Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Geschäftsordnung ist zwar voll Genüge getan, indem diese 215 Seiten umfassende Druckschrift eine Woche vor der Behandlung im Parlament in die Fächer der Abgeordneten gelegt worden ist; aber es ist doch zu fragen, ob bei einer so schwierigen und verwickelten Materie die Abgeordneten des Bundestags nicht früher unterrichtet werden sollten.
Das Studium dieser Originaldokumente ist um so notwendiger, als die Zeitungen bisher außerordentlich unzulänglich berichtet haben. Jedenfalls konnte die Lektüre von einigen Hundert Zeitungsausschnitten kein Bild vermitteln von dem, was im Londoner Schuldenabkommen wirklich geschehen ist. Wenn eine so seriöse Zeitung wie das „Handelsblatt" oder eine Wochenschrift wie der „Volkswirt" — der ja auch große Ansprüche an sich stellt — so schief, so falsch, so unzulänglich berichten, so muß uns das doch zu denken geben, und wir sind hier wie in vielen anderen Fällen in der Hauptsache auf die „Neue Zürcher Zeitung" und die „Tat" angewiesen.
Der erste Eindruck nach der Lektüre des Vertragswerks ist der, daß die deutsche Delegation unter Hermann A b s gut zusammengesetzt und gut geführt ist und daß sie mit Geschick und Erfolg verhandelt hat.
Was wir nicht wissen, aber gerne wissen möchten,
ist, nach welchen Richtlinien des Herrn Bundeskanzlers die Delegation ihre Arbeit getan hat.
Ich will in der ersten Lesung nicht auf Einzelheiten eingehen, sondern mich auf wenige Anmerkungen beschränken. Der zentrale Punkt des gesamten Abkommens ist ja die wirtschaftliche Tragfähigkeit, und zwar sowohl was die Aufbringung des gewaltigen Schuldendienstes im Inneren als auch was den Transfer ins Ausland betrifft. Es ist hier die Frage zu stellen, ob sowohl die innere Aufbringung wie die Übertragung ins Ausland ohne wirtschaftliche, soziale und politische Schwierigkeiten durchgeführt werden können. Man vermißt in dem Vertragswerk eine Transferschutzklausel mit objektiven Merkmalen. Es wird deshalb zu fragen sein, ob die Bestimmungen über den Transfer in Art. 9 und die Konsultativklausel in Art. 34 des Vertragswerkes und die entsprechenden Artikel 6 bzw. 8 in den zweiseitigen Abkommen mit USA und Großbritannien, ferner in dem Abkommen mit Frankreich den tatsächlichen Bedürfnissen genügen. Diese Frage wird bei den Ausschußarbeiten ganz besonders beraten werden müssen.
Dann verdient eine besondere Beachtung die Frage der sogenannten „Ballons", d. h. der auf einmal fälligen Rückzahlungen der Anleihen zwischen 1960 und 1978. Wahrscheinlich werden solche „Ballons" nur mit neuen Anleihen an alte oder neue Schuldner zu bezahlen sein. Auch diese Frage wird bei den Ausschußberatungen besonders beachtet werden müssen. Wir werden die gesamten Lasten bei Aufbringung und Transfer während der Laufzeit des Abkommens prüfen müssen, da eine Koordination mit den anderen Belastungen in diesem Abkommen vermißt wird.
Die Basis für dieses Abkommen bildet der Briefwechsel zwischen dem Herrn Bundeskanzler und den Hohen Kommissaren vom 6. März 1951. In diesem Briefwechsel ist klar zum Ausdruck gebracht, daß er durch das Parlament ratifiziert werden muß. Das hat der Herr Bundeskanzler aber leider unterlassen. Daß die Ratifizierung implizite jetzt geschieht, ist zwar richtig, hat aber den Herrn Bundeskanzler nicht von der Verpflichtung entbunden, unmittelbar nach diesem Briefwechsel vom 6. März 1951 das Parlament mit der Sache zu befassen und die Genehmigung des Parlaments einzuholen.
Es ist doch überhaupt zu fragen, ob bei Abkommen von so entscheidender Bedeutung das Parlament nicht vorher unterrichtet werden sollte, damit es in der Lage ist, seine Zustimmung zu den großen Linien, nach denen verhandelt werden soll, zu geben. Das haben wir nicht nur hier, sondern auch bei anderen, bei allen Fragen von außenpolitischer Bedeutung vermißt. Es wäre auch zu wünschen, daß der Regierungschef in allen solchen Fragen mit der Opposition rechtzeitig Fühlung aufnehmen würde.
