen infolge der seit 1930 stattgefundenen Dollarabwertung effektiv einer Ermäßigung um fast 40 % entspricht.
Mit der Möglichkeit des terminlichen, den I Lebensstandard nicht antastenden Transfers aus dem laufenden Aufkommen der Zahlungsbilanz, nicht aus Währungsreserve, steht und fällt das Abkommen. Das ist das Haupt- und Kernproblem. Seine Lösung ist durch die heute noch nicht absehbare politische und wirtschaftliche Entwicklung bedingt.
Der Schlußbericht der Londoner Konferenz vom 8. August vorigen Jahres enthielt in einer besonderen Sicherheitsklausel die Grundsätze der Ausweitung und Liberalisierung des Welthandels und des freien Austauschs der Währungen als Voraussetzungen für eine günstige Entwicklung. Die Empfehlung ist juristisch dann in die Form des Art. 34 des Regierungsabkommens vom 27. Februar dieses Jahres gebracht worden, der im Falle einer den Transfer gefährdenden Entwicklung eine Konsultation vorsieht und dabei die Berücksichtigung der erwähnten Grundsätze des Schlußberichts fordert. Ist dem so, dann muß der Geist des „Kauf-in-
Amerika"-Gesetzes von 1933 verschwinden. Dann darf sich auch nicht Mr. Taft gegen den Abbau des amerikanischen Protektionismus wenden. Man wird auf deutscher Seite gut daran tun, Geduld zu haben und sich nicht sanguinisch gleich ab jetzt in größtem Stile Anleihen und Rembourskredite zu erhoffen. Es ist zu befürchten, daß der großen deutschen Bereitschaft nicht sofort die erwartete Antwort folgt. Dazu liegt zuviel dazwischen, und überdies ist die politische Lage in Europa noch nicht bereinigt. Das Fatale ist, daß der Bundestag auch hier wieder nur nachträglich ja oder nein sagen und nichts mehr ändern kann. Es ist zu hoffen, daß man uns nicht eine seidene Schnur um den Hals gelegt hat, um sie zuzuziehen.