Ich möchte noch ein paar Anmerkungen mehr grundsätzlicher Art hinzufügen: Dieses Abkommen über die deutschen Auslandsschulden steht in derselben Perspektive und unterliegt mithin denselben Kriterien wie die Verträge von Bonn und Paris. Wie diese Verträge, stellt das Abkommen einerseits eine Liquidation der Vergangenheit, andererseits eine Verpflichtung dar, die weit in eine unsichere und unüberschaubare Zukunft reicht. In einem
Zeitpunkt, in dem die außenpolitischen Weltfronten in Bewegung geraten sind und eine Lösung der deutschen Frage zumindest möglich erscheint, drängt sich die Regierung der Bundesrepublik geradezu danach, dem deutschen Volke schwere und unübersehbare Verpflichtungen aufzuerlegen, bevor die völkerrechtliche, die politische und die wirtschaftliche Zukunft Gesamtdeutschlands auch nur in Umrissen sichtbar wird. Wir haben jede Frage, nicht zuletzt auch das Problem des Londoner Schuldenabkommens, unter dem Gesichtspunkt zu prüfen, wie es auf die deutsche Wiedervereinigung wirkt, ob es sie fördert oder hindert.
Verpflichtungen solcher Art setzen einen Grundbestand fester Aspekte voraus, die eine Abschätzung der Tragfähigkeit für solche Verpflichtungen erlauben, wie sie nur ein Friedensvertrag oder wenigstens eine klare. Sicht auf künftige Entwicklungen, inbesondere auf die Frage etwaiger Reparationsverpflichtungen, ermöglicht. Dies gilt schon für ein besiegtes Land wie das Deutsche Reich nach dem Ersten Weltkrieg, das eine Schulden- und Reparationslast übernehmen mußte und übernahm, der es gar nicht gewachsen sein konnte. Um so mehr gilt das für ein Volk, das mit der unendlich größeren Belastung des Zusammenbruchs nach dem Zweiten Weltkrieg eine schwerwiegende und sowohl politisch als auch wirtschaftlich belastende Bündnisverpflichtung auf sich nehmen will, die ebenfalls unübersehbare Zukunftslasten aufbürdet. Wenn diese Bündnisverpflichtung, wie ja immer betont wird, auf gleichberechtigter Partnerschaft beruht, folgt daraus, daß der frühere Gegner das Schulden- wie das Verpflichtungsverhältnis des neuen Partners komplex, im ganzen, betrachten muß, nicht aber isoliert.
Der Begriff der Verpflichtung bringt es mit sich, daß man nicht mehr übernimmt, als man äußerstenfalls zu leisten verantworten kann. Jede Vabanquepolitik, die sich auf die unsichere Zukunft verläßt, wäre nach beiden Seiten verantwortungslos. Niemand leugnet — und wir wären die letzten, die es tun würden — unsere moralische und faktische Verpflichtung, Schulden anzuerkennen und abzutragen, auch solche der Vorkriegszeit. Im Rahmen der Partnerschaft, die wir eingehen sollen, ist jedoch die einseitige Perspektive der Frage von „Schuld" und „Recht", wie sie die Drei Mächte oft üben, sehr gefährlich. Es muß ein gerechter, d. h. ein lebensfähiger Ausgleich zwischen Verschuldung und Bündnisfähigkeit gefunden werden, ein Ausgleich, wie er in dem doppelpoligen Ausdruck „Verpflichtung" enthalten ist.
Die Frage nach der Verantwortlichkeit, der Verpflichtung, die der Bundesrepublik auferlegt wird, erscheint nach beiden Seiten offen. Man kann hier die Frage nicht außer acht lassen, ob die Aufrechterhaltung der Beschlagnahme der deutschen Auslandsguthaben und der deutschen Auslandsvermögen mit der echten Partnerschaft auf Tod und Leben vereinbar ist;
man wird vielmehr sagen müssen, daß diese Fragen nur insgesamt gelöst werden können. Man müßte von der Bundesregierung gewissermaßen einen Gesamtlastenplan erwarten. Hierzu werden wir dem Herrn Bundeskanzler in den Ausschußberatungen noch ganz konkrete Fragen stellen. Was heute schon offenbar scheint, ist die gefährliche Tatsache, daß man auf beiden Seiten eben
nicht über den gesamten Komplex der deutschen Auslandsverpflichtungen, sondern, wie ich schon andeutete, über die einzelnen Sparten und Lasten besonders verhandelte und daß überhaupt nicht alle Verpflichtungen geregelt wurden. Das gilt z. B. für die Reparationsforderungen, die zwar formell nicht vor dem Friedensvertrag erhoben werden sollen, auf die man aber andererseits bisher auch nicht verzichtete. Das gilt weiterhin — ich will es im einzelnen nicht aufzählen — für die sogenannten Altschulden, die noch zu regeln sind. Das gilt vor allem für den Finanzvertrag und die finanziellen Bestimmungen des EVG-Vertrags. Das gilt für die Zahlungsverpflichtungen aus dem Montanunionpakt, für das Abkommen mit Israel und für die zahlreichen individuellen Restitutions-forderungen. Die erhoffte Anerkennung der Bundesrepublik als Wirtschaftspartner und die Wiederherstellung des Vertrauens in die deutsche Vertragstreue würden aber in Frage gestellt, wenn wir Verpflichtungen übernehmen, die unerfüllbar sind. Es ist leider nicht so, wie Herr Kollege Kopf vorhin ausführte, daß mit dem Londoner Schuldenabkommen ein Schlußstrich unter die Vergangenheit gesetzt wird;
sondern es ist vielmehr so, daß noch sehr viele zähe Verhandlungen geführt werden müssen und daß noch sehr viel Einsicht auf der Seite der Alliierten erweckt werden muß, bis wir einmal zu einem solchen Schlußstrich — hoffentlich — kommen werden.
Dieses Schuldenabkommen ist so umfangreich, so gewaltig, daß ich glaube, daß es in der Finanzgeschichte keine Parallele dafür gibt. Solche Abkommen können nur dann wirklich Vertrauen für Deutschland erwerben, wenn eine breite parlamentarische Mehrheit solchen Abkommen zustimmt. Die Stellungnahme der sozialdemokratischen Fraktion ist noch offen. Wir werden uns intensiv an den Ausschußberatungen beteiligen, und wir werden von dem Ergebnis dieser Beratungen unsere endgültige Stellungnahme zu diesem Vertragswerk abhängig machen.
Herr Kollege Kopf hat den Gedanken, den ich ihm gestern sagte und der ein Beschluß der sozialdemokratischen Fraktion ist, freundlicherweise aufgegriffen. Wir waren in unserer Fraktionssitzung vorgestern der Meinung, daß bei einem Vertragswerk von so großer außenpolitischer Bedeutung unter allen Umständen der Ausschuß für auswärtige Angelegenheiten die Federführung haben muß.
Wenn man nun aber bedenkt, daß auch die Ausschüsse Haushalt, Finanzen und Steuern, Geld und Kredit, Wirtschaftspolitik und Außenhandel mitberaten sollten, dann würden wir, falls wir diese Vorlage federführend an den Ausschuß für auswärtige Angelegenheiten, mitberatend an die eben genannten fünf Ausschüsse überweisen, nach unserer Meinung einen Fehler begehen. Wir würden die Verabschiedung des Vertragswerks über Gebühr hinauszögern. Deshalb kamen wir zu dem Ergebnis: nur Überweisung an den Ausschuß für auswärtige Angelegenheiten, was ich hiermit beantrage, und diesem Ausschuß jedoch dann die Auflage zu geben, daß er einen Arbeitskreis bildet, dem sachverständige Mitglieder seines eigenen Ausschusses und der übrigen genannten Ausschüsse angehören. Ein solcher Arbeitskreis würde sich im
wesentlichen auf die finanziellen, die rechtlichen und die technischen Fragen des Vertragswerkes beziehen, während die eigentliche Beratung über das außenpolitisch Wichtige beim Auswärtigen Ausschuß läge. Ich wäre also dem Hohen Hause dankbar, wenn es diesem Antrag zustimmen würde, da durch Annahme dieses Antrags die schnelle Verabschiedung und die gute Beratung im Auswärtigen Ausschuß und in dem Arbeitskreis gewährleistet ist.